von Helmut Brandstätter
Verlag: |
Kremayr & Scheriau |
Format: |
Hardcover |
Genre: |
Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft |
Umfang: |
208 Seiten |
Erscheinungsdatum: |
25.07.2019 |
Preis: |
€ 22,00 |
Rezension aus FALTER 30/2019
Machtwille und Mediendominanz. Wie die türkis-blaue Regierung versuchte, den Kurier auf Linie zu bringen.
So unterschiedlich Kurz und Kickl im Auftreten sind, so sehr ähneln sie einander im Umgang mit den Medien, vor allem, was das Ziel betrifft: nämlich Einfluss zu haben, und zwar mit vielen denkbaren Methoden, wenn es sein muss auch mit der Verbreitung von Angst.
Der Unterschied lag in der Vorgangsweise. Kurz und seine Gefolgschaft machten es meistens geschickter, der Kanzler setzte lieber Mitarbeiter für Interventionen ein, griff aber auch selbst oft zum Telefon, mit einer Mischung aus Interesse an Redakteuren, deutlichen Wünschen an diese und Druck auf Eigentümer. Kickl agierte mit seinem Medienerlass vor allem gerichtet gegen KURIER, Standard und Falter, der immerhin zu einer kurzfristigen Solidarität unter Journalisten führte. Aber er wollte auch, dass seine Macht in der Regierung bekannt ist. Ein wenig Angst verbreiten, das passte ihm auch. Im ORF kursierte der Spruch: „Wenn du was werden willst, musst du zum Kickl gehen, nicht zu Strache.“ So etwas gefiel dem Politiker, der sich oft zu wenig anerkannt fühlte. (...)
Ich kann mich an kein persönliches Gespräch mit Herbert Kickl erinnern. Das klingt fast unglaublich, wenn man so lange im Wiener polit-medialen Komplex lebt. Um dieses Manko zu beseitigen, habe ich zu Beginn seiner Zeit als Innenminister um einen Termin angesucht, wie bei allen anderen Regierungsmitgliedern auch. Doch dazu kam es nie, Kickl verweigerte jeden Kontakt. Dafür sprach er mit den Eigentümern des KURIER, hier also eine Parallele zu Kurz.
Sebastian Kurz – der Kontrollor
Normalerweise nahm Kurz selbst nur die Vorbereitung von Schmutzarbeit in die Hand, hinter den Kulissen, also so, dass er nicht damit identifiziert werden konnte. Spätestens seit Kurz beschlossen hatte, die Regierung Kern/Mitterlehner zu ihrem Ende zu bringen oder ihr zumindest keinen Erfolg zu gönnen, also bald nach dem Antritt von Christian Kern im Mai 2016, begannen die Vorbereitungen für die Übernahme der ÖVP. Ein klares Ziel war die Schaffung einer der ÖVP noch freundlicheren Medienlandschaft. So hörte ich bald aus der Umgebung des Außenministers, jetzt müsse „der KURIER auf Linie gebracht werden“. Ja, genau so war die Formulierung. Dann wurde es schon persönlicher. Ein anderes Statement wurde mir so nähergebracht: „Du musst dich drei Schritte von Christian Konrad entfernen.“ Drei Schritte entfernen? Was heißt das? Warum? Und warum solle der KURIER, wie es hieß, „auf Linie gebracht werden“?
Den Versuch von Interventionen gab es in vielen Fällen, aber niemandem ist es gelungen, „den KURIER auf Linie zu bringen“. Umso größer war der Wunsch von Kurz, der das wusste. Und Christian Konrad? Der Raiffeisen-Generalanwalt und KURIER-Aufsichtsratspräsident hat mich im Sommer 2010 als Chefredakteur zum KURIER geholt und 2013 auch zum Herausgeber gemacht. In dieser Funktion hat er mir bei allen Interventionen, die bei ihm einlangten, den Rücken freigehalten. Er nahm die Unabhängigkeit des KURIER immer ernst. Vom August 2015 bis zum September 2016 war er dann Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung und sollte in dieser Funktion für das bestmögliche Management sorgen. Gerade zwischen den Ministerien, den Bundesländern und den NGOs gab es viel zu koordinieren, um den Druck auf alle diese Institutionen zu reduzieren. Für den geplanten Wahlkampf von Sebastian Kurz war es besser, mehr Probleme zu zeigen als weniger, Konrad passte nicht in die türkise Strategie, und auch ein Zeitungsherausgeber, der die Flüchtlingswelle zwar als große Herausforderung sah, aber von seinen Überzeugungen her immer für menschliche Lösungen eintrat, war der ÖVP lästig. Das Vorgehen von Kurz und seinen Leuten verlief nach einer klassischen Doppelstrategie: Entweder wir bringen den KURIER „auf Linie“, wie ja die eindeutige Losung hieß, oder der Verantwortliche muss weg. Ich habe beides gespürt. Zunächst einen durchaus werbenden Sebastian Kurz, der gerne anrief, Treffen vereinbaren ließ, Standpunkte testete. Gleichzeitig liefen Beschwerden bei den Eigentümern ein. „Ich habe niemanden angerufen“, erklärte er mir regelmäßig, wenn ich ihn auf Interventionen ansprach. Kann man solche Anrufe wirklich sofort vergessen?
„Spricht da die sozialistische Tageszeitung KURIER?“
Für den zweiten Teil der Strategie, den „KURIER auf Linie zu bringen“, waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kurz zuständig. Besonders brutal war dabei das Vorgehen von Gerald Fleischmann, einem Mann, der kurz Journalist war, die meiste Zeit seines Lebens aber Pressesprecher. Dabei muss er eine eigene Art entwickelt haben, Redakteure unter Druck zu setzen und zu verunsichern. Anruf bei einem KURIER-Redakteur: „Spricht da die sozialistische Tageszeitung KURIER?“ Er wurde erst etwas vorsichtiger, als ich im drohte, den nächsten derartigen Anruf wörtlich abzudrucken.
Auch andere Ministerinnen und Minister versuchten sich in der Methode der Message Control. Besonders patschert stellte sich Außenministerin Karin Kneissl an. Zu Beginn ihrer Amtszeit suchte der KURIER auch bei ihr um ein Interview an. Die Rückmeldung war ungewöhnlich: Ja gerne, aber sie werde nicht mit der Redakteurin sprechen, die das Interview machen wollte, wir sollten jemanden anderen schicken, ließ der Pressesprecher ausrichten. Wie bitte? Also rief ich Frau Kneissl persönlich an. Was haben Sie gegen diese Kollegin? „Diese Redakteurin hat einmal unfreundlich über mich geschrieben, mit der rede ich nicht.“ Meine Antwort: „Das muss ich zur Kenntnis nehmen, wir werden aber unseren Lesern erklären, dass und warum Frau Kneissl nicht im KURIER vorkommen will.“ Und dann sagte ich noch ein paar wenig freundliche Worte über ihre Nähe zum Boulevard, zu dem sie ja keine Berührungsängste hätte. Da reagierte sie besonders böse, erklärte mir, dass bei ihr im Zimmer einige Leute bei diesem Telefonat zuhören würden, und dann meinte sie: „Gut, schicken Sie diese Redakteurin, Sie haben mich erpresst.“ Was ich mir auch nicht gefallen ließ und drohte, diesen Vorwurf sofort auf unsere Website zu stellen. Worauf sie sich entschuldigte. Nein, in Österreich haben solche Episoden keine Konsequenzen. Im Gegenteil, es gibt immer mehr Politikerinnen und Politiker, die sich aussuchen wollen, mit wem sie reden und was über sie geschrieben wird.
Dieses kleine Beispiel zeigt, dass manche ungeübte Politikerinnen und Politiker diese Message Control nur ungeschickt versuchten. Aber die ganze Regierung hätte am liebsten nur mit Medien gesprochen, wo man sich Fragen und Reporter aussuchen kann. Und die Regierung schreckte nicht zurück, gefügige Medien mit Steuergeld mittels Inseraten zu kaufen. Das war auch zuvor der Fall, aber Kurz und Co. haben uns ja oft versprochen, sie wollten „neu regieren“.
Kurz, Kickl und Strache – so sehen sie die Medien
Ganz grundsätzlich haben die drei Herren unterschiedliche Zugänge zu Journalisten und Medien. Kurz will sie gebrauchen, Strache hat sich mit ihnen arrangiert und Kickl würde die kritischen am liebsten abschaffen, und da er das nicht kann, müssen sie einfach boykottiert werden. (...) Dezember 2017. Die Regierungsbildung ist fast abgeschlossen, es sind nur mehr Details offen. Ein guter Grund für den designierten Bundeskanzler, sich wieder ins Studio von OE24.tv zu setzen. Sebastian Kurz spricht gerne mit Wolfgang Fellner, denn dieser stellt keine Fragen, sondern wirft unelegant, aber bewusst ein Hölzl nach dem anderen jenen Gesprächspartnern zu, die in seiner Gunst stehen. Besonders lieb wird behandelt, wer viel Geld im verschlungenen Medienkonstrukt der Fellners gelassen hat. Während die Sendung läuft, die natürlich als LIVE ausgewiesen wird, rufe ich Kurz am Handy an. Er hebt sofort ab. Erstaunlich, meine ich, wie könne er denn telefonieren, wenn er LIVE im Studio sitzt? Na ja, das ist halt aufgezeichnet, so seine Antwort.
Medien haben für ihn keine wesentliche Rolle in der Demokratie, er sieht sie eher als Verbreitungsorgane seiner Botschaften. (...) Die Demokratie lebt unter anderem vom Spannungsverhältnis zwischen der Politik auf der einen Seite und ihrer Beobachtung auf der anderen Seite. Genau das hat Kurz nie wirklich akzeptiert. Er sieht sich als Politiker, der Medien einfach nutzen will: Die Bilder seines Kameramanns und die Botschaften seiner Pressesekretäre sollen seine öffentliche Wahrnehmung bestimmen, nicht unabhängige Journalisten, die seine Inszenierungen und seine Worte hinterfragen.
„Wer mag mich?“
Spätestens seit dem 19. Juni 2017 habe ich verstanden, wie Kurz versucht, mit Journalisten zu spielen. Da war er bereits ÖVP-Obmann, die Regierung hatte er beendet und er war voll auf die Wahl im Herbst eingestellt. Wir trafen uns im Restaurant Mario in Wien Hietzing. In nur zwei Stunden habe ich sehr viel über Kurz erfahren, seinen Zugang zu Medien, seine Stärken, vor allem aber auch seine Schwächen. Kurz braucht ein Umfeld, in dem man ihn schätzt und mag.
Wenn das nicht der Fall ist, will er dahinterkommen, was denn getan werden könne, um gemocht zu werden. Ich kann es bis heute nicht glauben, wie wichtig es diesem raffinierten und in der Öffentlichkeit stets kontrolliert auftretenden Politiker ist, dass man „ihn mag“. Anderen erzählte er, dass er sich schwer damit tut, dass „man ihn hasse“. Diese Sehnsucht gemocht, vielleicht geliebt zu werden, treibt wahrscheinlich viele Menschen in Berufe mit starker Öffentlichkeitswirksamkeit. Bei Kurz klingt das immer wieder durch, wenn er etwa bei Reden einfließen lässt, dass er sich heute besonders wohl fühle, weil ja so viele Frauen und Männer da seien, die „ihn mögen“. Aber an diesem Abend wurde doch klar, dass Medien für ihn (noch) notwendige Hilfsmittel darstellen, solange nicht die ganze Kommunikation über die Sozialen Medien läuft. Und dass er keine Hemmungen hat, sich einzumischen, wo man ihn lässt. Den Hinweis, dass er ja Journalisten habe, die sehr positiv über ihn schrieben, quittierte er mit einem trockenen: „Ja, aber die rufe ich auch an und sage ihnen, es könnte noch besser gehen.“ Und wie sorgten Kurz und seine Leute, vor allem (die Pressesprecher, Anm.) Gerald Fleischmann und Johannes Frischmann, dafür, dass es stets „noch besser“ ging? Durch brutalen Druck und penetrante Interventionen, immer wenn ihnen Geschichten nicht gefielen und oft, wenn sie Unangenehmes ahnten oder auch nur Unkontrolliertes wahrnahmen. Im ORF hörte man schon vor Regierungsantritt von Sebastian Kurz, dann aber umso häufiger, dass vor allem diese Mitarbeiter sich meldeten, sobald auch nur ein Pressetext ausgeschickt wurde. Wie denn die Geschichte aussehen würde und ob man denn helfen könne, das waren die harmlosen Fragen. Es gab auch andere, und es gab und gibt auch Formulierungen, denen man kein Fragezeichen anhängen konnte.
Helmut Brandstätter in FALTER 30/2019 vom 26.07.2019 (S. 21)