Wie funktioniert die Liebe in Zeiten des Kapitalismus? Warum sehnen wir uns nach Sicherheit? Was wird uns die Zukunft bringen? An welchen Gott wollen wir noch glauben? Warum finden wir Geiz geil? Was bedeutet uns Freiheit? Welche Konsequenzen hat Digitalisierung, Automatisierung und Robotisierung?
Robert Misik, der renommierte Sachbuchautor, macht sich Gedanken zu unserer Gegenwart. Anhand zehn exemplarischer Begriffe, die Zeitgeist und Verfasstheit unserer Gesellschaft treffend skizzieren, geht er der Frage nach, welchen Paradigmen wir unsere Leben unterwerfen. Robert Misik, arbeitet regelmäßig für die in Deutschland erscheinende taz sowie für die in Österreich erscheinenden Zeitschriften profil und Falter, des Weiteren betreibt er auf der Homepage der Tageszeitung Der Standard einen Videoblog. Er ist Sachbuchautor, etwa des Theoriebestsellers Genial dagegen, publizierte bisher bei Aufbau und Picus. Jüngste Publikation: Was Linke denken, 2015.
Preis: |
€ 19,90 |
Verlag: |
Brandstätter Verlag |
Format: |
Hardcover |
Genre: |
Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft |
Umfang: |
208 Seiten |
Erscheinungsdatum: |
19.02.2018 |
Rezension aus FALTER 9/2018
Misiks Stichworte zur geistigen Situation der Zeit
Publizist Robert Misik hat ein unterhaltsames wie kluges Handbuch für kritische Zeitgenossen geschrieben
Denken ist das größte Abenteuer. Es gibt kein entschiedenes Handeln, das mit zahmem Denken einhergeht: Stay Strong, Stay Brave, Stay Rebel!“, schreibt Robert Misik im Vorwort seines neuen Buches „Liebe in Zeiten des Kapitalismus“.
Es wäre zu gefällig zu schreiben, dass das Denken eine Renaissance erlebt. Gedacht wurde immer, neu (oder besser gegenwärtig) ist, dass sich wieder mehr Menschen für Theorien und Erklärungsmuster und damit auch für Handlungsanweisungen interessieren.
In Zeiten der Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, nach bald zehn Jahren der Wirtschafts- und Politikkrise, die Trumpismus, Orbánismus und Kurzismus an die Macht gebracht hat, im Angesicht neuer Religionen wie Apple und neuer sozialer Gesellschaftsformen wie Facebook, sucht man nach Antworten. Was ist los mit uns? Was sind unsere Werte? Ist das noch meine Welt? Und wenn nein, wo ist hier der Ausgang?
Misiks Antworten und Wegweiser sind zeitgemäß mit Hashtags versehen und in 33 kurze Kapitel verpackt. Jürgen Habermas’ „Stichworte zur geistigen Situation der Zeit“, erschienen 1979, waren ihm dabei Vorbild. Der Vielschreiber griff dabei auch auf Vorlesungen, Vorträge und Essays zurück, die er in den letzten 17 Jahren für die taz, den Falter, das Profil und den Standard geschrieben hat. Das macht das Buch – im Unterschied zu vielen klugen, aber langweiligen wissenschaftlichen Publikationen – erfreulich gut lesbar und zugänglich.
Wer gerade frisch verliebt ist, blättert beispielsweise zum Kapitel #Liebe, das Misik klugerweise mit den Schlagworten #Kapitalismus und #Tinderisierung zusammenfasst und in dem er uns eine Tour d’Horizon über den Einbruch der Konsumkultur und der Selbstoptimierung in unser Beziehungsleben gibt. Es geht um „sexuelle Performance“, also Sex als Leistung, um unsere Vorstellungen von romantischer Liebe, die im Grunde ein Klischee westlichen Upperclass-Kapitalismus sind – Kerzenlichtdinner, Schampus und Erdbeeren, ein Trip nach Venedig.
Sein ganzes Können als philosophischer Feuilletonist und feuilletonistischer Philosoph spielt Misik bei Begriffen wie #Spiessigkeit oder #Ironie aus, die er mit Witz, Leichtigkeit und sehr viel Selbstironie seziert. Wir erfahren nicht nur Autobiografisch-Anekdotisches, etwa wie Misik – bekanntermaßen selbst dem Gestus des Intellektuellen gehorchend mit wildem Haar, Lederjacke und im Sommer auch schon einmal bloß im Ruderleiberl – einmal verzweifelt die Polizei rief, weil das Männermodel unter ihm unentwegt Party feierte und er nicht mehr schlafen konnte. Zudem liefert uns Misik natürlich auch klassische Zugänge der kritischen Soziologie. Weil Waren heute „Kultur-Waren“ sind, imitieren Firmen den „Gestus der Avantgarde – immer neu, immer hip, immer am Puls der Zeit. So wurde auch die Schrägheit, wie die Spießigkeit, zu einem Lifestyle unter vielen“, schreibt Misik.
Kritisch geht Misik auch mit der #Ironie ins Gericht, die ihre „große Zeit hinter sich“ habe, wenn sie „sich selbst zur stets gegenwärtigen Dauerironie verallgemeinert“. Zwar sei „die totale Ironieunfähigkeit“ immer noch „unerträglicher als die Totalironie“, aber trotzdem habe die Ironie uns in eine Sackgasse manövriert.
In der Süddeutschen Zeitung würdigte Heribert Prantl die Geschwister Scholl, die vor 75 Jahren von einem Unrechtsrichter zum Tode verurteilt wurden, als Heldinnen des Widerstands gegen Adolf Hitler. Das Deutsche Grundgesetz kennt Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und – anders als das österreichische – auch Artikel 20 Absatz 4. Gegen jeden, der es unternimmt, die Grundrechte zu beseitigen, haben „alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. Deutsche Juristen nennen das „kleiner Widerstand“. Widerspruch, Zivilcourage, Whistleblowerei, Gutmenschentum.
Misik hat ein kleines, feines Handbuch für jene geschrieben, die an den kleinen Widerstand glauben.
Barbaba Tóth in FALTER 9/2018 vom 02.03.2018 (S. 20)