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Wie ein Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet

von Alexander Schiebel

ISBN 9783960060147
Verlag: oekom verlag
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 256 Seiten
Erscheinungsdatum: 04.09.2017
Preis: € 19,60

Kurzbeschreibung des Verlags:

Pestizide! Überall auf der Welt sind sie auf dem Vormarsch. Überall? Nein! Ein von unbeugsamen Vinschgern bewohntes Dorf in Südtirol hört nicht auf, diesem Eindringling Widerstand zu leisten. Umgeben von industriellem Apfelanbau will Mals zur ersten pestizidfreien Kommune Europas werden. In einer Volksabstimmung entscheiden sich 76 Prozent der Bewohner gegen Glyphosat & Co. und für biologische Landwirtschaft und Naturschutz.
Eine 5000-Seelen-Gemeinde, angeführt von einem Dutzend charismatischer Querdenker, fordert damit eine übermächtige Allianz aus Bauernbund, Landesregierung und Agrarindustrie zum Kampf heraus. Alexander Schiebel erzählt die Geschichte dieses Aufstandes und enthüllt dadurch das streng geheime Rezept jenes Zaubertrankes, der die mutigen Malser unbesiegbar macht. Eine Inspirationsquelle für Aufständische in aller Welt – und ein lebendiges Porträt jenes kleinen Dorfes, das sein Schicksal selbst in die Hand nehmen möchte.

FALTER-Rezension

Giftige Klagen

Franz Sölkner ist schon sein Leben lang politisch aktiv. 20 Jahre lang stritt der heute 71-Jährige für die Grünen im Gemeinderat von Thal bei Graz. An der Uni war er Fachschaftsvertreter für Theologie, er engagierte sich gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf und ist heute in der Steirischen Friedensplattform aktiv. Bei Gerichtsverhandlungen ist er als interessierter Beobachter anzutreffen. Dass er selbst einmal als Angeklagter vorn im Gerichtssaal stehen würde, damit hat er nicht gerechnet.

Sölkner arbeitet auch in der „IST – Initiative SteirerInnen gegen Tierfabriken“ mit, wo vor allem Bewohner der Süd- und Oststeiermark gegen den Gestank aus und das Tierleid in großen Schweine- und Hühnerställen mobilmachen. Im April 2019 stellt die IST in Gleisdorf und Leibnitz je ein Großplakat auf. Auf dem Foto sieht man einen Traktor Flüssigkeit auf ein Feld aussprühen. Darüber der Schriftzug: „Gott schütze uns vor giftspritzenden Bauern! Keine Keime und Antibiotika auf den Tellern unserer Familien!“ Darunter: „Schluss mit der Gefährdung von Mensch, Tier und Umwelt durch die giftunterstützte Landwirtschaft!“ Sölkner erklärt sich bereit, mit seinem Namen dafür geradezustehen.

Das Motiv für die Aktion erklärt er so: „Ich halte die Industrialisierung der Landwirtschaft für eine verhängnisvolle Sackgasse. Und bei Sackgassen kommt man irgendwann an ein Ende und muss dann elendsweit zurückhatschen.“ Bald nach Aufstellen der Plakate stellt die Landwirtschaftskammer Steiermark eine Klage in den Raum, setzt die Ankündigung aber nie um. Aus der Kleinen Zeitung erfährt Sölkner jedoch, dass der Bauernbund, eine Teilorganisation der ÖVP, ihn klagt. Sie sieht alle steirischen Landwirte in ihrer Ehre beleidigt und in ihrem wirtschaftlichen Fortkommen geschädigt. Das Bezirksgericht Graz-Ost folgte der Argumentation des Bauernbundes in allen Punkten und hat Sölkner zu Unterlassung und Widerruf verurteilt.

Die Klage ist kein Einzelfall: Immer wieder landen Auseinandersetzungen um Umweltthemen, besonders über Spritzmittel, vor Gericht. Es geht um den Vorwurf von Ehrenbeleidigung und übler Nachrede auf der einen Seite, um den von Einschüchterung auf der anderen. Für die Aktivisten sind die Klagen oft existenzbedrohend. Schon hat sich ein eigener Begriff eingebürgert: Slapp-Klagen, Strategic Lawsuit Against Public Participation. Gemeint ist die juristische Form von David gegen Goliath: Klagen wie Ohrfeigen mit dem Ziel, unliebsame Kritik zu unterdrücken.

Erst vergangenen Freitag kam es im Südtiroler Bozen zu einer Wendung in einem Aufsehen erregenden Fall: Dort hatte sogar ein Landesrat, Arnold Schuler von der Südtiroler Volkspartei, gemeinsam mit Obsterzeugerorganisationen und 1376 Bauern Klagen gegen den Salzburger Autor und Dokumentarfilmer Alexander Schiebel und den Agrarwissenschaftler Karl Bär vom Umweltinstitut München erhoben. Mehr als 100 NGOs wie Greenpeace hatten daraufhin in den führenden italienischen Tageszeitungen eine Solidaritätserklärung abgegeben. Schiebel hatte in seinem Buch und Film „Das Wunder von Mals“ den hohen Pestizideinsatz auf Südtirols Apfelplantagen kritisiert. Am Freitag wurde er freigesprochen.

Weiter geht der Strafprozess jedoch für Karl Bär. Der Grund ist eine Kampagne im Sommer 2017: Auf dem Stachus, einem der prominentesten Plätze im Stadtzentrum Münchens, hatte sein Institut auf einem Plakat die Südtiroler Tourismuswerbung verfremdet, es warb für „Pestizidtirol“. Bär drohen eine Gefängnisstrafe und Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe.

Die Beispiele für Knebelklagen häufen sich: So stehen mehrere Organisationen in Europa vor Gericht, weil sie Palmölkonzerne kritisierten. Der deutsche Energiekonzern RWE will auch von einem Pressefotografen eine Entschädigung in Millionenhöhe, der dokumentiert hat, wie Umweltaktivisten die Förderbänder des Braunkohlekraftwerks Weisweiler besetzten, wodurch das Kraftwerk stillstand. Im März wurde die Französin Valérie Murat in erster Instanz zu einer Strafe von 125.000 Euro vergattert: Sie hatte Zahlen zu Pestizidrückständen in Bordeaux-Weinen veröffentlicht.

Aber fallen die inkriminierten Aussagen unter Tatbestände wie Verleumdung und Ehrenbeleidigung – oder sind sie vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt? Wer gewinnt am Ende?

„Das Plakat impliziert, dass alle Bäuerinnen und Bauern Giftspritzer sind. Unsere 40.000 Mitglieder wollen das nicht hinnehmen“, begründete der Steirische Bauernbund seine Klage. Viele erboste Bauern hätten deswegen angerufen. „Dieser Herr hat mit seiner Kollektivbeleidigung auch viele Bauernbundmitglieder tief im Inneren berührt und verletzt“, hieß es in der steirischen Bauernbund-Zeitung Neues Land.

„Absolute Empörung“ rufe die Aussage hervor, bäuerliche Produkte seien „keimverseucht“. Sölkner meine damit „zweifellos, dass Bauern eine Gesundheitsschädigung der Bevölkerung für möglich halten und sich damit abfinden“.

Juristen sind jedoch schon in der Frage uneinig, ob der Bauernbund überhaupt berechtigt ist, Klage im Namen „der Bauern“ zu führen. Schließlich vertritt er nur jene Bauern, die freiwillig bei ihm Mitglied werden.

In der Klagsschrift argumentiert er damit, dass die Beleidigung „jeden einzelnen Bauern schädigt“ und „der überwiegende Anteil der Bauern“ bei ihm Mitglied sei. Mehr noch: „Kein anderer Verein oder andere Organisation weist eine derart enge Identifizierung bzw. Beziehung zum Bauernstand auf wie die klagende Partei.“ Die meisten Menschen würden sogar mit dem Bauernstand den Bauernbund „assoziieren“. Auch die Richterin schrieb im Urteil, es sei „nicht erforderlich, dass die klagende Partei direkt der Adressat der Äußerung ist“.

Sölkners Anwalt wandte ein, dass per Gesetz nur die Landwirtschaftskammer für die Vertretung aller Landwirte zuständig sei. Auch Michael Rami, Richter am Verfassungsgerichtshof, führender Medienrechtler und Autor des Wiener Kommentars zum Mediengesetz, sagt: „Das Plakat wendet sich lediglich ganz allgemein gegen ,giftspritzende Bauern‘ und nicht gegen konkrete Landwirte. Meines Erachtens ist der Bauernbund nicht berechtigt, derartige allgemeine Äußerungen im Namen des ,Bauernstandes‘ zu verfolgen.“

Was aber darf man über Spritzmittel, Antibiotika in der Tierhaltung und andere Entwicklungen in der Landwirtschaft sagen – über die sich auch viele Wissenschaftler besorgt zeigen und gegen die sich explizit der Green Deal der EU-Kommission richtet?

Sölkner argumentierte mit Büchern und Medienbeiträgen, die den Begriff „Gift“ für Pestizide verwenden. Etwa das Buch des Wiener Ökologen Johann G. Zaller „Unser täglich Gift“. Er zitierte Berichte von Fleischtestkäufen durch NGOs, die auf einem erheblichen Teil der Proben antibiotikaresistente Keime fanden. Er führte die Dokumentation des Fernsehsenders Arte „Killerkeime – Gefahr aus dem Tierstall“ an. Die Plakate, so sieht es Sölkner, würden nur breit diskutierte Forderungen wiedergeben. Für das Totalherbizid Glyphosat habe ja gar der Nationalrat ein Totalverbot beschlossen.

Sölkner vermochte die Richterin aber nicht zu überzeugen. Sie folgte den Argumenten des Bauernbundes. „Es ist der beklagten Partei nicht gelungen, einen Nachweis für die Gesundheitsschädlichkeit von Pflanzenschutzmitteln (…) zu erbringen“, schreibt sie in der Beweiswürdigung. Auch den „Nachweis für eine Gefahr für Flora und Fauna“ habe Sölkner nicht erbracht.

Lange Passagen des Urteils befassen sich mit dem umstrittenen Glyphosat. „Namhafte Europarechtsexperten kamen zum Schluss, dass ein Totalverbot von Glyphosat nicht möglich ist. Sohin ist die Bezeichnung ,Gift‘ für Glyphosat jedenfalls unzulässig.“ Überdies sei Sölkner „jeglichen Beweis schuldig geblieben, dass sich die Bauernschaft nicht an die gesetzlichen Vorgaben“ halten würde.

In Summe sei Sölkner „kein Wahrheitsbeweis“ für die Äußerungen auf den Plakaten gelungen: „Auch nur die Richtigkeit eines Tatsachenkerns wurde nicht bewiesen.“ Die kritischen Berichte von Wissenschaftlern, die etwa Antibiotika als Gefahr für die menschliche Gesundheit sehen oder Pestizide als Bedrohung für die Artenvielfalt, anerkannte die Richterin also nicht.

Jedenfalls würden die Behauptungen „die von der Judikatur zugebilligte Polemik bei weitem übersteigen“. Summa summarum: „Die klagende Partei hat vollständig obsiegt.“

Das Bezirksgericht Graz-Ost verurteilte Sölkner somit zur Unterlassung und zum Widerruf der Aussagen auf ebenfalls zwei Großplakaten, zum Veröffentlichen einer Gegendarstellung in der Kleinen Zeitung und zur Übernahme der gegnerischen Anwaltskosten von rund 3300 Euro. Das war im März. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Sölkner hat berufen. Österreichs Bauernbund-Präsident Georg Strasser, der als Zeuge geladen war, hofft nun, dass man sich bei „weiteren ähnlich gelagerten Agitationen gegen die Bauernschaft“ an dem Urteil orientiere.

Im italienischen Bozen hat der Richter am Freitag die Beweisaufnahme gegen den Salzburger Alexander Schiebel gar nicht erst eröffnet: Der Tatbestand der üblen Nachrede liege schlicht nicht vor.

m zweiten Prozess gegen Karl Bär haben Landesrat Schuler und die Vertreter der Obstgenossenschaften ihre Nebenklägerschaft zurückgezogen. Schuler kündigte zudem an, alle Anzeigen zurückziehen und dafür die Vollmachten aller klagenden Bauern einsammeln zu wollen – zwei Bauern weigern sich jedoch bis heute. Damit geht der Prozess weiter wie gehabt.

„Wir haben uns den Gerichtssaal als Bühne nicht ausgesucht“, sagt Bär: „Aber da wir dorthin gezwungen werden, werden wir sie auch nutzen.“ Mit 88 Experten als Zeugen will er „beweisen, dass der hohe Pestizideinsatz auf Südtiroler Apfelplantagen negative Auswirkungen auf die Natur und die Gesundheit von Menschen hat“.

Mehrere der kritisierten Spritzmittel sind inzwischen verboten, und die Gerichtsverfahren haben dem Thema enorme Aufmerksamkeit gebracht. 250.000 Menschen haben für die Einstellung der Prozesse unterschrieben, das Buch über „Das Wunder von Mals“ hat zusätzliche Leser gefunden.

Immer wieder verlieren die Kläger solche Prozesse nach Jahren in letzter Instanz. Die Angeklagten werden dennoch durch die jahrelang im Raum stehende Drohung geschwächt und zermürbt. Nach einem Appell von NGOs und 32 Europaabgeordneten an die EU-Kommission arbeitet diese nun an einer EU-Richtlinie, die Justizmissbrauch durch Slapps verhindern soll.

Wie es für Franz Sölkner ausgeht, darüber muss nun der Oberste Gerichtshof (OGH) entscheiden. Der Verfassungsrichter Michael Rami sagt: „Ich kann mir kaum vorstellen, dass das Urteil dort inhaltlich Bestand haben wird. Nach gesicherter, jahrzehntelanger Rechtsprechung ist nämlich – im Lichte der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit der Äußerung – gerade in Fragen des Umweltschutzes eine besonders scharfe Ausdrucksweise zulässig.“

So sei laut OGH mit der Behauptung, wonach PVC ein „Umweltgift“ sei, lediglich ausgedrückt, dass PVC umweltschädlich sei, nicht aber, dass es giftig im Sinne der Chemikalienvorschriften sei.

In einem anderen Fall interpretierte das Höchstgericht den Vorwurf, jemand sei dafür verantwortlich, dass eine Wasserquelle „vergiftet“ worden sei, so: Er bringe damit bloß zum Ausdruck, dass wesentlich bessere Umweltstandards wünschenswert seien. „Die Rechtsprechung gibt also in derartigen Fällen dem Grundrecht auf freie Äußerung in aller Regel den Vorrang vor den Interessen des Betroffenen“, sagt der Verfassungsrichter.

Franz Sölkner verfolgt die Entwicklungen von Bozen bis Frankreich ganz genau. Was macht er, wenn er nicht recht bekommt? „Dann starte ich zur Abdeckung der Kosten eine Spendensammelaktion.“

Gerlinde Pölsler in Falter 22/2021 vom 04.06.2021 (S. 60)


Ein Dorf gegen Glyphosat

Das Südtiroler Dorf Mals will zur ersten Gemeinde Europas werden, die den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft verbietet. Bei einem Bürgerbeschluss stimmten die Malser, mitten in ihrer Apfelmonokultur, für eine Zukunft ohne Glyphosat & Co. Die Leser erfahren, wie ein paar charismatische Querdenker gegen eine Allianz aus Bauernbund, Landesregierung und Agrarindustrie ankämpfen. Autor Alexander Schiebel, der auch einen Film darüber drehte, erzählt die Geschichte klar subjektiv: „Ich will einen medialen Schutzschirm über dieses Tal und seine Menschen spannen.“ Der Südtiroler Landesrat Arnold Schuler zeigte Schiebel an – wegen „übler Nachrede“ und „Verbreitung von Falschinformationen zum Nachteil der Südtiroler Landwirtschaft“. Was das Interesse an dem Buch nicht schmälert.

Gerlinde Pölsler in Falter 49/2017 vom 08.12.2017 (S. 19)

Posted by Wilfried Allé Friday, June 4, 2021 11:35:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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