von Roger de Weck
ISBN: |
9783518128633 |
Verlag: |
Suhrkamp |
Genre: |
Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft |
Umfang: |
224 Seiten |
Format: |
Taschenbuch |
Reihe: |
edition suhrkamp |
Erscheinungsdatum: |
13.10.2024 |
Preis: |
€ 17,50 |
Kurzbeschreibung des Verlags
Autoritäre Populisten trumpfen auf. Desinformation und Fake News grassieren. Und der Journalismus, der dem wehren sollte? Er kommt aus der Krise nicht heraus. Es gibt zwar mehr Medien, aber immer weniger Mittel für den Journalismus. Verlage wollen ihre Einbußen wettmachen, indem sie noch mehr laute Meinungen und Soft-Themen bringen. Doch die »Boulevardigitalisierung« nützt just den Populisten, die sich derselben Stilmittel bedienen: Zuspitzung, Skandalisierung, Aufregung.
Roger de Weck liebt Journalismus als Beruf. Er kennt ihn in allen Facetten – als Zeitungsmacher und Rundfunkchef, Reporter und Moderator. Und er macht sich Sorgen, weil die Gesetze des Medienbetriebs und die des Journalismus immer weiter auseinanderlaufen. Dagegen setzt de Weck auf das »Prinzip Trotzdem«: Recherchieren, abwägen, sich treu bleiben – trotz Sparmaßnahmen, trotz X & Co. Doch wie geht das? Der Autor zeigt, wie sich Journalismus stärken lässt. Denn ohne diesen wertvollen Spielverderber läuft das Spiel nicht in der Demokratie.
FALTER Rezension
"Viele Journalisten sind auf dem Ego-Trip"
Tessa Szyszkowitz in FALTER 49/2024 vom 06.12.2024 (S. 22)
Roger de Weck ist auf dem Sprung. Er leitet ein Seminar in Wien und unterrichtet Studierende in Brügge. Der 71-jährige Journalist, der viele Jahre Print-und Fernsehmedien geleitet hat, präsentiert gerade sein neues Buch "Das Prinzip Trotzdem" in den deutschsprachigen Landen. Es ist ein Plädoyer für den klassischen Journalismus, der sich gegen Clickbaiting und Content-Management wehren muss. Und für eine starke, kluge Medienpolitik, die genau diesen fördert.
Falter: Herr de Weck, warum müssen wir den Journalismus vor den Medien retten?
Roger de Weck: Der Medienbetrieb ist zusehends emotional, der Journalismus aber sollte nüchtern bleiben. Die Medien biedern sich an, der Journalismus hält Distanz. Die Medien pushen die Nachfrage, die Klicks. Der Journalismus interessiert sich zunächst für das Angebot. Das sind zwei Paar Schuhe.
Ist es per se schlecht, wenn Journalismus auch darauf ausgerichtet ist, was die Leute lesen wollen?
de Weck: Der Klick-Journalismus bedient genau dieselben Instinkte, die auch die Populisten bewirtschaften. Beide emotionalisieren, polarisieren und setzen auf das Primitive. Doch solcher Wechsel von der Aufmerksamkeitsökonomie zur Aufregungsökonomie stößt mehr und mehr Nutzerinnen und Nutzer ab. In ohnehin nervösen Zeiten entfernen sie sich still und leise vom hypernervösen Medienbetrieb. Rapide nimmt die Zahl der sogenannten Nachrichtenvermeider zu. Das verleitet wiederum die "Content Manager", die an die Stelle herkömmlicher Chefredaktionen treten, erst recht, alle Kniffe anzuwenden, um die Klickzahl zu mehren. Ein Teufelskreis. Das Publikum bindet man langfristig nicht mit kurzfristiger Klickmaximierung.
Wir konsumieren aber alle dank der Digitalisierung Informationen heute schneller als früher?
de Weck: Ja, und das verstärkt den Trend, die sozialen Medien zu imitieren. Auf X muss ein Post plakativ sein, um Beachtung zu finden -und auch der Journalismus wird tendenziell noch zugespitzter als ohnehin. Instagram ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten -und ebenso sind viele Journalisten auf dem Ego-Trip. Der Ich-Journalismus wuchert, manchmal ist der Berichterstatter wichtiger als der Gegenstand der Berichterstattung. Prinzipiell habe ich nichts gegen Ich-Journalismus, den ein Norman Mailer und ein Truman Capote erfanden. Aber wenn junge Kollegen ihre Privatsphäre journalistisch verwerten, wird's exhibitionistisch. Wer schützt sie gegen das, was Richard Sennett schon 1977 die "Tyrannei der Intimität" nannte?
Das ist das "Prinzip Trotzdem", das Sie propagieren: Der Journalismus soll sich selber treu bleiben. de Weck: Das Recherchieren ist das Wichtigste. Die Fakten muss man suchen, prüfen, analysieren, einordnen. So kann man sie gewichten und erläutern. Erst dann kommt die fakultative Aufgabe des Kommentierens. Am Ende einer seriösen Verarbeitung von Information wird bei Bedarf aktualisiert oder korrigiert, da wir ja ein schnelles Gewerbe betreiben. In sozialen Medien aber wird hauptsächlich die fakultative Funktion erfüllt: das Kommentieren, es herrscht Meinungsinflation. Bis zu dem Punkt, an dem Meinungen x-beliebig werden -wie auf X von Elon Musk.
Elon Musk ist nicht unbedingt mit X erfolgreich, aber er nutzte das ehemalige Twitter, um seine politische Macht auszubauen.
de Weck: Nie hat ein Mensch dermaßen viele Dimensionen der Macht auf sich vereinigt: die Medienmacht, die Propagandamacht, Geldmacht, Technologiemacht, die politische und geopolitische Macht -selbst im Ukrainekrieg spielt er mit. Das ist krass undemokratisch. Ein wachsender Teil von Silicon Valley denkt antidemokratisch. Der Großinvestor Peter Thiel, der Sebastian Kurz als Berater holte, hält die Demokratie für freiheitsfeindlich, nur die Technologie bringe Freiheit. Wider jede Spielart des Autoritarismus sollte der Journalismus an den Maßstäben der Aufklärung festhalten. Das ist kein verlorener Kampf. Wer handelt, ist optimistisch.
Wie können sich Medienhäuser am besten wappnen?
de Weck: In der Blüte gedruckter Zeitungen finanzierten sich die Verlage bis zu drei Vierteln mit Kleinanzeigen und Werbung. Die Anzeigen freilich haben sich zu Online-Märkten verlagert, die Werbung zu Suchmaschinen und sozialen Medien, wo sie zielsicherer das Publikum erreicht. Also muss sich der Journalismus nunmehr selbst finanzieren. Anders gesagt muss er substanzieller werden, denn es verkauft sich nur, was Substanz hat. Jene Qualitätsmedien fahren am besten, die in die Redaktion und ins Angebot investieren. Medien wie die Frankfurter Allgemeine oder in Frankreich Le Monde fahren ziemlich gut. Der Monde-Eigentümer Xavier Niel hat die Redaktion von 300 auf 550 aufgestockt, worauf sich die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten auf 600.000 verdoppelte. Auch mein früheres Blatt Die Zeit hat dank kontinuierlicher Investitionen der Gebrüder Holtzbrinck massiv zugelegt und ist zu einer blühenden Verlagsgruppe gediehen.
Nicht jeder hat diese finanziellen Möglichkeiten.
de Weck: In der Tat fehlt vielen Lokal-und Regionalmedien das nötige Geld. Und hier kommt mein Punkt: Der Journalismus ist eine elementare Infrastruktur der Demokratie. Also ist es eine elementare Staatsaufgabe, diese Infrastruktur instand zu halten und öffentliche Gelder für lokale und regionale Medien bereitzustellen. Medienwüsten sind gerade in föderalistischen Ländern verheerend. Siehe die Bundesrepublik: Ein Teil von Thüringen ist Medienwüste, da erscheint kein Lokal-und Regionalmedium mehr. Also informieren sich die Menschen über soziale Medien. Und dort radikalisieren sie sich.
Was sind gute Beispiele für Medienförderung?
de Weck: Kanada hat Anreize geschaffen, um insbesondere älteren Leuten -trotz ihrer Schwellenangst - den Wechsel von einer gedruckten Zeitung zu einem Online-Abo zu erleichtern: Bis 2024 durften sie den Preis für das digitale Abonnement von der Steuer absetzen. Die Maßnahme wurde nicht verlängert, weil sie nicht mehr nötig war. Auch in Nordeuropa gibt es bevölkerungsarme Flächenstaaten: Hat ein Verlag alle 50 Kilometer drei Abonnentinnen, ist der Zeitungsvertrieb ruinös. Darum haben die Nordeuropäer vor Jahrzehnten schon Fördermodelle entwickelt. Schweden hat systematisch die Nummer zwei und drei in einem Einzugsgebiet unterstützt. Dank dem hat jede Kleinstadt unabhängige Lokalmedien, die nicht von der Zentralredaktion eines Konzerns abhängen. In Dänemark übernimmt die öffentliche Hand einen Prozentsatz des Redaktionsbudgets: Kürzt der Verlag dieses Budget, gibt's weniger Zuschuss. Fördermodelle können sehr wohl Erfolg haben, wenn unabhängige Vergabeinstanzen das Geld gemäß festen Regeln quasi-automatisch zuteilen -fernab parteipolitischer Interessen wie in Österreich. Nordeuropa ist spitze in den Ranglisten der Medienfreiheit, der Medienvielfalt, des Medienvertrauens - und der Medienförderung.
Sie kritisieren in Ihrem Buch das österreichische Fördersystem, weil Sie sagen, es sei eine Ansammlung unterschiedlicher Töpfe, die eine kohärente Strategie verhindern. Das wiederum nähre den Filz. Wie könnte man das ändern?
de Weck: Es ist natürlich schwierig, trotz "Freunderlwirtschaft" autonome Instanzen einzusetzen. Eine unabhängige kritische Presse stärkt aber die Demokratie und liegt an sich also im ureigenen Interesse demokratischer Politikerinnen und Politiker. Die autoritären Reaktionäre -die ich in meinem vorigen Buch "Die Kraft der Demokratie" erörterte - wollen ja immer die ganze Macht. Sie missachten das Parlament, instrumentalisieren die Justiz und möchten die Presse als Vierte Gewalt zähmen. Sie funktionieren nach dem Prinzip: "Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich -also ist eine journalistisch-unabhängige Haltung gegen mich."
In Schweden werden auch fremdenfeindliche Blätter bezuschusst. Sollte man alle finanzieren, auch wenn es Neonazi-Zeitungen wären?
de Weck: Nein, und trotzdem ein bisschen ja. Es hängt von der Tradition eines Staates ab. Schweden war 1766 das erste Land, das die Pressefreiheit in die Verfassung schrieb: Diese "Druckfreiheitsverordnung" geht so weit, dass eine Straftat begeht, wer nach den Informanten einer Zeitung fahndet. Schweden will den allergrößten Freiraum. Tief sitzt in Deutschland und Österreich jedoch das Trauma, was die Nazis anrichteten und wieder anrichten könnten. Begreiflich, dass man eher Grenzen setzt.
Roger de Weck, 71, war Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens und Chefredakteur der deutschen Wochenzeitung Zeit. Heute ist er Gastprofessor am College of Europe in Brügge. Er war Mitglied des Zukunftsrats für Revformen bei ARD, ZDF und Deutschlandfunk. Moderator von "Sternstunden Philosophie"(3Sat / SRF) und Chairman of the Board des Geneva Graduate Institute of International and Development Studies
Sollen Redaktionen Haltung zeigen?
de Weck: Journalismus und Demokratie sind Kinder der Aufklärung. Die liberale Demokratie ist auf einen unabhängigen Journalismus angewiesen, der unabhängige Journalismus auf die liberale Demokratie -sie sind Zwillinge. Die journalistische Grundhaltung wurzelt also in den Werten der Aufklärung: gute Information für eine erkenntnisorientierte Debatte, Respekt der Menschenwürde, Zusammenhalt der Gesellschaft, Einbezug der Minderheiten, Förderung der Kultur. Ob aus dieser Haltung sich auch mal eine Wahlempfehlung ableitet, ist nachrangig. Vorrangig ist, beim Faktischen zu bleiben: die Kraft der Fakten zu bestärken in einer zusehends postfaktischen Gesellschaft. Gelten die Fakten nicht mehr, laufen nämlich sowohl die Demokratie als auch der Journalismus auf; sie brauchen eine Wahrheitsumgebung.
Verzerrt Haltung faktenbasiertes Berichten? de Weck: Ich bin Gastprofessor am College of Europe in Brügge. Mit den Studenten und Studentinnen erörtere ich gern das Fallbeispiel guter arabischer und israelischer Medien, die über dieselben Tatbestände auf völlig andere Weise berichten. Jede Redaktion hat - selbst wenn sie alle journalistischen Standards einhält - ihre kulturelle und soziologische Prägung. Ein weiteres Beispiel: Solange in Redaktionen lauter Herren saßen, übersahen sie, dass die Medizin in Diagnose und Therapie auf die Männer abstellt. Erst als endlich auch Redakteurinnen mitreden durften, wurde thematisiert, dass die bisherige Medizin von ihrem Ansatz her sexistisch ist.
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist vor allem vonseiten der Populisten unter Beschuss. ORF oder ARD wirken zuweilen schon behäbig in dem Versuch, alle Seiten gleichmäßig zu Wort kommen zu lassen?
de Weck: Ein britischer Journalismus-Dozent lehrte mal seine Studentinnen und Studenten: Wenn der eine sagt, es regnet, und die andere erwidert, nein, draußen ist es trocken, dann müsst ihr das Fenster öffnen -statt euch damit zu begnügen, die beiden zu zitieren. Sonst entsteht eine "false balance" fundierter und hohler Aussagen. Gerade die öffentlichen Medienhäuser haben dank öffentlicher Finanzierung nicht den geringsten Grund, sich dem kommerziellen Erregungsbetrieb hinzugeben.
Schauen die Jüngeren noch fern?
de Weck: In meinem Land, der Schweiz, verlangte ein Volksbegehren die faktische Abschaffung des öffentlichen Medienhauses. Knapp 72 Prozent der Bürgerinnen und Bürger lehnten das im Jahr 2018 ab. Die Altersgruppe, die dieses populistische Ansinnen am stärksten verwarf, waren die 18 bis 28-Jährigen. Mit 80 Prozent! Die junge Generation ist besser ausgebildet als je in der Geschichte, sie entfaltet ihren Initiativgeist in Start-ups, sie bringt sich politisch in NGOs und Bürgerbewegungen ein. Ein beträchtlicher Teil der jungen Jahrgänge ist wie eh und je an einer ernsthaften, umfassenden Information interessiert: am Handy und am Laptop.
Am Montag, den 28. Oktober, 19.00 Uhr,
war der Schweizer Publizist und Medienmanager Roger de Weck mit seinem aktuellen Buch
"DAS PRINZIP TROTZDEM. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen"
Gast von Robert Misik im Bruno Kreisky Forum, Armbrustergasse 15, 1190 Wien.
Die Diskussion wurde aufgezeichnet und ist auf YouTube abrufbar. mehr ->