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Unser Land 

Wie wir Heimat herstellen

von Christoph Bartmann, Matthias Dusini, Lisa Eckhart, Rainer Gross, Sibylle Hamann, Sebastian Hofer, Klaus Nüchtern, Renata Schmidt-Kunz, Armin Thurnher, Thomas Walach: Klaus Nüchtern (Hg.), Thomas Walach (Hg.)

 

EAN: 9783854396673
Verlag: Falter Verlag
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Geschichte/20. Jahrhundert (bis 1945)
Reihe: Fachbücher
Erscheinungsdatum: 24.02.2020
Preis (Papier): € 19,90
Preis (ePUB): € 14,99

 

Man werde „sich wundern, was alles gehen wird“, fasste der damalige Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer im Herbst 2016 sein Amtsverständnis zusammen. Obwohl er dann doch nicht zum Bundespräsidenten gewählt wurde, sollte er recht behalten. Nach der Nationalratswahl 2017 verfügt Österreich über eine deutliche Parlamentsmehrheit, die von rechts der Mitte bis ins rechtsextreme Lager reicht. Die Politik der Koalitionsparteien nutzt rassistische und chauvinistische Ressentiments. Das Regierungsprogramm zielt gegen sozialstaatliche und sozialpartnerschaftliche Institutionen. Es bestärkt die anti-europäischen Reflexe und heizt die nationalistischen Divergenzen in Südtirol und auf dem Balkan an. Von Anfang an wurde gegen kritische Redaktionen und gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehetzt. All das geschieht unter dem Vorwand, „unser Land“ gegen seine vorgeblichen äußeren wie inneren Feinde in Schutz zu nehmen.

Dieses Land ist aber nicht nur das Land der Illiberalen, Nationalkonservativen und Rechtspopulisten. Es ist auch die Heimat von Menschen, die das Abdriften des öffentlichen Diskurses in die Wort- und Themenwahl der extremen Rechten nicht länger hinzunehmen bereit sind. Heimat, das ist kein Begriff nationalistischer Propaganda, weil die Sache Heimat an sich kein Exklusivrecht der populistischen Rechten ist. Heimat, das kann auch sein: ein freies Land im Rahmen eines friedlich vereinten Europa, das den Rechtsgütern der Gleichheit, des Pluralismus und der Solidarität und den Werten der Aufklärung verpflichtet ist, und dessen Bewohnerinnen und Bewohner unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Religion die Teilhabe am Gemeinwesen und am kreativen und kulturellen Reichtum des Landes ermöglicht werden soll.

Die Menschen in diesem Land haben ein Recht darauf, dass diese vor Generationen errichteten Grundsätze weiter unser Gemeinwesen tragen, und es ist ohne Zweifel „res publica“, also eine Sache der Allgemeinheit, über dieses Fundament zu wachen. Wir sehen es als unsere Aufgabe, stellvertretend Position zu beziehen für eine Heimat, die mehr ist, als die propagandistischen Versatzstücke nationalistischer Rhetorik: Unser Land, das andere, das offene und freie Österreich.

Wir verzichten bei diesem Buch im Sinne der Umwelt auf die Verpackung mit Plastikfolie.

 

Rezension aus FALTER 11/2020

HALT, DA IST EIN SPALT!

Den Heimatbegriff hinterfragen? Ja eh. Besser aber noch: eine lebenswerte Heimat herstellen

Zweihundertdreiundvierzig zu sechs. Was für eine Niederlage! Herbert Kickl rechnet es der neuen, türkis-grünen Regierung am Tag von deren Angelobung vor und kreidet es ihr an: 243 Mal „Klima“, bloß sechs Mal „Heimat“ – „und das jedes Mal nur in einem Zusammenhang mit Zuwanderung. Da ist nichts zu finden von einem positiven Heimatbegriff in Zusammenhang mit der österreichischen Bevölkerung.“

Werner Kogler, der als Nachfolger des Selbstsprengungsopfers Heinz-Christian Strache den Neuen an der Seite des frischverpartnerten Kanzlers gibt, nimmt den Angriff zur Kenntnis und wehrt ihn ab: „Möglicherweise“, so sinniert er, „ist Heimat auch der Ort, wo die Herzen groß genug sind und die Hirne weit genug denken können, um zu erkennen, dass das möglich und sinnvoll ist, was hier gelungen ist.“ Und er zititert einen Satz Alexander Van der Bellens aus dem Wahlkampf von 2016: „Wer seine Heimat liebt, der spaltet sie nicht.“

Der spätere Bundespräsident hatte auf den für einen eher dem linksliberalen Lager zugerechneten Kandidaten nicht ganz unheiklen Begriff gesetzt: „Heimat“, einen für lange Zeit diskreditierten, im schlimmsten Fall mit nazistischer Blut-und-Boden-Ideologie assoziierten Begriff, den die Parteigänger der politischen Rechten für sich gepachtet zu haben schienen – nicht zuletzt, weil man ihn ihr auch taxfrei überlassen hatte.

Über die Frage, ob oder wie der Heimatbegriff neu besetzt werden könne, herrscht naturgemäß Uneinigkeit. Van der Bellens Slogan etwa bezeichnet Max Czollek in seinem Buch „Desintegriert euch“ etwas süffisant als „Rhetorik der Zärtlichkeit“. Für ihn ist diese lediglich Ausdruck der Hilflosigkeit, mit der man nun auch links der Mitte auf die Herausforderung der AfD zu reagieren versucht.

Die Heimat, die die Rechten meinen, wird als etwas „Ursprüngliches“ verstanden, obwohl es die Personen, Dinge und Rituale, die man mit ihr assoziiert – Mozart, Schnitzel oder den von Andreas Gabalier nostalgisch besungenen Brauch des Scheitelkniens –, auch nicht „immer schon“ gegeben hat. Irgendwann aber hat sich „Heimat“ offenbar aus der Geschichte verabschiedet und beansprucht fürderhin Unveränderlichkeit, weswegen sich die Kickls und Vilimskys dieses Landes (wo kommt jemand dieses Namens eigentlich her?) auch unentwegt anheischig machen, als Einzige „das wahre Rot-Weiß-Rot“ in ungebrochener Strahlkraft zu erhalten.

Da müssen sich all jene, die unter „Heimat“ etwas anderes verstehen als einen Besitzstand, der einem qua genetisch festgeschriebenem „Austriernachweis“ zukäme, schon etwas mehr anstrengen. Denn selbstverständlich lässt sich der Heimatbegriff der Rechten nicht einfach „auf links drehen“. Dass dieser Versuch zu peinlichem Scheitern verdammt ist, belegt das Plakat, mit dem die Salzburger Grünen unter dem Slogan „Heimat beschützen“ ihren Landtagswahlkampf im Jahr 2018 bestritten – und das genauso gut von der FPÖ hätte stammen können.

Der schweizerisch-israelische Psychologe, Philosoph und Publizist Carlo Strenger hat in einem 2015 erschienenen Essay Anstoß daran genommen, dass weite Teile der unter dem Einfluss der „Ideologie der politischen Korrektheit“ stehenden europäischen und amerikanischen Linken die „Grundpfeiler der Aufklärung nicht länger selbstbewusst und voller Stolz verteidigen“ würden (womit er nicht unrecht hat). Er möchte dieses Manko durch etwas behoben wissen, was er „zivilisierte Verachtung“ nennt: „Sie muss erstens auf Argumenten beruhen, die zeigen, dass derjenige, der sie vorbringt, sich ernsthaft darum bemüht hat, den aktuellen Wissensstand in relevanten Disziplinen zu reflektieren [...]. Zweitens muss sie sich gegen Meinungen, Glaubensinhalte oder Werte richten und nicht gegen Menschen, die sie vertreten.“

Dazu eine Anekdote aus eigenem Erleben. Im November 2018 hielt Heinz-Christian Strache eine Signierstunde in einer Wiener Buchhandlung ab, die ich aus professionellen Gründen besuchte. Neben mir unterhielt man sich ganz ungezwungen, und ein Mann hielt mit seiner Einsicht, dass „das alles gesteuert“ sei, nicht hinterm Berg. Er wisse verbindlich, dass die syrischen Flüchtlinge von George Soros mit Smartphones, fünf- bis zehntausend Dollar und dem Auftrag zum Auswandern ausgestattet worden waren – „bloß nicht in die USA“.

Tatsächlich aber ging es ihm um etwas ganz anderes. In einer Klarsichthülle hatte er diverse Dokumente bei sich, die belegten, dass er für die Pflege seiner Eltern – beide über neunzig Jahre alt – „nicht einmal die Mindestsicherung“ bekomme. Die wollte er dem H.-C. vorlegen, damit ... Ich dachte mir damals, dass der Mann unter den Demonstranten, die an diesem Donnerstag gegen die von der „Sozial“ministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) betriebene Auflösung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) protestiert hatten, besser aufgehoben gewesen wäre. Dennoch: Ein Mann, frustriert und vielleicht sogar verzweifelt darüber, dass er nicht genug Geld bekommt, um seine greisen Eltern zuhause zu pflegen. Wie genau würde hier „zivile Verachtung“ weiterhelfen?

In seinem jüngsten Buch unternimmt Carlo Strenger den Versuch, „Diese verdammten liberalen Eliten“ (2019) zu verteidigen, kann ihnen aber einen Vorwurf nicht ersparen: „Sie haben die wahrhaft destruktive Neigung, stärker traditionsverbundene Gesellschaftsgruppen, die ihre aufgeklärten Ansichten nicht teilen, geringzuschätzen und runterzumachen.“ Darüber hinaus muss sich Strenger resigniert eingestehen, dass es fruchtlos ist, Politiker à la Trump anzugreifen und deren Lügen zu entlarven: „Es ist praktisch unmöglich, solche Anführer zu attackieren, ohne dass sich auch ihre Wähler angegriffen fühlen.“

Das ist zwar frustrierend, aber ich denke, dass der Versuch, die verfahrene Situation zu ändern, das Eingeständnis der eigenen Ratlosigkeit zur Voraussetzung haben muss. Aus diesen Gründen gilt es auch den beliebten Sündenfall-Narrativen zu misstrauen, die auf den Siegeszug des Neoliberalismus und darauf hinauslaufen, dass die Sozialdemokratie sich mit Blair und Schröder freiwillig in dessen Fahrwasser begeben hätte. Nicht, dass das falsch wäre, bloß hilft es auch nicht weiter, wenn man so tut, als könne man das Rad der Geschichte zurückdrehen und müsse dann nur die richtige Abzweigung nehmen, um alles wiedergutzumachen.

Nicht nur die Rechten hoffen, dass es endlich wieder so wird, wie es nie war, auch die Linke „sehnt sich nach der größeren sozialen Gleichheit, der starken Industriearbeiterschaft und dem Wohlfahrtsstaat der alten Industriegesellschaft“, konstatiert der deutsche Soziologe Andreas Reckwitz und hat auch das passende Wort dafür parat: „Nostalgie“. Jetzt, wo die Arbeiterschaft (oder das, was aus ihr geworden ist) zu überwiegenden Teilen im rechten Lager steht, tragen selbst Linke, die mit dem Proletariat bislang herzlich wenig am Hut hatten, eine Träne im Knopfloch und hätten gerne ihren „Hackler“ zurück – auch wenn sie sich gekränkt oder erbost darob zeigen, dass der auf einmal so blöd ist und „gegen die eigenen Interessen“ wählt.

„Wenn Sie Populisten in Faschisten verwandeln wollen, dann erklären Sie ihnen, dass sie falsch gewählt haben und dass ihre Gefühle ungerechtfertigt oder nicht einmal erlaubt sind.“ Das Zitat stammt vom belgischen Historiker David Van Reybrouck, der in Robert Schabus’ Dokumentarfilm „Mind the Gap“ (2020) zu Wort kommt. Van Reybrouck legt damit den Finger auf einen wunden Punkt: Warum sollten Menschen ausgerechnet auf jene hören oder sich gar mit ihnen zusammentun, von denen sie jahre- und jahrzehntelang belehrt, gemaßregelt, herablassend behandelt und verachtet worden sind?

Mit „Fremd in ihrem Land“ hat Arlie Russell Hochschild eine sozialanalytische Reportage vorgelegt, die sie über fünf Jahre lang immer wieder nach Louisiana führte, wo Donald Trump 2016, als das Buch erschien, einen klaren Wahlsieg feiern sollte. Als Cicerone diente ihr Mike Schaff – männlich, weiß, Mitte sechzig und Sympathisant der Tea-Party-Bewegung. „Ich komme aus Berkeley, Kalifornien, ich bin Soziologin und versuche, die tiefer werdende Spaltung in unserem Land zu verstehen, erklärt sie sich. „Bei dem Wort ,Spaltung‘ nickte Mike und stichelte dann: ,Berkeley? Da seid ihr ja wohl alle Kommunisten!‘ Er grinste, als wollte er sagen: ,Wir Cajuns haben Humor, ich hoffe, ihr auch.‘“

Apropos Spaltung. In der deutschen Übersetzung hat sich der Untertitel von Russells Buch auf eigenartige Weise verändert: Aus „A Journey to the Heart of Our Political Divide“ wurde „Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten“. Nicht nur die Spaltung ist also verloren gegangen, sondern auch das besitzanzeigende Fürwort. Auf Deutsch begibt man sich auf fremdes Terrain oder gar ins Feindesland, während im amerikanischen Original die Phrase „our political divide“ die Verantwortung für die Spaltung nicht einfach einer Seite zuweist, sondern paradoxerweise das Trennende zur gemeinsamen Sache macht.

Das ist ein kleiner, aber signifikanter Unterschied, der nichts mit falscher Versöhnung zu tun hat (Stichwort: „Rhetorik der Zärtlichkeit“). „Wir müssen reden. Und streiten“, ist auf dem Cover von Czolleks „Desintegriert euch!“ zu lesen. Dem kann man nur zustimmen. Selbstverständlich kann „Streit“ auch zur „Spaltung“ führen, er ist seinem Wesen nach aber etwas anderes. Im besten Fall führt er zu produktiven Kompromissen. Im schlimmsten Fall läuft er auf „Spaltung“, auf Lähmung und autistische Isolation hinaus.

In ihrem Buch „Ich und die Anderen“ denkt Isolde Charim darüber nach, welche Ikonografie für einen neuen Heimatbegriff, für eine „Heimat der Unähnlichen“ tragfähig wäre, und verfällt dabei auf das verkehrspolitische Modell der Begegnungszone: „Durch räumliche Gestaltung – wie dem Wegfall von eindeutig zugeordneten Straßenflächen – erzeugt man beim Einzelnen ganz absichtlich das Gefühl von Unsicherheit. Denn genau das führt zu verändertem Verhalten. Die Unsicherheit des Einzelnen erzeugt eine sicherere Gesamtsituation.“

Die Linke täte gut daran, würde sie sich und den anderen wieder etwas mehr Unsicherheit zubilligen und dem Gegenüber einfach auch einmal zuhören oder mit diesem zu interagieren, ohne davor ein präventives Gesinnungsscreening durchzuführen. Und auch hierzu hätte ich noch eine Anekdote aus eigener Anschauung parat.

Schauplatz ist diesmal die Filiale eines Wiener Bio-Supermarktes. Im Theater nebenan findet eine Veranstaltung im Rahmen eines Tanzfestivals statt, dessen Besucherinnen und Besucher sich vor der Vorstellung noch mit Getränken und Snacks versorgen und die an ihrer Kleidung und ihren schlaffen Baumwollbeuteln unschwer als Vertreter der Spezies „Hipster“ zu identifizieren sind. Als sich ein junger Mann mit dunklerer Hautfarbe anschickt zu bezahlen, bittet ihn die Verkäuferin, seine Tasche kontrollieren zu dürfen. Der Mann ist sichtlich genervt und will wissen, warum ausgerechnet er. Die Kassiererin reagiert ebenfalls unrund, deutet an, den Chef holen zu müssen, erste Unmutsäußerungen werden gezischt: „This is racist!“

Ich habe auch in diesem Fall „versagt“. Dabei wäre es eigentlich ziemlich leicht gewesen. Ich hätte bloß darauf hinzuweisen brauchen, dass die Frau am Förderband eben Dienst nach Vorschrift mache und man ihr deswegen vielleicht nicht unbedingt gleich mit dem Rassismusvorwurf kommen müsse. Der Kassiererin aber hätte ich sagen können, dass der junge Mann vermutlich wesentlich öfter als andere dazu angehalten werde, seine Tasche vorzuweisen, dass die Gründe dafür unschön auf der Hand lägen, seine unwirsche Reaktion leicht nachzuvollziehen sei und sie darauf etwas sensibler hätte reagieren können.

Um eine solche Situation zu entspannen, bedarf es lediglich eines gewissen Maßes an Einfühlungsvermögen und der Bereitschaft, den Konflikt auf Augenhöhe untereinander zu lösen oder sich einfach persönlich zu wehren, anstatt einen Shitstorm zu entfesseln oder die nächste Beschwerdestelle damit zu befassen.

Gerade jenen Linken und Liberalen, die sich als erfolgreiche Repräsentanten einer „Gesellschaft der Singularitäten“ oft genug in einer privilegierten Position befinden, stünde ein geringeres Maß an beschämungsbereiter Selbstgefälligkeit nicht übel an. Anstatt danach zu trachten, es besser zu wissen, sollten sie versuchen, es besser zu machen.

Der US-amerikanische Philosoph Richard Rorty beklagt in seinen Vorlesungen, die in der leider vergriffenen deutschen Übersetzung unter dem Titel „Stolz auf unser Land“ erschienen sind, dass er unter vielen seiner Kollegen und den Studenten „eine zuschauerhafte, angeekelte, ironische Linke“ antrifft „statt einer, die von der Vervollkommnung unseres Landes träumt“.

An dieser zu arbeiten ist das, worauf der Sammelband „Unser Land“ gerne Lust machen würde. Ganz im Sinne der „Kinderhymne“, der wohl schönsten Hymne, die je gedichtet (Bert Brecht) und komponiert (Hanns Eisler) wurde: „Und weil wir dies Land verbessern / Lieben und beschirmen wir’s / Und das Liebste mag’s uns scheinen / So wie andern Völkern ihrs.“

Klaus Nüchtern in FALTER 11/2020 vom 13.03.2020 (S. 38)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, March 11, 2020 12:12:00 PM Categories: 20. Jahrhundert (bis 1945) Geschichte Sachbücher
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Kult-Kanzler Kreisky 

Mensch und Mythos

von Christoph Kotanko

Sprache: Deutsch
Verlag: Ueberreuter
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Biographien, Autobiographien
Umfang: 196 Seiten
Erscheinungsdatum: 20.02.2020
Preis: € 22,95


Rezension aus FALTER 10/2020

Kreisky-Kult, da capo

Am 1. März war es genau 50 Jahre her, dass Bruno Kreisky bei den Nationalratswahlen eine relative Mehrheit gewann, mit Duldung der FPÖ eine Minderheitsregierung bildete und damit den Grundstein für 13 Jahre roter Vormacht in Österreich legte. Die „Kreisky-Jahre“ sind bis heute eine sozialdemokratische Sehnsuchtsperiode, im Jahr 2020 mehr denn je. Kreisky kümmerte sich schon zu Lebzeiten um sein historisches Denkmal, er veröffentlichte glänzend geschriebene Memoirenbände. Enge Weggefährten wie Heinz Fischer und Hannes Androsch pflegten sein Andenken publizistisch weiter (siehe „Wieder gelesen“ weiter unten).

Nun ist es an Beobachtern der jüngeren Generation, ihren Kreisky zu würdigen. Christoph Kotanko, Jahrgang 1953, einer der erfahrensten Politikjournalisten Österreichs, nähert sich Kreisky über Gespräche mit Zeitzeugen wie Margit Schmidt, Kreiskys persönlicher Sekretärin, Alfred Reiter, dessen langjährigem Kabinettschef, und Peter Jankowitsch, dem ersten Büroleiter, und über seine eigenen Erfahrungen als Jungjournalist. Kotanko wählt seine Anekdoten nicht nach Unterhaltungswert, sondern mit Scharfsinn. So wird Kreisky als Politiker sichtbar, mit seinen Stärken wie Schwächen, die Kotanko im Kontext seiner Zeit gut darstellt. Ein an Analyse wie Lesefreude starkes Kreisky-Buch.

Barbara Tóth in FALTER 10/2020 vom 06.03.2020 (S. 24)

Posted by Wilfried Allé Thursday, March 5, 2020 12:06:00 AM Categories: Autobiographien Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Biographien
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A Planet to Win 

Why We Need a Green New Deal

Ein Planet zum Gewinnen: Warum wir einen grünen New Deal brauchen

von Daniel Aldana Cohen, Alyssa Battistoni, Thea Riofrancos, Kate Aronoff und Naomi Klein (Vorwort von)

Sprache: Englisch
Verlag: Verso Books
Serie: Jacobin
Genre: Politikwissenschaft/Umweltpolitik, Politische Ökonomie
Umfang: 208 Seiten
Erscheinungsdatum: 12.11.2019
Preis: € 16,50

 

Beschreibung


Im 21. Jahrhundert ist jede Politik Klimapolitik.

Das Zeitalter des Klima-Gradualismus ist vorbei, da beispiellose Katastrophen durch Ungleichheiten zwischen Rasse und Klasse verschärft werden. Wir brauchen tiefgreifende, radikale Veränderungen. Ein Green New Deal kann gleichzeitig den Klimanotfall und die weit verbreitete Ungleichheit angehen. Die Reduzierung der CO2-Emissionen bei gleichzeitiger Erzielung sofortiger Gewinne für viele ist der einzige Weg, eine Bewegung aufzubauen, die stark genug ist, um das große Öl, das große Geschäft und die Superreichen zu besiegen - und zwar ab sofort.

A Planet to Win untersucht das politische Potenzial und die konkreten ersten Schritte eines Green New Deal. Es fordert den Abbau der Industrie für fossile Brennstoffe und den Bau wunderschöner Landschaften mit erneuerbaren Energien, um klimafreundliche Arbeit, kohlenstofffreies Wohnen und kostenlose öffentliche Verkehrsmittel zu gewährleisten. Und es zeigt, wie ein Green New Deal in den USA die Bewegungen für Klimagerechtigkeit weltweit stärken kann. Wir machen keine Politik unter Bedingungen unserer Wahl, und niemand würde diese Krise wählen. Krisen bieten aber auch Chancen. Wir stehen am Rande einer Katastrophe - aber auch am Rande eines wundersamen, transformativen Wandels.

Über den Autor


Kate Aronoff ist Fellow am Type Media Center und Contributing Writer am Intercept . Sie ist Mitherausgeberin von We Own the Future und Autorin von The New Denialism . Ihr Schreiben wurde in Guardian , Rolling Stone , Harper's , In These Times und Dissent veröffentlicht .

Alyssa Battistoni ist Postdoktorandin an der Harvard University und Redakteurin bei Jacobin . Ihr Schreiben ist im Guardian , n + 1 , der Nation , Jacobin , In These Times, Dissent und der Chronicle of Higher Education erschienen .

Daniel Aldana Cohen ist Assistenzprofessor für Soziologie an der University of Pennsylvania, wo er die Socio-Spatial Climate Collaborative (SC) 2 leitet. Sein Schreiben wurde in Guardian , Nature , the Nation , Jacobin , Public Books , Dissent und NACLA veröffentlicht .

Thea Riofrancos ist Assistenzprofessorin für Politikwissenschaft am Providence College und Autorin von Resource Radicals . Ihr Schreiben erschien im Guardian , n + 1 , Jacobin , der Los Angeles Review of Books , Dissent und In These Times . Sie ist Mitglied des Lenkungsausschusses der DSA-Arbeitsgruppe für Ökosozialisten.

Wofür Lob gebührt…


Ein Planet zum Gewinnen kommt im perfekten Moment und fordert uns heraus, Hoffnung zu finden und angesichts von Catas-Trophe eine gerechtere Welt aufzubauen. Die Autoren skizzieren transformative Lösungen für die Klimakrise, die wirtschaftlich tragfähig und politisch möglich sind - wenn wir uns organisieren und um den Sieg kämpfen.
- Varshini Prakash, Exekutivdirektor der Sunrise Movement

„Die Klimakrise stellt unsere Spezies vor eine enorme existenzielle Herausforderung. Aber wir haben keine Zeit, überwältigt zu werden. Die enorme Aufgabe erfordert noch größere Ideen, Strategien und Taktiken. In diesem Buch greifen einige unserer schärfsten und klarsten Stimmen über das Klima kritisch in die aufkeimende Bewegung ein, um unseren Planeten zu retten. Lies ihr Buch und nimm am Kampf teil. “
- Keeanga-Yamahtta Taylor, Autorin von From #BlackLivesMatter to Black Liberation

"Dieses Buch ist dringend, mit klaren Augen und voller Energie. Es ist ein starkes Beispiel für das radikale kollaborative Denken, das wir dringend brauchen, um Klimadystopie zu vermeiden und eine Welt zu gewinnen, in der viele überleben und gedeihen können."
-Astra Taylor, Direktor von Was ist Demokratie?

„Der Klimawandel ist jetzt todernst. Deshalb ist dieses todernste Buch gerade jetzt so willkommen und so wichtig. Kein Knabbern mehr an den Rändern - es ist Zeit, diesen Moment tatsächlich zu nutzen. “
Bill McKibben, Autor von Falter , Mitbegründer von 350.org

„Eine hervorragende Orientierung an der ökologischen Krise, mit der wir konfrontiert sind, und der Green New Deal, der der notwendige Beginn unserer Reaktion ist. Dieses Buch ist genau am Puls unserer Zeit. “
- Kim Stanley Robinson, Autor von New York 2140

" Ein Planet zum Gewinnen hilft uns, uns das Leben unter dem Dach eines radikalen Green New Deal vorzustellen."
- Sierra Magazine

"Bietet eine schillernde Reihe konstruktiver Projekte, die den Verlust des grünen Übergangs aus wirtschaftlicher Vergeltung begleiten. A Planet to Win ist der amerikanische Kern einer Vision für eine Post-Carbon-Zukunft, und sein Optimismus ist inspirierend."
- Quin Slobidian, Außenpolitik


Rezension aus FALTER 9/2020

Denkimpulse am Weg zu einem Green New Deal

Zwei neue Bücher liefern programmatischen Stoff für die Sehnsucht nach einer umfassenden Ökologisierung à la Millennial Socialism

Wie sieht ein politisches Programm zur Abwendung des Klimakollapses aus? Diese Frage stimulierte eine Revitalisierung linken Denkens im angelsächsischen Raum. Dazu gehören Thinktanks wie Common Wealth und das Institute for Public Policy Research im Vereinigten Königreich oder People’s Policy Project, New Consensus und Data for Progress in den USA. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Green New Deal (GND) einen neuen Schwerpunkt in der Verlagslinie von Verso bildet, welches mit dem Monatsmagazin Jacobin das publizistische Sprachrohr des Millennial Socialism bildet. Vor allem in den USA gewinnt der GND zunehmend an Popularität, getragen von den Post-2000er-Bewegungen aus Occupy Wall Street, Black Lives Matter und den Democratic Socialists of America (DSA) rund um Alexandria Ocasio-Cortez. „A Planet to Win: Why We Need a Green New Deal“ sowie „The Case for the Green New Deal“ wurden von zentralen Ideengebern der GND-Kampagnen von Alexandria Ocasio-Cortez, Bernie Sanders und Jeremy Corbyn geschrieben.

„The Case for the Green New Deal“ ist ein Manifest für die Umleitung von überschüssigem Finanzkapital in den klimagerechten Umbau der Weltwirtschaft. Dabei greift Pettifor auf ihren ursprünglichen GND-Entwurf zurück, den sie mit Richard Murphy – dem Hauptverfasser von Corbyns 2015-Programm – sowie weiteren Mitstreitern in London verfasst hat. Ihr Argument: „We can afford what we can do.“ Geld ist keine endliche Ressource, sondern ein soziales Konstrukt, das sich durch eine Reihe an politischen Interventionen im Interesse des GND mobilisieren lässt. Darunter fallen etwa schärfere Kapitalverkehrskontrollen, Finanztransaktionssteuern sowie Alternativen zum US-Dollar als internationaler Leitwährung. Als Gegenkonzept zur Fokussierung auf „Wirtschaftswachstum“ – sie verweigert sogar die Verwendung des Begriffs – bemüht Pettifor das von Herman Daly entwickelte Konzept der „Steady
State Economy“, wonach wirtschaftliche Kapazitäten mit ökologischen Kapazitäten abgestimmt werden müssen, etwa indem Finanzbudgets durch Emissionsbudgets ergänzt werden.

„A Planet to Win“ fordert eine grüne Infrastrukturoffensive in der Tradition von
Roosevelts „New Deal“ sowie die Entmachtung der fossilen Brennstoffindustrie. Die Klimakrise sei nicht auf das Konsumverhalten der breiten Masse zurückzuführen, sondern im Interesse einflussreicher Kapitalfraktionen, woraus die Forderung nach einer Verstaatlichung des Energie- und Stromsektors abgeleitet wird.

Während sich das Buch vor allem auf die Situation in den USA konzentriert, widmet sich das vermutlich spannendste Kapitel der sogenannten „supply chain justice“; also der Frage, wie der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen nicht durch den unkontrollierten Rohstoffabbau im globalen Süden kompensiert wird. Anhand von ethnografischen Forschungen in chilenischen Lithiumgebieten werden die Potenziale einer solidarischen grenzüberschreitenden Wertschöpfungskette ausgelotet.

Der Guardian bezeichnete letztes Jahr den GND als „most fashionable policy in the English-speaking world“. Der Begriff scheint tatsächlich über die politischen Lager hinweg zunehmend positiv besetzt zu sein. Selbst die Europäische Kommission stellte kürzlich ihre Version eines „Green Deal“ vor (ohne das Attribut „new“, um nicht mit Roosevelt assoziiert zu werden).

Die Lektüre beider Bücher verdeutlicht, dass es sich beim GND nicht um eine bloße Chiffre handelt, sondern einen konkreten politischen Plan, über den es sich in Europa ernsthaft zu diskutieren lohnt.

Philip Rathgeb in FALTER 9/2020 vom 28.02.2020 (S. 23)

Posted by Wilfried Allé Thursday, February 27, 2020 11:44:00 AM Categories: Politikwissenschaft/Umweltpolitik Politische Ökonomie
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Postdemokratie 

von Colin Crouch

Übersetzung: Nikolaus Gramm
Verlag: Suhrkamp
Format: Taschenbuch
Genre: Politikwissenschaft/Politische Theorien, Ideengeschichte
Umfang: 159 Seiten
Erscheinungsdatum: 19.05.2008
Preis: € 10,30

 

Rezension aus FALTER 7/2020

Die gegängelten Bürger

Die Demokratie, so postulierte der britische Politologe Colin Crouch schon vor 16 Jahren, werde ausgehöhlt. Unser Gemeinwesen werde nicht mehr von den Interessen der Wähler bestimmt. Vielmehr würden Konzerne, PR-Profis und Kommerzmedien die Bürger manipulieren, und die würden bloß noch reagieren. Ein Bestseller, nach wie vor höchst aktuell.

Gerlinde Pölsler in FALTER 7/2020 vom 14.02.2020 (S. 22)

 

Selbstkritik von Colin Crouch an der „Postdemokratie“ (31. März 2019)

Jürgen Klatzer (Text), Peter Pfeiffer (Foto, Video), beide ORF.at ->

 

Rezension aus FALTER 18/2012

Demokratie ohne Bürger

Manchmal schreibt ein Autor ein Werk, das stilprägend wird für eine ganze Epoche. Im Fall von "Postdemokratie" des Politologen Colin Crouch ist genau das gelungen. Das vor vier Jahren auf Deutsch erschienene Werk brachte auf den Punkt, was bis dahin in vielen Köpfen nur als böse Ahnung lebte: Crouch beschreibt, wie unser Gemeinwesen nicht mehr von den Interessen der Wähler bestimmt wird, sondern von Konzernen und PR-Büros. Unsere demokratischen Institutionen würden zwar formal weiterhin existieren, sie arbeiteten aber zunehmend abgeschottet von den Bürgern.

Wolfgang Zwander in FALTER 18/2012 vom 04.05.2012 (S. 20)


 

Rezension aus FALTER 38/2008

Ausgehöhlte Demokratie

Geht es nach dem britischen Politologen Colin Crouch, leben wir in einer politischen Scheinwelt. Die demokratischen Institutionen sind formal intakt, aber die Entscheidungshoheit ist auf privilegierte Wirtschaftseliten übergegangen. Schon 2004 kam Crouchs schmaler, mit Verve geschriebener Band in England auf den Markt. Vieles, was der Autor, bekennender Sozial­demokrat, anhand englischer, italienischer und amerikanischer Phänomene aufzeigt, hat auch für Österreich Gültigkeit.

Barbaba Tóth in FALTER 38/2008 vom 19.09.2008 (S. 26)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, February 12, 2020 9:07:00 PM Categories: Ideengeschichte Politikwissenschaft/Politische Theorien
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Fremd in ihrem Land 

Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten

von Arlie Russell Hochschild

Übersetzung: Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
Verlag: Campus
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 429 Seiten
Erscheinungsdatum: 07.09.2017
Preis: € 30,80

Kurzbeschreibung des Verlags:

In vielen westlichen Ländern sind rechte, nationalistische Bewegungen auf dem Vormarsch. Wie ist es dazu gekommen? Arlie Russell Hochschild reiste ins Herz der amerikanischen Rechten, nach Louisiana, und suchte fünf Jahre lang das Gespräch mit ihren Landsleuten. Sie traf auf frustrierte Menschen, deren "Amerikanischer Traum" geplatzt ist; Menschen, die sich abgehängt fühlen, den Staat hassen und sich der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung angeschlossen haben. Hochschild zeigt eine beunruhigende Entwicklung auf, die auch in Europa längst begonnen hat. Hochschilds Reportage ist nicht nur eine erhellende Deutung einer gespaltenen Gesellschaft, sondern auch ein bewegendes Stück Literatur.

"Jeder, der das moderne Amerika verstehen möchte, sollte dieses faszinierende Buch lesen." Robert Reich
"Ein kluges, respektvolles und fesselndes Buch." New York Times Book Review
"Eine anrührende, warmherzige und souverän geschriebene, ungemein gut lesbare teilnehmende Beobachtung. … Wer ihr Buch liest, versteht die Wähler Trumps, weil sie auf Augenhöhe mit ihnen und nicht über sie spricht." FAZ

Stimmen zum Buch

Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung - Prantls Blick, 13.05.2018
Es ist ein faszinierendes, ein erschreckendes, ein aufklärendes Buch. Die Autorin verurteilt nicht, sie will verstehen und begreifen – um reagieren zu können.

Susanne Kippenberger, Der Tagesspiegel, 01.10.2017
Als Trump gewählt wurde, packten sich viele an den Kopf: Wer sind die Leute, die diesen Verrückten an die Macht brachten? Die Soziologin Arlie Russell Hochschild hat bei ihnen im brutal armen Louisisiana gelebt, zugehört, beobachtet. Klug.

Gabi Biesinger, NDR Info, 20.09.2017
Es sind diese paradoxen Geschichten, die Widersprüche, die Hochschild aufspürt. Sie begegnet ihren Gesprächspartnern auf Augenhöhe, redet mit ihnen, nicht über sie. Sie will verstehen, nicht bewerten. Sie will begreifen und nicht belehren.

Daniel Windheuser, der Freitag, 07.09.2017
Mit ihrem Buch gelingt Arlie Hochschild ein verständnisvolles und zugleich kritisches Psychogramm einer Welt im permanenten Widerspruch, und wer es liest, wird die Wähler Trumps ein wenig besser verstehen, unter anderem auch, weil sie auf Augenhöhe mit ihnen und nicht nur über sie spricht.


Arlie Russell Hochschild ist eine der bedeutendsten Soziologinnen der Gegenwart und emeritierte Professorin an der University of California, Berkeley. »Strangers in Their Own Land« stand auf der Shortlist für den National Book Award 2016..

Posted by Wilfried Allé Thursday, January 16, 2020 12:07:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Mut zum Recht! 

Plädoyer für einen modernen Rechtsstaat

von Oliver Scheiber

Oliver Scheiber zeigt auf, was einer modernen Justiz fehlt. Er berichtet aus seiner Erfahrung in Rechtsprechung und Justizpolitik, wo Schwächen bestehen und wie sie sich ausbessern ließen. Der Horizont seines Buchs reicht von Kunst und Literatur bis zu Journalismus und Geschichte und zur Realität des Gerichtssaals.
Ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Justiz, die ihren Anspruch nicht aufgeben darf, moderner, das heißt menschengerechter zu werden.

EAN: 9783854396604
Verlag: Falter Verlag
Format: Taschenbuch
Umfang: 232 Seiten
Erscheinungsdatum: 21.11.2019
Reihe: Fachbücher
Preis: € 19,90

 

Rezension

Wenn es ein Gegenteil von Betriebsblindheit gibt, ist es Oliver Scheiber zu eigen. Der langjährige Richter, derzeit Gerichtsvorsteher am Bezirksgericht Meidling, ist in Justizkreisen als lautstarker Kritiker der Verhältnisse bekannt. Seine Sicht der Dinge hat er im Band Mut zum Recht! verschriftlicht.

Nun mag keine Profession es gern, wenn einer der Ihrigen öffentlich strukturelle Selbstkritik übt. Da wird gern zurückgeschossen auf den Überbringer der Nachricht, dass auch die Justiz – Überraschung – ihre Schwachstellen hat. Dass sich Scheiber nicht beirren lässt, seine Kritik an der Zweiklassenjustiz nur noch leidenschaftlicher formuliert, spricht für ihn, aber auch für seinen Text. Der Essayband birgt für jene, die das Gericht nur von außen kennen, spannende, leicht lesbare Einblicke.

Die Lektüre lohnt aber vor allem wegen der Visionen, die der justizpolitisch engagierte Richter formuliert. So fordert er die Richterschaft auf, Mitleid mit Tätern zu zeigen, ohne sich von ihnen vereinnahmen zu lassen. Der Juristerei wünscht er eine neue Sprache, die auch von Laien verstanden wird. In seinen Essays wird der Autor diesem Anspruch gerecht. (Maria Sterkl, 24.11.2019, derstandard.at)

Posted by Wilfried Allé Monday, January 13, 2020 8:09:00 PM Categories: Fachbücher
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Wissenschaft und Spiritualität 

Universum, Leben, Geist – Zwei Wege zu den großen Geheimnissen

von Jaeger, Lars

Dieses Buch betrachtet naturwissenschaftliches und spirituelles Denken und Erkennen als zwei eigene, sich gegenseitig ergänzende und befruchtende Zugänge zur Erkenntnis, die sich in ihren Entwicklungsgeschichten immer wieder maßgeblich beeinflusst haben.
Geht über eine einfache Auslotung der Berührungspunkte von Naturwissenschaften und Religion und der Grenzen zwischen beiden hinaus.
Vermittelt ein neuartig-originelles und gewinnbringendes Verständnis von Spiritualität jenseits esoterischer oder im engeren Sinne religiöser Vorstellungen: Spiritualität als Erkenntnismethode und ethische Guideline.
Der Autor vereinigt beide Blickrichtungen, sein naturwissenschaftliches Studium hat er parallel zu einem philosophischen Studium betrieben; zudem besitzt er gute Kenntnisse gerade über den Buddhismus, der in vielen spirituellen Debatten und Denkströmungen heute eine bedeutende Rolle spielt.
Das Buch diskutiert auch einige sehr relevante praktisch-ethische Gesichtspunkte, die sich aus dem gemeinsamen Motivationsraum vom Wissenschaft und Spiritualität ergeben.

Interview mit Lars Jaeger: „Wissenschaft und Spiritualität – Zwei Wege zu den großen Geheimnissen“ ->

Verlag: Springer Verlag
Format: Softcover
ISBN: 978-3-662-50284-6
Erscheinungsdatum: 23. September 2016
Preis Taschenbuch: € 19,99
Seiten: 480
Preis E-Book: € 6,99


Über dieses Buch

Lars Jaeger begibt sich in diesem Buch auf eine spannende Spurensuche nach der Verbindung zweier scheinbar konträrer Weltzugänge – und die Ergebnisse sind eindrucksvoll: Naturwissenschaft und spirituelle Denktraditionen kennen weit mehr Gemeinsamkeiten, als ihre Gegensätze und Wesensunterschiede vermuten lassen. Was beide Zugänge eint, ist die Suche nach den großen Weltgeheimnissen und ihrer Erklärung. Gibt es vielleicht auch einen gemeinsamen Weg bei dieser Suche? Werden uns die Physiker irgendwann den Anfang der Welt erklären? Werden wir eines Tages erfahren, wie aus dem Netzwerk von Neuronen in unserem Gehirn Bewusstsein hervorgeht? Werden wir wissen, wie die wirklich allerkleinsten Bausteine der Materie aussehen? Und wenn ja, was heißt das jeweils für uns, für unser Selbstbild und unser Welterleben? Wie beeinflusst es unser spirituelles Erleben? Und zuletzt: Was bedeutet all dies für unsere zentrale Frage nach dem „Sinn des Ganzen“? Die Art, wie naturwissenschaftliche Erkenntnis funktioniert, und die Leitfragen der spirituellen Erfahrung treten in ein spannendes Wechselspiel. Dieses bestimmt eine interdisziplinäre Reise, die den Leser in den Bann ziehen wird.

Gibt es eine Form von Spiritualität ohne Selbsttäuschung, die nicht klebrig oder kitschig ist und bei der man seine Würde als kritisches, vernünftiges Subjekt nicht verliert? Viele denken heute über die Möglichkeit einer säkularisierten Spiritualität nach, die ohne Sterblichkeitsverleugnung auskommt und mit den Ergebnissen der modernen Wissenschaft in Einklang gebracht werden kann. Lars Jaeger leistet einen Beitrag: Er führt den Leser auf eine ebenso unterhaltsame wie tiefsinnige Reise zu Gemeinsamkeiten und Gegensätzen wissenschaftlichen und spirituellen Denkens. Hochaktuell, bestens informiert. Prof. Thomas Metzinger, Universität Mainz, Autor von Der Ego-Tunnel

Über den Author

Lars Jaeger hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er – als umtriebiger Querdenker – zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Sein voriges Buch Die Naturwissenschaften. Eine Biographie ist ebenfalls bei Springer Spektrum erschienen.

Posted by Wilfried Allé Sunday, January 12, 2020 7:24:00 PM
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Leidenschaftlich Rot 

Darum mehr Sozialdemokratie

von Gerhard Zeiler

Verlag: Brandstätter Verlag
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Erscheinungsdatum: 25.11.2019
Preis: € 22,00

 

 

Rezension aus FALTER 48/2019

Gerhard Zeilers Plan B für Pamela Rendi-Wagner

Der Medienmanager will offensichtlich bei der Zukunft der SPÖ mitreden. Ob die Parteiführung seine Denkanstöße ernst nimmt?

Was wäre gewesen, wenn Gerhard Zeiler in den letzten drei Jahren die SPÖ geführt hätte? In seinem neuen Buch „Leidenschaftlich rot. Darum mehr Sozialdemokratie“ lässt der 64-jährige Medienmanager, der seine Karriere als SPÖ-Parteisekretär begonnen hat, keine Zweifel daran, dass er im Jahr 2016 gerne die Partei übernommen hätte. „Hätte ich nur annähernd geahnt, aus welchem Persönlichkeitsholz Christian Kern geschnitzt ist, wäre ich im Mai 2016 in einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz gegen ihn angetreten“, schreibt Zeiler.

Er stoppt aber auch gleich Gerüchte ab, er wolle 2019 einen zweiten Anlauf starten. Nein, seine – mit dem Journalisten Peter Pelinka gemeinsam verfasste – Streitschrift sei kein Bewerbungsschreiben. „Nicht, dass es nicht Zeiten gegeben hätte, in denen ich mir sehr gut vorstellen hätte können – und es auch explizit angestrebt hatte – mitzuhelfen, die SPÖ wieder zu einer erfolgreicheren Partei zu machen. Aber diese Zeiten sind vorbei.“ Pamela Rendi-Wagner sei für ihn die ideale Kandidatin einer progressiven Mitte-links-Partei des Jahres 2019. Weil Ärztin, Quereinsteigerin, Frau. Wenn auch von keinem idealen Beraterteam umgeben.

Was würde Zeiler anders machen? Zeiler ist Medienprofi genug, um konkrete Antworten zu liefern. Er würde zum Beispiel im Fall des Falles, dass die türkis-grünen Koalitionsgespräche scheitern, ÖVP-Chef Sebastian Kurz die Duldung einer Minderheitsregierung vorschlagen, begrenzt auf zwei Jahre und unter klaren Bedingungen. Erstens „die Erhöhung des monatlichen gesetzlichen Netto-Mindestlohns auf 1700 Euro innerhalb des ersten Regierungsjahres“ und zweitens die „Verabschiedung eines akkordierten und wirksamen Klimapaketes, das eine CO2-Abgabe mit sozialem Ausgleich beinhaltet“. Eine Partei für die arbeitenden Menschen mit ökologischem Gewissen links der Mitte, das sollte in Zeilers Augen die SPÖ sein.

Man müsse den Begriff „Leistung“ wieder für sich erobern, ganz so, wie SPÖ-Chef Bruno Kreisky es im Jahr 1970 auf dem Programmparteitag tat. „Leistung, Aufstieg, Sicherheit“ waren damals die Kern­slogans. Das verträgt sich zum Beispiel nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, das Zeiler scharf ablehnt, genauso wenig mit klassenkämpferischen Parolen wie „Holt euch, was euch zusteht“ aus dem Kern-Wahlkampf des Jahres 2017.

Im neunten Kapitel legt Zeiler dann einen Entwurf für ein neues Parteiprogramm mit sechs Kernthesen vor. Die SPÖ sieht er als „Schutzpartei der sozial Schwächeren, Partei des sozialen Ausgleichs und der sozialen Gerechtigkeit“, als Kämpferin gegen den Klimawandel, aber als Wirtschaftsversteherin (Zeiler kritisiert das rote Nein zur Arbeitszeitflexibilisierung als „weltfremd“, und das ist nicht die einzige Kritik an den Gewerkschaften), als Bildungsreform-, Sicherheits- und Staatsreformpartei.

Hier spürt man: Zeiler wurde sozialisiert in einer Zeit, als seine geliebte Partei noch unhinterfragt die Mitte der Gesellschaft repräsentierte und die SPÖ-Chefs Kreisky, Fred Sinowatz (den er, als dessen Ex-Pressesprecher, als großen Politiker und Intellektuellen würdigt) und Franz Vranitzky hießen. So wie über Kern verliert Zeiler auch über Faymann wenig gute Worte, mehr noch: Er erwähnt ihn genau einmal, ganz so, als wären die immerhin acht Jahre, die er die Partei führte, verlorene Jahre gewesen. Was Zeiler über Rendi-Wagners Zukunft sagt, ist doppeldeutig. „Ob sie auf Dauer Parteivorsitzende bleiben wird, kann ich nicht vorhersagen. Ich weiß nicht einmal, ob ich es ihr wünschen soll.“ Ein ausführliches und beeindruckendes Bewerbungsschreiben für den Job als ihr Chefberater hat er jedenfalls abgegeben.

Barbara Tóth in FALTER 48/2019 vom 29.11.2019 (S. 24)

Gerhard Zeiler im Interview mit Michael Völker, vom 25. November 2019 ->

Posted by Wilfried Allé Wednesday, November 27, 2019 8:03:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Gig Economy 

Prekäre Arbeit im Zeitalter von Uber, Minijobs & Co.

von Colin Crouch

Übersetzung: Frank Jakubzik
Verlag: Suhrkamp
Format: Taschenbuch
Genre: Soziologie/Arbeitssoziologie, Wirtschaftssoziologie, Industriesoziologie
Umfang: 136 Seiten
Erscheinungsdatum: 29.09.2019
Preis: € 14,40

 

Rezension aus FALTER 48/2019

Auswege aus der Gig Economy

Colin Crouch braucht nur ein paar Zeilen, um das Problem der „Gigworker“, der Scheinselbstständigen, die für Plattformfirmen wie Mjam, Uber oder Mechanical Turk arbeiten, zu erklären. Er erzählt vom Fall eines 53-jährigen DPD-Paketzustellers aus Südengland, der an einem diabetischen Koma starb. Er hatte mehrere Arzttermine versäumt, DPD hatte ihm eine Strafe von 150 Pfund aufgebrummt, weil er seine Zustellquote nicht erreicht hatte. Nach seinem Tod änderte DPD zwar seinen Umgang mit den Arztterminen seiner Arbeitskräfte, aber das Grundproblem blieb gleich.

Ausgebeutet, prekär, rechtlos, nicht gewerkschaftlich organisiert sind Mitarbeiter von Plattformkonzernen das Subproletariat der Gegenwart. Oft trägt die Allgemeinheit diese hybriden Arbeitsformen indirekt mit, wenn Gigworker durch eine Mindestsicherung mitfinanziert werden.

Hier setzt Crouch an. Sein Vorschlag: Ersetzen oder ergänzen wir die Sozialversicherung durch eine Steuer auf die Nutzung menschlicher Arbeitskraft. Jede Firma, die eine menschliche Dienstleistung nutzt, egal ob angestellt oder nicht, soll eine Art Umsatzsteuer dafür zahlen. Stellt sie Menschen an, gewährt der Staat ihnen bessere Leistungen, belohnt sie also, der Beitrag verringert sich ein wenig. Ebenso sollen alle Einwohner in diese Versicherung einzahlen.

Crouchs interessanter Vorschlag ist aus britischer Perspektive gedacht, in Österreich gibt es bereits strengere Regeln für Gigworker. Das ist im Übrigen ein irreführender Begriff, weil „Gig“, aus dem Englischen für Konzert, eigentlich viel zu positiv besetzt ist für das, was die modernen Tagelöhner leisten.

Trotzdem sind auch in Österreich sogenannte freie Dienstnehmer, die für Plattformfirmen arbeiten, oftmals eigentlich Angestellte. Für sie zahlt der Auftraggeber immerhin Sozialversicherungsbeiträge. Ihren arbeitsrechtlichen Status – und damit Anspruch auf Mindestlohn – könnten sie prüfen lassen, die Arbeiterkammer ist ihre Vertretung. Aber nicht alle wissen das.

Barbara Tóth in FALTER 48/2019 vom 29.11.2019 (S. 24)

Posted by Wilfried Allé Tuesday, November 26, 2019 12:38:00 PM Categories: Industriesoziologie Soziologie/Arbeitssoziologie Wirtschaftssoziologie
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Mehr Gerechtigkeit! 

Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar

von Hans-Jochen Vogel

Klappentext

Bezahlbarer Wohnraum ist das soziale Thema unserer Zeit. Immer mehr Menschen stellt sich die bange Frage, wie lange sie sich ihr Heim noch leisten können. Nicht nur in Großstädten zeigen die Preise nur noch nach oben. Die bisherigen politischen Maßnahmen, wie etwa die Mietpreisbremse, erweisen sich als stumpfes Schwert im Kampf gegen die scheinbar unaufhaltsame Verteuerung des Wohnens. Den eigentlichen Grund hinter den steigenden Preisen hat lange Zeit kaum jemand wahrgenommen: nämlich die explosive Steigerung der Baulandpreise. Erst Hans-Jochen Vogels beharrlicher Kampf setzte das Thema wieder auf die Tagesordnung: Die massive Spekulation mit steigenden Grundstückspreisen führte deutschlandweit in den letzten Jahrzehnten zu einer Erhöhung der Baulandpreise um 1900 Prozent.

Verlag: Verlag Herder
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 80 Seiten
Erscheinungsdatum: 18.11.2019
Preis: € 12,40

 

Rezension aus FALTER 47/2019

Ein Testament für den Kampf um Grund und Boden

Der deutsche Sozialdemokrat Hans-Jochen Vogel plädiert für eine neue Bodenordnung mit massiven Steuererhöhungen für Grundbesitzer

Der Aufschrei in vielen Großstädten ist unüberhörbar: Wohnen ist zu teuer. Wohnraum ist in Europas Metropolen für viele immer schwerer leistbar. Die Mittelschicht wird an den Stadtrand und ins Umland gedrängt, weit weg von ihren Jobs und vom urbanen Leben. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber ein wesentlicher Preistreiber ist bekannt: Banken, Fonds und Versicherungen investieren in Wohnraum, um möglichst viel Geld zu verdienen. Damit treiben sie den Preis für Bauland immer weiter und schneller in die Höhe. Und der Staat lässt diese Geschäftemacherei auf Kosten der Bürger viel zu oft zu.

Die Preise für Bauland sind in Deutschland seit 1962 um 2300 Prozent gestiegen. Von den Kosten eines Wohnungsbaus entfielen im Jahr 1962 durchschnittlich acht Prozent auf die Grundstückskosten, auf die Baukosten 92 Prozent. Geht es nach Hans-Jochen Vogel, dann sind diese Zahlen ein dringender Auftrag an die Politik, endlich die Bodenfrage zu stellen. Vogel, 93 Jahre alt, hat sich seine ganze politische Laufbahn lang für lebenswertes und leistbares Wohnen eingesetzt; von 1960 bis 1972 als Oberbürgermeister von München, in den 1970ern als deutscher Bundesbau- und Bundesjustizminister, 1983 als SPD-Kanzlerkandidat und von 1987 bis 1991 als Chef der SPD.

Nun hat dieser Mann im biblischen Alter das kleine Buch „Mehr Gerechtigkeit!“ vorgelegt, in dem er energisch für eine neue Bodenordnung in Deutschland eintritt. Vogels zentrale Argumentation: „Grund und Boden ist keine beliebige, je nach Bedarf produzierbare oder auch verzichtbare Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz. Er ist unvermehrbar und unverzichtbar. Jeder braucht ihn in jedem Augenblick seines Lebens wie das Wasser oder die Luft.“

Dass Grund und Boden eine politisch hochsensible Angelegenheit sind, hat das deutsche Bundesverfassungsgericht bereits 1967 festgehalten (und seither immer wieder ­bestätigt). Die deutsche Politik, so klagt Vogel, hat diesen von den Verfassungshütern so großzügig ausgelegten Handlungsspielraum niemals genutzt oder gar ausgeschöpft. Dabei liegt für Vogel – grob verkürzt – auf der Hand, was für eine gerechtere Bodenordnung zu tun wäre. Erstens: Verbot und strenge Ausnahmereglementierung für den Verkauf von Grund und Boden durch die öffentliche Hand. Zweitens: massive Wiederbelebung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus inklusive legistischer Unterstützung und steuerlicher Begünstigung. Drittens: rigorose Besteuerung des Gewinns aus Steigerungen des Bodenwertes.

Wer sich aus Wiener Sicht Vogels Forderungen für eine neue Bodenordnung ansieht, darf grundsätzlich den Kurs der Stadt bestätigt sehen (der Autor dieser Zeilen ist der Sprecher der Wiener Wohnbaustadt­rätin). 220.000 Gemeindebauwohnungen im Besitz der Stadt und der wirtschaftlich starke Sektor der gemeinnützigen Bauvereinigungen sind für Vogel der Hauptgrund, warum die Wohnsituation in Wien besser ist als in anderen Metropolen.

Vogels Argumentation liest sich überdies geradezu wie eine Empfehlung für die Wiener Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“. Mit der 2018 beschlossenen Bauordnung wurde geregelt, dass bei Neubauprojekten in Zukunft grundsätzlich zwei Drittel der Wohnungen gefördert sind und damit leistbar bleiben. Aber auch Wien ist keine Insel, an der internationale Trends spurlos vorbeiziehen. Auch in Wien wird Wohnen im frei finanzierten Sektor teurer. Vogels politisches Testament ist daher eine gute Erinnerung daran, dass alte Errungenschaften immer wieder aufs Neue verteidigt und an den Lauf der Zeit angepasst werden müssen.

Wolfgang Zwander in FALTER 47/2019 vom 22.11.2019 (S. 23)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, November 20, 2019 6:38:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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