Zur Landtagswahl in OÖ: Das Ende der Nachkriegsordnung – Eine Analyse von Mag. Claus Michl-Atzmüller
Die Landtagswahl in Oberösterreich stellt ein weiteres Ereignis in der politischen Landschaft dar, welches das Ende der Nachkriegsordnung markieren wird. Aus Trümmern (und mit der Kraft der Trümmerfrauen und der Nachkriegsgeneration) erbaut, wies Österreich lange Jahrzehnte ein weitestgehend stabiles Zwei-Parteiensystem (mit kleiner freiheitlicher und kurzer kommunistischer Beteiligung) auf. Auf Grund der Geschehnisse der Februartage 1934 sollten und wollten beide großen politischen Lager, die Sozialdemokratie und die Christdemokratie/Konservativen, nicht mehr auf Basis von Gewalt und Standrecht aufeinander losgehen. Das korporatistische System der „alten“ Sozialpartnerschaft wurde erschaffen. Ein System, welches viel für Österreich geleistet hat, aber offenkundig und weithin ersichtlich schwere Abnützungserscheinungen aufweist.
Dieses System stand mit der erstmaligen Auflage von Schwarz-Blau zu Beginn des neuen Jahrtausends zur erheblichen Disposition. De facto wurde die Sozialpartnerschaft, die im alten System oft als Schattenregierung oder als die „eigentliche“ Regierung bezeichnet wurde, die nicht mit der notwendigen verfassungsrechtlichen Legitimität ausgestattet war, massiv zurückgedrängt. Man kann von einer Abschaffung der Sozialpartnerschaft sprechen. Ein gewisses comeback feierte sie dann mit der Neuauflage von Rot-Schwarz. Die Sozialpartnerschaft könnte man heute auch als „Sozialpartnerschaft light“ deuten, die allerdings nicht mehr die Bedeutung vergangener Tage erlangen wird.
Das kann sie auch nicht mehr. Europäisierung, Globalisierung und Technologisierung sind Phänomene, die den Spielraum nationaler und regionaler Politik erheblich einschränken. Wenn 61 Prozent der Arbeiter in Oberösterreich freiheitlich wählen und mit Reinhold Entholzer ein Gewerkschafter an der Spitze der SPÖ gnadenlos scheitert, so muss das der Sozialdemokratie und den sozialdemokratischen Gewerkschaftern zu denken geben. Gerade Oberösterreich ist als Industrieland wie geschaffen für sozialdemokratische Politik. Eine moderne Sozialpartnerschaft muss ihre Vertretungsgrundlangen erweitern. Wie viele freie Dienstnehmer sind Mitglied in der Gewerkschaft? Aber auch EPUs und Menschen mit Werkverträgen müssen in den Fokus sozialpartnerschaftlicher Politik rücken. Die sogenannten „Outsider“ sollten nicht nur sozialversicherungsrechtlich stärker in das System eingebunden werden, sondern auch arbeitsrechtlich. Flexicurity-Modelle sind zu forcieren.
Zudem müssen die Sozialpartner ihren Aktionsradius auf europäischer Ebene weiter ausbauen, um auf die weltweite neoliberale marktwirtschaftliche Hegemonie effizienter reagieren und vor allem auch proaktiv agieren zu können. Die Märkte, auch die Finanzmärkte, können hier auch Partner und nicht nur Gegner darstellen, wodurch ein starres Beharren auf das Primat der Politik sinnvoll aufgeweicht wird.
Aus meiner Sicht ist es daher zu einfach, um nicht zu sagen bequem, die Gründe für die Wahlniederlage lediglich mit dem Hinweis auf die Flüchtlingsströme zu erklären. Natürlich mögen diese auch eine Rolle spielen, eine erhebliche sogar, aber das Problem von SPÖ und ÖVP sitzt viel tiefer. Die Sozialdemokratie war in den 1990er Jahren trotz freiheitlichen Aufstiegs durchgehend eine Über-30-Prozent-Partei. Und auch zu dieser Zeit gab es Krisen, wie der bürgerkriegsartige Zerfall Ex-Jugoslawiens. Heute hinken wir den Freiheitlichen in Umfragen bis zu 10 Prozent hinterher. Und nicht erst seit der Flüchtlingskrise. Beide Parteien leiden unter strukturellen Schwächen. So konnten bis in die 80er/90er Jahre die einzelnen Bünde der ÖVP die gesellschaftlichen Lagen rechts von der SPÖ durchaus breit abdecken. Mittlerweile stellen die Bünde (aber auch die Länder) für die ÖVP einen Klotz am Bein dar. Es gibt kaum Themenbereiche, wo sich die Bünde und die Länder nicht in die Haare kriegen. Ein Beispiel wäre die Gesamtschule, wo die Westachse der ÖVP diesen Schultypus nunmehr präferiert und die Wiener ÖVP das Gymnasium plakatiert und mehrere neue Gymnasien sogar fordert.
Und die SPÖ gilt mittlerweile für viele Menschen ebenfalls als strukturkonservativ, die das Alltagsleben, die Alltagssorgen und –ängste der Menschen nicht mehr erreicht. Ein starres Beharren auf sozialstaatliche Leistungen, so überkommen sie erscheinen mögen, blockiert jegliche sinnvolle Reform im Wohlfahrtsstaat (ich denke hier an die Familienbeihilfe, die aus klientelistischen Gründen leicht erhöht wurde, aber überhaupt keinen Lenkungseffekt in Richtung mehr Kinder erzeugt). Und sich organisatorisch hauptsächlich auf den ÖGB zu stützen, erscheint mir äußerst problematisch.
Dass die Arbeiter blau wählen ist kein Phänomen der Flüchtlingskrise. Möglicherweise hat sie es verschärft, doch dass der Sozialdemokratie die Arbeiter abhandenkommen, geschieht nicht erst seit gestern. Schauen wir uns die Wahlen der Vergangenheit an, so z.B. in der Steiermark. Die Arbeiter sind uns in der Obersteiermark sicher nicht wegen den Gemeindezusammenlegungen (auch das ein sehr bequemes Argument) davon gelaufen, sondern auf Grund von Jobängsten. Die Regierung macht den Eindruck, dass sie mit der Wirtschafts- und Finanzkrise überfordert ist und nicht die entsprechenden Antworten findet. Aber Antworten sind oft komplexer als von den Freiheitlichen vorgegaukelt. Das sollte an dieser Stelle auch erwähnt sein. Dass die Regierung mitunter Ignoranz auf Auswirkungen der Krise ausstrahlt, gewollt oder ungewollt, so z.B. auf die Massenarbeitslosigkeit, lässt sich allerdings auch nicht von der Hand weisen.
Und bürgerlich ist nicht gleich bürgerlich. Das Wahlverhalten von Kleinbürgern orientierte sich in der Vergangenheit sicherlich nicht an den bürgerlichen Freiheiten wie der Meinungs- oder Pressefreiheit, sondern ebenfalls an gesicherten Jobs. So stellten beispielsweise die Banken jahrzehntelang einen save haven, sicheren Hafen, dar. Ein Bankbeamter durfte davon ausgehen, dass sein Arbeitsplatz für 40 Jahre bis in die Pension geschützt war. Wenn dieser Schutz nicht mehr gewährleistet werden kann, so neigt der Kleinbürger zu autoritärem Wahlverhalten. Und die Finanzwelt ist in einem schweren Umbruch (wie auch der öffentliche Dienst).
Zu den Umbrüchen gesellt sich ein verantwortungsloses, bestenfalls hilfloses, Verhalten wie bei der Heta, wo die mangelnde Entscheidungsfreudigkeit der (Regierungs-)Akteure die Krise noch verstärkt hat, hinzu. Detto bei der Flüchtlingskrise, wo die richtigen Entscheidungen erst sehr spät, ja zu spät getroffen wurden.
Eine neue Sozialdemokratie muss auf diese Entwicklungen der Zeit neue Kompetenzen aufbauen. Sie braucht einerseits Wirtschafts- und Finanzkompetenz und andererseits Kompetenzen in der Asyl- und Integrationsproblematik, um gegen populistische Strömungen von rechts und links standhalten zu können. Um es mit Androsch zu sagen: Es ist ein Ende, speziell dann auch nach der Wien-Wahl, der Bequemlichkeit, der Bequemlichkeit des alten und überkommenen Systems, vonnöten. Wir schreiten in neue Zeiten.