von Eva Menasse
ISBN: |
9783462047905 |
Ausgabe: |
8. Auflage |
Genre: |
Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945) |
Umfang: |
528 Seiten |
Format: |
Hardcover |
Erscheinungsdatum: |
19.08.2021 |
Verlag: |
Kiepenheuer & Witsch |
Preis: |
€ 25,70 |
Kurzbeschreibung des Verlags:
Jeder schweigt von etwas anderem.
Auf den ersten Blick ist Dunkelblum eine Kleinstadt wie jede andere. Doch hinter der Fassade der österreichischen Gemeinde verbirgt sich die Geschichte eines furchtbaren Verbrechens. Ihr Wissen um das Ereignis verbindet die älteren Dunkelblumer seit Jahrzehnten – genauso wie ihr Schweigen über Tat und Täter. In den Spätsommertagen des Jahres 1989, während hinter der nahegelegenen Grenze zu Ungarn bereits Hunderte DDR-Flüchtlinge warten, trifft ein rätselhafter Besucher in der Stadt ein. Da geraten die Dinge plötzlich in Bewegung: Auf einer Wiese am Stadtrand wird ein Skelett ausgegraben und eine junge Frau verschwindet. Wie in einem Spuk tauchen Spuren des alten Verbrechens auf – und konfrontieren die Dunkelblumer mit einer Vergangenheit, die sie längst für erledigt hielten. In ihrem neuen Roman entwirft Eva Menasse ein großes Geschichtspanorama am Beispiel einer kleinen Stadt, die immer wieder zum Schauplatz der Weltpolitik wird, und erzählt vom Umgang der Bewohner mit einer historischen Schuld. »Dunkelblum« ist ein schaurig-komisches Epos über die Wunden in der Landschaft und den Seelen der Menschen, die, anders als die Erinnerung, nicht vergehen.
»Die ganze Wahrheit wird, wie der Name schon sagt, von allen Beteiligten gemeinsam gewusst. Deshalb kriegt man sie nachher nie mehr richtig zusammen. Denn von jenen, die ein Stück von ihr besessen haben, sind dann immer gleich ein paar schon tot. Oder sie lügen, oder sie haben ein schlechtes Gedächtnis.«
FALTER-Rezension
Durch die Grauzonen einer braunen Kleinstadt
Es gibt dieses Bonmot von Österreich als Punschkrapfenland. Es sei außen süß und rosa, innen drin feuchtbraun und alkoholgetränkt. Es steht für Österreichs Umgang mit seiner Nazi-Vergangenheit, die man bis in die späten 1980er-Jahre mit Alpenkitsch verdeckte. Man war doch das erste Opfer Hitler-Deutschlands und sonst unschuldig.
Das funktionierte, bis ein Bundespräsidentschaftskandidat namens Kurt Waldheim (ÖVP) in seinem Wahlkampf über seine NS-Vergangenheit stolperte, besser gesagt: über seinen Umgang damit. Er wollte sich nicht so recht erinnern, wie die meisten Kriegsveteranen seiner Generation, und wurde genau deswegen gewählt. Das Bild von der geschichtsvergessenen Alpenrepublik lebt bis heute fort, vor allem in angloamerikanischen Medien.
Eva Menasses neuer, dritter und bislang umfangreichster Roman, „Dunkelblum“, spielt in so einer Punschkrapfenstadt. Sie heißt, wie ihr Werk, „Dunkelblum“ und liegt im Burgenland. Es ist ein fiktiver Schauplatz, zusammengesetzt aus vielen Orten dieser Gegend, in denen sich in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs so genannte Endphasenverbrechen an Juden und Zwangsarbeitern ereigneten. Die Nazis trieben sie auf ihrem Rückzug vor der Roten Armee aus Ungarn Richtung Westen. Wer noch arbeiten konnte, musste Hitlers Südostwall bauen. Andere wurden massakriert und ermordet.
Das bekannteste Verbrechen geschah in Rechnitz. Im März 1945 feierten Nazi-Bonzen ein Fest im Schloss der Grafenfamilie Batthyány, das in einem Massaker an 180 Menschen endete. Das Massengrab wurde bis heute nicht gefunden, ein Volksgerichtsverfahren in den Nachkriegsjahren blieb ohne Ergebnis. Das Massaker von Rechnitz wurde von Historikern beforscht sowie von Künstlern filmisch und literarisch verarbeitet, etwa in Elfriede Jelineks Drama „Rechnitz (Der Würgeengel)“.
Ich wollte keinen Rechnitz-Roman schreiben“, sagt Eva Menasse. Aber natürlich ist „Dunkelblum“ eine Art Rechnitz-Roman geworden. Menasse dekliniert nicht nur die klassischen Anti-Heimat-Roman-Themen wie Verdrängung, Schweigen, Schuld und Sühne anhand ihrer fiktiven Modellstadt durch. Sie erzählt auch die Umbrüche des Jahres 1989 mit: den Fall des Eisernen Vorhangs, die Flucht der ersten DDR-Bürger über die grüne Grenze.
Dazu kommen auch noch das Motiv des zivilen Aufbegehrens und die Umweltbewegung. Die Dunkelblumer wehren sich im Jahr 1989, in dem der Roman spielt, gegen eine neue Wasserversorgungsanlage. Fehlt bloß noch der Aufstieg des damaligen FPÖ-Chefs Jörg Haider, denkt man sich kurz, aber diese zeitgeschichtliche Tangente erspart sich Menasse.
Auch für die Autorin, Jahrgang 1970, war 1989 ein Schlüsseljahr. Sie erlebte als junge Journalistin im Profil den Fall des Eisernen Vorhanges mit. Mit Österreichs Geschichtsvergessenheit wuchs sie ohnehin auf. Über den Londoner Prozess gegen den Holocaustleugner David Irving schrieb sie einen vielbeachteten Reportageband. Und wie schon in „Quasikristalle“, ihrem letzten Roman, nimmt Menasse verschiedene Erzählperspektiven ein, um eine These zu demonstrieren: Die eine Geschichte gibt es nicht, es sind immer viele Erzählungen nebeneinander, die sich widersprechen und in Konkurrenz zueinander stehen.
Wer sich im Lesefluss gerne an einer Protagonistin oder einem Protagonisten festhält, wird enttäuscht. Wer gern tief in die Psyche und in das Beziehungsgeflecht von fiktiven Charakteren eintaucht, wer gerne in Romanen versinkt, die Zeitgeschichte bloß en passant miterzählen, wie sie beispielsweise die italienische Autorin Francesca Melandri schreibt, auch.
Menasse schafft eher ein literarisches Wimmelbild mit einer Vielzahl an possierlich überzeichneten Figuren. So will sie Dunkelblums kollektives Gedächtnis und Gewissen skizzieren, die Leerstellen dieser in Abhängigkeiten und Geheimnissen verschworenen Gemeinschaft. Dunkelblums Bewohner spielen nicht die Hauptrolle, sie sind nur Funktionen.
Wir lernen eine rebellierende Tochter aus besserem Haus kennen, die gemeinsam mit Studenten aus Wien den jüdischen Friedhof Dunkelblums restauriert. Sie steht für die kritische, junge Generation, die will, dass sich die Vorfahren mit den Verbrechen der NS-Zeit konfrontieren. Es gibt den alten Dorf-Nazi, der respektiert wird, weil er seine alten Kontakte stets für die Dorfgemeinschaft eingesetzt hat. Die resolute Hotelwirtin, die als Zimmermädchen unter den alten Hoteliers, Juden, anfing und dann das Haus übernahm. Dazu den Dorfarzt, der sein Wissen über das damalige Massaker mit in die Pension nimmt. Einen jüdischen Greißler, der in seiner alten Heimatstadt nach dem Krieg trotz allem neu angefangen hat.
Und einen geheimnisvollen Gast aus Übersee, der viele unangenehme Fragen stellt und sich der Suche nach den Gräbern der einst Ermordeten verschrieben hat. Ein Lageplan des Ortes erleichtert die Orientierung. Es wird auf den über 500 Seiten mitunter nämlich ganz schön unübersichtlich.
Zwischendurch nimmt Menasse die Haltung einer altklugen, sarkastischen Stadtschreiberin ein. Sie spart nicht mit Dialektausdrücken. Topfenneger, Krispindeln, Zniachterln, Tschick, Tschopperl, Tuchent: ein Glossar am Ende des Romans hilft Lesenden jenseits des bayerischen Sprachraums beim Dechiffrieren der großzügig eingestreuten Ösi-Folklore. Das deutsche Feuilleton lobte Menasses Kunst-Dunkelblumerisch, man bekäme regelrecht „Dialektneid“, schrieb Die Zeit. Vor Ort liest es sich streckenweise manieriert.
Was bleibt? „Das ist nicht das Ende der Geschichte“, lautet Menasses letzter Satz. Dunkelblums Geheimnis – was geschah in der Nacht des Massakers an den jüdischen Zwangsarbeitern und wo liegt ihr Grab – bleibt verborgen. Unter den Schichtungen des Erinnerns und dem Zuckerguss des Verdrängens. Das ist durchaus stimmig. Eva Menasse hat Österreichs Vergangenheitspolitik ein würdiges literarisches Denkmal gesetzt.
Barbaba Tóth in Falter 34/2021 vom 27.08.2021 (S. 28)