Victor kann sein albernes Siegerdasein als erfolgreicher Investmentbanker schon lange nicht mehr ernst nehmen. Alle Versuche, sich zu verlieben, scheinen ebenso zum Scheitern verdammt zu sein, wie es seine Ehe war. Er ist ein Produkt der marktorientierten deutschen Gesellschaft und dieselben Fähigkeiten, auf denen sein Erfolg in diesem System basiert, weisen ihm jetzt den Ausweg – eine Revolution.
Er bewohnt eine gläserne Villa im Taunus, hat bei Bedarf Sex im Spa-Bereich des Hotel Adlon und schafft es, die Work-Life-Balance der Mitarbeiter seiner Bank in einem rentablen Ungleichgewicht zu halten. Doch all das führt zu nichts. Zum Glück lernt er den italophilen Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland kennen, dessen Lebenstraum es ist, nach seiner politischen Laufbahn als steinreicher Investmentbanker mit dem Ferrari durch Mailand zu gleiten. Dafür braucht er Victors Hilfe und unterstützt ihn im Gegenzug dabei, eine populistische Bewegung zu gründen, deren rohe Lebendigkeit Victor erlösen wird. In seinem Roman wirft Alexander Schimmelbusch ein grelles Licht auf die deutsche Volksseele und stellt die zentralen Fragen unserer Zeit: Ist unser System kaputt? Was ist Elite? Können wir überhaupt noch kommunizieren? Haben wir Prinzipien? Welchen Preis zahlt man dafür, nach seinen eigenen Regeln zu leben? Ist es Zeit für einen radikalen Neuanfang? Für eine Stunde null, wie nach einem Krieg? Alexander Schimmelbusch, geboren 1975 in Frankfurt am Main, wuchs in New York auf, studierte an der Georgetown University in Washington und arbeitete dann fünf Jahre lang als Investmentbanker in London. Sein Debüt »Blut im Wasser« gewann den Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage. »Hochdeutschland« ist sein vierter Roman.
Preis: |
€ 20,60 |
Verlag: |
Tropen |
Format: |
Hardcover |
Genre: |
Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945) |
Umfang: |
214 Seiten |
Erscheinungsdatum: |
10.03.2018 |
Rezension aus FALTER 11/2018
Der Neoliberalismus ist bloß Schnee von gestern
In seinem Zukunftsroman „Hochdeutschland“ imaginiert Alexander Schimmelbusch das Ende unseres Systems
Irgendwann einmal wird es auch mit dem Neoliberalismus ein Ende nehmen. Vielleicht, weil niemand mehr an die höhere Vernunft des Marktes glauben will. Vielleicht, weil den Gewinnern des freien Spiels der Kräfte ganz einfach langweilig wird. Coole Villen, teure Weine, scharfe Autos: Soll das wirklich alles gewesen sein? Okay: Dass der Neoliberalismus eines Tages von seinen Profiteuren zu Grabe getragen wird, dass sie irgendwann den ultimativen Kick nur noch in der Vergesellschaftung des Reichtums suchen, klingt jetzt erst einmal nicht sehr wahrscheinlich. Aber man kann sich ja mal ausmalen, was wäre, wenn …
Alexander Schimmelbuschs Roman „Hochdeutschland“ buchstabiert diese Möglichkeit vom Ende der totalen Herrschaft des Marktes aus. Der Held heißt Victor, das wird kein Zufall sein. 39 Jahre alt, Investmentbanker, Inhaber der Birken Bank, Spezialität Mergers & Acquisitions, also Unternehmenskäufe, Fusionen, all das. Die Ehe allerdings ist zerbrochen, nun bekommt er im Spa eines Berliner Luxushotels, was er als Mann so zu brauchen glaubt. Der wichtigste Mensch ist ihm seine Tochter, seine einzige wirklich ernste Wette auf die Zukunft. Durch den Taunus, das Revier des Frankfurter Geldadels, rast er mit einem hochgetunten Elektro-Porsche. Man wird die Handlung also um die Mitte unseres Jahrhunderts datieren können.
Die Zeit der großen Fusionen ist dann vorbei, weil einander nur noch wenige große Konglomerate gegenüberstehen. Nun gilt plötzlich als wahre Lehre, sich aufs Kerngeschäft zu konzentrieren und alle Unternehmensteile abzustoßen, die damit nichts zu tun haben: Schließlich kann eine Investmentbank auch damit ihr Geld verdienen. Victor durchschaut dieses Spiel und macht sich keine Illusionen darüber, dass damit nur ein neuer Zyklus seinen Anfang nimmt und die nunmehr filetierten Unternehmensteile früher oder später wieder fusioniert werden, um den Investmentbanken ein weiteres Geschäft zu sichern. Soll das alles im Leben gewesen sein?
Dann doch lieber eine Revolution! Alles rückgängig machen, was die neoliberale Ideologie in den letzten Jahrzehnten angerichtet hat. Die Infrastruktur zurück in die Hände des Staats; für eine neue bürgerliche Gesellschaft kämpfen, die auf allen Ebenen das gemeinsame Wohl in den Mittelpunkt stellt, von der gerechten Verteilung der Vermögen bis zur Gleichberechtigung der Geschlechter. Und Victor weiß auch schon, wer ihm beim Aufbau einer entsprechenden Bürgerbewegung mit seinen Erfahrungen helfen kann: der türkischstämmige Bundesfinanzminister, dem er im Gegenzug seinen größten Wunsch erfüllen kann, einen Posten als Investmentbanker in Mailand samt Dienst-Ferrari.
Der Roman treibt ein böses Spiel mit der tiefen Verunsicherung, die sich in den westlichen Industriestaaten breitgemacht hat. Die vertrauten politischen Lager haben sich aufgelöst, es ist gar nicht mehr so einfach, bestimmte Positionen der Linken, den Liberalen oder den Konservativen zuzuordnen.
Wo die Politik nicht überhaupt der Wirtschaft ihr ureigenes Terrain überlassen hat, spielt sie immer häufiger den Unternehmer, der sich eher ungern mit der Frage aufhält, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Man nennt diese Zeit gerne postideologisch, vielleicht geht es auch eine Nummer kleiner, wenn man einen Mangel an grundlegenden Überzeugungen konstatiert, für die es sich zu kämpfen lohnt.
Und so können Investmentbanker und Finanzminister problemlos ihre Rollen tauschen, wobei der Banker immer die Nase vorn hat, denn er verfügt über das Geld und die Expertise, der sich die Politik nur zu gern anvertraut. Dass Schimmelbusch selbst fünf Jahre als Investmentbanker gearbeitet hat, lässt einen bei der Lektüre bisweilen schaudern. Aber dann auch wieder durchatmen, denn, so lernen wir aus diesem Buch: Auch Investmentbanker erzählen ihrem Publikum nur Geschichten, denen man glauben mag – oder auch nicht.
Tobias Heyl in FALTER 11/2018 vom 16.03.2018 (S. 19)