von Grégory Salle
ISBN: |
9783518127902 |
Verlag: |
Suhrkamp |
Format: |
Taschenbuch |
Genre: |
Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft |
Umfang: |
170 Seiten |
Erscheinungsdatum: |
20.11.2022 |
Übersetzung: |
Ulrike Bischoff |
Reihe: |
edition suhrkamp |
Ausgabe: |
Deutsche Erstausgabe |
Preis: |
€ 16,50 |
Kurzbeschreibung des Verlags:
Abramowitsch hat eine, der Emir von Abu Dhabi auch, Jeff Bezos sowieso: Superyachten sind Ausweis der Zugehörigkeit zum Club der lucky few. Sie ermöglichen grenzenlose Mobilität und exklusiven Geltungskonsum. Zugleich sind sie schwimmende Umweltsünden. Sie verbrennen Unmengen Treibstoff, ihre Anker zerstören kostbare Flora. Und sie sind Spielfelder obszöner Ungleichheit: Während ihre Besitzer zu den einflussreichsten Menschen der Welt gehören, ist das Bordpersonal oft Willkür und Rechtlosigkeit ausgeliefert.
Grégory Salle sieht in den riesigen Luxusschiffen den Schlüssel zum Verständnis des gegenwärtigen Kapitalismus. In seinem fulminanten Essay zeigt er, dass Superyachten nicht einfach Symbole des Exzesses sind. Vielmehr sind sie Symbole dafür, dass der Exzess zum Kennzeichen unseres Zeitalters geworden ist.
FALTER-Rezension
Der Wille zur Yacht
Gerade waren sie noch reich und schön, jetzt kotzen sie sich die Seele aus dem Leib. Da nützen kein Gucci und kein Mahagoni, helfen keine Brillanten und keine Kristallluster, denn Luxus besänftigt Magensäfte nicht. Der Film "Triangle of Sadness" schickt die Gäste einer Yacht mit verdorbenen Austern und Sturm auf einen wahren Höllentrip.
Während das Schiff schwankt und Ladys im Erbrochenen liegen, betrinkt sich der Kapitän mit einem Geldsack. Anstelle von Trinksprüchen lesen sie sich Zitate vor. "Sozialismus funktioniert nur im Himmel, wo sie ihn nicht brauchen, und in der Hölle, wo sie ihn schon haben", gibt der reiche Russe US-Präsident Ronald Reagan zum Besten. "Der letzte Kapitalist, den wir hängen, wird der sein, der uns den Strick verkauft hat", kontert sein Saufkumpan mit Karl Marx.
Welcher andere Ort könnte sich besser für Ruben Östlunds Upperclass-Satire eignen als eine Luxusyacht? Schon der reale Drehort hat Glamour: Die "Christina O" gehörte einst dem Reeder Aristoteles Onassis. 1948 erwarb der Liebhaber der Operndiva Maria Callas und Ehemann von Jackie Kennedy günstig ein Kriegsschiff, das vier Jahre zuvor noch der Offensive der Alliierten in der Normandie diente.
Für den Umbau berappte der Grieche mehrere Millionen, dann lud er VIPs wie Winston Churchill oder die Schauspielerin Grace Kelly an Bord ein. Als Hot Spot galt "Ari's Bar", deren Hocker Onassis mit Leder aus der Vorhaut von Walen hatte überziehen lassen. "Sie sitzen auf dem größten Penis der Welt", raunte der Gastgeber Filmstars wie Greta Garbo zu.
Ob im echten Leben oder in James-Bond-Filmen, Luxusyachten strömen über vor Testosteron-getriebenen Anekdoten aus dem Fach "Die verrückten Streiche der Reichen". Etwa jene des Amazon-Besitzers Jeff Bezos, dessen neues XXL-Schinakel 2022 aus einer Rotterdamer Werft ins offene Meer segeln sollte. Blöderweise stand eine denkmalgeschützte Brücke im Weg von Bezos' Mega-Masten. Dass ein Abbau der Brücke auch nur angedacht wurde, ging um die Welt.
Es gibt aber noch einen anderen Zugang zum Phänomen Luxusyachten als den von Paparazzi, Boulevardpresse oder Yachting-Magazinen. Bei Suhrkamp erschien kürzlich das Buch "Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän" des Soziologen Grégory Salle. In Essays zieht der Franzose aus dem Boom sündteurer Privaschiffe die Gesellschaftsdiagnose, dass Reichtum das Gehen über das Wasser ermögliche.
"Eine Handvoll Superreicher amüsiert sich auf dem Meer - na und?", hinterfragt Salle kurz sein wissenschaftliches Interesse, aber das ist nur rhetorisch. Schließlich zeigt er, wie eine neofeudale Kaste das Meer verpestet und mit ihren Ankern maritime Flora zerstört. Der öffentlichen Hand lassen die Milliardäre keinen Cent, kreuzen sie doch unter den Flaggen von Steuerparadiesen wie Malta oder den Cayman Islands. Mittels Lobbyismus befreien sich ihre Eigentümer von juristischen Einschränkungen, Grenzen moralischer Natur sind längst weggespült
Als Yacht gilt ein Boot ab zehn Metern, ab 25 Metern fingen einst die Luxusyachten an, heute liegt diese Kategorie bei 40 Metern. Fast alle werden in Italien, Deutschland und den Niederlanden gebaut; sie spielen alle Stückln, vom gläsernen Pool bis zu Mini-U-Booten als Zubehör. Frühere Eliten hatten ihre Schlösser, heute sind es schwimmende Paläste mit Hubschrauberlandeplätzen.
Es ist symptomatisch für ihre sprunghaften Besitzer, dass auch mit vielen Extras maßgeschneiderte Gefährte rasch wieder verkauft werden. Viele dienen dann als Charteryachten, so auch Onassis' Traumschiff. Laut Wikipedia konnte die "Christina O" zuletzt für 450.000 Dollar pro Woche gemietet werden. Stars wie Madonna und Johnny Depp, aber auch Prinz Andrew schipperten damit durchs Mittelmeer.
Preislich ist da noch viel Luft nach oben, wie Popstar Beyoncé zeigte. Sie genoss ihren letzten Badeurlaub mit Gatte Jay-Z und Kiddies auf der "Flying Fox" vor Kroatien, Kostenpunkt: sieben Tage um 1,5 Millionen Euro. Die wichtigsten Kriterien für Yachtbesitzer wären Größe, Crew und Hypermobilität, führt Salle an.
Die mit 180 Metern längste Motoryacht der Welt sieht wie ein kleines Kreuzfahrtschiff aus. Aber die "Azzam" hat nur Betten für 36 Passagiere sowie für 80 Kopf Personal. Bei ihrer Höchstgeschwindigkeit von 31 Knoten (58 km/h) verbraucht diese Gigayacht sage und schreibe 13 Tonnen Diesel pro Stunde, kostet also um die 19.000 Euro. Eine durchschnittliche Superyacht stößt jährlich 7020 Tonnen CO2 aus.
In einer Zeit, so Salle, "in der sich der Charakter großer Vermögen infolge der Finanzialisierung des Kapitals entmaterialisiert hat", würden Superyachten als handfestes Symbol für ein riesiges Vermögen dienen. Kein Wunder, dass die Behörden erfreut waren, als sie im Zuge des Ukraine-Kriegs einige Megayachten russischer Oligarchen beschlagnahmen konnten.
Ein solcher "Fang" war das 600 Millionen Dollar teure Schiff des Milliardärs Andrej Melnitschenko im Hafen von Triest. Der Großteil der most-wanted Schiffe schaltete jedoch illegalerweise sein GPS-Identiaus und düste ab in sicherere Gefilde wie Montenegro, Dubai oder gleich in den Indischen Ozean.
In seinem Buch nennt Salle die Daseinsform auf Superyachten eine "demonstrative Abgeschiedenheit", also das Paradox einer sichtbaren Unsichtbarkeit. Der US-Künstler Jeff Koons spielte darauf bereits 2013 an, als er das Schiff des Industriellen und Kunstsammlers Dakis Joannou gestaltete.
Für die Yacht mit dem selbstironischen Namen "Guilty" wandelte Koons ein Tarnmuster mit dem Namen "Razzle Dazzle" ab. Mit diesen Balken strich die britische Royal Navy im Ersten Weltkrieg ihre Kriegsschiffe zur Täuschung des Gegners an.
Die allerneueste Antwort auf den Wunsch nach spektakulärer Tarnung sind Yachten mit verspiegelter Außenfläche. Dieser Tage wurde die futuristische "Pegasus" gelauncht. Sie trägt Außenpaneele aus dem 3-D-Drucker, die Himmel und Wasser reflektieren. Laut Pressebericht fährt das Spiegelschiff mit superökologischem Antrieb -Greenwashing Ahoi!
Kunst auf dem Wasser ist schon länger ein großes Thema. Ab Beginn der 2000er-Jahre wurden in fast jedem Bericht von der Biennale von Venedig die vor den Giardini ankernden Yachten erwähnt. Auch die Milliardärin Heidi Horten hatte ihre "Carinthia VII" in der Lagune stehen. Der Trend zur Yacht-Kunstmesse hat sich zwar nicht durchgesetzt, aber dafür gibt es mittlerweile konservatorische Beratungsfirmen, die Gemälde und Skulpturen vor dem salzigen Klima schützen helfen.
Zu den wenigen kritischen Arbeiten über Superyachten zählt die Installation "Post-Social Sea", die letztes Jahr im Wiener Künstlerhaus zu sehen war. Die Konzeptkünstlerin Angela Anderson hat darin die 50 weltweit größten Yachten sowie deren Routen recherchiert.
"Bei einem Besuch in Rijeka 2019 sah ich im Hafen die kaputte Yacht des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Tito liegen", erzählt die in Berlin lebende US-Amerikanerin dem Falter ihr Schlüsselerlebnis. Eines Abends leuchteten weiter draußen am Meer eigenartige Lichter. Damals hatte Anderson bereits eine jener Apps auf ihrem Handy, die Schiffe per Satellit lokalisieren.
Der Tracker "Shipfinder" zeigte ihr an, dass es sich um die "Royal Romance" des ukrainischen Oligarchen und Putin-Verbündeten Wiktor Medwedtschuk handelte. "Ich bekam Gänsehaut", erinnert sich Anderson angesichts des mächtigen Auftritts und der potenziellen Nähe des Separatistenführers.
In früheren Arbeiten hat sich die politische Künstlerin mit der Rohstoffindustrie und deren verheerenden Folgen für Mensch und Natur beschäftigt. Dafür besuchte sie Aktivisten in Ecuador, North Dakota und zuletzt in Griechenland. Unweit von Thessaloniki wurde in Skouris eine Goldmine entdeckt, die eine kanadische Firma ausbeuten sollte. Die heftigen Proteste der lokalen Bevölkerung gegen die Umweltzerstörung beeindruckten die wirtschaftsgebeutelte Regierung in Athen kaum.
Seit Anderson die Eigentümer von Megayachten auf ihrem Radar hat, hat sie viel über Briefkastenfirmen gelernt, mit denen Besitzverhältnisse verschleiert werden. Die Künstlerin stieß aber immer wieder auf Namen, die ihr aus den Bergbauindustrien geläufig waren. "Bald fühlte sich jede einzelne Yacht wie die Geschichte eines Verbrechens an", sagt Anderson.
"Post-Social" im Titel von Andersons Installation bezieht sich auf einen Luxusyacht-Hafen in Montenegro, wohin sie für Videoaufnahmen reiste. Im Jahr 2006 erwarben der Moskauer Oligarch Oleg Deripaska, der französische Milliardär Bernard Arnault (Louis Vuitton, Moët &Chandon u.a.), Peter Munk aus dem Goldbergbau und andere Großunternehmer eine ehemalige Marine-Basis in der Bucht von Kotor.
Seither wurde dort eine hochmoderne Tiefwasser-Marina mit 650 Liegeplätzen (ein Viertel davon für Superyachten) errichtet. Sie bietet Sicherheit auf High-Tech-Niveau, liberale Zollvorschriften und steuerfreien Diesel. Luxusyachten können hier wesentlich günstiger liegen als an der Côte d'Azur oder in Portofino.
Überall an der montenegrinischen Küste herrsche im Sommer viel Trubel, schildert Anderson, nur im Luxushafen war es sonderbar still: "Im Supermarkt wird Champagner und Cognac für tausende Euro angeboten." Die Bucht von Kotor gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Wie verträgt sich dieser Status mit der aus dem Boden gestampften Hafenanlage, deren Schiffe das Wasser versauen?
"Superreiche Yachtbesitzer verursachen an einem Sommertag mehr Umweltverschmutzung als die Mehrheit der Menschen in ihrem ganzen Leben, doch die Politiker lassen sie weiterhin ungeschoren davonkommen", empörte sich kürzlich auch ein Vertreter der NGO Transport & Environment darüber. Selbst Megayachten sind vom europäischen Emissionshandel immer noch ausgenommen.
Auch der Soziologe Salle schildert in einem Kapitel, dass Luxusyachten in Frankreich durch eine Reform der Vermögenssteuer 2018 von Abgaben verschont wurden. Die kapitalfreundliche Fiskalpolitik sei nicht zuletzt das Resultat von Lobbyismus in einer immer ungleicheren Gesellschaft.
"Superyachten sind nicht nur an Offshore-Finanzplätzen registriert und legen gern dort an, sondern sie sind selbst schwimmende Steuerparadiese", sagt Salle über Schiffe, die ständig herumkreuzen, um sich nirgends registrieren zu müssen.
In der Not -etwa bei einer Pandemie - drehen Milliardäre den Motorschlüssel um und dem Rest der Welt den Rücken zu. Wenn das nicht zum Kotzen ist.
Nicole Scheyerer in Falter 6/2023 vom 10.02.2023 (S. 36)