von Wolfgang Kemp
Verlag: |
zu Klampen Verlag |
EAN: |
9783866745346 |
Reihe: |
zu Klampen Essays |
Umfang: |
176 Seiten |
Genre: |
Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft |
Erscheinungsdatum: |
01.10.2016 |
Format |
Hardcover |
Herausgegeben von |
Anne Hamilton |
Preis: |
€ 18,50 |
FALTER-Rezension
Physiologie einer Sozialfigur
Als vor knapp 200 Jahren die Städte zu modernen Metropolen wurden und die industrielle Revolution die unterschiedlichsten neuen Berufe entstehen ließ, blühte das literarische Genre der "Physiologien" auf, kleine, literarisch geschriebene Bändchen, die die neu entstehenden "Sozialcharaktere" beschrieben. Eine Art "sozialer Fremdenführer". Der deutsche Kunsthistoriker Wolfgang Kemp nahm sich diese Gattung zum Vorbild, als er 2016 einen brillant geschriebenen Essay mit dem Titel "Der Oligarch" veröffentlichte.
Plutokrat, Tycoon, Mogul, Magnat -es gäbe viele Begriffe für den "klassisch russischen und ukrainischen Oligarchen der postsowjetischen Ära". Kemp definiert ihn als "kleine Gruppe der großen Gewinner der Transformationsperiode der neunziger Jahre in Russland und der Ukraine", die anzeigen, "was an Klassengesellschaft heute noch möglich ist", die "soziale Ungleichheit in Person".
"Oligoi" heißt "die wenigen". Die Oligarchie steht bei Platon, Aristoteles und Polybios für eine Entartung der Aristokratie. Die Aristokratie ist -theoretisch -die Herrschaft der Besten. Sie handeln zum Wohle aller. In der Oligarchie hingegen haben ein paar wenige die Macht, die keinen Gemeinschaftssinn kennen, sondern die nur ihr eigenes Fortkommen interessiert. Sie wechseln ihre politischen Loyalitäten nach Geschäftsinteresse und umgekehrt. Das Wort "Oligarch" taucht Ende der 1990er-Jahre im Russischen wie Ukrainischen als Beschreibung der neuen Superreichen auf.
Was Rom für Goethe war, ist dem Oligarchen London. Kemp nimmt den Leser mit auf die "Kleptokratie-Tour" durch "Londongrad", er lebt "Shore, Offshore und Save Haven". Er verdient sein Geld in seiner Heimat, in Rohstoffbranchen wie Öl, Gas oder in Banken, Medien. Er wäscht es in Zypern und verteilt es an Offshore-Adressen. Sicher fühlt er sich in Israel. Der Oligarch selbst würde sich wohl am liebsten als "Philanthrop" sehen, am Ende zeichnet ihn aber eher etwas anderes aus, wie Kemp es scharfsinnig formuliert: "der Wille zur Yacht".
Barbara Tóth in Falter 12/2022 vom 25.03.2022 (S. 24)
Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 24.11.2016
Was einen Oligarchen ausmacht, das erfährt Hanno Rauterberg aus Wolfgang Kemps Essay: maßlose Gier natürlich, Skrupellosigkeit ebenso, eine Vorliebe für prunkvoll verschnörkelten Kitsch und nicht zuletzt eine Jacht. Im "lakonischen Plauderton" und mit "gesteigerter Freude an absurden Zahlen und surreal anmutenden Begebenheiten" legt der als Kunsthistoriker bekannte Kemp seine Beobachtungen dar und öffnet damit dem Rezensenten ein ums andere Mal die Augen - nicht zuletzt in der Einschätzung Donald Trumps (dem es für einen richtigen Oligarchen an einer Jacht mangelt).