Wiener Zeitung vom 15.05.2020, 10:59 Uhr | Update: 15.05.2020, 11:34 Uhr
https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2060750-Ein-Staatsfonds-zur-Firmenrettung.html
Die wirtschaftlichen Einbrüche in der Corona-Krise erreichen jene der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre und übertreffen die große weltweite Rezession nach 2008. Es kommt jetzt zur Rückkehr des Staates, der Arbeitnehmer und Firmen rettet und die Wirtschaft stützt. Es gibt keynesianische Politik mit riesigen staatlichen Hilfspaketen, um eine Depression zu vermeiden: nationale Hilfen (in Österreich 38 Milliarden Euro) und EU-Sicherheitsnetze für Arbeitnehmer, Unternehmen und Staaten (540 Milliarden Euro) und einen geplanten noch größeren EU-Erholungsfonds. Sogenannte Sovereign Wealth Funds (Staatsfonds) zur Firmenrettung auf nationaler und internationaler Ebene (10 Milliarden Euro in Österreich und 100 Milliarden Euro in der Eurozone) ergänzen diese Hilfspakete. Sie sollten rascher zur Verfügung stehen als der EU-Erholungsfonds.
Es ist zu hoffen, dass diesmal, anders als nach 2008, als es nur kurzfristig eine keynesianische Politik gab, danach aber das neoliberale System weiterbestand, eine Systemänderung gelingt. Nach der Weltwirtschaftskrise wurde der Liberalismus nach 1945 durch das Bretton-Woods-System (mehr Staat, weniger Markt, basierend auf den Ideen von John Maynard Keynes) abgelöst. Dies bewahrte uns für Jahrzehnte vor Finanzkrisen und ermöglichte es, hohe Staatsschulden durch hohes Wachstum abzubauen und die Ungleichheit zu verringern.
Sparsamer Einsatz von Budgetmitteln durch Rettung von Unternehmen und Arbeitsplätzen und nicht von Unternehmenseigentümern: Die oft hoch verschuldeten Unternehmen benötigen jetzt nicht nur Liquiditätshilfen und Kredite, sondern Eigenkapital, um die Krise zu überstehen und danach wieder investieren zu können. Auch der Chef der Erste Bank, Peter Bosek, spricht sich für staatliche Beteiligungen aus. Die Verstaatlichung der Verluste und die Privatisierung der Gewinne, wie bei der Bankenrettung nach 2008, ist zu vermeiden.
Österreich sollte niedrige Finanzierungskosten nutzen
Viele Länder haben Staatsfonds, meist aus den Erträgen natürlicher Ressourcen zum Beispiel Norwegen aus Ölerträgen. Der norwegische Öl-Fonds hat von 1998 bis Mai 2020 einen jährlichen Ertrag von 6,1 Prozent erwirtschaftet. Auch die Schweizer Notenbank mit riesigen Währungsreserven, die weltweit auch auf Aktienmärkten veranlagt werden, ist de facto ein Staatsfonds.
Österreich hat kaum Öl, aber ähnlich wie Deutschland und einige Kernländer der Eurozone und die Schweiz eine andere Ressource: niedrige Finanzierungskosten. Für zehnjährige österreichische Staatsanleihen gibt es Nullzinsen, für kürzere Laufzeiten sogar Negativzinsen. Diese Ressource gilt es jetzt in der Krise zu nutzen, um über einen Staatsfonds den Unternehmen dringend benötigtes Eigenkapital über Kapitalerhöhungen zur Verfügung zu stellen. Die Kosten der Unternehmensrettung können so minimiert werden.
Die Renditen für die Veranlagung in Aktien in der EU liegen derzeit auf einem Rekordniveau, bei 5 bis 7 Prozent. Die Rendite der Veranlagung in Aktien an der Wiener Börse betrug in den vergangenen 25 Jahren im Durchschnitt etwa 7 Prozent im Jahr. Der jährliche Ertrag war aber sehr volatil.
Die Differenz zwischen dem Ertrag sicherer Staatsanleihen und europäischer Aktien im Euro Stoxx stieg in der Finanzkrise 2008 auf 8 Prozent und schwankt seither zwischen 5 und 7 Prozent. Das bedeutet, dass der Ertrag für Aktienveranlagungen weit über den Finanzierungskosten der Staaten liegt. Auch Pensionskassen, die nur einen Teil in Aktien veranlagen, haben höhere Erträge erzielt (die Bundespensionskasse etwa im Jahresdurchschnitt 3,71 Prozent über 15 Jahre). Wir haben es hier mit dem größten Marktversagen nach der Klimakrise zu tun: mit der zu niedrigen Bepreisung der externen Effekte der CO2-Emissionen. Wahrscheinlich, weil Aktienerträge volatil sind und viele Sparer dies für ihre Ersparnisse nicht wollen.
10 Milliarden Euro für einen österreichischen Staatsfonds
In Österreich könnte ein Staatsfonds wie folgt aussehen: Der Bund nimmt 10 Milliarden Euro über eine zehnjährige Anleihe auf und gründet damit einen Sovereign Wealth Fund (SWF) für Unternehmensbeteiligungen. Er beteiligt sich dabei nur an Unternehmen mit struktureller Bedeutung, regionaler und arbeitsmarktpolitischer Relevanz. Es muss sich betriebswirtschaftlich rechnen. Die Ausstiegsszenarien: Rückkauf durch Mehrheitseigentümer, Verkauf an EU-Unternehmen, Börsegang an der Wiener Börse, wobei der Staatsfonds einen Minderheitsanteil zur Sicherung gegen feindliche Übernahmen oder einen sogenannten "Golden Share" behalten sollte.
Der Staatsfonds hätte zwei Funktionen:
Firmenbeteiligungen über drei Instrumente: Erstens normale Stammaktien, normalerweise bis 50 Prozent Beteiligung, in Ausnahmefällen auch mehr. Zweitens Vorzugsaktien ohne Stimmrecht, dafür Dividendenaufschlag von 3 Prozentpunkten zusätzlich zur normalen Dividende (bei einem Verkauf über die Börse werden sie zu normalen Stammaktien) - in beiden Fällen entfallen alle Bonuszahlungen, wenn keine normalen Dividenden gezahlt werden. Drittens Anleihen mit höherer Verzinsung, die erst im Krisenfall in Eigenkapital umgewandelt werden.
Rettung von maroden und insolventen Unternehmen: Diese erfolgt nur, wenn diese strategisch wichtig sind. Das Modell dafür ist die in den 1980ern und 1990ern erfolgreiche Gesellschaft des Bundes für Industriebeteiligungen (GBI, auch Pleiteholdung genannt), die Pleitefirmen übernahm und sanierte. Sie rettete so tausende Arbeitsplätze ohne Kosten für das Budget. Für eine Übernahme kommen nur Betriebe mit struktureller Bedeutung sowie regionaler und arbeitsmarktpolitischer Relevanz bei gegebener betriebswirtschaftlicher Sanierbarkeit binnen drei Jahren in Frage.
Die SWF Rechtsform GmbH sollte eine flache, projektorientierte Organisation sein, mit einem kleinen Stab rund um Geschäftsführer und Aufsichtsrat mit der notwendigen Veranlagungs- und Sanierungsexpertise. Eventuell könnte man versuchen, die seinerzeitigen GBI-Experten wiedergewinnen. Ich war in den 1990ern im Aufsichtsrat der GBI. Wir konnten alle übernommenen Pleitefirmen sanieren und ohne Kosten für den Staat tausende Arbeitsplätze retten. Nicht wie bei der ÖBAG, wo man Leute ohne entsprechende praktische Erfahrung einsetzte. Der Bund bekommt die Zinskosten refundiert. Gewinne des Staatsfonds gehen in Reserven für Verluste. Sind nach drei Jahren die Verluste höher als die Gewinne, sind Management und Aufsichtsrat auszutauschen.
Sollte der Bund aus ideologischen Gründen nicht bereit sein, einen solchen Staatsfonds einzurichten, dann sollten Wien, Kärnten und das Burgenland einen eigenen Sovereign Wealth Fund, mit einem Kapital von 3 Milliarden Euro, gründen. Wien hat in der Corona-Krise ja schon ein Beteiligungsinstrument eingerichtet. Es könnte dann mit der Mittelverwendung des Bundes in der Cofag verglichen werden.
100 Milliarden Euro in der Eurozone
Ein solcher Staatsfonds sollte anderen Ländern in der EU, mit niedrigen Finanzierungskosten, als Modell dienen. Für Länder mit hohen Finanzierungskosten oder nicht ausreichender Fiskalkapazität, sollte die Eurozone einen Sovereign Wealth Fund über 100 Milliarden Euro einrichten und dafür die Gewinne aus ihrem "Securities Market Programme" einsetzen. Diese betrugen bis 2016 laut einer Studie von mir ("Das Securities Market Programme - viele Vorteile für den Euroraum", Wirtschaftsdienst, Juni 2018) etwa 60 Milliarden Euro. Bis heute gibt es etwa 100 Milliarden Euro an Gewinnen, die ja durch Ankäufe von Staatsanleihen der Krisenländer entstanden sind.
Die Euroländer müssten also die 100 Milliarden Euro nicht aufbringen, bloß Garantien abgeben, was eine billige Finanzierung ermöglichen würde. Dies wäre wesentlich rascher umzusetzen als Eurobonds. So wie das Eurosystem könnte so ein SWF-System für die Eurozone entstehen, um europäische Unternehmen vor dem Ausverkauf an die USA oder China zu schützen. Durch die EU-weit relativ niedrigen Finanzierungskosten der Staaten und die relativ hohen Erträge für Eigenkapital sollten die Garantien nicht schlagend werden. Die Unternehmen bekämen dringend benötigtes Eigenkapital und Schutz vor Übernahmen.
Franz Nauschnigg war von 1987 bis 2019 in der Oesterreichischen Nationalbank tätig, seit 1999 als Abteilungsleiter der Internationalen Abteilung. Er war wirtschaftspolitischer Berater mehrerer Finanzminister und in den 1990ern im Aufsichtsrat der GBI und der Wiener Börse. In den 1980ern war er im Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium tätig, auch in den Kabinetten.