von Manfred Matzka
Verlag: |
Brandstätter Verlag |
Format: |
Hardcover |
Genre: |
Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft |
Umfang: |
256 Seiten |
Erscheinungsdatum: |
14.09.2020 |
Preis: |
€ 28,00 |
Graue Eminenzen am Ballhausplatz
Eduard Chaloupka war ein Ausnahme-Jurist, machtbewusster Bürgerlicher – und hatte Sinn für Repräsentation. Als Präsidialchef im Bundeskanzleramt beriet er in den 1950er-Jahren den damaligen Kanzler Julius Raab, wie er Mitglied in der ÖVP-Kaderschmiede Cartellverband. Die Unterzeichnung des Staatsvertrages im Mai 1955 versäumt Chaloupka leider. Aber er sorgt dafür, dass er auf dem offiziellen Gemälde des Staatsaktes, das von Porträtmaler Robert Fuchs angefertigt wurde, verewigt wird – direkt hinter dem Kanzler, vom Sonnenlicht vorteilhaft ins Szene gesetzt. Das Bild des ursprünglich beauftragten Künstlers Sergius Pauser war Chaloupka und Raab zu „expressionistisch“. Es wurde bezahlt – und dann verräumt. „Fahrts ab mit dem Dreck“, soll Raab gesagt haben.
Das ist nur eine Anekdote von vielen, die Manfred Matzka in seinem Buch „Hofräte, Einflüsterer und Spin-Doktoren“ versammelt hat. Er lässt darin 300 Jahre Beratertum am Ballhausplatz Revue passieren, von Johannes Christoph von Bartenstein, der Maria Theresia als loyaler Ratgeber zur Seite stand, bis hin zur perfekt geölten türkisen Machtmaschinerie unter dem derzeitigen Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Matzka, der SPÖ nahestehend, schreibt in einer Doppelrolle: Von 1999 bis zu seiner Pensionierung 2015 war er Präsidialchef im Kanzleramt – und damit höchster Beamter der Republik. Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein holte den intimen Kenner der Spitzenbürokratie im Jahr 2019 als Sonderberater zu sich. Dass das aktuelle Buch auch autobiografisch ist, lässt Matzka im Anhang – leider ohne Personenverzeichnis – anklingen, in dem er schreibt, dass er sich als Zeitzeuge (er ist Jahrgang 1950) auf eigene Aufzeichnungen und Akten stützt. Dieser Mann hat sicher noch einiges in seinem privaten Archiv, das auf Veröffentlichung wartet. Bis es so weit ist, spricht er von sich in seinem Buch lieber in dritter Person. Etwa, wenn er erzählt, dass im Jahr 2002 „ein Präsidialchef“ auf die Posse um das Staatsvertragsbild stößt, das ursprünglich beauftragte Bild von Pauser im Bezirksmuseum in Mistelbach aufspürt und im Marmorecksalon des Kanzleramts aufhängt – im „friedlichen künstlerischen Dialog“ mit dem Gemälde von Fuchs. Dort hängt es bis 2018, bis „ein junger Kanzler mit geringer Affinität zur Geschichte des Hauses“ (gemeint ist Kurz) beide Bilder durch eine Fotowand für Pressekonferenzen ersetzt.
Wie funktioniert Macht? Ab wann übernahmen Kabinette und von außen geholte Sekretäre, Berater und Thinktanks die Aufgabe der hauseigenen Beamtenschaft als Politikmacher? Matzkas Zeitreise lässt interessante Parallelen erkennen. Natürlich ist die Spitzenbeamtenschaft und -beraterschaft in den letzten Jahrhunderten durchwegs männlich, älter und katholisch. Viele Berater des Kaiserhauses stammen aber ursprünglich aus jüdischen Familien – und mussten für die Karriere konvertieren.
Aber es gab aber auch immer wieder Phasen, in denen eine Garde jüngerer „Revolutionäre“ die Macht an sich reißt, etwa der Kreis junger Aristokraten um Alexander Graf von Hoyos, der den schwachen Außenminister Leopold Graf Berthold in den Krieg gegen Serbien trieb – und damit in den Ersten Weltkrieg. Oder der juvenile Beraterstab des ersten ÖVP-Alleinregenten, Josef Klaus (1966–1970), dessen Assistenten später alle selber Karriere machten.
Erschreckend sind Figuren wie Walther Kastner, der zuerst die Enteignung von jüdischem Besitz unter den Nazis und dann deren Restitution verwaltete, ein skrupelloser Diener vieler Herren. Auch das lehrt Matzkas lesenswerte Porträtreihe: Eliten bleiben unter sich, wer als Berater aufsteigt, wird später oft selber Machthaber – und fördert seinesgleichen.
Barbara Tóth in FALTER 37/2020 vom 11.09.2020 (S. 18)