Die Mitgliedsländer der Europäischen Union setzen sich gegenseitig einem massiven Steuerwettbewerb aus. Dies führt zu einem Wettlauf nach unten: Senkt ein Staat seine Gewinnsteuersätze oder schafft ein neues Schlupfloch, ziehen andere nach. Hier kommt die mangelnde europäische Solidarität zwischen Mitgliedstaaten besonders deutlich zum Vorschein: Dieser desaströse Gewinnsteuerwettbewerb entzieht den öffentlichen Haushalten finanzielle Mittel und damit fiskalischen Spielraum für soziale und ökologische Antworten.
Fragen der Steuergerechtigkeit sind eng mit der sozialen Frage verzahnt. Das gilt innerhalb einzelner Länder, noch mehr allerdings zwischen Nationalstaaten. Die Mitgliedsländer der Europäischen Union befinden sich untereinander in einem massiven Steuerwettbewerb, was zu einem Wettlauf nach unten führt: Senkt ein Staat seine Steuersätze oder schafft ein neues „Steuerzuckerl“, ziehen andere nach. Hierdurch kommt nicht nur mangelnde europäische Solidarität besonders deutlich zum Vorschein, sondern dieser desaströse Steuerwettbewerb entzieht zudem den öffentlichen Haushalten finanzielle Mittel und damit fiskalischen Spielraum für soziale Antworten. Außerdem verschärft er bestehende steuerliche und damit ökonomische Ungleichgewichte (vgl. Piketty 2014), und das sowohl zwischen als auch innerhalb der Mitgliedstaaten. Gabriel Zucman (2017) spricht von einem „Motor der Ungleichheit“. Doch damit nicht genug: Gerade die Verschärfung verteilungspolitischer Schieflagen hat mit dazu beigetragen, dass verantwortliche politische Kräfte einen Legitimationsverlust erlitten haben (vgl. Bieling 2017), sich rechte und europafeindliche Parteien im Aufwind befinden (vgl. Kronauer 2017; Bieling 2017; Eribon 2016) und damit Europa und paradoxerweise insbesondere die Idee eines sozialen Europas weiter unter Druck geraten.
Es braucht ein handlungsfähigeres Europa, um dem Problem der internationalen Steuertricks Herr zu werden. Aktuell halten die Mitgliedstaaten jedoch – aus unterschiedlichen Gründen – an ihrer Souveränität im Steuerbereich fest, verhindern so effektive multilaterale Reformen, die ihnen gemeinsam zu einer stärkeren Position gegenüber großen Konzernen und SteuertrickserInnen verhelfen würden, und untergraben dadurch gegenseitig ihre Wohlfahrtsstaatsmodelle. Tatsächlich ist diese Steuersouveränität wegen der ökonomischen Integration, des Grads der Internationalisierung und Digitalisierung der Wirtschaft und der teils veralteten Steuersysteme jedoch längst nicht mehr gegeben. Rixen unterscheidet zwischen „De-jure-“ und „De-facto-Souveränität“ und meint, „dass die Mitgliedstaaten ihre De-jure-Souveränität teilen müssen, um ihre tatsächliche (De-facto-)Souveränität zurückzuerobern“ (Rixen 2016, 49). Andernfalls wird der Unterbietungswettlauf, das „race to the bottom“, weitergehen, und multinationale Konzerne werden die Einzigen sein, die als GewinnerInnen aus dem Ring steigen.
Das Einstimmigkeitsprinzip, gepaart mit dem europäischen Steuerwettbewerb, ist jedenfalls ein zentrales Problem. Da einige EU-Staaten den Steuerwettbewerb erheblich befeuern bzw. ganz klar als Steueroasen fungieren, ist die Einstimmigkeit im Kampf gegen (schädlichen) Steuerwettbewerb und damit im Kampf gegen die Steuertricks aktuell nicht zu erlangen. Es müsste steuerliche Kompetenz an die EU abgetreten werden bzw. das Einstimmigkeitsprinzip zumindest im Bereich der Unternehmensbesteuerung gelockert werden, um die EU in Fragen der Steuergerechtigkeit handlungsfähiger zu machen. Hierfür braucht es letztlich eine Änderung der EU-Verträge, was wiederum von den politischen Kräfteverhältnissen innerhalb
der EU abhängt. Denn es muss hier nicht nur Druck auf einzelne Steueroasen ausgeübt werden, damit sich diese dem Gemeinschaftsinteresse fügen, sondern es müssen eben auch jene politischen Kräfte wieder an Bedeutung verlieren, die sich eine Schwächung der EU und mehr nationalstaatliche Souveränität herbeisehnen.
Die Leidtragenden sind allen voran die ArbeitnehmerInnen, die den Steuerausfall in den Ländern, die um ihre Einnahmen gebracht werden, kompensieren müssen. Auch in Österreich wird das Steueraufkommen immer mehr auf den Faktor Arbeit
verlagert (vgl. Gerhartinger 2017). Gleichzeitig sind ArbeitnehmerInnen von staatlichen Ausgabenkürzungen überproportional betroffen, wenn die Kompensation nicht gelingt – das bei nur minimalen Möglichkeiten, auf ihre eigenen Steuerleistungen Einfluss zu nehmen, denn über den Lohnzettel wird alles automatisch abgezogen.
Aber auch KonsumentInnen müssen die Ausfälle oft durch höhere Konsumsteuern kompensieren, und selbst Klein- und Mittelunternehmen sind negativ von den Tricks der Großen betroffen, denn ihnen fehlen oft die Möglichkeiten, Steuervermeidung in großem Stil zu betreiben. Spektakuläre Einzelfälle wie beispielsweise Apple, Starbucks, Google, McDonald’s oder IKEA sind allerdings nur die Spitze des Eisberges. Transnationale Unternehmen zahlen im Schnitt 30 % weniger Gewinnsteuern als national agierende (vgl. European Commission 2016). Letztere können deswegen oft mit den großen Konzernen nicht mehr mithalten.
Insgesamt wird das Ausmaß des Problems von der Europäischen Kommission mit einem jährlichen Einnahmenverlust (innerhalb der EU) von einer Billion Euro beziffert (vgl. Europäische Kommission 2012a). Das ist ca. das dreifache Bruttoinlandsprodukt Österreichs.
Das in den EU-Verträgen verankerte Einstimmigkeitsprinzip im Steuerbereich hat sich in der Vergangenheit als großes Hindernis für dringend notwendige Reformen im Steuerrecht erwiesen, da die Mitgliedstaaten in diesem wichtigen Bereich nicht bereit waren, ihre Souveränität einschränken zu lassen. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, über Änderungen nachzudenken, die mehr Flexibilität im Steuerbereich ermöglichen. Das können sogenannte Brückenklauseln sein, die – sofern vom Rat einstimmig beschlossen – für einzelne Bereiche im Steuerrecht Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit im Rat ermöglichen. Denkbar wäre es beispielsweise, diese Regelung für die Unternehmensbesteuerung, die Finanztransaktionssteuer und Teilbereiche der Mehrwertsteuer festzusetzen.
Insgesamt wird es im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit und gegen Steuervermeidung und -hinterziehung auch weiterhin jenes großen öffentlichen Drucks bedürfen, der auch in der Vergangenheit so manches in Bewegung gebracht hat. Dies gilt sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, da auf beiden Ebenen (mit unterschiedlicher Nachhaltigkeit und Fristigkeit) Maßnahmen ergriffen werden können. Neben umfassender medialer Berichterstattung über bestehende Schieflagen, Ungerechtigkeiten und aufgedeckte (Steuer-)Skandale kann und sollte auch weiterhin gezielt Information über Daten, Fakten und Zusammenhänge durch nationale und internationale Organisationen sowie zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich dem Thema annehmen (wie z. B. das Tax Justice Network, aber auch Arbeiterkammern und Gewerkschaften u. v. a. m.), aufbereitet und in die Breite getragen werden.
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