von Valentin Groebner
ISBN: |
9783103970999 |
Ausgabe: |
1. Auflage |
Genre: |
Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft |
Umfang: |
192 Seiten |
Format: |
Hardcover |
Erscheinungsdatum: |
24.11.2021 |
Verlag: |
S. FISCHER |
Preis: |
€ 22,70 |
Kurzbeschreibung des Verlags:
Was steckt eigentlich hinter dem neuen Zwang, sich zu zeigen? Mit viel Humor, Selbstironie und klugen Beobachtungen erzählt Valentin Groebner – »eine(r) der coolsten Geschichtswissenschaftler momentan überhaupt« (litera.taz) – seine kurze Geschichte der Selbstauskunft. Denn ob im Bewerbungsgespräch oder per Instagram-Account, bei der Teambildung oder im Dating-Profil: Ohne Selbstauskunft geht heute nichts. Sie ist sowohl Lockstoff als auch Pflicht, steht für Reklame in eigener Sache und das Versprechen auf Intensität und Erlösung, in den Tretmühlen der digitalen Kanäle ebenso wie in politischen Debatten um kollektive Zugehörigkeit.Doch wie viel davon ist eigentlich Zwang, und wie viel Lust? Was haben wir, was haben andere vom inflationären Ich-Sagen und Wir-Sagen? Diesen Fragen geht Valentin Groebner auf der Suche nach dem Alltäglichen nach. Er zeigt, was historische Beschwörungen der Heimat mit offenherzigen Tattoos gemeinsam haben, und was den Umgang mit alten Familienfotos und demonstrative Rituale des Paar-Glücks (Stichwort Liebesschlösser an Brückengeländern) verbindet. Doch ist öffentliche Intimität wirklich die Währung für Erfolg – oder eine Falle?
Falter-Rezension
Muss ich alles über mich preisgeben?
Geheimnisse sind out, Offenheit ist Pflicht -als Bürger, Liebende und natürlich Teilnehmende an der schönen neuen Medienwelt. Wie kam das und tut uns das überhaupt gut?, fragt Valentin Groebner in "Bin ich das? Eine kurze Geschichte der Selbstauskunft". Groebner lehrt als Professor für Allgemeine Schweizer Geschichte des Mittelalters und der Renaissance an der Universität Luzern und legte populäre Bücher über Geschichtstourismus, die Geschichte des Gesichts oder über Wissenschaftssprache vor.
"Bin ich das?" widmet sich in acht kurzweiligen Kapiteln der Crux, die darin liegt, sich individuell zu geben und doch nicht unangenehm aufzufallen. Ich zu sagen, meint Groebner, sei weder unmittelbar noch persönlich, sondern bestimmt von "rhetorischen Kunststücken, Zwangssystemen und Projekten radikaler Selbstverbesserung". Die Ich-Auskünfte kämen zwar locker und spontan daher, würden aber genauen Spielregeln folgen. Da ihnen niemand entkommen könne, ohne sich verdächtig zu machen, fielen sie in die Kategorie "freiwillige Unfreiwilligkeit".
Zu den stärksten Passagen des Buches gehören die Reflexionen über seine eigene Biografie. Aufgewachsen in einem Döblinger Gemeindebau, fühlt Groebner sich, obwohl seine Eltern Akademiker sind, in den Villen der höheren Töchter und Söhne kaum geduldet. Auch im Schweizer Bürgertum lernt er diesen Distinktionswillen kennen und begreift: Das Ich definiert sich nicht selbst - es wird von den anderen etikettiert.
Die letzten Kapitel dieses launig geschriebenen und gut zu lesenden Buches handeln von Fotos als Erinnerungsmaschinen und von Tattoos als den verzweifelten Versuchen, sich selbst mit Zeichen der Vergangenheit zu versehen.
Am Schluss bezieht Groebner auch die aktuelle Covid-19-Pandemie mit ein. An der moralischen Erregungs- und Befürchtungsgemeinschaft, die Angst in Rechthabenwollen umwandelt, möchte er lieber nicht teilnehmen. Stattdessen empfiehlt er, Unklarheiten ertragen zu lernen. Auch darüber, wer man selbst ist.
Kirstin Breitenfellner in Falter 51-52/2021 vom 24.12.2021 (S. 49)