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Mit Händen und Füßen 

Unseren Einfluss auf das Klima verstehen – Ein Mitmachbuch für die ganze Familie

Laura Feller

EAN: 9783991660033
Verlag: Falter Verlag
Umfang: 64 Seiten
Sammlung: Klimaschutz für junge Leser
Erscheinungsdatum: 31.05.2024
Preis: € 20,00

Klimaschutz - für Klein und Groß sehr gut erklärt!

Die Bücher erklären Kindern ab 7 Jahren auf verständliche Art auch komplexe Sach­ver­halte und be­rei­ten das Thema Um­welt­schutz kind­ge­recht auf. Schöne Ge­schichte - genau rich­tig, um den Kin­dern ers­tes Wis­sen über Müll und Um­welt­ver­schmut­zung zu ver­mit­teln und fan­ta­sie­vol­le, all­tags­taug­liche Lö­sun­gen für die Pro­ble­me zu fin­den, die es ge­rade auf der Erde gibt.
Es ist nicht zu spät, unseren Planeten zu retten!


Was steckt hinter dem ökologischen Fußabdruck? Und was hat es mit dem öko­lo­gi­schen Hand­ab­druck auf sich?

Dieses Mitmachbuch für die ganze Familie lädt zum Er­fah­ren, Er­fra­gen und Ent­decken ein. Auf spiele­ri­sche Wei­se wird Kin­dern ab 8 Jah­ren ver­mit­telt, wie Kon­sum, Mobi­li­tät und Er­näh­rung die Um­welt be­ein­flus­sen und wel­che Ener­gie- und Res­sour­cen­men­gen nö­tig sind, um all­täg­liche Pro­duk­te wie Brot her­zu­stellen.

Viele wichtige Begriffe rund um den Klimaschutz werden kind­ge­recht er­klärt und mit liebe­voll ge­stal­te­ten Illus­tra­tio­nen ver­an­schau­licht. Be­glei­tet vom „sustAINAbility-Schaf“ na­mens Aina wer­den be­deu­tende öko­lo­gi­sche Zu­sam­men­hänge auf­ge­zeigt und die Aus­wir­kun­gen unse­res Han­delns auf das Klima und die Um­welt ver­ständ­lich gemacht.

Das Buch geht jedoch über den ökologischen Fußabdruck hinaus und be­leuch­tet zu­dem den öko­lo­gi­schen Hand­ab­druck: Kin­der ler­nen, wie posi­ti­ve Hand­lungen und be­wusste Ent­schei­dungen ihre Um­welt und das Klima nach­hal­tig ver­bes­sern kön­nen. Sie wer­den er­mu­tigt, im All­tag kleine Ver­än­de­run­gen vor­zu­nehmen, die ei­nen großen Unter­schied machen können.

Posted by Wilfried Allé Saturday, July 27, 2024 10:01:00 AM Categories: Klimaschutz für junge Leser
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Kickl beim Wort genommen 

von Nina Horaczek

ISBN: 9783707608557
Verlag: Czernin
Umfang: 176 Seiten
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Erscheinungsdatum: 05.06.2024
Preis: € 20,00

Kurzbeschreibung des Verlags

Seit Monaten liegt die FPÖ in Wahlprognosen auf Platz eins. Ihr Partei­chef Herbert Kickl spricht von un­ge­zü­gel­ter Völ­ker­wan­de­rung, EU-Ver­rä­tern, lin­kem Ge­sinn­ungs­ter­ror und be­schimpft poli­ti­sche Geg­ner. Doch was pas­siert, wenn man den selbst­er­nann­ten »Volks­kanz­ler« beim Wort nimmt? Wel­ches Bild zeigt sich, wel­che Ideo­lo­gie wird sichtbar?

»Man muss dazu stehen, was man sagt«, meint Herbert Kickl. Doch was sagt er eigent­lich? »Falter«-Chef­re­por­terin Nina Horaczek hat sei­ne Zi­ta­te über Asyl, Bil­dung oder Coro­na ver­sam­melt; die feh­len­de Ab­gren­zung zu den Iden­ti­tären, die An­grif­fe auf die Me­dien oder die Men­schen­rechte; über die »Fes­tung Öster­reich«, die Tür­kei oder die Ukraine.

Der Zweck dieser Zitatensammlung liegt auf der Hand: Gerade im Wahl­jahr 2024 bie­tet sie eine um­fas­sen­de Ar­gu­men­ta­tions­hilfe für eine sach­liche Aus­ein­ander­set­zung über die Per­son Her­bert Kickl. Nicht um ihn zu über­füh­ren oder zu dif­fa­mie­ren, son­dern um sei­nen Cha­rak­ter und die rechts­ex­tre­me, popu­li­sti­sche Ideo­lo­gie zu zei­gen, die er und sei­ne FPÖ ver­treten.


FALTER-Rezension

Sprachreiseführer in die Dritte Republik

Sieglide Rosenberger in FALTER 25/2024 vom 21.06.2024 (S. 19)

Kickl kann beim Wort genommen werden. Anders als an­dere Poli­ti­ker der ex­tre­men und radi­ka­len Rech­ten, Geert Wil­ders oder Jörg Hai­der etwa, hat Her­bert Kickl bis­lang kein ei­ge­nes Buch publi­ziert. Aus­sa­gen und Zi­tate über sei­ne poli­ti­sche Wunsch­welt gibt es den­noch zuhauf.

Die langjährige Falter-Journalistin und Expertin für Rechts­ex­tre­mis­mus, Nina Horaczek, hat Aus­sa­gen über ei­nen 20-jäh­rigen Zeit­raum ge­sam­melt -seit 2004, als Kickl den Wahl­kampf für Hai­der in Kärn­ten führ­te. Die Quel­len sind Presse­aus­sen­dun­gen, State­ments in Me­dien, Tele­gram-Mit­tei­lun­gen, Re­den vor dem Heim­publi­kum wie an Ascher­mitt­wo­chen. Die Zi­ta­te sind alpha­be­tisch in 39 Rub­ri­ken ge­ord­net, von Asyl­poli­tik bis Zensur.

Dabei wird mehr als deutlich, dass es längst nicht mehr "nur" um Mi­gra­tion und Islam geht. Es geht um "uns". Wirt­schaft und Wis­sen­schaft tau­chen nicht als ei­gene Rub­ri­ken auf. Bio­gra­fi­sche Schlagl­ich­ter sind der Zi­ta­ten­sammlung voran­ge­stellt, von der Kind­heit in ein­fa­chen sozi­alen Ver­hält­nis­sen, der Schule, dem nicht ab­ge­schlos­se­nen Stu­dium, den ers­ten poli­ti­schen Schrit­ten in Kärn­ten bis zum Auf­stieg als In­nen­mi­nister.

Die Zitate bilden einen Pool an Fakten. Sie skiz­zie­ren die Zu­kunft, ma­chen klar, was sein soll: rück­wärts­ge­wandte natio­na­lis­ti­sche Ant­wor­ten auf trans­natio­nale Pro­bleme, die die­se nicht lö­sen; Ab­bau demo­kra­ti­scher Wer­te und Prin­zi­pien wie Men­schen­rechte, Pres­se­frei­heit; Ab­bau des Sozial­staates und Dro­hun­gen ge­gen­über vielen.

Der rechte, rechtspopulistische Weg ist konti­nu­ier­lich, ohne Ab­bie­gun­gen und Um­keh­rungen. Da­her kommt die­se Poli­tik vie­len als nor­mal vor. Der Kickl-Pfad ist aber nicht nur gera­de­aus, er wird brei­ter, radi­ka­ler, muni­tio­nier­ter. Die Be­schimp­fun­gen von demo­kra­ti­schen Re­prä­sen­tan­ten ge­hen wei­ter, mittler­weile wird nie­mand mehr ver­schont, jeder/­jede wird dem ver­ächt­li­chen Ge­läch­ter preis­ge­geben. Diese Res­pekt­losig­keit ge­gen­über demo­kra­ti­schen Ins­ti­tu­tio­nen nennt der His­to­riker Timothy Snyder in sei­nem Buch über die Tyrannei.

Der Neutralität ist eine umfangreichere Rubrik gewidmet. Tief ver­an­kert als iden­ti­täts­stif­ten­der Pfei­ler in der öster­rei­chi­schen poli­ti­schen Seele, thema­ti­siert sie Kickl zu­letzt im Kon­text des Krie­ges in der Ukra­ine. Demo­kra­tie­poli­tisch auf­schluss­reich ist auch, dass die Neu­tra­li­tät als Vehi­kel ge­gen zen­tra­le Ins­ti­tu­tio­nen der EU ins Tref­fen ge­führt wird: Sie sei ein Schutz ge­gen den Euro­pä­ischen Ge­richts­hof, der "uns" Men­schen­rechte auf­zwinge, die nicht die "unse­ren" seien. Die öster­rei­chi­sche Neu­tra­li­tät den EU-Ins­ti­tu­tio­nen ge­gen­über­ge­stellt, würde kon­se­quent ge­dacht den Öxit nach sich ziehen -den Her­bert Kickl aber nicht direkt verlangt.

Ähnlich lässt sich die rezente Propagandarede zum Volks­kanz­ler weiter­den­ken. Soll "Volks­kanz­ler" nicht nur Rhe­to­rik blei­ben, soll eine Ver­säulung von Volk und Kanz­ler tat­säch­lich poli­ti­sche Wirkl­ich­keit wer­den, dann sind Ver­fas­sungs­än­de­run­gen in Rich­tung ei­nes prä­si­den­tiel­len Sys­tems an­ge­sagt -näm­lich eine Kom­pe­tenz­an­häu­fung beim Kanz­ler-Präsi­den­ten, gleich­zei­tig eine Ab­wer­tung des Par­la­ments, der Ab­ge­ord­ne­ten und der Par­teien. Zu die­sen Über­le­gun­gen pas­sen die jüngs­ten Schmä­hungen der rot-schwarz-pink-grünen "Ein­heits­par­tei", die viel­leicht auch An­deu­tun­gen an den SED-Kom­mu­nis­mus sug­ge­rieren.

Verdienst dieses Buches ist es, durch die Verdichtung die an­vi­sierte auto­ri­täre Zu­kunft deut­lich les­bar zu ma­chen. "Wir haben es nicht ge­wusst", wird spä­ter ein­mal keine Recht­fer­ti­gung sein können.
 

Vilimsky und Wladimir

Nina Horaczek in FALTER 22/2024 vom 31.05.2024 (S. 12)

Hetzerisch und neokolonial sei die Poli­tik der EU im Bal­kan­staat Repu­blika Srpska, dem eng mit Russ­land ver­bün­de­ten Klein­staat. Nicht die Poli­tik des rus­si­schen Prä­si­den­ten Wladi­mir Putin, son­dern "die Ver­einig­ten Staaten und Russ­land" wür­den den Bal­kan de­sta­bi­li­sie­ren. Ziel müsse "ein sinn­vol­ler diplo­ma­ti­scher Kon­sens mit der Rus­si­schen Föde­ra­tion" sein. Noch ein Bei­spiel ge­fäl­lig? Als Putin 2014 die Krim völker­rechts­wid­rig an­nek­tie­ren ließ, war das kein Krieg, son­dern bloß ein "Kon­flikt".
So klingt es, wenn der FPÖ-Euro­pa­poli­ti­ker Harald Vi­lims­ky im Kor­rek­tur­modus ist. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren be­an­trag­te der Frei­heit­liche im EU-Par­la­ment zahl­rei­che Än­de­rungen in of­fi­ziel­len Doku­men­ten. Nun könnte der blaue Kan­di­dat bei den EU-Wah­len am 9. Juni Wahl­sieger werden.

Seit Juli 2014 ist Vilimsky Abgeordneter des EU-Parlaments. Da­mals sollte eigent­lich der lang­jäh­rige FPÖ-Poli­ti­ker Andreas Möl­zer als blauer Spitzen­mann in Brüs­sel be­stä­tigt wer­den. Möl­zer musste aber weni­ge Wo­chen vor der Wahl zu­rück­tre­ten, er hat­te die EU zu­nächst mit dem Drit­ten Reich ver­gli­chen und dann wurde auch noch be­kannt, dass er in ei­nem Vort­rag sagte, die EU müs­se sich fra­gen, ob sie ein "Neger­kon­glo­me­rat" sein wol­le. So wurde Vi­lims­ky frei­heit­li­cher Dele­ga­tions­lei­ter in Brüs­sel. In die­ser Funk­tion zeigt er sich von An­fang an auf­fal­lend russ­land­freundlich.

All dies lässt sich auf Parltrack nachlesen, einer europä­ischen Ini­tia­tive zur Ver­bes­se­rung der Trans­pa­renz im EU-Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren, die auf ihrer Inter­net­seite alle In­for­ma­tio­nen aus amt­li­chen Quel­len der EU bün­delt. Auf Parl­track fin­det man zahl­rei­che Ände­rungs­an­trä­ge zu EU-Be­rich­ten. EU-Ab­ge­ord­nete ha­ben die Mög­lichk­eit, zu von Ver­tre­tern des EU-Par­la­ments er­stell­ten Be­rich­ten Ände­rungs­an­trä­ge ab­zu­geben. Die­se wer­den proto­kol­liert und im Plenum ab­ge­stimmt.

Vilimsky war in den vergangenen Jahren bei den Themen­be­rei­chen Russ­land, Ukra­ine, aber auch Bal­kan fleißig am Ein­fügen von Kor­rek­tur­vor­schlä­gen. Im Früh­jahr 2015 ar­bei­tete das EU-Par­la­ment an ei­nem Re­port über den Stand der Be­zie­hun­gen zwi­schen der EU und Putins Reich. Ein Jahr zu­vor, im Früh­jahr 2014, hat­ten des­sen Trup­pen und Söld­ner die Krim völker­rechts­wid­rig annek­tiert.

Berichterstatter war der litauische Abgeordnete Gabrielius Lands­bergis von der kon­ser­va­ti­ven Frak­tion. Er schrieb in sei­nem Be­richts­ent­wurf, in An­be­tracht der direk­ten und in­di­rek­ten Be­tei­li­gung Russ­lands an dem Krieg in der Ukra­ine und der vor­sätz­li­chen Ver­let­zung demo­kra­ti­scher Grund­sätze und Wer­te kön­ne die EU nicht "busi­ness as usual" mit Russ­land be­treiben.

Vilimsky und sein Parteifreund, der FPÖ-Europaabgeordnete Georg Mayer, wollten das so nicht ste­hen las­sen. Sie füg­ten ihren Ab­ände­rungs­an­trag ein: An­ge­sichts der in­di­rek­ten Ver­wick­lung der EU in den Kon­flikt in der Ukra­ine sollten die Mit­glieds­staaten, die EU und alle ihre Ins­ti­tu­tio­nen auf­ge­for­dert wer­den, "ihr Vor­gehen zu über­den­ken, um eine wei­te­re Es­ka­la­tion zu ver­hin­dern, so dass ein sinn­vol­ler diplo­ma­ti­scher Kon­sens mit der Rus­si­schen Föde­ra­tion er­reicht wer­den kann". Kein Wort mehr der Kri­tik an Russ­lands völker­rechts­wid­riger An­ne­xion der Krim.

Landsbergis kritisierte in seinem Entwurf auch die militä­ri­sche Ag­gres­sion Russ­lands ge­gen Geor­gien, die 2008 im Kau­ka­sus­krieg mün­de­te. Vi­limsky und Mayer woll­ten hier die rus­si­sche Ag­gres­sion und die Ver­let­zung der ter­ri­to­ria­len Inte­gri­tät Geor­giens durch Russ­land aus dem Text strei­chen las­sen. Auch die Tat­sache, dass Russ­land die Krim 2014 völker­rechts­widrig an­nek­tier­te und An­stif­ter eini­ger ein­ge­fro­re­ner Kon­flik­te in der Re­gion sei, etwa in Trans­nis­trien und Süd­osse­tien, sollte ge­löscht wer­den. Die we­gen der Anne­xion der Krim ge­gen Russ­land ver­häng­ten EU-Sank­tio­nen woll­ten die bei­den FPÖ-Poli­ti­ker per Ab­ände­rungs­an­trag in "un­nö­tig strenge Maß­nah­men" um­be­nannt wissen.

Zur Anmerkung, dass das Eindringen russischer Kampfjets in den Luft­raum von Nato und EU die Sicher­heit zivi­ler Flüge gef­ähr­det, wollten die bei­den blauen Brüs­sel-Poli­ti­ker auch noch "und die zahl­rei­chen NATO-Manö­ver in den Grenz­regio­nen zu Russ­land" ein­ge­fügt wissen.

Was treibt Vilimsky an? Nur ein Jahr später, im Jänner 2016, ist er Teil jener hoch­ka­rä­ti­gen FPÖ-Dele­ga­tion, die nach Mos­kau fliegt, um einen Freund­schafts­ver­trag mit Putins Par­tei "Eini­ges Russ­land" ab­zu­schließen. Es ist eine "Ver­ein­ba­rung über Zu­sam­men­wir­ken und Ko­ope­ra­tion", in der ne­ben der "Er­zie­hung der jun­gen Gene­ra­tion im Geiste von Patrio­tis­mus und Ar­beits­freude" auch regel­mäßige Be­ra­tun­gen zu poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Fra­gen ver­ein­bart wur­den. Ein In­sider der rus­si­schen Bot­schaft in Wien legte die wah­ren Ab­sich­ten in ei­nem Pa­pier ge­gen­über dem Fal­ter of­fen: Lob­by­ing ge­gen die Sank­tionen.

Zumindest legen das zahlreiche Änderungsanträge in Doku­men­ten des EU-Parla­ments nahe, die Vi­limsky al­leine oder mit Kol­legen aus der rechts­ex­tre­men EU-Frak­tion "Iden­ti­tät und Demo­kra­tie" ein­brachte.

Zu Jahresbeginn 2017 störte ihn an einem Bericht der EU-Kommission über den Stand der An­nä­he­rung Ser­biens an die EU, dass Ser­bien auf­ge­for­dert wird, sei­ne Außen-und Sicher­heits­poli­tik ein­schließ­lich der Poli­tik ge­gen­über Russ­land an­zu­pas­sen. Statt­des­sen wollte Vi­limsky in das of­fi­ziel­le Doku­ment ein­fü­gen las­sen, die EU müs­se die ser­bi­sche Poli­tik ge­gen­über Russ­land res­pek­tieren.

Ähnlich war es im April 2022. Da stand in einem weiteren Bericht zu Serbien, man be­daure, dass das Land sich nicht den EU-Sank­tio­nen ge­gen Russ­land an­ge­schlos­sen habe. Vi­limsky wollte diese Text­stelle ge­än­dert wis­sen: Ser­bien habe das Recht, seine Außen­poli­tik und seine diplo­ma­ti­schen Bünd­nisse im Ein­klang mit sei­nen his­to­ri­schen Tradi­tio­nen zu be­stimmen.

Serbien ist ein enger Verbündeter des russischen Präsi­den­ten Putin. Auch im rus­si­­schen Angriffs­krieg ge­gen die Ukra­ine steht Ser­bien auf der Seite Russ­­lands. Erst vergan­ge­nen Feb­ruar be­rich­te­­te die deutsche "Tagess­chau", dass ser­bi­sche Be­hörden Jagd auf rus­si­sche Oppo­si­tio­nel­­le machen und diese an Russ­land ausliefern.

Den Serbien-Abänderungsantrag brachte Vilimsky mit zwei Politi­kern des fran­zö­si­schen Ras­semblement Natio­nal ein. Der fran­zö­sische Rechts­außen-Poli­ti­ker Thierry Mariani ist als kreml­freund­lich be­kannt. Er ist Präsi­dent der fran­zö­sisch-russi­schen Ge­sell­schaft für Dia­log und be­reiste zwei Mal in of­fi­ziel­ler Mis­sion die von Russ­land annek­tier­te Krim. Des­sen Par­tei­kol­lege Jean-Lin Laca­pelle gilt eben­falls als russ­land­affin. Er reiste auch als Wahl­beo­bach­ter nach Russ­land und auf die von russi­schen Trup­pen okku­pierte Krim.

Einen Bericht des EU-Parlaments zum Kosovo im Frühjahr 2022 korri­gier­ten die drei Poli­ti­ker eben­so ge­mein­sam. Im Ent­wurf zu die­sem Be­icht wird lo­bend er­wähnt, dass die par­la­men­ta­rische Ver­samm­lung des Ko­sovo den rus­si­schen Ein­marsch in die Ukra­ine ver­ur­teilte und Sank­tio­nen ge­gen Russ­land be­schloss. Vi­limsky und seine Rechts­außen-Freun­de aus Frank­reich stör­te die­ser Ab­satz im Doku­ment. Sie for­der­ten die Strei­chung.

Zu diesen Abänderungsanträgen passt das Abstimmungsverhalten der drei FPÖ-Ab­ge­ord­ne­ten im Ple­num des EU-Par­la­ments. Sie stimmten ge­gen ver­schie­dene Ukra­ine-Hilfs­pa­kete, und als das EU-Parla­ment Russ­land im No­vem­ber 2022 offi­ziell zu ei­nem staat­li­chen Ter­roris­mus-Unter­stüt­zer er­klärte, ent­hiel­ten sich die Frei­heit­lichen ihrer Stim­me. Nur als das EU-Parla­ment ent­schied, russi­sche Reise­pässe aus den von Russ­land be­setz­ten Regi­onen der EU nicht an­zu­er­ken­nen, stimmte die FPÖ mit der Mehr­heit mit.

Im Mai 2022 lag dem EU-Parlament wiederum ein Bericht der EU-Kommission zu Bosnien und Herze­go­vina vor. Da­rin wer­den die Ver­su­che Russ­lands, die­se Region poli­tisch zu de­sta­bi­li­sieren, klar ver­ur­teilt. Vi­limsky for­dert auch hier eine Kor­rek­tur. Statt Russ­land möchte er eine De­sta­bi­li­sie­rung des Bal­kans "durch die Ver­einig­ten Staaten und Russ­land" ver­ur­teilt wis­sen. Schon zu­vor hat­te er in ei­nem Ab­ände­rungs­an­trag be­haup­tet, in Sachen Russ­land-Sank­tio­nen würde sich die EU aus­schließ­lich von den USA leiten lassen.

Auch was die Republika Srpska betrifft, ist Vilimsky im EU-Parlament auf Kreml-Linie. Milo­rad Dodik, bos­ni­scher Serben­füh­rer und Präsi­dent der Repu­blika Srpska, ist Putins Ver­bün­deter. Im Mai 2024 schrieb der Wis­sen­schaft­ler und Bal­kan-Ex­per­te Vedran Dzihic im Stan­dard, für Dodik sei "die Leug­nung des Geno­zids in Sreb­reni­ca zu sei­nem täg­li­chen poli­ti­schen Brot ge­wor­den, mit dem er vom ab­so­lu­ten Re­gie­rungs­ver­sagen in der Repu­blika Srpska und den kor­rupt-krimi­nel­len Machen­schaf­ten sei­ner Clique ab­lenken will".

Die EU-Kommission kritisierte in einem Anfang 2023 dem Parlament vor­ge­leg­ten Be­richt über Bos­nien und Herze­go­wina die "het­ze­ri­sche Rhe­torik und se­zes­sio­ni­sti­sche Poli­tik der Füh­rung der Repu­blika Srpska". Vi­limsky und der deut­sche AfD-Poli­ti­ker Bern­hard Zimniok wollten hin­ge­gen in ei­nem Ab­än­de­rungs­an­trag die "wieder­keh­rende hetze­ri­sche Rhe­torik und neo­kolo­nia­lis­ti­sche Poli­tik von Mit­glie­dern der EU Kom­mis­sion, des Euro­pä­ischen Par­la­ments und ande­ren poli­ti­schen Per­sön­lich­keiten so­wohl in Euro­pa und den USA in Be­zug auf die in­ne­ren An­ge­legen­heiten der Re­publika Srpska" ver­ur­teilt wissen.

In einem Berichtsentwurf vom April 2023 lobte der Bericht­er­stat­ter, der bul­ga­ri­sche Ab­ge­ord­ne­te Ilhan Kyuchyuk, Nord­maze­do­niens ein­deu­tige Ant­wort "auf die Ag­gres­sion ge­gen die Ukra­ine". Denn das Land habe sich den "res­trik­ti­ven Maß­nah­men der EU ge­gen Russ­land und Weiß­russ­land", also den EU-Sank­tio­nen, an­ge­schlos­sen. Vi­limsky wollte die­se Pas­sa­ge auf "die Um­set­zung der weit­ge­hend un­wirk­sa­men res­trik­ti­ven Maß­nah­men ge­gen Russ­land und Belarus" ge­än­dert haben.

Überraschend ist das Eintreten von Vilimsky pro Atomkraft. In einem Berichts­ent­wurf vom April 2023 be­grüßte das EU-Parla­ment die Fort­schrit­te Nord­maze­do­niens in der Ener­gie­wende weg von Kohle und hin zu Solar-und Wind­ener­gie. Vi­limsky, der seine Ände­rungs­an­trä­ge mit dem AfD-Poli­ti­ker Zim­niok ein­brachte, kor­ri­gier­te, er sei "äußerst be­sorgt über die fort­schrei­ten­de Ener­gie­wende weg von Kohle hin zu Solar und Wind­ener­gie". Im ge­mein­samen Ab­ände­rungs­an­trag for­der­ten FPÖ und AfD so­gar die "Hin­wen­dung zu nukle­aren Ener­gie­lö­sungen". Bei der AfD ist be­kannt, dass sie für den Aus­bau der Atom­ener­gie ist. Die FPÖ ins­ze­niert sich hin­ge­gen in Öster­reich stets gegen Atom­energie.

Mit politischen Freunden aus seiner Fraktion, darunter der AfD-Euro­pa­poli­ti­ker Maxi­milian Krah, for­derte Vi­limsky im Herbst 2021 auch eine Ände­rung in ei­nem Be­richt über die Men­schen­rechte und Demo­kra­tie welt­weit. Da­rin äußert der FPÖ-Frak­tions­führer "se­ine tiefe Be­sorg­nis über die Poli­tik der um­ge­kehr­ten Ras­sen­dis­kri­mi­nie­rung und Dis­kri­mi­nie­rung in Süd­afrika" und ver­ur­teilt, dass diese Über­griffe von der inter­natio­na­len Ge­mein­schaft "in ihrem stän­di­gen Stre­ben nach poli­ti­scher Korrekt­heit" igno­riert würden.

Abgesehen davon habe die EU nicht das Mandat, der Welt ihre Vor­stel­lung von Men­schen­rech­ten und Demo­kra­tie auf­zu­er­legen. Vi­limsky und sei­ne Freunde von Rechts­außen be­ton­ten, "dass die EU nicht die Men­schen­rechts­hüte­rin der Welt ist und dies auch nicht sein sollte".

Speziell zu Krah pflegte Vilimsky engen Kontakt. Erst im Februar tra­ten die bei­den in Wien auf. Damit ist es der­zeit vor­bei. Krah ist zwar Spitzen­kandi­dat der AfD für die Euro­pa­wahl. Seine Par­tei hat al­ler­dings ein Auf­tritts­ver­bot über ihn ver­hängt. Denn gegen Krah laufen Er­mitt­lun­gen, weil er mut­maß­lich Geld aus Russ­land und China er­hal­ten habe. Es gilt die Un­schulds­ver­mutung.

Wegen Krah ist auch die rechtsextreme Fraktion "Identität und Demo­kratie", der die FPÖ an­ge­hört, mas­siv zer­strit­ten. Weil er kürz­lich in ei­nem Inter­view er­klärt hatte, nicht jeder SS-Mann sei ein Ver­brecher ge­we­sen, wurde die AfD aus der ge­mein­samen EU-Frak­tion aus­ge­schlos­sen. Die FPÖ stimmte aller­dings ge­gen die­sen Aus­schluss. Vor ei­nem Mo­nat be­rich­tete das deut­sche Nach­richten­ma­ga­zin Spie­gel, dass im Kreml ein ei­genes Strate­gie­papier für die AfD aus­ge­ar­bei­tet worden war.

In einem weiteren Abänderungsantrag, wieder mit dem AfD-Poli­tiker Krah, for­der­te Vi­limsky das EU-Parla­ment auf, dass NGOs, die Mi­gran­ten aus dem Mit­tel­meer ret­ten oder auf eine an­dere Wei­se "der irre­gu­lä­ren Mi­gra­tion auf dem See-oder Land­weg Vor­schub leis­ten", keine EU-Gel­der mehr er­hal­ten dürfen.

Vilimsky will in der EU tätige NGOs auch verpflichten, ihre gesamten Finanzen offen­zu­legen so­wie al­le Tref­fen mit Euro­pa­ab­ge­ord­ne­ten, de­ren Mit­ar­bei­tern oder ande­ren EU-Ein­rich­tun­gen um­ge­hend on­line zu ver­öffent­li­chen. Die Ände­rungs­an­trä­ge wa­ren aber nicht er­folg­reich. Die Posi­tion der FPÖ ist in Brüs­sel der­zeit noch ein Minder­heiten­pro­gramm.

Der Falter bat Vilimsky vorigen Freitag um Stellungnahme zu seinen Ab­än­de­rungs­an­trä­gen, wollte wis­sen, ob der FPÖ-Poli­ti­ker im­mer noch der Mei­nung sei, die An­ne­xion der Krim durch Russ­land sei keine ille­ga­le Hand­lung ge­we­sen, welche Be­lege er da­für habe, dass die USA den Bal­kan de­sta­bi­li­sie­ren, und wieso er für Atomenergie plä­diert. Bis Redak­tions­schluss ver­gan­ge­nen Mon­tag gab es keine Reaktion.

Posted by Wilfried Allé Monday, July 22, 2024 8:55:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Raus aus der Globalisierungsfalle 

Wie wir die sozial-ökologische Transformation schaffen

von Nikolaus Kowall

ISBN: 9783218014342
Verlag: Kremayr & Scheriau
Umfang: 240 Seiten
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Erscheinungsdatum: 10.07.2024
Preis: € 25,00
Kurzbeschreibung des Verlags

Intervention als Chance.

Turbo-Kapitalismus, Klimakrise, Ungleichheit: Wie schaffen wir die sozial-öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­tion der Wirt­schaft? Ein Plä­do­yer für Demo­kra­tie und Markt­ein­griff.

Ungezügelte Märkte und Hyper-Globalisierung haben uns in die to­tale Ab­hän­gig­keit des Welt­markts ge­führt. Aber wie weg­kom­men von Roh­stoff-Raub­bau, Soja, Fast Fashion und an­de­ren bil­li­gen Im­port-Dro­gen? Und jetzt auch noch die De­kar­bo­ni­sie­rung schaf­fen? Ist das der Todes­stoß für unse­re Indus­trie?

Es ist eine echte Chance, meint Nikolaus Kowall. Denn die öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­tion führt zu hö­he­rer regio­na­ler Wert­schöp­fung. Im­por­te von Roh­stof­fen und Ener­gie wer­den durch Eigen­pro­duk­tion und Re­cyc­ling er­setzt, die Weg­werf­ge­sell­schaft durch die Kreis­lauf­wirt­schaft.

Damit der grüne Umbau der Wirtschaft nicht durch ruinösen Wett­be­werb ver­hin­dert wird, brau­chen wir aber mehr Demo­kra­tie­lo­gik und weni­ger Markt­lo­gik. Wachen wir auf, sonst pas­siert die Zu­kunft ohne uns.

FALTER-Rezension

Der Traum der ökologischen Re­indus­tria­li­sie­rung

Markus Marterbauer in FALTER 29/2024 vom 19.07.2024 (S. 19)

Deindustrialisierung, Verlust an Wett­be­werbs­fähig­keit, über­bor­den­de Um­welt­büro­kra­tie: Die Unter­neh­mer­ver­bände üben sich in Pes­si­mis­mus. Niko­laus Ko­wall tut das Ge­gen­teil. Der Wie­ner Öko­nom legt ein opti­mis­ti­sches und kon­struk­ti­ves Buch vor, das mit gu­ter Ana­lyse und muti­gen Politik­vor­schlä­gen nach vorne schaut.

Kowall unterscheidet zwei grundlegende Politik­kon­zepte: das Pri­mat der Demo­kra­tie samt Inter­ven­tion in die Märkte, das zwi­schen 1945 und 1980 einen natio­nal-und so­zial­staat­lich ge­zähm­ten Kapi­ta­lis­mus auf­bau­te; und das Pri­mat der Märk­te samt markt­kon­for­mer Demo­kra­tie in der neo­libe­ra­len Glo­ba­li­sie­rung seit den 1980er-Jah­ren. Kowall pro­pa­giert den Über­gang in eine drit­te Pha­se: ambi­tio­nier­te so­zi­al-öko­logi­sche Trans­for­ma­tion, in der die euro­pä­ische Demo­kra­tie den Märk­ten kla­re Re­geln vor­gibt, etwa kla­re so­zia­le und öko­lo­gi­sche Min­dest­stan­dards im Außen­han­del oder ei­nen ho­hen Stel­len­wert für Ver­sor­gungs­sicher­heit.

Und Österreich? Aus Kowalls Sicht war das Land in beiden Pha­sen der Ver­gan­gen­heit er­folg­reich und hat ei­ne viel­ver­spre­chen­de Aus­gangs­posi­tion für die drit­te Pha­se. Er be­legt dies mit der Me­tall­in­dus­trie, dem Herz­stück der hei­mi­schen Wirt­schaft. Die Er­folgs­ge­schichte be­ginnt im frü­hen 19. Jahr­hun­dert mit der Grün­dung der Mon­tan­uni­ver­si­tät in Leo­ben ("die Denk­fa­brik der öster­rei­chi­schen In­dus­tri­ali­sie­rung") durch Er­zher­zog Jo­hann ("die letz­te poli­tisch be­mer­kens­werte Fi­gur des Hauses Habsburg").

Österreich war ab 1970 wirtschaftlich auf der Überhol­spur, hat sich aber auch in der Glo­ba­li­sie­rung gut ge­schla­gen. Mit star­kem So­zial­staat, gu­ter Infra­struk­tur, öf­fent­li­chem Bil­dungs­sys­tem und er­folg­rei­chen Mit­tel­ständ­lern, die in ih­ren Ni­schen zu Welt­markt­füh­rern wur­den. Nun soll die Poli­tik mit dem Ziel der grü­nen Re­in­dus­tria­li­sie­rung ge­zielt je­ne techno­lo­gi­schen Vor­rei­ter­be­trie­be unter­stüt­zen, die in der treib­haus­gas­freien Pro­duk­tion Cham­pions wer­den kön­nen. Etwa das In­ves­ti­tions­pro­gramm in Elek­tro­licht­bogen und Was­ser­stoff beim Spe­zial­stahl­er­zeu­ger Voest, das Re­cycling­pro­gramm in der Alu­minium­pro­duk­tion der Amag oder die Clus­ter in der Pro­duk­tion von Schie­nen und Bahn­bau­ma­schi­nen. Die De­kar­boni­sie­rung der In­dus­trie, die Kreis­lauf­wirt­schaft und die Wen­de zu öf­fent­li­cher Mobi­li­tät und er­neuer­ba­rer Ener­gie kön­nen die Ba­sis für den star­ken In­dus­trie­stand­ort der Zu­kunft bil­den.

Doch derzeit fehlt eine vorausschauende Indus­trie­poli­tik. Die Per­spek­tive ist rück­wärts­ge­rich­tet ("Auto­land","Ver­bren­ner") und markt­gläu­big. Doch: "Der Markt kann die öko­lo­gi­sche Frage im 21. Jahr­hun­dert genau­so we­nig lö­sen wie die so­zia­le Fra­ge im 19. Jahr­hun­dert." Es braucht kla­re demo­kra­tisch er­wirk­te Vor­ga­ben für die Trans­for­mation.

Kowall sieht vor allem die EU als Vorreiter, etwa im Emissions­handel, im In­ves­ti­tions­pro­gramm Next Gene­ra­tion EU, beim Lie­fer­ket­ten­ge­setz und im CO2-Grenz­aus­gleich. Hier ist der Au­tor zu blau­äu­gig, for­mie­ren sich doch ge­ra­de kon­ser­va­ti­ve Kräf­te, die un­ter der Über­schrift von Wett­be­werbs­fä­hig­keit und Ent­büro­kra­ti­sie­rung den fun­da­men­ta­len so­zia­len und öko­lo­gi­schen Fort­schritt ver­hin­dern wollen.

Doch soll man das einem jungen Ökonomen vor­werfen, der die Welt ver­bes­sern will? Niko­laus Ko­wall kämpft um Vor­zugs­stim­men bei den Natio­nal­rats­wah­len. Die öster­rei­chi­sche Poli­tik kann von ei­nem Öko­no­men mit dem An­lie­gen der grü­nen Re­in­dus­tri­ali­sie­rung und der Fähig­keit, se­ine Ein­sich­ten über­zeu­gend vor­zu­brin­gen, nur profi­tieren.

Posted by Wilfried Allé Wednesday, July 17, 2024 9:07:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Gesundheit in der Klimakrise 

Auswirkungen. Risiken. Perspektiven.

Welche Gesundheitsrisiken und Krankheiten durch Klimawandel, Erderwärmung und Wetterextreme drohen und wie Sie sich schützen können.

Herausgegeben von Hans-Peter Hutter

Reihe: Ratgeber der MedUni Wien
ISBN: 9783214042448
Verlag: MANZ Verlag Wien
Umfang: 152 Seiten
Format: Buch
Genre: Ratgeber/Gesundheit
Erscheinungsdatum: 28.02.2023
Preis: € 23,90
Kurzbeschreibung des Verlags

Der Klimawandel und seine Folgen für Körper und Seele

Die Wetterextreme häufen sich, auch in Mitteleuropa: Dürre­perio­den wech­seln sich mit Über­schwem­mun­gen bis­her un­er­reich­ten Aus­maßes ab und Hitze­wel­len trei­ben die Über­sterb­lich­keit bei Ri­si­ko­grup­pen in die Höhe.

Das Autoren-Team rund um Herausgeber und Medi­ziner Hans-Peter Hutter er­läu­tert in ver­ständ­li­chen Wor­ten, was die Be­grif­fe Klima und Klima­wan­del tat­säch­lich be­deu­ten. Vor al­lem die viel­fäl­ti­gen Aus­wir­kun­gen der Klima­krise auf Ge­sund­heit und Wohl­be­fin­den des Men­schen ste­hen da­bei im Vor­der­grund.

  • Krankheiten durch Klimawandel: Die physischen und psychischen Folgen
  • Welche Personengruppen sind besonders von Gesundheits­ri­si­ken be­troffen?
  • Wie trifft der Klimawandel Österreich im Speziellen?
  • Geeignete Maßnahmen zum Klimaschutz, die Sie per­sön­lich um­set­zen können
  • Welche neuen Infektionskrankheiten drohen durch die Folgen der Erd­er­wärmung?
  • Herausgegeben von Hans-Peter Hutter, Experte für Umwelt­medizin
Über den vorausschauenden Umgang mit dem Klimawandel: Was kann ich tun?

Von der Wahl des Wohnorts bis hin zum bewussten Ver­zicht auf un­nö­ti­ge Res­sour­cen­ver­schwen­dung – es gibt viele Wege, mit der Erd­er­wär­mung um­zu­ge­hen. Zahl­rei­che Tipps und In­for­ma­tio­nen für die not­wen­di­gen An­pas­sun­gen an den Klima­wan­del fin­den Sie zu­sam­men­ge­stellt in die­sem Rat­geber. Ge­sund­heit und prä­ven­tive Schutz­maß­nah­men ste­hen da­bei ganz be­son­ders im Fokus.

Wer ist besonders betroffen? Welche Vorkehrungen in Bezug auf Wet­ter­ex­tre­me ma­chen für je­den Ein­zel­nen Sinn? Wie ver­hal­ten Sie sich rich­tig wäh­rend ei­ner Hitze­wel­le? Die­ses Klima­wan­del-Buch rich­tet sei­nen Blick auf die medi­zi­ni­schen Aus­wir­kun­gen der Krise und gibt prak­ti­sche Rat­schlä­ge zum Um­gang mit den ent­ste­hen­den Ge­sund­heits­risiken.

FALTER-Rezension

EIN STILLER KILLER

Gerlinde Pölsler in FALTER 28/2024 vom 12.07.2024 (S. 43)

Wien, Graz, Linz und Klagenfurt strahlen in Orange. Das heißt: "Ach­tung!" Ab Mitt­woch, den 10. Juli, prog­nos­ti­ziert der Wet­ter­warn­dienst von Geo­Sphere Aus­tria, Öster­reichs of­fi­ziel­lem Wet­ter­dienst, für den Osten des Lan­des "star­ke Hitze­be­lastung".
Immerhin leuchtet die Karte noch nirgends rot, das hieße "Gefahr!".

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Zahl der Hitze­tage mit min­des­tens 30 Grad in Öster­reich ver­viel­facht: Ka­men die Landes­haupt­städte zwi­schen 1961 und 1990 im Schnitt auf drei bis 12 sol­cher Tage, waren es von 1991 bis 2020 schon neun bis 23, manch­mal auch schon mehr als 40.

Heiße Temperaturen, das bedeutet: baden gehen, Eis es­sen und abends ewig im Schani­gar­ten sit­zen. Es heißt aber auch: mehr Un­fälle, Ge­walt und psy­chi­sche Pro­ble­me, mehr Auf­nah­men in den Spi­tä­lern - und mehr Ster­be­fälle. Los geht all das im­mer frü­her im Jahr.

Am 18. Juni bekommt der 64-jährige Reinhard Tesch auf dem Tennis­platz im stei­ri­schen Peg­gau ein komi­sches Ge­fühl im Bauch. Er sagt sich: "Nur noch den Satz fer­tig spie­len", wie er spä­ter der Klei­nen Zei­tung er­zählt. Doch dann bricht er zu­sam­men: schwe­rer Vor­der­wand­in­farkt, das Herz steht still. 20 Mi­nu­ten kämp­fen vier Tennis­spie­ler um sein Le­ben. Kurz be­vor der Ret­tungs­hub­schrau­ber auf­setzt, be­ginnt sich Teschs Brust­korb wie­der zu he­ben und zu sen­ken. Er überlebt.

Ende Juni häufen sich Meldungen aus Griechen­land über groß­teils älte­re Wan­de­rer, die an der Hitze ster­ben. Weil es nor­maler­weise um die­se Zeit am Pelo­pon­nes noch nicht so heiß ist, kom­men ge­rade Pensio­nis­ten gerne. Doch heuer misst man schon im Juni bis zu 45 Grad. Min­des­tens sechs Tou­risten kom­men ums Leben.

Um dieselbe Zeit kehren zahlreiche Pilger von der muslimischen Wall­fahrt Hadsch nicht mehr zu­rück: 1301 Men­schen seien in Mekka oder auf dem Weg dort­hin auf­grund ex­tre­mer Hit­ze ge­stor­ben, teilt Saudi-Arabien mit.

Hitze sei die "vielleicht tödlichste Wettergefahr", warnen Forscher vom Wegener Center für Klima und Glo­ba­len Wan­del an der Uni Graz am Mon­tag: Es brau­che ein welt­wei­tes Hitze­warn­system.

In Österreich lag die errechnete Übersterblichkeit aufgrund von Hitze in den ver­gan­ge­nen Jah­ren bei bis zu 550 Todes­fäl­len. "In eini­gen Jah­ren gab es be­reits mehr Tote durch Hitze als im Straßen­ver­kehr", in­for­miert Öster­reichs Staats-Wet­ter­warte von Geo­Sphere Aus­tria. Al­lein im Som­mer 2022, dem heißes­ten in Euro­pa seit Be­ginn der Wet­ter­auf­zeich­nun­gen, wa­ren laut dem euro­pä­ischen Sta­tis­tik­amt Euro­stat wahr­schein­lich über 61.000 Todes­fäl­le auf die Hit­ze zu­rück­zu­füh­ren. Vor al­lem äl­tere Men­schen star­ben und von ih­ nen wie­der ver­mehrt Frauen. Ganz ge­nau weiß man al­ler­dings nicht, wie vie­le Le­ben die Hit­ze kos­tet, weil sie sich oft zu an­de­ren Vor­er­kran­kun­gen ge­sellt: Der Um­welt­medi­zi­ner Hans-Peter Hutter von der Med­Uni Wien, Heraus­geber des Buches "Ge­sund­heit in der Klima­krise":"Die Hitze ist ein lei­ser Mörder."

"Leider ein Klassiker", erklärt Harald Herkner, Präsident der Öster­rei­chi­schen Ge­sell­schaft für Not­fall­medi­zin und Vize­chef der Not­fall­kli­nik am AKH. "Ein äl­te­rer Men­sch trinkt zu wenig, kolla­biert und lan­det in der Kli­nik. Die Hitze­fol­gen sind zwar medi­zi­nisch oft leicht zu be­han­deln, doch da­nach im Kran­ken­haus ist die Ge­fahr, eine Lungen­ent­zün­dung oder ei­nen Harn­wegs­in­fekt zu be­kom­men, hö­her als zu Hause." Und schon dreht sich die Spi­rale rasch nach unten.

Gleich wie Überschwemmungen oder Hurrikans ist die Hitze extrem un­ge­recht: Babys und Alte, chro­nisch Kranke und Men­schen mit Be­hin­de­rung trifft sie viel här­ter. Bau­ar­bei­ter und Bus­fahrer lei­den mehr als Men­schen, die im Büro wer­keln, Ob­dach­lose und Be­woh­ner bil­liger und schlecht iso­lier­ter Woh­nun­gen mehr als Be­tuch­tere. In den Städten leben die Ärme­ren meist auch noch rund um die "Hitze­in­seln", an viel be­fah­re­nen Straßen ohne Bäu­me und Grün­flä­chen. Am 5. Juli 2022, das Thermo­meter kratz­te an der 30-Grad-Marke, zog der Fal­ter mit einer Wärme­bild­ka­mera durch die Stadt - und fand ge­wal­tige Unter­schiede: Den zu­beto­nier­ten Park­platz am Nasch­markt zeigte die Kame­ra tief­rot mit ei­ner Ober­flächen­tempe­ra­tur von 52 Grad. Ganz anders die Berg­gas­se im neun­ten Bezirk: Dort, unter vie­len Bäu­men, kam der Boden auf "nur" 32 Grad. As­phalt kann sich auf über 60 Grad auf­hei­zen, in­for­miert der Ver­kehrs­club Öster­reich, der da­zu auf­ruft, Hitze-Hot­spots auf Geh­stei­gen in ei­ner On­line-Karte ein­zu­tragen.

Schuften unter der Sonne Dem 39-jährigen Wiener Michael Schaden, der seit 20 Jah­ren am Bau ar­bei­tet, geht es mit der Hitze noch ganz gut. Er be­obach­tet aber, wie äl­tere Kol­le­gen kämp­fen: "Denen rin­nen rich­tig die Schweiß­per­len run­ter, man­chen wird schwind­lig." Das ist auch ge­fähr­lich, schließ­lich ste­hen die Ar­bei­ter oft hoch oben auf ei­nem Ge­rüst oder Dach. "Wir sagen ihnen dann: ,Komm, setz dich mal hin und d'erfang dich wieder. Geh in den Schatten oder in den Container.'"

Mit seiner Firma, der Hazet Bauunternehmung, ist Schaden zu­frieden: Was­ser, Mine­ral­was­ser und Son­nen­milch stün­den im­mer gra­tis zur Ver­fü­gung. Auch hitze­frei ha­ben er und sei­ne Kol­legen schon öf­ter be­kom­men: Ab 32,5 Grad im Schat­ten gibt es die Mög­lich­keit, die Ar­beit nieder­zu­legen - aller­dings be­steht da­rauf kein Rechts­an­spruch, es liegt al­lein am Gut­dün­ken der Arbeit­ge­ber. "Nur jeder vierte am Bau Be­schäf­tigte be­kam im ver­gan­ge­nen Som­mer stun­den­wei­se hitze­frei", klagt Bau­ge­werk­schafts­boss Josef Mu­chitsch. Ge­mein­sam mit der Ar­bei­ter­kam­mer und Fri­days for Fu­ture for­dert die Gewerk­schaft, dass alle Out­door-Be­schäf­tig­ten ab 30 Grad be­zahlt hitze­frei be­kom­men müs­sen. Andern­falls, drohte Mu­chitsch schon, werde man mit Ak­ti­vis­ten der Klima­be­we­gung "jene Bau­stel­len blockie­ren, die trotz ge­fähr­li­cher Hitze wei­ter schuf­ten las­sen". Immer­hin führt der Kampf ge­gen die Hitze auch zu neuen poli­ti­schen Allianzen.

Schwitzen im Plastiksackerl

400.000 Menschen hackeln in Österreich unter freiem Himmel, etwa bei der Müll­ab­fuhr oder als Gärt­ner. Aber auch drin­nen kann das Schuf­ten bei 30 Grad auf­wärts grenz­wer­tig wer­den, etwa in Pro­duk­tions­hal­len oder an den Bügel­ma­schi­nen von Wäsche­reien. Die Be­las­tungen, die dort spe­ziell Frauen tref­fen, wer­den oft über­sehen. Die Ar­bei­ter­kam­mer Wien hat des­halb im Früh­jahr Be­triebs­rä­tin­nen genau dazu interviewt.

Sehr anstrengend wird es etwa für die Pflegekräfte. Bei Hitze ist das Heben oder Wa­schen von Patien­ten be­schwer­li­cher, gleich­zei­tig sind auch die kran­ken oder al­ten Men­schen ge­reiz­ter und brau­chen mehr Zu­wen­dung. "Wenn die Außen­be­schat­tung fehlt, hat es in den Pa­tien­ten­zim­mern an heißen Ta­gen auch über 35 Grad", sagte eine Be­triebs­rätin.

Einige Beschäftigte erzählten, ihre Arbeits­klei­dung be­stehe aus bil­li­gem, syn­the­ti­schem Mate­rial: "Das G'wand ist wie ein Plas­tik­sackerl." Ein wei­teres Pro­blem, das Frauen stär­ker be­trifft: Bei Hitze soll man mehr trin­ken, und das heißt, dass man öf­ter aufs Klo muss. Doch wie sol­len Bus­fahrer­innen oder mo­bile Pfle­ge­rin­nen das machen? Das "Frei­luft-WC" ist für Frauen meist kei­ne Option, die Folge: Frauen trin­ken weni­ger, wie eine Straßen­bahn­schaffnerin er­zählt. Ge­sund­heit­lich ist das riskant.

Alles kein Problem für Sie?

"Mir tut die Hitze nichts", glauben viele. "Dabei wird unter­schätzt, dass Hitze für al­le Men­schen eine ge­wis­se Be­las­tung dar­stellt", sagt Um­welt­medi­zi­ner Hans-Peter Hutter. Der Kör­per muss eine Tempe­ra­tur von rund 37 Grad hal­ten. Um sich ab­zu­küh­len, wird die Haut viel stär­ker durch­blu­tet und die Schweiß­ab­gabe an­ge­kur­belt. Das Herz muss deut­lich mehr Blut pro Mi­nu­te an die Peri­phe­rie pum­pen, der Or­ga­nis­mus ist ge­stresst. Um­so mehr, je hö­her die Luft­feuch­tig­keit und je weni­ger der Wind weht.

In der milderen Form kann das zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel und Er­schöp­fung füh­ren. Die Hit­ze kann aber auch einen Hitz­schlag mit Todes­folge aus­lö­sen. Außer dem Her­zen sind das Ge­hirn und die Nie­ren be­son­ders ge­fähr­det. "Das Risi­ko für Nie­ren­steine und -koli­ken steigt stark an", weiß Not­fall­medi­ziner Herkner. "Diese las­sen sich zwar gut be­han­deln, aber die Schmer­zen sind mit­unter extrem."

Je intensiver die Hitzewelle ist und je länger sie dauert, desto größer wird die Be­las­tung. In heißen Näch­ten kommt es außer­dem zu mehr Schlag­an­fäl­len, wie eine brand­neue, im Euro­pean Heart Jour­nal publi­zierte Stu­die aus Deutsch­land zeigt. Ge­fähr­det seien be­son­ders Ältere und Frauen.

Generell verstärken sich die Auswirkungen von Hitze in den soge­nannten Tropen­nächten, in de­nen die Außen­tempe­ra­turen nicht mehr unter 20 Grad sin­ken, er­klärt Hans-Peter Hutter: "Stel­len Sie sich vor, Sie kom­men nach ei­nem heißen Ar­beits­tag schon ab­ge­schla­gen nach­hause. Bleibt es in der Nacht sehr warm, schla­fen Sie schlecht und be­gin­nen den nächs­ten Tag be­reits mit einer defi­zi­tä­ren Leis­tungs­fähig­keit." Es wird wie­der sehr heiß und so wei­ter. All das scha­det kör­per­lich ohne­hin be­ein­träch­tig­ten Men­schen noch viel mehr.

Die Hitze als Fußfessel In den letzten Tagen blieb der Energieberater Mex M. lieber im Haus - auch wenn es bei ihm im Wald­vier­tel deut­lich küh­ler war als in Wien oder Graz. Doch M. hat Mul­tiple Skle­rose (MS), und ab etwa 25 Grad braucht er den Roll­stuhl, ab 30 Grad den elek­tri­schen, weil er dann die Rä­der nicht mehr selbst an­trei­ben kann. Seine Bei­ne tun bei die­sen Tem­pe­ra­turen ein­fach nicht mehr, was er will. "Ich ver­glei­che das mit ei­nem fern­ge­steuer­ten Auto", sagt er. "Die Rei­fen dre­hen sich, der Motor funk­tio­niert, aber die Fern­steue­rung funk­tio­niert nicht." Acht von zehn MS-Pati­enten lei­den an die­sem Uhthoff-Phäno­men, das die Symp­tome ihrer Krank­heit bei Hitze verstärkt.

Und die Tage, an denen Mex quasi unter Hausarrest steht, werden mehr und mehr. Frü­her konnte er im Früh­ling noch raus, jetzt ist es da meis­tens auch schon zu warm. So rich­tig auf­at­men kann er erst ab Ok­to­ber. Weil die Erd­er­hit­zung für M. wie eine Fuß­fes­sel wirkt, klag­te er, stell­ver­tre­tend für al­le Men­schen, die Repu­blik: Die Re­gie­rung tue zu wenig ge­gen die Klima­krise. Vor zehn Ta­gen hat der Euro­pä­ische Ge­richts­hof für Men­schen­rechte sei­ne Klage als prio­ri­tär ein­ge­stuft, er wird sie also frü­her behandeln.

Auch anderen chronisch Kranken geht es mit steigenden Tempera­turen schlech­ter: Wer an der Lun­gen­krank­heit COPD lei­det, hat noch mehr Atem­be­schwer­den. Bei Herz­kran­ken steigt das In­farkt­risi­ko, bei Dia­be­ti­kern kann die In­sulin­steue­rung ent­glei­sen. Ge­fähr­li­cher ist die Hitze auch für Schwan­gere, Babys und Klein­kinder und für ge­brech­liche Men­schen, die al­lein und so­zial iso­liert in heißen Woh­nungen leben.

Verwirrt auf der Notfallstation Bei Hitzewellen landen vor allem Ältere bei Harald Herkner in der Not­fall­kli­nik: "Sie kön­nen nicht mehr so gut schwit­zen, ha­ben ein an­de­res Durst­ge­fühl und be­mer­ken oft gar nicht, dass sie aus­trocknen. Dann ver­sagen die Or­gane, sie kön­nen ge­rade noch die Ret­tung ru­fen oder blei­ben hilf­los in ihrer Woh­nung liegen."

Oft genüge eine Infusion, aber: "Gerade bei älteren Menschen ist der Wechsel des Um­felds im Kran­ken­haus dann oft ein Rie­sen­problem. Der alte Men­sch, viel­leicht de­ment, wacht im Kran­ken­haus auf, kennt sich nicht aus und be­ginnt in der Nacht un­ru­hig zu wer­den." Durch einen Delir, eine plötz­liche star­ke Ver­wirrt­heit, kann sich der Ge­sund­heits­zu­stand sehr stark ver­schlechtern.

Zahlen zur hitzebedingten Übersterblichkeit nach Alters­grup­pen sind rar, es gibt sie je­doch für den ex­trem heißen Som­mer 2003 in Deut­schland. Dem­nach "nahm die Mor­ta­li­tät in der ers­ten August­hälf­te bei den 60-bis 70-Jäh­ri­gen um 66 Pro­zent zu, bei den 70-bis 80-Jäh­rigen um 100 Pro­zent und bei den über 90-Jäh­rigen so­gar um 146 Pro­zent". Herkner for­dert, die Akut-und Not­fall­ver­sor­gung "klima­fit" zu ma­chen; es brauche eine ei­gene Aus­bil­dung. Schließ­lich wird sich die Zahl der über 65-Jäh­ri­gen in den nächs­ten zehn Jah­ren ver­doppeln.

Babys allein im Auto Für ein Baby oder Kleinkind kann Hitze schnell gefähr­lich wer­den, da sein Kör­per die Tempe­ra­tur noch nicht so gut regu­lie­ren kann. Säug­linge sollte man nicht der direk­ten Son­ne aus­setzen.

Unterschätzt wird das Risiko, wenn ein Kind allein im Auto zurück­bleibt: Schon bei einer Außen­tempe­ra­tur von 24 Grad kann sich das Auto­innere in ei­ner hal­ben Stun­de auf über 40 Grad Cel­sius auf­hei­zen. Bei Kin­dern kann die Kör­per­tempe­ratur dann in­ner­halb von Mi­nu­ten so hoch­schnel­len, dass es gefähr­lich werden kann.

Am 30. Juli des Vorjahres musste deswegen in Oberöster­reich ein 14 Monate alter Bub ins Spi­tal. In Israel starb im April ein Drei­jäh­riger im Auto an Hitze­schock und Ende Juni ein acht­jäh­ri­ges Mäd­chen im US-Bun­des­staat North Caro­lina: Es war drei­ein­halb Stun­den bei bis zu 34 Grad Außen­tempe­ra­tur al­lein im Auto.

"Auch wenn man vorhat, nur kurz etwas zu besorgen oder das Kind gerade so schön schläft, sollte man bei som­mer­li­chen Ver­hält­nis­sen nie­manden in ei­nem in der Son­ne ge­park­ten Fahr­zeug ein­ge­sperrt zu­rück­las­sen", warnt der ÖAMTC.

Das gelte auch für Tiere: Regelmäßig erleiden auch im Pkw "geparkte" Hunde einen Hitz­schlag. Be­merkt man ein bei Hitze ein­ge­schlos­senes Klein­kind oder Tier, sol­le man ver­su­chen, den Len­ker aus­fin­dig zu ma­chen, andern­falls die Poli­zei ver­stän­digen - und not­falls die Schei­be ein­schlagen.

Jetzt kracht 's Eltern "vergessen" ihre Kinder einer kanadischen Studie zu­folge dann im Auto, wenn sie ge­stresst oder müde sind oder ihre Tages­rou­tine sich ge­än­dert hat. Hitze knab­bert eben nicht nur an un­se­rer phy­si­schen Leis­tungs­fähig­keit, son­dern auch an der kogni­ti­ven und psy­chischen.

"Es gibt Studien, wonach bei einer permanenten Hitzesituation ohne Er­holung in der Nacht ver­mehrt Kon­flikte ent­ste­hen", er­klärt Oliver Opatz, der am Charité-Insti­tut für Phy­sio­logie zu ex­tre­men Um­wel­ten forscht, "weil unser ve­ge­ta­ti­ves Ner­ven­sys­tem uns Kampf­mo­dus sug­ge­riert." Die­sen Mo­dus merkt je­der, der sich bei Hitze auf die Straßen wagt. Laut dem Kura­to­rium für Ver­kehrs­sicher­heit kracht es dann öf­ter: An Ta­gen ab 30 Grad steigt die Zahl der Ver­kehrs­un­fäl­le mit Per­so­nen­scha­den um ein Vier­tel, wie eine Ana­lyse der Un­fälle im Jahr 2021 ergab. Die Un­fall­ur­sache "Un­acht­sam­keit/Ab­len­kung" klet­terte so­gar um 36 Proz­ent nach oben.

Auch Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen haben in solchen Phasen mit ver­stärk­ten Symp­tomen zu kämp­fen, weiß Hans-Peter Hutter: "Etwa bei de­pres­si­ven Ver­stim­mun­gen und Demenz, bei Schizo­phre­nie und bipo­la­ren Stö­rungen. Hier gibt es öfter Kran­ken­haus­auf­nah­men." Laut US-Stu­dien steige auch die Zahl der Fälle von Sub­stanz­miss­brauch, Sui­ziden und Gewalt­delikten.

Ende eines Rennens Am 29. Juni werden beim Start der Tour de France in Florenz be­reits 36 Grad ge­mes­sen. Die Sprint-Le­gen­de Mark Caven­dish muss sich we­gen der Hitze schon bald über­geben, fährt aber weiter. Kol­lege Michele Gazzoli ist ge­zwun­gen auf­zu­geben: Er lan­det we­gen eines Hitz­schlags im Spital.

Der Notfallarzt Harald Herkner hat schon öfter "drama­tische Fälle" über­hitz­ter Rad­renn­fah­rer und vor al­lem Mara­thon­läufer be­han­delt. "Ist es am Tag des Mara­thons sehr heiß und kommt di­rekte Son­nen­ein­strah­lung da­zu, dann se­hen wir eine hohe Zahl von schwer be­ein­träch­tigen Läu­fern, teil­weise so­gar mit Todes­fäl­len. Man­che sind schon mit so stark er­höh­ter Kör­per­tempe­ra­tur zu uns ge­kommen - und wa­ren nicht mehr zu retten."

Was tun?

Zum einen ist die Politik gefordert: Gesundheits­minister Johannes Rauch (Grüne) hat im Juni den neuen Natio­na­len Hitze­schutz­plan prä­sen­tiert. Der schreibt fest, was Bund, Län­der, Geo­Sphere Aus­tria so­wie Ge­sund­heits-und Sozial­ein­rich­tun­gen bei großer Hit­ze zu tun ha­ben. Klima­for­sche­rin Chloe Brimi­combe von der Uni Graz sieht da­rin große Fort­schrit­te, ver­misst aber Plä­ne zur Hitze­vor­sor­ge und -anpas­sung, etwa für Ab­kühl-Ein­rich­tun­gen und die Gratis­ab­gabe von Wasser.

Und was kann jeder einzelne tun? Vor allem: alles lang­samer an­gehen, genug trin­ken. Körper­liche An­stren­gung wäh­rend der heißes­ten Stun­den mög­lichst ver­mei­den, statt­des­sen auf den frü­hen Mor­gen oder Abend ver­legen. Zu die­sen Zei­ten auch lüf­ten, tags­über die Fens­ter schließen und die Räume ab­dun­keln. Außen­ja­lous­ien wir­ken viel bes­ser als Innen­jalousien.

Sehr starke Kopfschmerzen, anhaltendes Erbrechen oder hohe Körper­tem­pe­ra­tur sind Zei­chen eines Not­falls: so­fort die Ret­tung unter 144 ver­stän­di­gen. Be­trof­fene rasch aus der Sonne brin­gen und mit feuch­ten Tü­chern, be­son­ders am Kopf und im Nacken, kühlen.

Ebenso wichtig: Vorbeugend mit Arzt oder Ärztin besprechen, ob Medi­ka­mente wäh­rend Hitze­wel­len an­ders ein­zu­neh­men sind. Be­son­ders auf kran­ke, psy­chi­sch be­ein­träch­tig­te und al­te Men­schen ach­ten - "ge­rade die Ver­wund­bars­ten se­hen sich nicht gern als ver­wund­bar", so Brimi­combe. Mit Al­lein­le­ben­den ver­ein­baren, dass täg­lich je­mand vor­bei­schaut oder an­ruft.

Notfallarzt Herkner: "Passt auf euch selber auf, passt aufeinander auf."

Posted by Wilfried Allé Thursday, July 11, 2024 10:28:00 AM Categories: Ratgeber/Gesundheit
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Wir füttern die falschen Kühe 

Der betrogene Konsument - Wege aus dem System

von Leo Steinbichler

ISBN: 9783800078271
Verlag: Carl Ueberreuter Verlag
Umfang: 268 Seiten
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Erscheinungsdatum: 22.03.2023
Preis: € 26,00
Kurzbeschreibung des Verlags

Wir Konsumenten werden von früh bis spät ge­täuscht. Durch ein Sys­tem, das von fal­schen Ver­spre­chun­gen zu Tier­wohl und Lebens­mit­tel-Quali­tät lebt. Profi­teure des üb­len Spiels mit un­serer Er­näh­rung und Ge­sund­heit sind Super­markt­rie­sen und Lebens­mit­tel­indus­trie, be­güns­tigt durch Dop­pel­moral, Freun­derl­wirt­schaft und Total­ver­sagen der Politik.

Wie ausweglos ist die Lage? Wie machtlos sind wir tat­säch­lich?
Leo Steinbichler, Vollblutlandwirt und Voll­blut­poli­ti­ker, kennt bei­de Sei­ten wie kaum ein ande­rer. Schonungs­los wie spitz­zün­gig zeigt er auf, wo die Fä­den zu­sam­men­lau­fen, wer die Ak­teu­re sind.

Aber er ortet auch Wege aus dem System – für eine lebenswerte Zu­kunft, faire Preise, hoch­wer­tige Nah­rung aus nach­hal­ti­ger Be­wirt­schaf­tung und ech­tes Tierwohl.

  • Unser Essen im Sumpf aus Handel, Industrie & Politik
  • Agrar-Rebell, Landwirt und Politiker
  • Gnadenlos ehrlich
FALTER-Rezension

Gerlinde Pölsler in FALTER 26/2024 vom 28.06.2024 (S. 44)

In seinen "Stallvideos" gibt der ober­öster­reichi­sche Land­wirt Leo Stein­bichler gern den "Agrar­re­bel­len": Be­vor er aus dem Bauern­bund flog, saß er für die ÖVP im Bun­des­rat und spä­ter fürs Team Stro­nach im Natio­nal­rat. In sei­nem Buch krie­gen alle ihr Fett ab: die Agrar­poli­tik und Raiff­eisen, ÖVP und SPÖ, die AMA und schein­hei­li­ge Kon­sumen­ten. Mit Ein­blicken zu Bezirks­jäger­tagen und Bauern­bund­sit­zungen.

Posted by Wilfried Allé Thursday, June 27, 2024 8:48:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Das leise Sterben 

Warum wir eine landwirtschaftliche Revolution brauchen, um eine gesunde Zukunft zu haben

von Martin Grassberger

ISBN: 9783701734795
Verlag: Residenz
Umfang: 336 Seiten
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Natur, Technik/Natur, Gesellschaft
Erscheinungsdatum: 24.09.2019
Preis: € 25,00
Kurzbeschreibung des Verlags

Wissenschaftsbuch des Jahres 2020 in der Kategorie Naturwissenschaft/Technik!

Umweltverschmutzung, industrielle Landwirtschaft und Raubbau am Ackerboden verursachen chronische Krankheiten. Was ist der Ausweg?

Während die Weltbevölkerung rasant auf die 8. Milliarde zusteuert und im­mer mehr Men­schen am Wohl­stand teil­ha­ben wol­len, brei­ten sich ste­tig chro­ni­sche Krank­heiten in al­len Alters­grup­pen und Ge­sell­schafts­schichten aus. War­nun­gen vor un­mit­tel­baren Be­dro­hungen wie Um­welt­ver­schmut­zung, Boden­ver­armung und Ab­nahme der Bio­di­versi­tät ver­hal­len weit­ge­hend un­ge­hört. Der Human­bio­loge und Arzt Martin Grass­berger zeigt auf, dass ein un­mit­tel­ba­rer Zu­sam­men­hang zwi­schen der rück­sichts­lo­sen Zer­stö­rung der Natur und den lei­sen Epi­de­mien chro­ni­scher Krank­hei­ten be­steht. Die Ein­sich­ten sind er­nüch­ternd. Grass­berger zeigt je­doch mög­li­che Aus­wege aus der ge­gen­wär­ti­gen glo­ba­len Ge­sund­heits- und Um­welt­krise auf. Das Buch der Stunde!

FALTER-Rezension

Gerlinde Pölsler in FALTER 26/2024 vom 28.06.2024 (S. 44)

Es war das Wissenschaftsbuch des Jahres 2020 (Kategorie Natur­wis­sen­schaft): Der Arzt und Bio­loge Martin Grass­berger be­schreibt da­rin, was die indus­triel­le Land­wirt­schaft mit chro­ni­schen Er­kran­kun­gen zu tun hat. So schade die Che­mie in den Acker­bö­den, auf de­nen unser Es­sen wächst, un­se­rem Darm. Der Autor skiz­ziert auch eine mög­liche Agrar­wende.


Von der Notwendigkeit einer Agrarwende

Juliane Fischer in FALTER 4/2020 vom 24.01.2020 (S. 34)

Der Titel „Das leise Sterben“ lässt an einen Thriller den­ken. Er zeigt eine Rich­tung an: Zag­haft for­mu­liert wird hier nicht. Der Zu­satz „Warum wir eine land­wirt­schaft­liche Revo­lu­tion brau­chen, um eine ge­sunde Zu­kunft zu ha­ben“ be­schreibt das The­ma. Und der Autor spart nicht mit Kri­tik. Unser ak­tuel­ler Lebens­stil, spe­ziell die Er­näh­rung, sei für mehr Todes­fäl­le ver­ant­wort­lich als je­der an­dere Risiko­fak­tor, lau­tet die Kern­these des Ge­richts­medi­zi­ners und Bio­lo­gen Martin Grass­berger.

Unser Essen kommt, selbst wenn es bis zur Unkennt­lich­keit mit chemi­schen Zu­sät­zen ver­ar­bei­tet ist, aus dem Bo­den, der mehr oder weni­ger frucht­ba­ren Erd­schicht unter unse­ren Füßen. Die­ser Zu­sam­men­hang finde im Medi­zin­studium zu we­nig Be­ach­tung, meint er. Die Schul­medi­zin, die nur an Symp­to­men herum­dok­tere, und die Agrar­indus­trie, die mit Mono­kul­tu­ren Ero­sion, Über­dün­gung, Un­frucht­bar­keit ver­ur­sache, nennt er als Indi­ka­to­ren des­sel­ben Prob­lems. Denn die Che­mie scha­de den Mikro­orga­nis­men im Erd­reich wie im Darm. Für bei­de bräuch­te es ei­nen ganz­heit­li­chen Blick. Um­fas­send legt Grass­berger auch sein Buch an und nimmt da­bei Ver­kür­zun­gen in Kauf.

Auf 332 dicht bedruckten Seiten käuen manchmal nicht nur die Kühe und Schafe wie­der, son­dern auch der Autor. Mit dem Ver­armen der Bö­den und dem zer­furch­ten Sys­tem der mo­der­nen Land­wirt­schaft ha­ben sich schon viele aus­ein­ander­ge­setzt. Im hin­te­ren Teil geht Grass­berger auf Lösungs­vor­schläge ein. Und er sam­melt Er­fah­rung mit re­gene­ra­tiv-öko­lo­gi­schem Pflan­zen­bau im ei­genen Gar­ten. Be­son­ders über die er­näh­rungs­wis­sen­schaft­liche Re­cher­che wür­de man gern mehr erfahren.

Spannend wird es, wenn Grassberger in den Rinderpansen schaut oder den PR-Unfug der Wirt­schafts­kam­mer ent­larvt, die sich schüt­zend vor die Zucker­in­dus­trie stellt. Das al­les spricht für eine Agrar­wende, die hier nicht nur als Wunsch, son­dern auch als Not­wen­dig­keit for­mu­liert wird. Grass­bergers For­de­rungen sind nicht neu, sie müs­sen aber im­mer wie­der vor­ge­bracht wer­den, um irgendwann zu fruchten.

Posted by Wilfried Allé Thursday, June 27, 2024 8:35:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Natur Technik/Natur
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Landverstand 

Was wir über unser Essen wirklich wissen sollten

von Timo Küntzle

ISBN: 9783218012904
Reihe: K&S Um/Welt
Umfang: 336 Seiten
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Natur, Technik/Natur, Gesellschaft
Verlag: Kremayr & Scheriau
Erscheinungsdatum: 24.03.2022
Preis: € 24,00
Kurzbeschreibung des Verlags

„Wir Konsumenten blockieren ein nach­hal­ti­ge­res glo­bal­es Er­näh­rungs­sys­tem, in­dem wir der Land­wirt­schaft ei­nen Mühl­stein aus Vor­ur­tei­len, Denk­ver­bo­ten und wider­sprüch­lichen Wün­schen um den Hals hängen.“

Über unser Essen und die Art und Weise seiner Her­stel­lung wur­de nie emo­tio­na­ler und ver­bis­se­ner dis­ku­tiert als heute. Gleich­zei­tig ist die Zahl der Men­schen mit di­rek­tem Ein­blick in die Land­wirt­schaft auf ei­nem his­to­ri­schen Tief­stand. Klar ist ledig­lich: Je­des Lebens­mit­tel soll makel­los und rund ums Jahr zu ha­ben sein – aber bit­te nach­hal­tig, regio­nal und bio. Kann das funk­tio­nie­ren? Natür­lich nicht, sagt Timo Küntzle. Der Jour­na­list und Land­wirt­sohn sieht ge­nau hin, um mit ro­man­ti­sie­ren­den und ver­teu­feln­den Vor­ur­tei­len auf­zu­räu­men. Wel­che Rol­le spielt Land­wirt­schaft beim Klima­wan­del? Ist „bio für alle“ rea­lis­tisch? Wie schäd­lich sind Glypho­sat und an­dere Pes­ti­zide tat­säch­lich, was sind die Alter­na­ti­ven? Und nicht zu­letzt: Ist un­sere Angst vor Gen­tech­nik auf dem Tel­ler be­rech­tigt, war un­ser Es­sen in der „gu­ten al­ten Zeit“ wirk­lich bes­ser? Die Ant­wor­ten sind nicht im­mer ein­fach. Aber zwei­mal hin­se­hen lohnt sich. Nicht nur, weil es um un­ser täg­lich Brot geht, son­dern auch, weil etwas mehr Land­ver­stand uns al­len guttäte.

FALTER-Rezension

Katharina Kropshofer in FALTER 26/2024 vom 28.06.2024 (S. 44)

Das Ende der Intensivlandwirtschaft wäre Selbst­mord; wir brau­chen Pesti­zide, Gen­tech­nik und Stick­stoff­dün­ger, so Timo Küntzle, Bauern­sohn und stu­dier­ter Agrar­wis­sen­schaft­ler. Die Kon­su­men­ten wür­den der Land­wirt­schaft "einen Mühl­stein" an wider­sprüch­li­chen Wün­schen um­hän­gen. Man kann in vie­lem zu an­de­ren Schlüs­sen kom­men, De­bat­ten­an­stöße lie­fert der Autor jeden­falls.

Wie werden wir in Zukunft satt?

Maria Motter in FALTER 27/2022 vom 08.07.2022 (S. 43)

Vollspaltenböden, Gentechnik, Pestizide: Ist die indus­tria­li­sierte Land­wirt­schaft am Ende, oder wäre ihr Ende Selbst­mord? Da­rüber strei­ten die Buch­au­to­ren Matthias Krön und Timo Küntzle

Ab Ende 2039 soll es in Österreich die um­strit­te­nen Voll­spalten­bö­den für Schweine nicht mehr ge­ben. Das haben ÖVP und Grüne ver­gan­gene Woche ver­kündet. Ist das ein Zei­chen ei­nes Sin­nes­wan­dels in der Land­wirt­schaft? Wie in­ten­siv soll die­se sein? Der Fal­ter bringt zwei Land­wirt­schafts­ex­per­ten mit kon­trä­ren An­sich­ten an ei­nen Tisch.

Der eine bricht eine Lanze für Glyphosat, Gen­technik und Stick­stoff­dün­ger, der an­dere be­tont die Schä­den, die die in­ten­sive Land­wirt­schaft hinter­lässt. Der eine, Matthias Krön (53), war Mana­ger in der Milch­wirt­schaft und hat spä­ter den Ver­ein Donau Soja ge­grün­det, der den gen­tech­nik­freien An­bau von Soja in Euro­pa för­dert. Der an­dere, Timo Küntzle (47), ist auf einem Bauern­hof in Baden-Würt­tem­berg auf­ge­wach­sen, hat Agrar­wis­sen­schaft stu­diert und ar­bei­tet als Publi­zist. Bei­de ha­ben vor kur­zem Bücher ver­öffent­licht. "Land­ver­stand" hat Timo Küntzle sei­nes ge­nannt, "Eine Boh­ne ret­tet die Welt" heißt je­nes von Matthias Krön. Mit dem Fal­ter dis­ku­tier­ten sie über von Pflan­zen selbst er­zeugte Gifte, dazu­ler­nende Bio­bauern und Insek­ten­burger.

Falter: Die Regierung hat erklärt, dass die viel­dis­ku­tier­ten Voll­spal­ten­bö­den in der Schweine­hal­tung ein Ab­lauf­da­tum be­kom­men sol­len: Ende 2039. Ist das ein Grund zur Freude oder eine Hiobs­bot­schaft?

Timo Küntzle: Ich finde das begrüßenswert. Tiere sollten ein Min­dest­maß an Lebens­quali­tät er­fah­ren, wenn wir sie schon für uns nut­zen. In der Schweine­hal­tung be­steht da wahr­schein­lich der meis­te Auf­hol­be­darf. Al­ler­dings muss das teu­re­re Fleisch dann auch ge­kauft wer­den, auch von Wirts­häu­sern und Kan­ti­nen. Denn wenn hohe Stan­dards durch Im­porte unter­lau­fen wer­den, dann bringt der Be­schluss nur eine schein­bare Ver­bes­serung.

Matthias Krön: Die jetzt diskutierten graduellen Verbes­se­rungen und ihre Zeit­pläne wer­den rasch von der sehr dyna­mi­schen öf­fent­li­chen De­bat­te über­holt wer­den. 2040 wer­den wir be­reits eine ganz ande­re Dis­kus­sion ha­ben - näm­lich die, ob und wie wir Tiere nut­zen dür­fen. Öster­reich mit sei­ner klein­tei­li­gen Land­wirt­schaft sollte Vor­rei­ter beim Tier­schutz sein und da­mit neue Mark­tchan­cen nut­zen. Der­zeit se­hen zu weni­ge Markt­teil­nehmer die Chan­cen für öster­reichi­sche Schweine aus bäuer­li­chem Fami­lien­be­trieb, mit mehr Platz, regio­na­lem Fut­ter, bes­se­rer Fleisch­quali­tät. Da­bei geht der Kon­sum von Schweine­fleisch in Öster­reich am schnells­ten zu­rück, das ist auch eine Reak­tion der Kon­su­men­ten auf die zu lang­sa­me Ent­wick­lung in die­sem Sektor.

Hinter der Frage der Schweinehaltung steckt eine viel größere. Herr Küntzle, die Kern­aus­sage Ihres Buches lau­tet, die Ab­schaf­fung der inten­si­ven Land­wirt­schaft wäre Selbst­mord für die Mensch­heit. Warum das?

Küntzle: Jahrtausendelang konnten Menschen mehr Nahrungs­mit­tel nur er­zeu­gen, in­dem sie mehr Flächen in Be­wirt­schaf­tung na­hmen. Also Wälder ro­de­ten, Feucht­ge­biete trocken­leg­ten, Savan­nen um­pflüg­ten. Erst in der mo­der­nen Land­wirt­schaft ist es den Men­schen ge­lun­gen, pro Fläche deut­lich mehr zu ern­ten. Für eine Ton­ne Wei­zen brau­chen wir heute viel weni­ger Flä­chen als frü­her. Und wenn die Welt­be­völ­ke­rung mas­siv wächst und mit wach­sen­dem Wohl­stand wahr­schein­lich mehr Men­schen Fleisch kon­su­mie­ren wer­den, dann geht das ein­fach nicht ohne Pflanzen­schutz­mit­tel und syn­the­ti­schen Stick­stoff­dün­ger. Ohne die­sen wäre die Hälf­te der Mensch­heit gar nicht am Leben.

Herr Krön, Ihr Einwand?

Krön: Die historische Analyse halte ich für komplett richtig. Aller­dings ver­ur­sacht die inten­si­vierte Land­wirt­schaft auch viele Pro­bleme, Stich­wort Insek­ten­ster­ben. Und die Fra­ge, wie viel Nah­rung wir brau­chen, ist auch eine Frage des­sen, was wir es­sen. Wenn welt­weit alle so viel Fleisch es­sen wie die Öster­rei­cher, dann brau­chen wir selbst mit einer sehr inten­si­vier­ten Land­wirt­schaft noch mehr Flä­chen. Ich finde es aber gut, dass Herrn Küntzles Buch er­schie­nen ist, weil wir mehr De­bat­ten über die Land­wirt­schaft brau­chen. Viele Öster­rei­cher, auch viele In­tel­lek­tuel­le, sind stolz da­rauf, wenn sie da­von nichts ver­ste­hen. Ich war selbst so ei­ner: Ich kom­me aus einer Stadt­fa­mi­lie, habe ein huma­nis­ti­sches Gym­na­sium be­sucht, und frü­her hat mich das Thema über­haupt nicht inter­es­siert.

Die EU-Kommission will nun mit ihrem Green Deal den Einsatz von Pesti­ziden hal­bie­ren, Anti­bio­ti­ka und Dün­ge­mit­tel re­du­zie­ren und die Bio­land­wirt­schaft kräf­tig aus­bauen. Ist das eine gute oder eine schlechte Nach­richt?

Küntzle: Das Ziel ist auf jeden Fall richtig. Ich ver­gleiche es gern mit Medi­ka­men­ten. Es ist gut, wenn ich mög­lichst wenig da­von brau­che. Schlecht wäre aber, wenn ich nicht da­rauf zu­rück­grei­fen könnte. Ähn­lich ist es mit Pflan­zen­schutz­mit­teln. Natür­lich wäre es für die Na­tur am bes­ten, wir wür­den gar keine ein­set­zen. Das steht völ­lig außer Fra­ge. Weil die­se Mit­tel da­zu ge­macht sind, Or­ga­nis­men ab­zu­tö­ten, übri­gens auch die bio­kon­for­men Wirk­stof­fe. Aber wenn die­se Ini­tia­tive da­zu führt, dass man in Euro­pa weni­ger pro­du­zie­ren kann und da­für anders­wo in der Welt mehr Wald ge­ro­det wer­den muss und wir die feh­len­den Pro­dukt­men­gen wie­der im­por­tie­ren, dann ist für nie­man­den et­was ge­won­nen. Wenn, dann muss man es mit Ver­stand ma­chen. Und da wäre die Neue Gen­tech­nik eine Mög­lich­keit, Pesti­zide zu re­du­zieren.

Krön: Derzeit werden zwei Drittel der landwirtschaftlichen Flächen für die Pro­duk­tion von Tie­ren ver­wendet. Wür­den wir unse­re Er­näh­rungs­ge­wohn­hei­ten so än­dern, wie es die Ärzte em­pfeh­len, näm­lich nur ein Drit­tel des Flei­sches und der tieri­schen Pro­duk­te ge­gen­über dem heu­ti­gen Kon­sum es­sen, könnten wir mehr Platz für Insek­ten schaf­fen, mehr Blüh­strei­fen und Hecken, Tüm­pel und Moore. Wir könnten al­les auf Bio um­stel­len. Und Bio ist nicht im­mer weni­ger ef­fi­zient. Die öster­rei­chi­schen Bio­land­wirte ha­ben zum Bei­spiel beim Soja die glei­chen Er­träge wie die kon­ven­tio­nellen.

Küntzle: Sieben Prozent weniger laut einer Studie der Boku (Univer­sität für Boden­kul­tur in Wien, Anm.). Und im Schnitt ha­ben wir in der Bio­land­wirt­schaft 20 bis 30 Pro­zent ge­rin­gere Er­träge. Für die­sel­ben Er­trä­ge brau­chen wir also 30 Pro­zent mehr Flä­che. Das ist sehr, sehr viel. Auf die­ser Flä­che könnte ich auch einen Wald wach­sen las­sen, der ist fürs Klima viel wert­vol­ler als das schönste Biofeld.

Krön: Herr Küntzle, Sie haben einen sehr statischen Blick auf die Welt.

Küntzle: Nein, gar nicht.

Krön: Weltweit gesehen sind 80 Prozent der Bio­land­wirte erst in den letz­ten zehn Jah­ren um­ge­stie­gen. In vie­len Ge­bie­ten der Welt ist Bio et­was Neues. Ich bin sehr viel in Un­garn, Rumä­nien, Ser­bien unter­wegs, da lie­gen die Bio­an­teile bei etwa ei­nem hal­ben Prozent. Da ist ein irr­sin­ni­ger Lern­pro­zess im Gange. Das dau­ert eben zehn Jahre, aber die Bio­bauern wer­den bes­ser. Der Ab­stand zwi­schen kon­ven­tio­nell und bio sinkt.

Herr Küntzle, müssen der Konsum tierischer Lebensmittel und die Lebens­mit­tel­ver­schwen­dung nicht so­wie­so sin­ken, weil wir sonst wirk­lich kei­ne zehn Mil­liar­den Men­schen er­näh­ren können?

Küntzle: Dass wir global weniger Fleisch essen sollten, ist voll­kom­men rich­tig. Nur: Die Pfeile zei­gen in die ande­re Rich­tung. In China sind in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehnten bis zu 300 Mil­lio­nen Men­schen aus der Ar­mut in die Mit­tel­schicht auf­ge­stie­gen, und über­all, wo die Men­schen zum Glück mehr Wohl­stand er­fah­ren, kon­su­mie­ren sie auch mehr tieri­sche Pro­dukte. Ich kann mir na­tür­lich das Ge­gen­teil wün­schen, aber: Die Welt ist ein­fach kein Wünsch-dir-was.

Krön: Allerdings essen wir auch deswegen so viel Fleisch, weil es so bil­lig ist. Ich bin jetzt 53 Jahre alt, und seit mei­ner Ge­burt kos­tet das Schnit­zel in Öster­reich gleich viel. Wäh­rend das Brot um 800 Pro­zent teu­rer ge­wor­den ist und das Ge­müse um 500 Pro­zent. Wir sub­ven­tio­nie­ren die Land­wirte da­für, dass sie bil­li­ges Ge­trei­de und Mais er­zeu­gen, die dann den Tieren ver­füt­tert wer­den. Fleisch ist also das höchst­sub­ven­tio­nier­te Pro­dukt in Europa.

Herr Krön, Sie glauben sogar, dass Peak Meat bald bevorsteht, also der Zeit­punkt, ab dem der glo­ba­le Fleisch­kon­sum sin­ken wird. Was macht Sie so opti­mis­tisch?

Krön: Es wird hauptsächlich aus ethischen Gründen dazu kom­men. Lange Zeit ha­ben wir große Land­gü­ter mit Skla­ven be­trie­ben. Ohne Skla­ven, hieß es, kön­ne man die Welt nicht er­näh­ren. Im 18. Jahr­hun­dert hat man da­rü­ber zu dis­ku­tie­ren be­gon­nen, Euro­pa hat Pro­dukte aus Skla­ven­hal­tung boy­kot­tiert. Man führte eine zer­ti­fi­zier­te Skla­ven­hal­tung ein: ein Skla­ve weni­ger pro Zim­mer. Reli­giö­se Be­treu­ung, ein Tag Aus­gang pro Wo­che. Es gibt da al­so große Pa­ral­le­len zum Tier­schutz. Ich ver­glei­che be­wusst nicht die Tier­hal­tung mit der Skla­ven­hal­tung, aber schon ein­mal ha­ben rein ethi­sche Gründe die Land­wirt­schaft mas­siv ver­än­dert. Und jetzt ste­hen wir am Be­ginn einer Ent­wick­lung, in der Tiere Per­so­nen­rechte be­kom­men. Schon gibt es Dis­kus­sio­nen, ob Schim­pan­sen Sach­wal­ter be­kom­men sollen.

Aber was ist mit der Tendenz, dass global gesehen Menschen mit zu­neh­men­dem Wohl­stand mehr Fleisch essen?

Krön: Das ist nicht zwingend so. Sprechen Sie heute mit jungen Men­schen, ganz vie­le fin­den, dass man Tiere nicht mehr ein­fach nut­zen und tö­ten darf. Meine Frau stammt aus China, dort fin­det die glei­che Ent­wick­lung statt. Die rei­chen Ja­pa­ner neh­men nur ein Zehn­tel ihrer Kalo­rien aus tieri­schen Pro­dukten zu sich.

Kommen wir zum Streitthema Pestizide. Herr Küntzle, Sie brechen eine Lanze für Glyphosat. Warum?

Küntzle: Es ist natürlich einfach zu sagen, ich will das nicht, weg damit. Aber dann muss ich auch sa­gen, wie ich es er­set­zen kann. Bei­spiel ÖBB: Die ha­ben sich groß auf die Fah­nen ge­schrie­ben, kein Glypho­sat mehr zu ver­wen­den. We­gen der Sicher­heit des Fahr­be­triebs müs­sen sie ihre Gleis­an­lagen frei von Be­wuchs hal­ten. Aber jetzt ver­wen­den sie ein­fach vier ande­re Herbi­zide, von de­nen zu­min­dest eines akut toxi­scher ist als Glypho­sat. Was ist damit gewonnen?

Ist Glyphosat also doch das kleinere Übel, Herr Krön?

Krön: Glyphosat ist zwar besser als andere Mittel, die vorher ge­spritzt wur­den. Aber es ist ein Total­herbi­zid, es tö­tet al­le Pflan­zen mit Aus­nahme derer, die spezi­fisch da­ge­gen resis­tent sind. Und ich habe viele Freunde in Ar­gen­ti­nien und Brasi­lien, dort kann man nach 30 Jah­ren die Pro­bleme gut beo­bachten.

Welche?

Krön: Der Glyphosatverbrauch pro Hektar ist massiv gestiegen. Die Ver­spre­chun­gen der Gen­tech­nik, den Pesti­zid­ver­brauch zu re­du­zie­ren, ha­ben also nur am An­fang ge­stimmt. Vie­le Un­kräu­ter kön­nen mit Glypho­sat nicht mehr be­kämpft wer­den, weil sie resis­tent ge­worden sind.

Herr Küntzle, Sie werfen NGOs und Medien vor, dass sie schwarz-weiß malen. Aber nei­gen Sie nicht selbst zur Pole­mik, wenn Sie schrei­ben, Kof­fe­in sei 13-mal gif­ti­ger als Glypho­sat? Wenn ein Insekt den Kaf­fee­strauch an­knab­bert, er­klä­ren Sie, tö­tet oder lähmt das Kof­fein das Insekt.

Und die Dosis, die im Tierversuch die Hälfte der Tiere tötet, sei beim Glypho­sat 13-mal hö­her als beim Kof­fein. Aber was hat das eine mit dem ande­ren zu tun?

Küntzle: Dieser Vergleich soll veranschaulichen, dass Glypho­sat nicht das Hor­ror­gift ist, als das es oft be­zeich­net wird. Natür­lich ver­ein­fache ich auch, ein Buch ist keine wis­sen­schaft­li­che Ab­hand­lung. Aber dass ich dif­fe­ren­zier­ter unter­wegs bin als manche NGO, kann ich guten Ge­wis­sens be­haup­ten. Denn im Gegen­satz zu den NGOs, die gene­rell Pesti­zide ver­bie­ten wol­len und Gen­tech­nik als schlecht em­pfin­den, zeige ich die Vor-und Nach­teile der Dinge auf.

Laut Weltgesundheitsorganisation ist Glyphosat wahr­schein­lich krebs­er­regend.

Küntzle: Alle Zulassungsbehörden der Welt haben gesagt, dass es bei ordnungs­ge­mäßer An­wen­dung nicht krebs­er­regend ist.

Wobei etliche Forscher kritisieren, die von den Herstellern eingebrachten Studien wür­den die wis­sen­schaft­li­chen Kri­te­rien nicht er­fül­len. Und wenn wir auf die Öko­lo­gie schauen: Es birgt doch of­fen­sicht­lich hohe Risi­ken, wenn Pesti­zi­de, also Mit­tel, die Orga­nis­men tö­ten, in die Um­welt aus­ge­bracht wer­den, dann in Bö­den und Ge­wäs­sern auf­tau­chen und in Wechsel­wir­kung zu­einan­der treten.

Küntzle: Die EU-Behörden kontrollieren, wie in der Medizin, die Ein­hal­tung wis­sen­schaft­li­cher Kri­te­rien. Risi­ken gibt es über­all im Leben.

Aber manches muss sein und manches nicht.

Küntzle: Dass Pflanzenschutzmittel sein müssen, kann ich al­lein an der Tat­sache ab­le­sen, dass im Jahr 2020 43 Pro­zent al­ler in Öster­reich ver­kauf­ten Wirk­stof­fe bio­kon­form wa­ren. Das ist auch so eine Ge­schichte, die mich mas­siv stört: Nahe­zu je­den Tag finde ich Be­richte, in de­nen be­haup­tet wird, in der Bio­land­wirt­schaft wür­den keine Pesti­zide ein­ge­setzt. Das ist schlicht und er­grei­fend nicht wahr.

Krön: Das heißt aber nicht, dass 43 Prozent aller Pestizide in der Bio­land­wirt­schaft aus­ge­bracht werden.

Küntzle: Das habe ich auch nicht gesagt.

Krön: Und in der Biolandwirtschaft werden deutlich weniger Mittel, ge­rin­gere Men­gen und deut­lich weni­ger ge­fähr­liche Mit­tel ein­ge­setzt.

Küntzle: Im Obst-und Gemüsebau fahren die Landwirte zum Teil sogar öf­ter mit der Spritze raus. Kupfer zum Bei­spiel, ein weit­ver­brei­te­tes Bio­pesti­zid, muss ich im­mer wie­der neu aus­brin­gen, weil es der Re­gen aus­wäscht. Und dieses Mit­tel schä­digt wie Glypho­sat Was­ser­orga­nismen.

In Summe gelten aber die chemischsynthetischen Pestizide, die in der kon­ven­tio­nel­len Land­wirt­schaft zu­ge­las­sen sind, als schäd­li­cher als die für den Bio­land­bau zu­ge­las­se­nen. Das sagt auch Johann Zaller, Zoolo­gie-Pro­fes­sor und Pesti­zid­ex­per­te an der Boku: Von 389 Wirk­stof­fen, die er ana­ly­siert hat, seien 22 hoch­toxisch für den Men­schen. Kei­nes da­von sei ein Biomittel.

Küntzle: Es mag ja sein, dass konventionelle Pestizide zum Teil toxi­scher sind als Bio­pesti­zide. Tat­sache ist: Auch bei den kon­ven­tio­nell er­zeug­ten Pro­duk­ten lie­gen die Kon­zen­tra­tio­nen weit unter je­dem Ge­fahren­po­ten­zial. Dass wir nicht alle schlei­chend ver­gif­tet wer­den, be­weist doch schon die Tat­sache, dass wir im­mer äl­ter werden.

Krön: Wobei die Lebenserwartung in Österreich sinkt.

Küntzle: Weltweit gesehen steigt sie.

Herr Krön, bei Donau Soja müssen die Bauern ohne Gentechnik aus­kommen. Wa­rum ist Ihnen das so wichtig?

Krön: Weil die Bevölkerung in Europa massiv gegen Gen­tech­nik ist. Und laut der Sta­tis­tik der UN-Er­näh­rungs­organi­sa­tion FAO ha­ben die öster­rei­chi­schen Land­wirte zum Bei­spiel beim Soja die glei­chen Er­träge wie Land­wirte in Bra­si­lien oder den USA. Ob­wohl die­se Gen­tech­nik einsetzen.

Sie lehnen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirt­schaft nicht prin­zi­piell ab?

Krön: Na ja, ich bin mit gentechnisch veränderten Impfstoffen geimpft. Es wäre Blöd­sinn, eine Techno­lo­gie zu ver­dam­men. Aber Gen­tech­nik führt sehr oft dazu, dass an den Stand­ort nicht an­ge­passte Pflan­zen an­ge­baut wer­den. Ob die Grüne Gen­tech­nik ihre Ver­spre­chun­gen in Zu­kunft er­füllt, kann man noch nicht sagen. In den letz­ten 30, 40 Jah­ren hat sie sie nicht er­füllt. Es wur­de eine deut­li­che Re­duk­tion des Pes­ti­zid­ein­sat­zes ver­sprochen.

Küntzle: Die ist sehr wohl erfolgt. Dass die Versprechen nicht ein­ge­hal­ten wur­den, ist so ein Steh­satz der NGOs, der den Fak­ten kom­plett wider­spricht. Es gibt eine Meta­ana­lyse über cir­ca 140 Einzel­stu­dien aus Deutsch­land, finan­ziert vom deut­schen Ent­wicklungs­hilfe­minis­te­rium und der EU. Er­geb­nis: Über alle Gen­technik­sor­ten ist der Pesti­zid­ein­satz um 37 Pro­zent ge­sunken. Der Er­trag hat sich um 22 Pro­zent er­höht, und die Ein­kom­men der Land­wirte sind ge­stie­gen. Ne­ben der Herbi­zid­resis­tenz gibt es ja auch die BT-Techno­lo­gie. Sie führt da­zu, dass die Pflanze ein Insekti­zid selbst pro­du­ziert; es braucht also nicht mehr aus­ge­bracht zu wer­den und schadet nur je­nen In­sek­ten, die die­se Pflanze an­knab­bern. Das nüt­zen etwa Baum­woll­bauern in Indien und Mais­bauern in den USA.

Krön: Viele Menschen haben das Gefühl, die Landwirtschaft sei zu weit ge­ga­ngen. Die Gen­technik ist ein Sym­bol da­für. Es gab ja Fort­schrit­te im Züch­tungs­be­reich, aber die las­sen sich nicht un­end­lich weiter­spin­nen. Bei Soja gibt es jetzt Sor­ten mit 50 Pro­zent Ei­weiß, frü­her waren es 38 Pro­zent. Irgend­wann ha­ben wir 70 Pro­zent, aber da sind dann keine ande­ren Nähr­stof­fe mehr drin.

Küntzle: Sie sagen zu Recht, die Leute haben das Gefühl, die Land­wirt­schaft sei zu weit ge­ga­ngen. Und das ist sie sicher auch an der einen oder ande­ren Stel­le. Aber so wich­tige Ent­schei­dun­gen dür­fen nicht allein auf Ge­fühl­en ba­sie­ren. Der Welt­klima­rat schreibt an mehre­ren Stel­len, dass die nach­hal­ti­ge Inten­si­vie­rung not­wen­dig ist. Und Gen­tech­nik ist ein Werk­zeug, um die Land­wirt­schaft nach­hal­tiger zu machen.

Herr Küntzle, wie werden unsere Supermärkte und Speisepläne in 50 Jahren aussehen?

Küntzle: In Europa wird vermutlich weniger Fleisch gegessen werden, kom­plett da­rauf ver­zich­ten werden wir aber nicht.

Werden Sie dann vielleicht Mehlwürmer und Schnecken essen?

Küntzle: Sag niemals nie. Wenn der Insektenburger schmeckt, warum nicht?

Herr Krön?

Krön: Die Niederländer, Dänen und Kanadier investieren gerade wie ver­rückt in pflanz­li­che Er­näh­rung. Da wer­den ganz neue, tolle Pro­duk­te kom­men. Bei uns schläft man da noch ein biss­chen. Ich sage jetzt vor­aus: In 50 Jah­ren wird in Öster­reich die Pro­duk­tion von Nutz­tie­ren ver­boten sein, und wir wer­den in der Kronen Zei­tung, so es sie noch gibt, oder im Falter Inse­rate se­hen: "Flie­gen Sie zum Gril­len nach Nami­bia, dort ist es noch erlaubt."

Posted by Wilfried Allé Thursday, June 27, 2024 8:22:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Natur Technik/Natur
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Wundersames Welterbe 

Österreich erkunden

von Lukas Wieselberg, Stephanie Godec, Österreichische UNESCO-Kommission

 

EAN: 9783854397120
Verlag: Falter Verlag
Sammlung: Aktuelle Bücher aus dem Falter Verlag
Bücherpost 2024
Umfang: 80 Seiten
Reihe: Schöne Bücher
Illustrator(en): Nina Capitao, Karin Weinhandl, Hannelore Greinecker-Morocutti, Valerie Tiefenbacher, Eva Pils, Teresa Walentich, Laura Feller, Barbara Tunkowitsch, Katja Hasenöhrl, Tobias Gossow, Julia Stern, Simon Goritschnig
Herausgeber: Österreichische UNESCO-Kommission
Erscheinungsdatum: 05.09.2022
Preis: € 20,60

Mit Kaiserin Maria Theresia durch die Gärten von Schloss Schön­brunn spa­zie­ren, mit Al­bert von Roth­schild in den Buchen­ur­wäl­dern nach sel­te­nen Tieren su­chen oder mit dem flin­ken Zan­der rund um die prä­his­to­ri­schen Pfahl­bau­ten tau­chen: Das „Wun­der­same Welt­erbe“ bie­tet viele Mög­lich­kei­ten, Öster­reich zu er­kunden.

Zwölf Welterbestätten gibt es derzeit in Öster­reich und sie ste­hen un­ter dem Schutz der UNESCO-Welt­erbe­kon­ven­tion. Ob auf dem Land, im Was­ser oder in schwin­del­er­re­gen­den Höhen – sie sind Zeug­nis­se ein­zig­ar­ti­ger Natur­land­schaf­ten und ver­gan­ge­ner Kul­tu­ren. Welt­erbe­stät­ten sind das Ver­mächt­nis fan­ta­sie­vol­ler Men­schen so­wie kul­tu­rel­ler Er­run­gen­schaf­ten und be­to­nen die Wich­tig­keit na­tür­li­cher Res­sour­cen. Alle zwölf sind außer­ge­wöhn­lich und für die ganze Men­schheit von Be­deu­tung: Es ist die Auf­gabe aller, sie auch für künf­ti­ge Gene­rati­onen zu be­wahren.

Die Österreichische UNESCO-Kommis­sion er­zählt in die­sem Buch ihre fes­seln­den Ge­schichten für Kin­der ab 7 Jahren.
 

Inhaltsverzeichnis
  1. Historisches Zentrum der Stadt Salzburg
  2. Schloss und Gärten von Schönbrunn
  3. Hallstatt-Dachstein/Salzkammergut
  4. Semmeringeisenbahn
  5. Stadt Graz - Historisches Zentrum und Schloss Eggenberg
  6. Wachau
  7. Historisches Zentrum von Wien
  8. Fertő-Neusiedler See
  9. Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen
  10. Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas
  11. Great Spa Towns of Europe
  12. Grenzen des Römischen Reiches - Donaulimes (Westlicher Abschnitt) 
Posted by Wilfried Allé Monday, June 17, 2024 3:10:00 PM Categories: Bücherpost 2024 Schöne Bücher
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Transgender verstehen 

Ein Ratgeber für Angehörige, Freund:innen und Kolleg:innen

von Udo Rauchfleisch

ISBN: 9783843614849
Verlag: Patmos Verlag
Sammlung: Pride Month
Umfang: 208 Seiten
Format: Taschenbuch
Genre: Ratgeber/Lebenshilfe, Alltag/Lebensführung, Persönliche Entwicklung
Erscheinungsdatum: 28.08.2023
Preis: € 20,60
Kurzbeschreibung des Verlags

Nichts erscheint so sicher wie der Unter­schied zwi­schen den Ge­schlech­tern. Die Ver­un­si­che­rung ist da­her groß, wenn der lang­jäh­rige Kol­lege Müller ab so­fort als »Frau Müller« an­ge­spro­chen wer­den möchte. Und was tun, wenn der ei­ge­ne Sohn auf ein­mal sagt, er sei eine Frau? Wie er­klärt man sei­nen Kin­dern, dass Mama jetzt plötz­lich Papa ist? Der Psycho­thera­peut Udo Rauch­fleisch hilft An­ge­hö­ri­gen, Freund­:innen, Kol­leg­:innen und Vor­ge­setz­ten von Trans­gendern, das Phäno­men Tran­si­den­ti­tät zu ver­ste­hen und trans Men­schen ohne Be­rüh­rungs­ängs­ten zu be­gegnen.

Posted by Wilfried Allé Saturday, June 8, 2024 10:56:00 AM Categories: Alltag/Lebensführung Persönliche Entwicklung Ratgeber/Lebenshilfe
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Europa neu gedacht 

Wie ein aktives Österreich zu einem starken Europa beitragen kann

Verlag: Czernin
Herausgegeben von: Österreichische Gesellschaft für Europapolitik
Umfang: 352 Seiten
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Erscheinungsdatum: 28.02.2024
Vorwort: Franz Vranitzky
Format: Hardcover
ISBN: 978-3-7076-0838-0
Preis Buch: € 22,00
Format: ePub
ISBN: 978-3-7076-0839-7
Preis e-Book: € 19,99
Kurzbeschreibung des Verlags

Vor 30 Jahren, am 12. Juni 1994, stimmten die Öster­reicher­:innen für den Bei­tritt zur Euro­pä­ischen Union. Heute muss sich das Land ak­tu­el­len und rich­tungs­wei­sen­den Ent­wick­lun­gen stel­len: Statt Ab­leh­nung und Zöger­lich­keit braucht es eine opti­mis­ti­sche Neu­defi­ni­tion der euro­pä­ischen Schwer­punkte.

Die Herausforderungen, vor denen die EU steht, sind so groß wie nie: Der rus­si­sche An­griffs­krieg auf die Ukra­ine stellt die Sicher­heits­ord­nung Euro­pas in­frage; der Klima­wan­del for­dert zu­kunfts­orien­tier­tes Han­deln; Migra­tion und der Schutz der Außen­gren­zen ver­lan­gen ge­mein­same Stra­te­gien und Lö­sun­gen; die Ein­fluss­nahme ex­ter­ner Ak­teur­:innen auf libe­rale Demo­kra­tien wird im­mer pro­ble­ma­ti­scher und nicht zu­letzt ge­ra­ten Rechts­staat­lich­keit und ge­meins­ame Grund­werte unter Druck.

Wie kann mit all dem umgegangen werden? »Europa neu gedacht« ver­sam­melt rund 30 span­nen­de Kom­men­tare von Ex­pert­:innen aus unter­schied­li­chen Be­rei­chen der Ge­sell­schaft, die zei­gen, wie sich Öster­reich für ein star­kes Eu­ro­pa ein­set­zen kann.

Mit einem Vorwort von Franz Vranitzky.

Posted by Wilfried Allé Sunday, June 2, 2024 8:51:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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