von Hans-Jochen Vogel
Klappentext
Bezahlbarer Wohnraum ist das soziale Thema unserer Zeit. Immer mehr Menschen stellt sich die bange Frage, wie lange sie sich ihr Heim noch leisten können. Nicht nur in Großstädten zeigen die Preise nur noch nach oben. Die bisherigen politischen Maßnahmen, wie etwa die Mietpreisbremse, erweisen sich als stumpfes Schwert im Kampf gegen die scheinbar unaufhaltsame Verteuerung des Wohnens. Den eigentlichen Grund hinter den steigenden Preisen hat lange Zeit kaum jemand wahrgenommen: nämlich die explosive Steigerung der Baulandpreise. Erst Hans-Jochen Vogels beharrlicher Kampf setzte das Thema wieder auf die Tagesordnung: Die massive Spekulation mit steigenden Grundstückspreisen führte deutschlandweit in den letzten Jahrzehnten zu einer Erhöhung der Baulandpreise um 1900 Prozent.
Verlag: |
Verlag Herder |
Format: |
Taschenbuch |
Genre: |
Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft |
Umfang: |
80 Seiten |
Erscheinungsdatum: |
18.11.2019 |
Preis: |
€ 12,40 |
Rezension aus FALTER 47/2019
Ein Testament für den Kampf um Grund und Boden
Der deutsche Sozialdemokrat Hans-Jochen Vogel plädiert für eine neue Bodenordnung mit massiven Steuererhöhungen für Grundbesitzer
Der Aufschrei in vielen Großstädten ist unüberhörbar: Wohnen ist zu teuer. Wohnraum ist in Europas Metropolen für viele immer schwerer leistbar. Die Mittelschicht wird an den Stadtrand und ins Umland gedrängt, weit weg von ihren Jobs und vom urbanen Leben. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber ein wesentlicher Preistreiber ist bekannt: Banken, Fonds und Versicherungen investieren in Wohnraum, um möglichst viel Geld zu verdienen. Damit treiben sie den Preis für Bauland immer weiter und schneller in die Höhe. Und der Staat lässt diese Geschäftemacherei auf Kosten der Bürger viel zu oft zu.
Die Preise für Bauland sind in Deutschland seit 1962 um 2300 Prozent gestiegen. Von den Kosten eines Wohnungsbaus entfielen im Jahr 1962 durchschnittlich acht Prozent auf die Grundstückskosten, auf die Baukosten 92 Prozent. Geht es nach Hans-Jochen Vogel, dann sind diese Zahlen ein dringender Auftrag an die Politik, endlich die Bodenfrage zu stellen. Vogel, 93 Jahre alt, hat sich seine ganze politische Laufbahn lang für lebenswertes und leistbares Wohnen eingesetzt; von 1960 bis 1972 als Oberbürgermeister von München, in den 1970ern als deutscher Bundesbau- und Bundesjustizminister, 1983 als SPD-Kanzlerkandidat und von 1987 bis 1991 als Chef der SPD.
Nun hat dieser Mann im biblischen Alter das kleine Buch „Mehr Gerechtigkeit!“ vorgelegt, in dem er energisch für eine neue Bodenordnung in Deutschland eintritt. Vogels zentrale Argumentation: „Grund und Boden ist keine beliebige, je nach Bedarf produzierbare oder auch verzichtbare Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz. Er ist unvermehrbar und unverzichtbar. Jeder braucht ihn in jedem Augenblick seines Lebens wie das Wasser oder die Luft.“
Dass Grund und Boden eine politisch hochsensible Angelegenheit sind, hat das deutsche Bundesverfassungsgericht bereits 1967 festgehalten (und seither immer wieder bestätigt). Die deutsche Politik, so klagt Vogel, hat diesen von den Verfassungshütern so großzügig ausgelegten Handlungsspielraum niemals genutzt oder gar ausgeschöpft. Dabei liegt für Vogel – grob verkürzt – auf der Hand, was für eine gerechtere Bodenordnung zu tun wäre. Erstens: Verbot und strenge Ausnahmereglementierung für den Verkauf von Grund und Boden durch die öffentliche Hand. Zweitens: massive Wiederbelebung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus inklusive legistischer Unterstützung und steuerlicher Begünstigung. Drittens: rigorose Besteuerung des Gewinns aus Steigerungen des Bodenwertes.
Wer sich aus Wiener Sicht Vogels Forderungen für eine neue Bodenordnung ansieht, darf grundsätzlich den Kurs der Stadt bestätigt sehen (der Autor dieser Zeilen ist der Sprecher der Wiener Wohnbaustadträtin). 220.000 Gemeindebauwohnungen im Besitz der Stadt und der wirtschaftlich starke Sektor der gemeinnützigen Bauvereinigungen sind für Vogel der Hauptgrund, warum die Wohnsituation in Wien besser ist als in anderen Metropolen.
Vogels Argumentation liest sich überdies geradezu wie eine Empfehlung für die Wiener Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“. Mit der 2018 beschlossenen Bauordnung wurde geregelt, dass bei Neubauprojekten in Zukunft grundsätzlich zwei Drittel der Wohnungen gefördert sind und damit leistbar bleiben. Aber auch Wien ist keine Insel, an der internationale Trends spurlos vorbeiziehen. Auch in Wien wird Wohnen im frei finanzierten Sektor teurer. Vogels politisches Testament ist daher eine gute Erinnerung daran, dass alte Errungenschaften immer wieder aufs Neue verteidigt und an den Lauf der Zeit angepasst werden müssen.
Wolfgang Zwander in FALTER 47/2019 vom 22.11.2019 (S. 23)