AZ-Neu

Die Informationsplattform für ArbeiterInnen, Angestellte, KMUs, EPUs und PensionistInnen

FOCUS-online-Gastautor Carsten Maschmeyer, 19.09.2023

Es ist eine Illusion, zu glauben, dass unser Land vor­wärts kommt, wenn wir alle wei­ter fünf Tage am Stück acht Stun­den lang ar­bei­ten. Krea­tivi­tät und Fort­schritt ent­sprin­gen der Frei­heit, nicht dem Hams­ter­rad. Stei­gen wir end­lich aus ihm aus.

Die Deutschen wünschen sich so kurze Arbeits­zei­ten wie nie zu vor, mel­dete im März das Deut­sche Ins­ti­tut für Wirt­schafts­for­schung. Und vor kur­zem teil­te ich eine Um­fra­ge auf LinkedIn, die er­gab, dass sich eine Mehr­zahl der ca. 20.000 Be­frag­ten eine Vier-Tage-Woche sehr gut vor­stel­len kann.

Schon melden sich reflex­artig die Mah­ner. Mercedes-Vor­stands­chef Ola Käl­lenius z.B. sieht un­sere inter­natio­nale Wett­be­werbs­fähig­keit in Ge­fahr. Frank Thelen er­klär­te, er sei “ab­so­lut da­ge­gen”. Die Liste ließe sich be­lie­big for­tset­zen und es gibt ganz be­rech­tigte war­nen­de Stimmen.

Aber:
Meines Erachtens wird unterschätzt, welchen Effekt Digi­tali­sie­rung, tech­ni­scher Fort­schritt und Künst­liche Intel­li­genz auf die Pro­duk­tivi­tät ha­ben wird. Eine Ver­kür­zung der Ar­beits­zeit muss nicht zwangs­läu­fig zu weni­ger volks­wirt­schaft­li­chem Out­put führen.

Die reine Länge der Zeit, die man mit Arbeit ver­bringt, kann also nicht Grad­mes­ser und Maß­stab sein.

Voraussetzung für die Vier-Tage-Woche sind weiter­ge­hen­de Digi­tali­sie­rung, Auto­mati­sie­rung und der Ein­satz von Künst­li­cher Intel­li­genz. Tech­ni­scher Fort­schritt zu­sam­men mit den oben ge­nann­ten posi­ti­ven Ef­fek­ten der Vier-Tage-Woche könnte so­gar zu ei­nem Mehr an Pro­duk­ti­vi­tät führen.

Zahlreiche Berufe lassen sich nicht ein­fach durch tech­ni­schen Fort­schritt und Künst­liche Intel­li­genz ratio­na­li­sie­ren und be­schleu­nigen. Der wohl wich­tigs­te Be­reich hier ist die Care-Arbeit.

Pflege, zwischen­mensch­liche Zu­wen­dung, Zeit zu­zu­hö­ren, Ver­ständ­nis: All das er­for­dert den Men­schen und sei­ne Zeit und kann nicht auf Ma­schi­nen ver­la­gert wer­den. Kran­ken­häu­ser, Pflege­heime, Kin­der­gär­ten und Schu­len schei­nen also – mal wie­der – von den Seg­nun­gen der neu­en Ar­beits­welt aus­ge­nommen.

Aber gerade diese Berufe, die ja vom Fach­kräf­te­man­gel be­son­ders be­trof­fen sind, sol­len und kön­nen von der Vier-Tage-Woche nach­hal­tig pro­fi­tieren.

Mit gut gemeinter Solidarität und Hände­klat­schen von Bal­konen he­run­ter ver­schwin­det der Fach­kräfte­man­gel nicht. Leute, die Care-Ar­beit ma­chen, kön­nen nicht noch mehr Über­stun­den ma­chen und sich wei­ter selbst aus­beuten.

Der Fachkräftemangel in der Pflege und an­de­ren Care-Be­ru­fen wird erst dann ver­schwin­den, wenn die Wert­schät­zung für die­se Be­rufe wie­der steigt. Und Teil der Wert­schät­zung sind at­trak­ti­vere Ar­beits­zei­ten und mehr Lohn pro Ar­beits­zeit.

Es mag auf den ersten Blick paradox wirken, wenn in Mangelberufen noch zusätzlich die Arbeitszeit verkürzt wird.

Aber diese Berufe sind ja vor allem auch des­wegen Man­gel­be­rufe, weil die Ar­beits­zei­ten und die Be­las­tung im Ver­gleich zur Ent­loh­nung in ei­nem manch­mal schon gro­ben Miss­ver­hält­nis ste­hen. Ar­beits­zeit und Be­las­tung kön­nen aber durch die Vier-Tage-Woche grund­le­gend re­du­ziert werden.

https://www.focus.de/finanzen/kolumne-von-carsten-maschmeyer-deutschland-muss-raus-aus-dem-hamsterrad-und-rein-in-die-vier-tage-woche_id_208212739.html

Posted by Wilfried Allé Sunday, September 24, 2023 1:37:00 PM
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