von Philip Manow
Verlag: |
Suhrkamp |
Format: |
Taschenbuch |
Genre: |
Politikwissenschaft/Politik, Wirtschaft |
Umfang: |
160 Seiten |
Erscheinungsdatum: |
12.11.2018 |
Preis: |
€ 16,50 |
Rezension aus FALTER 48/2018
Der Aufstand der noch nicht Abgehängten
Der Politologe Philip Manow enthüllt in einer überraschenden Studie die ökonomischen Ursachen für den Erfolg der Populisten
Mit kühler Empirie schaltet sich der deutsche Politikwissenschaftler Philip Manow in die Kontroverse über das Wesen des politischen Populismus ein. Philosophinnen wie Chantal Mouffe sind in ihrem demokratietheoretischen Ansatz spekulativ, Jan-Werner Müllers These über den moralischen Alleinvertretungsanspruch der Populisten bleibt vage.
Manow lässt die vertrauten Argumente über den irrationalen Aufstand der Wutbürger gegen die Eliten beiseite und versucht anhand von Statistiken die ökonomischen Ursachen des Wahlverhaltens zu erklären. Explizit wendet sich der Autor gegen die Annahme, wonach der Populismus eine leere Form sei, die mit beliebigen Inhalten gefüllt werden kann, wenn nur der Zornpegel stimmt. Manow interpretiert den Populismus als verständlichen Protest gegen die Globalisierung, und zwar gegen zwei ihrer hauptsächlichen Erscheinungsformen: den internationalen Handel und die Migration, also der grenzüberschreitende Bewegung von Geld und Gütern einerseits und Personen anderseits.
Nichts zu gewinnen
Der Autor entwirft eine politische Geografie Europas, die im Süden den linkspopulistischen Widerstand gegen Austerität und Neoliberalismus, im Norden die Angst vor der Zuwanderung verzeichnet. Die Wähler der Populisten setzten sich nicht aus Modernisierungsverlierern zusammen, sondern aus jenen, die etwas zu verlieren haben. Die Alternative für Deutschland (AfD) ist gerade im prosperierenden Süddeutschland erfolgreich. Manow erklärt diesen vermeintlichen Widerspruch damit, dass in Deutschland der Wohlfahrtsstaat besonders zugänglich sei. Wer hier nach 20 Jahren die Arbeit verliert, steht am Arbeitsamt neben dem Flüchtling, der gerade ins Land gekommen ist und dieselbe staatliche Unterstützungen bekommt. Die Populisten stechen in diese Wunde.
In Süditalien hingegen sind Migranten kein Thema. Hier steht der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt und damit zu sozialer Absicherung ohnehin nur Inländern offen. Die Zuwanderer schuften auf den Feldern wie Sklaven. In Süditalien wird daher nicht die offene Grenze, sondern die Sparpolitik als Bedrohung empfunden. Wenn der Staat Beamte entlässt und Pensionen kürzt, bricht die Nachfrage auf dem heimischen Markt ein. Der Protest der neuen Regierung Italiens gegen die Sparzwänge der EU wird so verständlicher. Manows Kriterien auf Österreich angewandt: Mit dem Ausschluss der Migranten von Sozialleistungen kompensieren die Türkis-Blauen jene Verluste, die sie mit einer wirtschaftsliberalen Agenda selbst produzieren.
Verluste der Europäisierung
Die Analyse endet mit einem düsteren Ausblick auf die nächsten EU-Wahlen. Der Urnengang wird gemeinhin als marginales Ereignis, als Nebeneffekt innenpolitischer Konflikte gewertet. Manow hingegen nimmt Brüssel ernst und wertet die Wahlen als Möglichkeit, gegen die Prinzipien der EU zu protestieren, die von vielen als Bedrohung empfunden werden. Der freie Verkehr von Gütern, Kapital, Dienstleitungen und Personen sei ein Diktat mit teilweise verheerenden Folgen. „Globalisierung findet als Europäisierung eine ihrer intensivsten Ausprägungen“, schreibt Manow.
In der EU spitzt sich das Drama des Populismus zu und strahlt in die Länder zurück. Während die Regierenden das Mantra der Integration predigen, füllen sich die unteren Ränge mit Europaskeptikern. Die Nachfrage nach populistischem Protest bleibt groß. Mit Manows politischer Ökonomie verliert er seinen moralischen Appeal. Wer über Populismus redet, darf nicht länger über Kapitalismus schweigen.
Matthias Dusini in FALTER 48/2018 vom 30.11.2018 (S. 22)