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Das austrofaschistische Österreich 1933-1938 

von Emmerich Tálos, Florian Wenninger

Verlag: LIT-Verlag
Genre: Politik, Geschichte
Erscheinungsdatum: 01.07.2017
Preis: € 19,80

 

Rezension aus FALTER 13/2018

Österreichs Eigenbaufaschismus

Löst die Übergabe des Dollfuß-Porträts an das Niederösterreichische Haus der Geschichte lästige Fragen nach dem Austrofaschismus, für den der christlich-soziale Ex-Bundeskanzler stand? Hier liest man, eingebettet in einen großen Bogen von der Weltwirtschaftskrise 1929 über den Bruch des Rechtsstaates 1934 bis zum "Anschluss" 1938, eindeutige Sätze wie: "Mit der Ermordung Dollfuß' durch Nationalsozialisten im Juli 1934 wurde der Austrofaschismus seiner unumstrittenen Führerfigur beraubt. Die realpolitischen Folgen waren allerdings überschaubar."

Erich Klein in FALTER 13/2018 vom 30.03.2018 (S. 9)

 

Rezension aus "wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit"

Der Politikwissenschaftler Emmerich Tálos beschreibt in seinem Buch, unter Mitarbeit des Historikers Florian Wenninger, die Entwicklung und den Aufstieg des Herrschaftssystems des Austrofaschismus zwischen 1933 und 1938 in Österreich. Das knapp 190 Seiten umfassende Werk bietet einen guten Überblick über diese Phase der österreichischen Geschichte, deren historische Einordnung und Bewertung auch heute noch Gegenstand politischer Auseinandersetzungen ist.

Die Konstituierung und Festigung des austrofaschistischen Herrschaftssystems begann mit der Ausschaltung der progressiven Opposition im Februar 1934, allen voran der Sozialdemokratie und der sozialdemokratisch geprägten Gewerkschaften, und setzte sich mit tiefgreifenden Veränderungen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik fort. Der Austrofaschismus schrieb sich als Ziel die Errichtung eines Ständestaates auf die Fahne. Anstelle von Klassenkampf und dem der kapitalistischen Gesellschaft inhärenten Interessensgegensatzes zwischen Kapital und Arbeit, sollte die harmonische Einheit des Berufsstandes treten (vgl. S. 53ff). De facto betrieb das austrofaschistische Regime eine systematische Umgestaltung der Ökonomie zugunsten der Kapitalfraktionen und zulasten der Arbeiterschaft. Die Wirtschaftspolitik des Austrofaschismus wurde von und für die Interessensträger dieses Regimes – katholische Kirche, Industrie, Finanzkapital und auch Teile der Bauernschaft – betrieben. Diese Politik kann auch als „Ausschaltung des Klassenkampfes bei fortbestehenden kapitalistischen Eigentums-, Produktions- und Verteilungsbedingungen“ (S. 159) beschrieben werden.

Während Banken und große Bauernhöfe zu den Gewinnern zählten, waren ArbeiterInnen, insbesondere Frauen, die VerlierInnen im System des Austrofaschismus: Tálos beleuchtet anhand konkreter Statistiken den Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Situation in Österreich und der Anziehung, die das nationalsozialistische Regime auf die Arbeiterschaft in Österreich ausübte. Die Arbeitslosenrate 1931 betrug 15,4 %, 1933 betrug sie 26 %, und im Jahr 1937 noch immer 22 %. Im nationalsozialistischen Deutschland betrug sie 1937 4,6 %. Dies ist mitunter ein Grund, wieso bei Teilen der Arbeiterklasse der Nationalsozialismus an Attraktivität gewann. (vgl. S. 119)

Das schon in den 1920er-Jahren bestehende Problem der hohen Arbeitslosigkeit verschärfte sich. Tálos schreibt: „1935 erhielt nur mehr jeder zweiter Arbeitslose eine Unterstützung(..)“ (S. 121). Das Netz der sozialen Sicherung verschlechterte sich stark. Das Krankengeld der Krankenversicherung wurde gekürzt und die Renten wurden reduziert. Eine, wenn auch geringe, allgemeine Alters- und Invalidenversicherung für Arbeiter erfolgte erst 1939 mit Inkrafttreten der Deutschen Reichsversicherungsordnung (vgl. S. 124). Die Bezugsbedingungen für das Arbeitslosengeld wurden massiv verschärft, was auch erklärt, wieso so viele Menschen überhaupt kein Arbeitslosengeld und damit keinerlei staatliche Unterstützung mehr erhielten. Die Interessensorganisationen der Arbeiterschaft wurden zugunsten der austrofaschistischen Herrschaft umgebaut oder gänzlich zerschlagen, das Streikrecht beseitigt. Diese prekäre soziale Situation der ArbeiterInnen, die 1934 erfolgte Ausschaltung der „klassischen“ ArbeiterInnenparteien, also Sozialdemokratie und kommunistische Partei, und die vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenzahlen im nationalsozialistischen Deutschland, sind einige Erklärungsmuster für die Begeisterung, auch unter der Arbeiterklasse, mit der 1938 Hitler und der „Anschluss“ begrüßt wurden. Jedoch sollte eine Analyse, die nach Gründen für Begeisterung und ideologischer Attraktivität des Nationalsozialismus fragt, den vorhanden Antisemitismus und Ressentiments gegen sogenannte „Arbeitsscheue“ oder auch als „Asoziale“ gebrandmarkte Menschen, nicht außer Acht lassen. Die aktuelle mediale Darstellung von Arbeitslosen oder die Diskussion um die Arbeitspflicht für AsylwerberInnen zeigen historische Parallelen auf.

Die konservative katholische Ideologie bildete die Grundlage für gesellschaftliche Ideale und Geschlechterrollen im Austrofaschismus. Daher propagierte das Regime eine „klar getrennte, natur- und gottgewollte Geschlechterrolle“ (S. 126). In diesem ideologischen Verständnis war der Mann für Politik und Arbeit zuständig, die Frau sollte sich auf klassische Reproduktionstätigkeiten konzentrieren. Frauen wurden massiv am Arbeitsmarkt benachteiligt. Beispielweise galt im öffentlichen Dienst ein Doppelverdienerverbot, welches Frauen in die Sphäre des Privaten drängte. Auch in den Lehrplänen schlug sich das reaktionäre Geschlechterverständnis der austrofaschistischen Ideologie nieder und generell sank der Mädchenanteil im Mittelschulbereich. (vgl. S. 127) Dass eine solche Geschlechterpolitik kein Phänomen der Vergangenheit ist, zeigen aktuelle Tendenzen der Politik bzgl. der Abschaffung kostenloser Kinderbetreuung. (vgl. Rohrhofer 2017)

Tálos gibt im letzten Drittel des Buches einen Überblick über die Stimmungslage der Bevölkerung im Austrofaschismus und zeigt anhand des Antisemitismus die verbreiteten politischen Haltungen auf. (vgl. S. 133ff) Insgesamt, so schließt Tálos nach einer Betrachtung der Verhältnisse zum italienischen Faschismus und zum Nationalsozialismus, lässt sich das Herrschaftssystem zwischen 1933/34 und 1938 als eine spezifisch österreichische Variante des Faschismus kennzeichnen. Die nach wie vor gebräuchliche Bezeichnung „Ständestaat“ übernehme nicht nur die Selbstbezeichnung der Austrofaschisten – so Tálos – sondern sei auch historisch falsch, da die Ständegesellschaft nie realisiert wurde und viel mehr Propaganda und politisches Ideal als gesellschaftliche Realität im Austrofaschismus war.

Im Vergleich zu Tálos früheren Werken ist das Buch leicht verständlich verfasst und richtet sich nicht nur an ein akademisches Publikum. Vor allem für jüngere Leser wie Schülerinnen und Schüler und Studentinnen und Studenten (nicht nur der Sozialen Arbeit), eignet sich dieses Buch als Einstieg in den Themenkomplex. Es bietet einen guten historischen Überblick und eine polit-historische Einschätzung des austrofaschistischen Herrschaftssystems. Gerade für angehende SozialarbeiterInnen ist es wichtig, über die Verfehlungen der eigenen Disziplin Bescheid zu wissen. Das berühmte Diktum vom „Lernen aus der Geschichte“ ist nicht nur eine Phrase, sondern eine Aufforderung zum kritischen Reflektieren der Geschichte der eigenen Profession.

Während zu der Rolle und der Involvierung der Fürsorge im Nationalsozialismus schon einige Studien vorliegen (vgl. SiO 2008) ist für die Zeit des Austrofaschismus bisher noch wenig Forschung vorhanden. Tálos leistet mit seinem Werk möglicherweise eine Vorarbeit für künftige Arbeiten zum Verhältnis der Fürsorge-Institutionen zum Austrofaschismus.

Markus Deutsch / 1710743043@fh-burgenland.at

Posted by Wilfried Allé Thursday, December 20, 2018 11:53:00 PM Categories: Geschichte Politik
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