von Jan Mohnhaupt
Sprache: |
Deutsch |
Verlag: |
Hanser, Carl |
Format: |
Hardcover |
Genre: |
Sachbücher/Geschichte/20. Jahrhundert (bis 1945) |
Umfang: |
256 Seiten |
Erscheinungsdatum: |
09.03.2020 |
Preis: |
€ 22,70 |
Rezension aus FALTER 11/2020
Menschenrechte und „Herrentiere“
Nationalsozialismus: Jan Mohnhaupt über das Verhältnis zu Tieren in der NS-Ideologie
Auch heute noch wird von Tierfreunden gerne – wenn auch hinter vorgehaltener Hand – darauf hingewiesen, dass während des Naziregimes wesentliche Verbesserungen zum Tierwohl eingeführt worden seien. Hitler hatte im ersten Jahr seiner Herrschaft ein neues Tierschutzgesetz erlassen, das damals als fortschrittlich galt und in der Bundesrepublik Deutschland bis 1972 unverändert in Kraft war. Tiere sollten damit „um ihrer selbst willen geschützt werden“, ein Anspruch, den die Nazis aber vielen Menschen nicht zugestanden. Hermann Göring hatte bereits als preußischer Ministerpräsident gegen jede Form von Tierversuchen Position bezogen und den „Vivisektionisten“ mit dem Konzentrationslager gedroht. Dies war zugleich auch eine der ersten Erwähnungen dieser Vernichtungseinrichtungen des Dritten Reichs.
Der Journalist Jan Mohnhaupt zeigt in seinem neuen Buch eine bisher von der Forschung nur mit Zurückhaltung beachtete Seite der NS-Zeit auf, in der ausgesuchte Tiere zu „Herrentieren“ erhoben wurden und gleichzeitig manche Menschen weniger Rechte als Tiere besaßen.
Für Nationalsozialisten stellten Tierschutz und Verbrechen gegen die Menschlichkeit offenbar keinen Widerspruch dar. Heinrich Himmler, Reichsführer SS, formulierte dies in einer seiner Reden so: „Ob beim Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird. Wir werden niemals roh und herzlos sein, wo es nicht sein muss: Das ist klar. Wir Deutsche, die als Einzige auf der Welt eine anständige Einstellung zum Tier haben, werden auch zu diesen Menschentieren eine anständige Einstellung einnehmen.“
Wie eng der Tierschutz mit den Grundüberzeugungen der NS-Ideologie verknüpft war und wie sehr es dem Regime half, damit auch im Alltag Terror auszuüben, das erzählt Mohnhaupt im Stil einer Reportage, die stets durch umfangreiche Quellenangaben belegt wird. Das Buch macht sichtbar, wie der auf den ersten Blick paradoxe Tierschutzgedanke dazu beitrug, die Gesellschaft auf völkisch-rassistischer Grundlage neu zu gestalten. Ein zentraler Bestandteil der braunen Gedankenwelt war es vor allem, den „Nutzen“ jedes Lebewesens für die Gesellschaft einzuschätzen und dann darüber zu urteilen, ob Tier oder Mensch ein Recht auf Leben habe oder als „Schädling“ systematisch zu vernichten sei.
Die Basis dafür bildeten krude Ableitungen aus Darwins Evolutionstheorie, die die rassische Zuchtwahl bei Tieren auf Menschen ausweiten sollten. Eine führende Rolle dabei spielte der Arzt und „Rassenhygieniker“ Alfred Ploetz. Auch die SS ging bei der Auswahl ihrer Rekruten wie ein „Saatzüchter“ vor und siebte die Menschen danach aus, ob sie „gebogene Nasen, markante Wangenknochen oder dunkle Haare“ hatten.
Rhetorische Techniken, die in der heutigen politischen Diskussion als „Framing“ Beachtung finden, wurden von den Nazis geschickt eingesetzt, indem etwa Juden im Kontext der Hygiene und von Infektionskrankheiten genannt wurden. Hitler bezeichnete sie in „Mein Kampf“ als „Bazillen, die sich immer weiter ausbreiten“, und Himmler stilisierte sie zu Parasiten: „Mit dem Antisemitismus ist es wie mit der Entlausung. Es ist keine Weltanschauungsfrage, dass man Läuse entfernt. Das ist eine Reinlichkeitsangelegenheit.“
Vielleicht auch deswegen überdachte der Pädagoge Janusz Korczak die Beziehung zu diesen Tieren neu. Er schrieb in seinem „Tagebuch aus dem Warschauer Ghetto“: „Gestern habe ich eine Laus gefangen und sie ohne Skrupel mit einer einzigen schnellen Bewegung der Fingernägel zerquetscht. Wenn ich dazu komme, schreibe ich eine Apologie der Laus, denn unser Verhältnis zu diesem schönen Insekt ist ungerecht und unwürdig. Wer wird den Mut haben und vortreten, um sie zu verteidigen?“
Diese Entmenschung wird auch Kindern kommuniziert. Ernst Hiemer, Chefredakteur der Wochenzeitung Der Stürmer, wies in seinem Kinderbuch „Pudelmopsdackelpinscher“ Tieren „jüdische Eigenschaften“ zu. Neben schmutzigen Mischlingshunden kamen unnütze Drohnen, Heuschrecken und Wanzen vor. Auch die jungen „Pimpfe“ sollten von früh an mit der entmenschlichenden Ideologie der Nazis in Berührung kommen.
Im Unterschied zu reinrassigen, sich unterordnenden Hunden galten Katzen als eine „fremde, unberechenbare Rasse aus dem Orient“. Der Katzenjäger und Journalist Willi Vesper erklärte seinem Sohn, dass man Katzen „keinen menschlichen Charakter anerziehen könne und sie als reine Stadttiere tückisch, falsch, asozial, also die Juden unter den Tieren“ seien. Dies stieß auch auf Resonanz bei den Vogelschützern. Während den Singvögeln „bürgerliche“ Eigenschaften wie Monogamie, Fürsorge und Hausmusik nachgesagt wurden, standen Katzen für alles Zügellose und Lasterhafte. Für viele war daher die Katze niemals ein echtes deutsches Haustier, sondern ein aus dem Osten eingewanderter Feind. Jäger bekamen 1934 daher das (bis heute bestehende) Recht, jede Katze zu erschießen, die sich weiter als 200 Meter vom nächsten bewohnten Haus aufhielt.
Dem Thema der Jagd widmet das Buch einen ausführlichen Teil, denn die Ansichten der Jägerschaft passten bestens in das Konzept von „Blut und Boden“. Die sogenannte Hege mit der Büchse entsprach dem Selektionsprinzip der „Rassenhygiene“. Hermann Göring erkannte die Möglichkeit, eine weitere Bevölkerungsgruppe ideologisch auf die NS-Ideologie einzuschwören. In seiner Funktion als Reichsjägermeister konstruierte er ein „Deutsches Jagdliches Brauchtum“ und neue Begriffe wie die „deutsche Waidgerechtigkeit“, die bestimmte Gruppen wie die Bauernschaft vom Zugang zum Wildbret fernhalten sollte.
Viele angeblich traditionelle Bräuche wurden erfunden und als altdeutsche Tugenden ausgegeben. Und einige NS-Rituale leben bis heute in der Jägerschaft weiter. Etwa dass dem erlegten männlichen Hirsch ein „letzter Bissen“ in den Äser, das Maul, gelegt wird. Meist handelt es sich dabei um einen nadeligen Fichtenzweig, ein Futter, das der Hirsch zu Lebzeiten nie gefressen hätte. Im Vergleich zu Göring, der die Trophäenjagd liebte, erscheint Hitler – so schwer es auch fällt, das zu sagen – mit seiner Abneigung gegen „den letzten Überrest einer abgestorbenen, feudalen Welt“ fast ein wenig sympathisch. Von ihm ist das Zitat überliefert, dass „das Anständigste bei der Jagd das Wild“ sei. Auch hegte er für Wilddiebe eine vermutlich romantisch verklärte Sympathie, weil diese seiner Meinung nach bei der Jagd noch ihr Leben riskieren würden.
Das Buch überzeugt mit seiner geschickten Verflechtung von angenehm lesbaren Geschichten mit gut recherchierten historischen Fakten. Jedes Kapitel befasst sich mit einer bestimmen Tiergruppe, wie zum Beispiel Hunden, Schweinen oder Pferden, der in der Nazizeit besondere Bedeutung zukam. Man begleitet dabei eine konkrete Person wie den Literaturwissenschaftler Victor Klemperer durch diese Terrorjahre und erfährt etwa am Schicksal seines Katers Mucius, wie scheinbar nur dem Naturschutz dienenden Gesetze als Repressionsmittel gegen die jüdische Bevölkerung eingesetzt wurden.
Egal, ob Seidenraupen zu kriegswichtigen Lebewesen gemacht wurden oder Hundezucht als Vorbild für die Rassengesetzgebung diente, das Buch zeigt eine weitere, bisher vernachlässigte Facette davon auf, wie sehr die NS-Ideologie alle Bereiche der Gesellschaft durchdrang.
Peter Iwaniewicz in FALTER 11/2020 vom 13.03.2020 (S. 40)