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Die Informationsplattform für ArbeiterInnen, Angestellte, KMUs, EPUs und PensionistInnen

von Max Miller, 24.4.2025

https://www.msn.com/de-at/nachrichten/other/das-gute-alte-wien-gab-es-nie/ar-AA1DvoHR

Ein Phänomen, das nahezu alle in der Hauptstadt kennen: Echte Wiener­:innen gibt es kaum. Nicht ein­mal die Hälfte der Be­woh­ner­:innen ist auch in Wien ge­bo­ren. Viele der Zu­ge­reis­ten sind für die Aus­bil­dung, das Stu­dium, den Job oder die Lie­be in die Haupt­stadt ge­zo­gen und ha­ben sich in Wien ver­schos­sen oder sind hier zu­min­dest hän­gen ge­blie­ben. Eini­ge von ihnen sit­zen heu­te ne­ben mir in der Re­dak­tion von profil. Als ge­bür­ti­ger Wie­ner habe ich ge­lernt, sie zu ak­zep­tie­ren. Es bleibt mir auch nicht viel ande­res üb­rig, sind die Zu­ge­reis­ten doch in der kla­ren Mehr­heit (und alle meine Vor­ge­setz­ten ge­bür­ti­ge Bun­des­ländler).

Was mich persönlich aber nervt, ist, wenn ein fantas­ti­sches Wien von frü­her her­bei­ge­träumt wird. Im Wahl­kampf pas­siert dies stän­dig: Ein Wien ohne Aus­län­der, ohne Kri­mi­na­li­tät, ohne Sorgen.

Das war nie mein Wien. Keine Millionen­stadt ohne Är­ger, keine Welt­stadt ohne Pro­bleme.

Drogenhotspot gesucht

Ein markantes Beispiel für Sie zum Mit­raten: Ich suche ei­nen Ort in Wien, Sie ken­nen ihn be­stimmt. Noch vor 15 Jah­ren war er der größte Dro­gen­ho­tspot der Repu­blik. 2009 schätz­te Wien die Zahl der Men­schen, die in der Öf­fent­lich­keit Dro­gen kon­su­mie­ren, in der gan­zen Stadt auf etwa 300 Per­so­nen. 200 bis 250 von ihnen fan­den je­den Tag an dem ge­such­ten Ort ihr High, je nach Tages­zeit bis zu 180 Sucht­kran­ke gleich­zei­tig. Der dama­lige Sicher­heits­spre­cher der Wie­ner FPÖ, Jo­hann Gude­nus, schrieb in Aus­sen­dun­gen von „Dro­gen­dea­lern, Bet­tler­mafia und sons­ti­gen Ge­stal­ten“. Die Szenen­mit­glie­der „tra­gen außer­dem gan­ze Waf­fen­arse­na­le mit sich, vom Gas­re­vol­ver zum Tot­schlä­ger, Schlag­ringe, Mes­ser so­wie Elek­tro­schocker und set­zen die­se an­geb­lich auch ein.“ Und das an ei­nem, ge­mes­sen an der Fahr­gast­zahl, größ­ten Bahn­höfe des Landes.

Welcher Ort ist also gesucht? Der Karlsplatz.

Wo bis 2010 die offene Drogen­szene herrschte, ist heu­te ei­nes der Tore in die In­nen­stadt und ein ei­ge­nes kul­tu­rel­les Zen­trum mit der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät, dem neu er­öffne­ten Wien-Muse­um so­wie in der Ad­vent­zeit ei­nem der größ­ten Christ­kindl­märkte der Stadt. Poli­zei­prä­senz al­lein war nicht die Lö­sung: Erst durch die Um­ge­stal­tung der Karls­platz­pas­sage bei gleich­zei­ti­ger Be­treu­ung der sucht­kran­ken Per­so­nen (die Res­sour­cen im so­zia­len Be­reich wur­den etwa ver­dop­pelt) wur­de aus dem Dro­gen­hot­spot eine U-Bahn-Sta­tion, in der man sich am ehes­ten noch zur spä­te­ren Nacht­zeit vor dem laut vor­ge­tra­ge­nen Musik­ge­schmack be­trun­ke­ner Jugend­licher fürch­ten muss. Ge­gen die Um­ge­stal­tung war da­mals übri­gens die FPÖ: „Stadt­ge­stal­tung und Archi­tek­tur kön­nen ihre di­rek­te Um­ge­bung zwar be­ein­flus­sen – an den grund­le­gen­den Pro­ble­men wer­den sie je­doch nichts än­dern kön­nen“, er­klär­te der da­ma­li­ge FPÖ-Gemein­de­rat David Lasar im April 2009.

Angstbild trifft Realität

Die FPÖ würde jetzt vielleicht anmerken, dass 2009 lange her ist und Wien erst da­nach so rich­tig kri­mi­nell wurde. Im­mer­hin ist die Stadt seit 2010 um ein Fünf­tel ge­wach­sen. Rund 340.000 Men­schen mehr, das ist so viel, wie in Graz, Öster­reichs zweit­größ­ter Stadt, leben. Mehr Men­schen, mehr Pro­bleme, könnte man meinen.

Die Fakten sagen aber etwas anderes: Während die Stadt ra­sant wuchs, blieb die Zahl der an­ge­zeig­ten Straf­ta­ten (mit Aus­nahme eines Ein­bruchs wäh­rend der Co­rona-Jahre) recht stabil – trotz ei­nes Booms an Inter­net­kri­mi­na­li­tät. 2010 wur­den in Wien laut Krimi­nal­sta­tis­tik 207.808 Straf­ta­ten zur An­zei­ge ge­bracht. 2024 waren es 194.981.

Dennoch ist Wien Österreichs gefähr­lichste Bundes­land, wenn man etwa auf die Zahl der Straf­ta­ten ge­gen Leib und Le­ben blickt: Rund 12 sol­cher Ge­walt­ver­bre­chen wur­den 2022 in Wien pro 1000 Ein­woh­ner an­ge­zeigt, in kei­nem an­de­ren Bun­des­land waren es mehr. Ten­denz der Ge­walt­krimi­na­li­tät: Steigend.

Wien leidet hier auch unter dem eigenen Erfolg, könnte man sagen. Denn so­gar das In­nen­minis­te­rium selbst sieht in die­sen „Häufig­keits­zah­len“ be­zo­gen auf die Wohn­be­völ­ke­rung eine „ge­wis­se Pro­ble­ma­tik“: Wo we­nig Men­schen woh­nen aber vie­le ar­bei­ten oder ur­lau­ben gibt es mehr Ver­bre­chen pro Kopf. Des­halb führt im Be­zirks-Ver­gleich der Straf­ta­ten pro Kopf in Wien kons­tant der 1. Be­zirk. Und des­halb gibt es in der Bun­des­haupt­stadt, in die täg­lich rund 200.000 Men­schen ein­pen­deln, deut­lich mehr Ver­bre­chen pro Kopf als im Bur­genland.

Ist in Wien also alles gut? Nein, ganz und gar nicht! Ich bin, wie ein­gangs er­wähnt, Wie­ner und als sol­cher raun­ze ich bei­nahe täg­lich über volle Öffis, blöde Ver­kehrs­teil­neh­mer, Lärm, Hitze, Käl­te, Regen oder Trocken­heit. Ich füh­le mich auch als Mann manch­mal auf der Straße un­sicher und frage Freun­din­nen abends, ob sie si­cher nach­hause ge­kom­men sind. Das mache ich aber auch außer­halb mei­ner städ­ti­schen Hei­mat, wenn es mich ein­mal in den schö­nen Rest des Lan­des oder gar der Welt ver­schlägt.

Wien wächst rasant und hat genug Probleme. Nur weil am Sonn­tag Wahl ist, muss man nicht noch wei­te­re er­fin­den und eine der si­chers­ten Städte der Welt zum Krisen­gebiet erklären.

Posted by Wilfried Allé Friday, April 25, 2025 10:16:00 AM

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