von Moritz Schularick
ISBN |
9783406777820 |
Verlag: |
C.H.Beck |
Genre: |
Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik |
Umfang: |
140 Seiten |
Format: |
Taschenbuch |
Erscheinungsdatum: |
15.07.2021 |
Preis: |
€ 14,40 |
Kurzbeschreibung des Verlags:
WAS IN DER CORONA-KRISE FALSCH LIEF UND WAS SICH ÄNDERN MUSS
Wie soll ein Staat, der es nicht schafft, Lüfter in die Klassenzimmer seiner Schulen einzubauen, im kommenden Jahrzehnt den komplexen ökologischen Umbau der Wirtschaft steuern? Dafür brauchen wir einen vorausschauenden, risikobereiten und handlungsstarken Staat, der die richtigen Anreize setzt und in neuen Situationen flexibel reagieren kann. Also genau das, was uns in der Pandemie fehlte. Dieses Buch zeigt die Defizite im Management der Krise auf und beschreibt, was sich ändern muss, wenn wir die Herausforderungen der Zukunft bewältigen wollen.
Im Frühjahr 2020 schien Deutschland die Pandemie vorbildlich zu bewältigen. Doch ein Jahr später war von der Selbstzufriedenheit nicht mehr viel übrig. Die Defizite in der Leistungsfähigkeit des Staates waren nicht mehr zu leugnen. Die Politik stolperte durch die Krise und verlor sich in Detailregelungen, als es darauf ankam, eine Strategie für das Land zu entwickeln und die alles entscheidende Impfstoffproduktion zu beschleunigen. Sie scheute das Risiko, obwohl Abwarten und Zögern letztlich das viel riskantere Vorgehen war. Schaut man genauer hin, so zeigten sich ähnliche Probleme bereits in vorherigen Krisen, etwa der globalen Finanzkrise und der Eurokrise. Deutschland tut sich schwer, wenn Entscheidungen gefällt werden müssen, für die es kein Regelbuch gibt. Es droht die Gefahr, dass Europa im Vergleich zu China und den USA erneut zum Krisenverlierer wird. Doch das ist nicht das einzige Problem. Denn die Pandemie war auch ein Probelauf für die Herausforderungen, die im nächsten Jahrzehnt beim Klimawandel auf uns zukommen. Wir brauchen in Zukunft einen leistungsfähigeren Staat, mehr Pragmatismus und auch das Selbstvertrauen, unkonventionelle Wege zu beschreiten. Denn in einer sich rasch ändernden Welt gehen wir nicht auf Nummer sicher, wenn wir so weitermachen wie bisher, sondern indem wir besser darin werden, flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren.
Corona und die Konzeptlosigkeit der deutschen Politik
Was andere Länder besser machen
Wie wir aus den Fehlern lernen können
FALTER-Rezension
Der inkompetente Staat
Von Impfstoffbeschaffung bis Kurzarbeit: Der deutsche Ökonom Moritz Schularick zieht Lehren aus der Covid-Krise
In der Covid-Pandemie halten die kommenden Krisen ihre Generalprobe. Im Urteil Moritz Schularicks, Professor an der Universität Bonn und einer der wichtigsten deutschsprachigen Makroökonomen, gab es bei diesem Test der staatlichen Handlungsfähigkeit Deutschlands mehr Schatten als Licht.
Dabei begann alles recht erfolgreich, was mit ein paar Einschränkungen auch für Österreich gilt: Die erste Covid-Welle im Frühjahr 2020 wurde mit einem raschen Lockdown relativ gut bewältigt. Schularick betont die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems und des Sozialstaats, der eine Sternstunde erlebte.
Die in beiden Ländern in großem Stil eingesetzte Kurzarbeit rettete zahllose Arbeitsplätze. Dennoch stieg die Arbeitslosigkeit in Österreich zunächst drei Mal so stark wie in Deutschland, auch weil viele Tourismusbetriebe kündigten, statt in Kurzarbeit zu gehen. Auch der Sozialstaat zeigte da und dort Lücken: Etwa im Fehlen einer Erwerbslosenversicherung oder von Kurzarbeitsregelungen für kleine Selbstständige und Kulturschaffende.
In der zweiten Covid-Welle im Herbst 2020 wurden die Versäumnisse offensichtlicher. Etwa in den fehlenden Entlüftungsanlagen in Schulen, deren Einbau nicht einmal vor der vierten Covid-Welle gelang. In vielen Regionen funktionierte das Testen nicht, Kontaktverfolgung und Quarantäneüberwachung blieben löchrig.
Schularick geht mit den Fehlern bei der Impfstoffbeschaffung besonders scharf ins Gericht. Deutschland, Österreich und die EU waren an niedrigen Preisen interessierte Kunden statt auf raschen Aufbau von Produktionskapazitäten drängende Partner der Industrie. Die Administration Biden in den USA hingegen stellte auf Corona-Kriegswirtschaft um und griff dirigistisch in die Impfstoffproduktion ein.
Ach, Tirol!
Ein besonders kostspieliger Denkfehler besteht im angeblichen Zielkonflikt zwischen Wirtschaft und Gesundheit. Lockdowns werden verschleppt, Öffnungen zu früh umgesetzt, weil das wirtschaftlich notwendig sei.
Doch Schularick zeigt, wie ein entschiedener Lockdown mit dem Ziel niedriger Inzidenzen auch wirtschaftlich sinnvoll ist, weil er kurzfristig wenig Wirtschaftsaktivität kostet und mittelfristig viel mehr ermöglicht.
Er beklagt die Probleme politischer Entscheidungsfindung, Verwaltungsroutinen, Föderalismus, Langsamkeit und Einfluss mächtiger Lobbys (ach, Tirol!). Es fehlen die Digitalisierung in Verwaltung und Schulen, Daten und institutionalisierte Zusammenarbeit mit problemorientierter Forschung. Der deutsche Staat ist ungenügend auf Handeln in unerwarteten Situationen, auf „Reagieren ohne Betriebsanleitung“ eingestellt.
Schularick führt das auch auf die deutsche Spargesinnung zurück: Sparsamkeit galt gerade beim Staat als wichtigste Sekundärtugend des 21. Jahrhunderts. „Schwarze Null“ und „Schuldenbremse“ behinderten Digitalisierung und Ausbau öffentlicher Infrastruktur. Dies könnte sich bei der Bearbeitung der nächsten Krisen, von Klima bis Ungleichheit, aufs Neue rächen. Angesichts der enormen Herausforderungen und der historisch niedrigen Zinsen ist ein Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik notwendig.
Erfreulicherweise gibt es diesen in Berlin und in Brüssel: Finanzminister Olaf Scholz drängt, beraten von einem Kreis exzellenter und pragmatischer Ökonominnen und Ökonomen, auf starke öffentliche Investitionen gegen die Krisen, etwa in Form des EU-Wiederaufbaufonds.
Sparen als Glaubenssatz
Bitter, wie parallel dazu Österreich an wirtschaftspolitischer Kompetenz abbaut: Lange für aktive Wirtschaftspolitik, hohe Investitionen und starken Sozialstaat gerühmt, verkündet die Bundesregierung nun Spargesinnung als Glaubenssatz und bremst bei EU-Offensiven für Investitionen und Sozialstandards. Gleichzeitig lag das Budgetdefizit wegen oft überfördernder und intransparenter Unternehmenshilfen doppelt so hoch wie in Deutschland – und dennoch explodierte die Zahl der meist armutsgefährdeten Langzeitarbeitslosen.
Moritz Schularick verlangt angesichts der Erfahrungen in der Covid-Pandemie ein „Upgrade“ für den Staat. Um unter Unsicherheit verlässlich handeln zu können, sind bessere Daten, engere Vernetzung mit der Wissenschaft, leistungsfähige Verwaltung sowie öffentliche Interventions- und Investitionsbereitschaft nötig.
Es geht nicht um mehr oder weniger Staat, sondern um einen handlungsfähigen und kompetenten Staat, der die neuen Herausforderungen ebenso gezielt wie pragmatisch angeht. Das gilt wohl gleichermaßen für Österreich.
Markus Marterbauer in Falter 30/2021 vom 30.07.2021 (S. 19)