Vor hundert Jahren wurde Wien ein eigenes Bundesland. Eine Ausstellung der Wienbibliothek im Rathaus sowie ein Begleitband widmen sich der Loslösung von Niederösterreich. Der Prozess war von zähen Verhandlungen und einem erbitterten Kulturkampf zwischen dem „Wasserkopf Wien“ und dem christlichsozialen Rest-Österreich begleitet.
Ein interessanter historischer Rückblick und Erklärung vieler Ressentiments pro und contra Wien und seine Bewohner ->
Als Österreich 1920 zum Bundesstaat wird, ist von der Größe und dem Glanz der alten Habsburger-Monarchie wenig übrig geblieben, was sich für die neue Republik und ihre Länder sinnvoll verwerten ließe. Die wichtigste Industrie liegt in der neuen Tschechoslowakei, die Landwirtschaft in Ungarn, das kleine Österreich hingegen hat tausende Beamte geerbt, die es weder weiterbeschäftigen noch versorgen kann. Und dann ist da noch Wien.
Die Weltstadt verliert nach dem Krieg zwar hunderttausende Einwohner, die in die nun unabhängigen ehemaligen Kronländer zurückziehen, bleibt aber eine für einen Kleinstaat geradezu absurd große Kapitale. Ein Drittel der österreichischen Bevölkerung lebt nun hier. Für die konservativ geprägten Bundesländer ist das mittlerweile von den Sozialdemokraten kontrollierte Wien ein Wasserkopf.
Die Sozialdemokraten halten im niederösterreichischen Landtag eine knappe Mehrheit und stellen den Landeshauptmann. Die Christlichsozialen in den Ländern verlangen die Abspaltung Wiens von Niederösterreich, mit klarem Kalkül: Besser eine kleine rote Hochburg als die Hälfte der Bevölkerung im Einflussbereich der Arbeiterpartei.
Die Forderung der Bürgerlichen trifft durchaus auf die Zustimmung der Sozialdemokratie. Ihr Interesse an der Abspaltung Wiens hat allerdings andere Gründe. Die rote Mehrheit im vereinten Niederösterreich ist knapp und keineswegs sicher. Fiele das Bundesland an die Bürgerlichen, stünde Wien als einfache Gemeinde unter deren Einfluss.
Es geht aber auch ums Geld, um Steuergeld.
Die Hauptstadt ist ungleich finanzkräftiger als das Umland. In Wien leben weniger als 60 Prozent der Landesbevölkerung, aber die Stadt stellt fast 80 Prozent des niederösterreichischen Steueraufkommens. Der sozialdemokratische Abgeordnete Robert Danneberg sieht darin eine Zumutung und die Sozialdemokraten wollen Wien mit seiner Steuerkraft zu einer Musterstadt ausbauen und nicht etwa schwarze Kleingemeinden subventionieren.
So sehen beide Parteien, jede für sich wichtige, wenn auch unterschiedliche Gründe, dass fortan zwei selbständige, voneinander völlig getrennte und unabhängige Bundesländer existieren sollen.
Das seltsame Verhältnis von Niederösterreich und Wien ->