Von Michael Völker, Ressortleiter Innenpolitik und Chronik des STANDARD
Exklusive Recherchen, Hintergründe und News aus Österreich
Dienstag, 15. Februar 2022
Liebe Leserin, lieber Leser,
heute beschäftigen wir uns mit der zweiten Chataffäre der ÖVP innerhalb kurzer Zeit, dem Postengeschacher in der Partei und der unangenehmen Lage für Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer.
Der ÖVP fliegt derzeit die ÖVP um die Ohren. An allen Ecken und Enden kracht es. Die Unruhe der Beteiligten wächst. Denn nach der Chataffäre um einen früheren Verbündeten des Ex-Kanzlers Sebastian Kurz im vergangenen Jahr kommen nun wieder fast täglich neue Details, neue Chats aus dem Innenleben der Partei ans Licht, die für die Beteiligten peinlich bis gefährlich sind.
Voriges Jahr war es das Smartphone des langjährigen Finanzbeamten Thomas Schmid, dessen Inhalte auf einem Back-up gespeichert und von der Korruptionsstaatsanwaltschaft sichergestellt worden waren. Nun ist es das Handy des früheren Kabinettschefs aus dem Innenministerium Michael Kloibmüller, das offenbar von abtrünnigen Verfassungsschützern abgesaugt wurde und derzeit von Justiz und Medien ausgewertet wird.
Blick in die schwarze Seele
Es ist Politik zum Abgewöhnen, die in Österreich zu besichtigen ist und die die schlimmsten Klischees zu bestätigen scheint. Anhand der jüngsten Chatnachrichten wird nachvollziehbar, wie unverfroren sich ÖVP-Funktionäre die Republik untereinander aufteilen wollten. Ein wenig ließen sie daran auch die jeweiligen Koalitionspartner teilhaben, bis 2020 die FPÖ und aktuell die Grünen. Was auch kein gutes Licht auf diese Parteien wirft. Für die SPÖ ist es wohl ein Segen, derzeit in Opposition zu sein, sonst steckte sie wohl mittendrin.
Allein die Sprache lässt einen tiefen Blick in die schwarze Seele zu. Der politische Mitbewerber wird in den Chatnachrichten, die bislang an die Öffentlichkeit gekommen sind, ausschließlich als Gegner wahrgenommen, den es zu bekämpfen gilt, er wird herabgewürdigt. Johanna Mikl-Leitner, sechs Jahre lang Innenministerin und seit 2017 Landeshauptfrau von Niederösterreich, spricht in internen Chats vom »roten Gsindl«, was in krassem Widerspruch zu den vermeintlichen Werten und Ansprüchen steht, die sie plakatieren lässt: Vom »Miteinander« oder der »Zusammenarbeit« ist da nichts zu spüren.
Was aber viel schwerer wiegt, ist das umfassende Postengeschacher, das in der Auswertung Tausender Chatnachrichten deutlich wird. In Österreich wird das ja als jahrzehntelange politische Folklore hingenommen und liebevoll verharmlosend »Freunderlwirtschaft« genannt. Die Intensität und Brutalität, mit der hier vorgegangen wurde (und offenbar wird), ist aber atemberaubend. Mitbewerber, die nicht der eigenen Partei angehören, werden gezielt denunziert und fertig gemacht, am Ende siegt auch in Verfahren mit Ausschreibung und Bewertungskommission immer die Parteifreundin oder der Parteifreund.
Die Vertreter der Volkspartei rechtfertigten sich nach Aufkommen derartiger Vorgänge damit, dass es wohl zur Aufgabe von Politikern, Bürgermeistern und Abgeordneten gehöre, ein offenes Ohr für die Bürgerinnen und Bürger zu haben und diese bei ihren Anliegen zu unterstützen. Und wenn man bei der Jobbeschaffung behilflich sein könne, dann sei das ein selbstverständlicher und lobenswerter Service des Politikers am Bürger. Das stimmt schon – wenn es denn so wäre.
Geholfen wird den Parteifreunden
Tatsächlich wird aber nicht der Bürgerin oder dem Bürger geholfen, geholfen wird in aller Regel den Parteifreunden – und zwar durchaus auch auf Kosten anderer Bewerber, so qualifiziert oder besser qualifiziert sie auch sein mögen. Besonders deutlich wurde das an den Bestellungsvorgängen am Finanzamt Schärding, die jetzt auch ein gerichtliches Nachspiel haben sollen.
Besonders unverfroren und kaum nachvollziehbar war die Bestellung von Stephan Tauschitz zum Leiter des Kärntner Verfassungsschutzes. Die Qualifikation von Tauschitz: Er war ÖVP-Klubobmann im Kärntner Landtag. Und er hielt als solcher Reden beim umstrittenen Ulrichsbergtreffen in Kärnten, bei dem der SS-Veteranen gedacht wird, an dem Rechtsextreme und Neonazis teilnehmen.
Tauschitz hatte sich als Redner jenem Milieu angebiedert, das er als Verfassungsschützer unter Beobachtung halten und gegen das er gegebenenfalls vorgehen sollte. Das ist vollkommen absurd. Dennoch brauchte es Wochen des Protests aus dem In- und Ausland, bis auch der Innenminister die Absurdität dieser Besetzung einsah. Dass Tauschitz vorübergehend einer anderen Abteilung zugeteilt wird, sei keine Abberufung oder Versetzung, bekräftigt derzeit noch die Kärntner Landespolizeidirektion, sondern nur eine vorübergehende neue Dienstzuteilung.
Dass Innenminister Gerhard Karner, dessen Amtsantritt ohnedies von Vorwürfen des Antisemitismus überschattet war, hier nicht mehr Sensibilität an den Tag legte, ist schon verwunderlich – und politisch gesehen nicht sonderlich intelligent – wenn er hier nicht ein völlig verkehrtes Signal an ein anderes politisches Lager senden wollte, was man ihm keinesfalls unterstellen will.
Bundeskanzler Karl Nehammer, bis Dezember vergangenen Jahres selbst Innenminister, muss das alles verwalten und wegstecken. Er hat derzeit nichts zu gewinnen. Der kommende Untersuchungsausschuss im Parlament wird die bereits bekannten Vorwürfe breittreten und neue zutage fördern. In den bisher noch nicht gesichteten Chatnachrichten sollen weitere Bomben schlummern. Und in der Pandemiebekämpfung ist derzeit auch nichts zu gewinnen, da macht die Regierung kaum etwas richtig.
Überraschend war der Mut der Landeshauptleute, die sich im November 2021 bei einem Treffen am Achensee in Tirol auf die Einführung einer Impfpflicht geeinigt hatten. An diesen Mut können sich die Landeshauptleute kaum noch erinnern, nahezu täglich rückt einer von ihnen aus, um die getroffene und mittlerweile beschlossene Maßnahme wieder infrage zu stellen und den Impfkritikern neuen Stoff zu liefern. Ein Musterbeispiel, wie politische Kommunikation nicht funktioniert.
Kein Wunder, dass immer mehr Funktionäre in der Volkspartei selbst an vorgezogene Neuwahlen denken. Es klingt paradox: Die ÖVP wäre laut derzeitiger politischer Stimmungslage mit einem Mal einen erheblichen Teil ihrer Abgeordneten im Nationalrat los und würde wohl auch den ersten Platz an die SPÖ verlieren. Diese schmiedet schon Pläne für eine linke Mehrheit mit Grünen und Neos. Die ÖVP hätte also gute Chancen, bei vorgezogenen Neuwahlen nach 34 Jahren aus der Regierung zu fliegen. Das kann doch keiner in der Partei wollen?
Und doch: Die Länderinteressen sind andere als die Interessen der Bundespartei. Im kommenden Jahr wird in vier Bundesländern gewählt. Mit der derzeitigen politischen Großwetterlage drohen herbe Verluste in allen vier Ländern. Ein politisches Donnerwetter, das Neuwahlen mit sich brächte, würde zwar die Bundespartei filetieren, könnte aber den Landesparteien aus einer unangenehmen Situation helfen. Und in Niederösterreich, wo die Situation wohl am unangenehmsten ist und weit mehr als die absolute Mehrheit auf dem Spiel steht, ist man offenbar bereit, dieses Opfer zu bringen. Oder besser gesagt: andere das Opfer bringen zu lassen.
Der Kanzler ist mehr Passagier als Kapitän
Ein Sündenfall und ein Sündenbock wären rasch gefunden, die Vorbereitungen laufen bereits: Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein von den Grünen managt die Pandemie zur offensichtlichen Unzufriedenheit der Volkspartei. In der Tat scheint sein Ministerium den Anforderungen kaum gewachsen zu sein. Statt Mückstein zu unterstützen, schießt sich die ÖVP bereits auf ihn ein.
Karl Nehammer, der Kanzler von der Länder Gnaden, ist hier mehr Passagier als Kapitän. So wie in jenem Interview, das er jüngst der »Kronen Zeitung« vom Beifahrersitz seines Autos aus gab. Nehammer befand sich auf der Rückreise von seinem Skiurlaub mit seiner Familie (und den Familien von Johanna Mikl-Leitner und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner). Der Kanzler war auf dem Beifahrersitz mit einer Videoschaltung mit der Zeitung (und seinem Pressesprecher) verbunden. Vom Fahrersitz aus mischte sich seine Frau ins Interview ein, vom Rücksitz forderte der Bub schließlich ein Ende des Interviews, weil er eine Schnitzelsemmel von der Autobahnraststation begehrte. Lebensecht und sympathisch. Aber ist das ein Kanzler?
Social-Media-Moment der Woche
Da kann ich diesmal zwei Nachrichten auf Twitter anbieten, beide von Kollegen von mir, beide beziehen sich auf Kanzler Karl Nehammer. Fabian Schmid thematisiert das Interview des Kanzlers mit der »Kronen Zeitung« und »Zeit im Bild«-Moderator Armin Wolf, der sich wundert, dass der Kanzler persönlich auf die polemische Kritik eines Parteisekretärs antwortet.
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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und herzliche Grüße aus Wien,
Ihr Michael Völker, Ressortleiter Inland DER STANDARD