von Kai Lindemann
ISBN: |
9783896910677 |
Erscheinungsdatum: |
01.10.2021 |
Umfang: |
155 Seiten |
Genre: |
Soziologie/Allgemeines, Lexika |
Format: |
Buch |
Verlag: |
Westfälisches Dampfboot |
Preis: |
rd. € 16,95 |
Lieferbar: |
ab Juni 2022 |
Kurzbeschreibung des Verlags:
In kritischen Kommentaren der jüngsten Zeit findet die Racket-Metapher wieder häufiger Verwendung. Ursprünglich ein Begriff der Frankfurter Schule ist er ebenso schillernd wie kontrovers. Bis heute steht er als Symbol für deren unausformulierte, politische Theorie.
Im Neoliberalismus wirkt der Racket-Begriff auf unheimliche Art plausibel. Oligarchien, extremer Reichtum, demobilisierte Klassen, Steuerflucht, Plünderung öffentlicher Güter und Haushalte, Korruptionsskandale und informelle Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft sind einige der Phänomene, die Fragen nach der gegenwärtigen Verfasstheit politischer Herrschaft hervorbringen. Zugleich kann der Racket-Begriff Defizite füllen, die sich zwischen Ansätzen der Klassenpolitik, Analysen sozialer Ungleichheit, Elitentheorien und der Korruptionsforschung ergeben.
Rackets und Neoliberalismus ist die Demokratiefeindlichkeit gemein. In seinem Buch erweitert Kai Lindemann daher den fragmentarischen Racket-Begriff der Frankfurter Schule klassentheoretisch und reformuliert ihn staatstheoretisch. Er plädiert zur Überwindung der Racket-Gesellschaft für eine radikale Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche. Hierfür braucht es solidarische Gemeinwesen und starke Kollektive der Klassenpolitik, die das Kapitalverhältnis humanistisch und konsequent in seine Schranken weisen.
FALTER-Rezension:
Der politische Mafia-Kapitalismus
Bande" ist ein schillerndes Wort. Es kann die sozialen Bande meinen, die wir zu anderen knüpfen, Bande des Vertrauens, der Loyalität, was im Wesentlichen positiv konnotiert ist. Oder eben auch "Bande" als Gang, als kriminellen Zusammenschluss von Betrügern, Verbrechern, Straßenschlägern. Nicht ganz unähnlich ist es mit dem englischen Begriff racket, mit dem der Tennisschläger genauso gemeint sein kann wie die verschworene Clique mit klarer Hierarchie, mit Anführern und Komplizenschaft, wie man es aus der organisierten Kriminalität kennt. Der deutsche Industriekaufmann, Politikwissenschaftler und Gewerkschaftsspitzenfunktionär Kai Lindemann hat die signifikanten Veränderungen im politisch-ökonomischen Komplex der vergangenen 30 Jahre unter Zuhilfenahme dieses Begriffs analysiert: "Die Politik der Rackets" heißt das Buch, es will eine Theorie zur "Praxis der herrschenden Klassen" liefern. Den Begriff hat er sich bei Theodor W. Adorno und Max Horkheimer geliehen, die in ihrer legendären "Dialektik der Aufklärung" an einigen Stellen mit diesem Vokabular operierten.
Politik hat wohl immer Elemente des "Racketeerings". Aber das verändert sich auch. In den vergangenen 30 Jahren erleben wir einen Aufstieg des Neoliberalismus und ein Wachstum der Ungleichheit, einen Machtgewinn der Superreichen, einen Machtverlust der demokratischen Institutionen, den Aufstieg des Populismus. Kapitalkräftige Player kaufen sich Politik, politische Spitzenfunktionäre schieben ihren Freunderln Geld, Aufträge oder ganze Firmen zu, die Privatisierung von Staatsaufgaben geht mit einem Raubzug einher, in den Verflechtungen von Politik und Wirtschaft geben die Geldleute den Ton an, sie werden aber auch als die Lebensstil-Role-Models angesehen, denen jeder nacheifern will. Die Politik selbst folgt dem "Revolving door"-Prinzip -man hat eine Führungsfunktion in der Bank, wechselt ins Finanzministerium, und wenn die Sache dann schiefgeht, wieder zurück in gut bezahlte Vorstandsetagen.
Wer würde hier nicht sofort an Figuren wie Donald Trump, Sebastian Kurz oder Viktor Orbán denken oder an eine Adler-Gruppe, die sich erst einen Kanzler mit Geldzuwendungen "macht" und dann dessen Helfer mit schönen Jobs auffängt, wer nicht an einen offenen Demokratiefeind wie Peter Thiel, wer nicht an Wirecard und die ganzen anderen Skandal-Unternehmer, die in Regierungszentralen ein und aus gingen, bevor sie in den Knast wanderten. Die klassischen Parteinetze werden durch die "Bande" und ihr Prinzip "Du bist Familie" ersetzt.
Oft wird gesagt: Korruption gab es immer. Das ist zweifelsohne richtig, ignoriert aber den Strukturwandel der Korruption. Die amerikanische Politikwissenschafterin Janine D. Wedel hat schon vor einigen Jahren in ihrer fantastischen Studie "Shadow Elites" gezeigt, wie die Korruption ihr Gesicht veränderte. Die Oligarchen-und Mafiosi-Ökonomie des postkommunistischen Ostens wurde zum Vorbild für den neoliberalen Kapitalismus des Westens. Das Prinzip "Weniger Staat, mehr privat" ist nur das Wortgeklingel, das diese Beutezüge und Plündereien rhetorisch aufhübschen darf.
Die Profiteure kennen sich, "bilden Netzwerke","Parallelgesellschaften","Clans und Cliquen", sie ziehen ein System von "geduldetem Steuerbetrug" auf, "ausufernder Lobbyismus" macht sich breit, analysiert Lindemann. Man liest das Buch wie eine polit-theoretische Analyse hiesiger Chat-Protokolle, obwohl die mit keinem Wort erwähnt werden.
Robert Misik in Falter 9/2022 vom 04.03.2022 (S. 22)
Rezension von Peter Kern:
https://www.glanzundelend.de/Red21/J-L/kai_lindemann_die_politik_der_rackets.htm
Peter Kern, geb. 1954 in Rodalben/Pfalz, Studium der Philosophie, Politik, Theologie in Frankfurt am Main, Redaktionssekretär beim Sozialistischen Büro, politischer Sekretär beim Vorstand der IG Metall, jetzt Leiter einer Schreibwerkstatt.