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Wie uns die Konzentration abhandenkam und wie wir sie zurückgewinnen

Wie uns die Konzentration abhandenkam und wie wir sie zurückgewinnen. Der New York Times Bestseller. Für alle, die ihre Aufmerksamkeit und ihren Fokus wieder finden wollen

von Johann Hari

ISBN: 9783742322388
Verlag: riva
Genre: Ratgeber/Lebenshilfe, Alltag/Lebensführung, Persönliche Entwicklung
Umfang: 368 Seiten
Format: Taschenbuch
Erscheinungsdatum: 18.10.2022
Preis: € 20,60

Kurzbeschreibung des Verlags

Warum haben wir unsere Fähig­keit ver­loren, uns zu kon­zen­trie­ren? Was sind die Gründe da­für? Und am wich­tigs­ten: Lässt sich Auf­merk­sam­keit wie­der an­trai­nieren?
Um diese und viele weitere spannende Fragen zu be­ant­worten, hat Johann Hari über drei Jahre lang For­schun­gen be­trie­ben. Er hat vom Silicon Valley über eine Favela in Rio bis zu einem Büro in Neu­see­land mit den welt­weit füh­ren­den Ex­per­ten und Fach­leuten ge­spro­chen, zwölf ent­schei­dende Gründe, die für den Ver­lust unse­rer Auf­merk­sam­keit ver­ant­wort­lich sind, ent­larvt und zeigt Wege auf, wie wir unse­ren Fokus end­lich wie­der zu­rück­gewinnen.


FALTER-Rezension

"Unsere Aufmerksamkeit wurde gestohlen"

Katharina Kropshofer in FALTER 42/2022 vom 21.10.2022 (S. 25)

Digital Detox ist für Johann Hari kein Fremd­wort. Drei Mo­nate ver­brachte er im US-ameri­ka­ni­schen Ferien­ort Cape Cod, Handy und Lap­top hatte er in einem Bun­ker in Boston ge­las­sen. Seine Tage ent­schleu­nig­ten sich, die ers­ten Wo­chen nach dem Ex­peri­ment waren schön, seine Kon­zen­tra­tions­fähig­keit war ge­stei­gert, sein Stress­level ge­senkt. Doch es dau­erte kei­nen Monat, bis er wie­der in der täg­li­chen Rou­tine zwi­schen You­tube, Twit­ter und Face­book hing und merkte: Irgend­was läuft hier schief. Struk­tu­rell. Also reiste der Jour­na­list um die Welt, sprach mit Ex­per­tinnen und Ex­per­ten, die zu Auf­merk­sam­keit, Algo­rith­men und Medien­nut­zung for­schen. In seinem neuen Buch "Abgelenkt" schreibt er über zwölf Fak­to­ren, die unsere Auf­merk­sam­keit ver­bes­sern oder ver­schlech­tern können.
Falter: Herr Hari, ich starte mit einem Ge­ständ­nis: Ich habe be­gon­nen Ihr Buch zu le­sen, dann klin­gelte mein Handy un­nach­giebig, ich be­gann Ihre Videos an­zu­sehen, gleich­zei­tig Abend­essen zu ko­chen und auf Social Media zu scrol­len. Stimmt etwas nicht mit mir?

Johann Hari: Jahrelang spürte ich, wie meine eigene Auf­merk­sam­keit im­mer schlech­ter wurde. Dinge, die mir wich­tig sind, aber Fokus er­for­dern - Bücher lesen, lange Ge­sprä­che führen -fühl­ten sich so an, als würde ich eine Roll­trep­pe auf­wärts­ren­nen. Also dachte ich mir so wie Sie: Ich habe nicht genug Wil­lens­kraft, um der Ver­su­chung zu wider­stehen. Beim Schrei­ben mei­nes Buches habe ich ge­lernt, dass das völlig falsch ge­dacht ist. Es gibt zwar Dinge, die wir als Einzel­per­sonen tun kön­nen, aber in Wahr­heit stecken wir in einer struk­tu­rel­len Krise. Der durch­schnitt­liche ameri­ka­ni­sche Büro­an­ge­stellte kon­zen­triert sich drei Minu­ten auf eine Auf­gabe. Auf jedes Kind mit Auf­merk­sam­keits­pro­blemen, die es gab, als ich sie­ben Jahre alt war, kom­men heute 100. Mit Ihnen ist also alles in Ord­nung, Sie rea­gie­ren nur auf tief­grei­fende sozi­ale Ver­ände­rungen, die in unserer Um­welt stattfinden.

Wie groß ist die wissenschaftliche Basis für Ihre Argumente?

Hari: In den 1990ern warnten Leute davor, dass Rap-Musik Leute gewalt­tä­tig und ag­gres­siv mache. Am Ende war das Hys­terie. Aber es gibt eine bes­sere his­to­ri­sche Analo­gie: In den spä­ten 1970ern be­gan­nen Leute vor Fett­leibig­keit zu war­nen. Sie trat häu­figer auf, die Men­schen sahen es als Reak­tion auf struk­tu­rel­le Fak­toren wie Stadt­pla­nung mit Auto­fokus und die Fast-Food-Lebens­mittel­indus­trie. Viele spra­chen da­mals auch von mora­li­scher Panik. Heute wis­sen wir, dass sie recht hatten und die Krise wohl leich­ter zu bewäl­tigen wäre, hät­ten wir da­mals ge­han­delt. Das Glei­che gilt für die Klima­krise. Die Auf­merk­sam­keits­krise gleicht mehr der Fett­leibig­keits- und weni­ger der Rap-Musik-Panik.

In welchem Stadium der Krise befinden wir uns momentan?

Hari: Es hängt ganz davon ab, was wir jetzt tun. Ein Bei­spiel: Ich habe mit Pro­fes­sor Earl Miller ge­spro­chen, einem der füh­ren­den Neuro­wis­sen­schaft­ler der Welt. Er sagt, Men­schen kön­nen nur an ein oder zwei Dinge gleich­zei­tig den­ken - eine grund­le­gende Ein­schrän­kung des men­schli­chen Ge­hirns. Trotz­dem glaubt der durch­schnitt­liche Teen­ager, sechs oder sieben Medien gleich­zei­tig fol­gen zu kön­nen. Da­bei jon­gliert unser Ge­hirn ein­fach nur schnell zwi­schen Auf­gaben. Das ist mit hohen Kos­ten ver­bun­den, der Fach­be­griff ist "switch-cost effect". Wenn Sie ver­su­chen, mehr als eine Sache gleich­zei­tig zu tun, machen Sie mehr Feh­ler, er­innern sich weni­ger daran, sind weni­ger krea­tiv. Wir wis­sen, dass dieses Jon­glie­ren unsere Auf­merk­sam­keit mas­siv be­ein­träch­tigt und dass das mas­siv zu­ge­nom­men hat. Wir leben also in einem Sturm des kogni­ti­ven Verfalls.

Wie groß ist der Effekt?

Hari: Die Druckerei Hewlett-Packard beauf­tragte ein­mal einen Wis­sen­schaft­ler, sei­ne Mit­ar­bei­ter zu unter­su­chen und teil­te diese in zwei Grup­pen: Der ers­ten wurde ge­sagt, sie sol­len weiter­ar­bei­ten, egal was pas­siert. Die zwei­te wurde mit E-Mails und An­rufen bom­bar­diert. Am Ende tes­te­ten sie den IQ der Grup­pen: Die erste hatte zehn IQ-Punkte mehr. Wenn Sie und ich einen fet­ten Joint rau­chen, würde unser IQ kurz­fris­tig um fünf Punkte sin­ken. Wir sollten na­tür­lich weder noch machen, aber kurz­fris­tig ge­sehen ist eine chro­ni­sche Unter­bre­chung dop­pelt so schlecht für die Intel­li­genz, wie be­kifft zu arbeiten.

Es ist kein Zufall, dass Ihr Buch auf Englisch "Stolen Focus", also ge­stoh­lene Auf­merk­sam­keit heißt. In­wie­fern wurde diese ge­klaut und geht nicht zu­fäl­lig verloren?

Hari: Ich habe das Buch geschrieben, weil ich mir Sorgen um meinen Paten­sohn ge­macht habe. Mit 15 brach er die Schule ab, mit 19 ver­brachte er fast seine ganze Zeit ab­wech­selnd mit seinem iPad, iPhone, Lap­top, zwi­schen Whatsapp, Youtube, Porno­seiten. Der durch­schnitt­liche College-Stu­dent schläft heute so wenig wie ein Sol­dat im ak­ti­ven Dienst. Und junge Leute sind be­son­ders im Vi­sier von Big-Tech-Unter­nehmen. Unse­re Auf­merk­sam­keit ist also nicht zu­sam­men­ge­bro­chen, sie wurde ge­stoh­len. Ich habe viel Zeit im Sili­con Valley mit Leu­ten ver­bracht, die Schlüs­sel­techno­lo­gien ent­wor­fen haben. Jaron Lanier, ein ein­fluss­rei­cher Tech-Desig­ner, hat frü­her Regis­seure für Filme wie "Minority Report" be­raten. Er musste damit auf­hören, weil Unter­neh­men diese Dinge dann wirk­lich ent­warfen. All diese Leute er­zäh­len das Glei­che: Wir sind keine Kun­den von Apps wie Tik­Tok, Face­book, Twit­ter, unsere Auf­merk­sam­keit ist das Pro­dukt, das die Unter­nehmen an die ech­ten Kun­den, die Werbe­trei­ben­den, ver­kaufen. Jedes Mal, wenn Sie die App schließen, ver­siegt die Ein­nahme­quelle. Algo­rithmen sind also da­rauf aus­ge­rich­tet, heraus­zu­fin­den, dass Sie die App so oft und so lange wie mög­lich nut­zen. Eine Ma­schine, die ent­wickelt wurde, um Auf­merk­sam­keit zu ernten.

Klingt das nicht zu verschwörerisch, nach einem großen, bösen Plan?

Hari: Sie haben recht, niemand hat einen Master­plan aus­ge­heckt, um die Auf­merk­sam­keit der Welt zu unter­gra­ben. Die Desig­ner die­ser Techno­lo­gie dach­ten an­fangs, dass sie etwas Gutes tun. Sie hal­fen den Men­schen, sich zu ver­bin­den. So wie die Grün­der von McDonald's kei­nen bö­sen Plan hat­ten, Men­schen fett­lei­big zu machen. Doch an einem be­stimm­ten Punkt kom­men die Unter­neh­men in eine mora­li­sche Ver­ant­wor­tung: Wir wis­sen, dass Face­book ei­gene Daten­for­scher hatte, die vor dem Schaden an der kol­lek­ti­ven Auf­merk­sam­keit warn­ten. Laut Wall Street Jour­nal soll Mark Zucker­berg da­rum ge­beten haben, dass ihm die For­schung nicht noch ein­mal vor­gelegt werde.

Was sind die Folgen für Demokratien, wenn wir alle permanent ab­ge­lenkt sind?

Hari: Algorithmen sind agnostisch gegenüber dem, was Sie sehen. Sie wol­len nur wis­sen, was Sie am Lau­fen hält. Aber es gibt ei­nen so­ge­nannten "negativity bias", einen Nega­tivi­täts­effekt: Men­schen star­ren län­ger auf Dinge, die sie auf­re­gen, als auf jene, die sie glück­lich machen. Schon zehn Wochen alte Babys schauen län­ger auf wü­ten­de Ge­sich­ter als auf lächelnde. Kom­bi­niert man diese Ver­zer­rung mit Algo­rith­men, die ver­su­chen, Enga­ge­ment zu maxi­mie­ren, führt das zu katas­tro­pha­len Er­geb­nis­sen. Stel­len Sie sich zwei Teen­ager-Mäd­chen vor, die auf der­sel­ben Party waren. Eines lädt ein Video auf Tik­Tok und sagt, wie toll es war. Das ande­re sagt: Beth ist eine Schlampe und ihr Freund ein Idiot. Der Al­go­rith­mus wür­de das zwei­te Video in die Feeds von weit­aus mehr Leu­ten brin­gen. Die feind­seligs­ten Men­schen be­kom­men eine Art Ver­stär­ker in die Hand. Die For­schung zeigt, dass ein Drit­tel all jener, die Neo­nazi-Grup­pen auf Face­book bei­ge­tre­ten sind, das ta­ten, weil der Algo­rith­mus dies aus­drück­lich empfoh­len hatte.

Die Krise hat also eine politische Dimen­sion, das Ge­schäfts­mo­dell auch mit dem Er­folg von Popu­lis­ten wie Donald Trump in den USA oder Jair Bolso­naro in Bra­si­lien zu tun. Sie argu­men­tie­ren, dass auch sozi­ale Be­we­gun­gen da­runter le­iden. Wür­den kol­lek­tive Maß­nahmen, wie das Vor­gehen ge­gen das Ozon­loch, heute noch auf die­selbe Weise funk­tio­nieren?

Hari: Wir setzten damals Chemikalien namens FCKWs in die Atmos­phäre frei, die zum Bei­spiel in Haar­sprays ent­hal­ten waren - es waren die 1980er, wir lieb­ten Haar­spray. Dann ent­deck­ten Wis­sen­schaft­ler den Ef­fekt auf die Ozon­schicht, er­klär­ten es Men­schen auf der gan­zen Welt und die­se üb­ten Druck auf Re­gie­run­gen aus, bis sie FCKWs ver­bo­ten. Die Ozon­schicht heilte. Würde die­se Krise heute statt­fin­den, wäre al­les an­ders. Leute wür­den sa­gen: "Wo­her wis­sen wir über­haupt, dass die Ozon­schicht exis­tiert? Viel­leicht wur­de das Loch von George Soros ge­macht." Wir wä­ren nicht in der Lage, die Wahr­heit von Lü­gen zu unter­scheiden und unsere kol­lek­tive Auf­merk­sam­keit auf­recht­zu­erhalten.

Soziale Bewegungen existieren weiterhin. Der Arabische Frühling konnte sich durch soziale Medien erst organisieren.

Hari: Soziale Medien helfen, die Gründung von progres­siven Be­we­gun­gen zu er­leich­tern. Men­schen pos­ten Videos von Poli­zei­ge­walt, den­ken Sie an Black Lives Matter. Wir ha­ben diese be­frei­ende Dyna­mik, aber auch eine toxi­sche, die durch das ak­tuel­le Ge­schäfts­mo­dell an­ge­trie­ben wird. Wir sind aber nicht in die­ser Matrix ge­fangen. Die Axt exis­tierte 1,4 Mil­lio­nen Jahre, be­vor irgend­je­mand auf die Idee kam, einen Griff an­zu­brin­gen. Und das ge­samte Inter­net exis­tiert seit weniger als 10.000 Tagen.

Was also können wir tun -auf individueller und gesellschaft­licher Ebene?

Hari: Einerseits können wir uns und unsere Kinder schüt­zen: Ich habe zu­hause einen K-Safe, eine Art Plas­tik­tre­sor. Sie neh­men den Deckel ab, ge­ben Ihr Tele­fon rein, und es wird zwi­schen fünf Minu­ten und einem gan­zen Tag ein­ge­schlos­sen. Wenn meine Freunde zum Abend­essen kom­men, stecken wir alle unse­re Handys ins Tele­fon­ge­fäng­nis. Aber das alleine reicht nicht. Es wäre so, als würde uns je­mand mit Juck­pul­ver über­schüt­ten und dann ver­lan­gen, wir sol­len ler­nen zu medi­tie­ren. Früher ent­hiel­ten Ben­zin und Lacke Blei, bis wir ent­deckten, dass das unse­ren Ge­hirnen scha­det. Dann gab es einen Auf­stand. Wa­rum las­sen wir zu, dass die­se ge­winn­orien­tier­ten Indus­trien das Ge­hirn unse­rer Kin­der ver­mas­seln? Nie­mand sagt, wir soll­ten die Techno­lo­gien ab­schaf­fen. Aber wir müs­sen das ak­tu­elle Ge­schäfts­modell verbieten.

Wie soll das gehen?

Hari: Alternativen könnten Abo-Modelle wie Net­flix sein: Sie zah­len ei­nen monat­li­chen Be­trag und er­hal­ten Zu­gang. Plötz­lich wären wir nicht mehr das Pro­dukt, son­dern Kunde. Checkt das Unter­neh­men, dass Sie ger­ne Freunde off­line tref­fen, an­statt durch deren Fo­tos zu scrol­len, wird die App Sie er­mu­ti­gen raus­zu­gehen. Ein zwei­tes Modell: Be­vor wir Ab­was­ser­ka­näle hat­ten, gab es Krank­hei­ten wie Cho­lera. Dann zahl­ten wir ge­mein­sam für den Bau und die War­tung einer Kana­li­sa­tion. Wir könnten auch Infor­ma­tions­ka­näle kol­lek­tiv be­sit­zen. Für all das brau­chen wir eine Auf­merk­sam­keits­be­we­gung, die sagt: Wir tole­rie­ren das nicht! Wir wol­len eine Techno­lo­gie, die für uns funk­tio­niert, um unser Le­ben zu verbessern.

Posted by Wilfried Allé Wednesday, October 30, 2024 10:28:00 AM Categories: Alltag/Lebensführung Persönliche Entwicklung Ratgeber/Lebenshilfe
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