Es ist eine Illusion, zu glauben, dass unser Land vorwärts kommt, wenn wir alle weiter fünf Tage am Stück acht Stunden lang arbeiten. Kreativität und Fortschritt entspringen der Freiheit, nicht dem Hamsterrad. Steigen wir endlich aus ihm aus.
Die Deutschen wünschen sich so kurze Arbeitszeiten wie nie zu vor, meldete im März das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Und vor kurzem teilte ich eine Umfrage auf LinkedIn, die ergab, dass sich eine Mehrzahl der ca. 20.000 Befragten eine Vier-Tage-Woche sehr gut vorstellen kann.
Schon melden sich reflexartig die Mahner. Mercedes-Vorstandschef Ola Källenius z.B. sieht unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr. Frank Thelen erklärte, er sei “absolut dagegen”. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und es gibt ganz berechtigte warnende Stimmen.
Aber:
Meines Erachtens wird unterschätzt, welchen Effekt Digitalisierung, technischer Fortschritt und Künstliche Intelligenz auf die Produktivität haben wird. Eine Verkürzung der Arbeitszeit muss nicht zwangsläufig zu weniger volkswirtschaftlichem Output führen.
Die reine Länge der Zeit, die man mit Arbeit verbringt, kann also nicht Gradmesser und Maßstab sein.
Voraussetzung für die Vier-Tage-Woche sind weitergehende Digitalisierung, Automatisierung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Technischer Fortschritt zusammen mit den oben genannten positiven Effekten der Vier-Tage-Woche könnte sogar zu einem Mehr an Produktivität führen.
Zahlreiche Berufe lassen sich nicht einfach durch technischen Fortschritt und Künstliche Intelligenz rationalisieren und beschleunigen. Der wohl wichtigste Bereich hier ist die Care-Arbeit.
Pflege, zwischenmenschliche Zuwendung, Zeit zuzuhören, Verständnis: All das erfordert den Menschen und seine Zeit und kann nicht auf Maschinen verlagert werden. Krankenhäuser, Pflegeheime, Kindergärten und Schulen scheinen also – mal wieder – von den Segnungen der neuen Arbeitswelt ausgenommen.
Aber gerade diese Berufe, die ja vom Fachkräftemangel besonders betroffen sind, sollen und können von der Vier-Tage-Woche nachhaltig profitieren.
Mit gut gemeinter Solidarität und Händeklatschen von Balkonen herunter verschwindet der Fachkräftemangel nicht. Leute, die Care-Arbeit machen, können nicht noch mehr Überstunden machen und sich weiter selbst ausbeuten.
Der Fachkräftemangel in der Pflege und anderen Care-Berufen wird erst dann verschwinden, wenn die Wertschätzung für diese Berufe wieder steigt. Und Teil der Wertschätzung sind attraktivere Arbeitszeiten und mehr Lohn pro Arbeitszeit.
Es mag auf den ersten Blick paradox wirken, wenn in Mangelberufen noch zusätzlich die Arbeitszeit verkürzt wird.
Aber diese Berufe sind ja vor allem auch deswegen Mangelberufe, weil die Arbeitszeiten und die Belastung im Vergleich zur Entlohnung in einem manchmal schon groben Missverhältnis stehen. Arbeitszeit und Belastung können aber durch die Vier-Tage-Woche grundlegend reduziert werden.
https://www.focus.de/finanzen/kolumne-von-carsten-maschmeyer-deutschland-muss-raus-aus-dem-hamsterrad-und-rein-in-die-vier-tage-woche_id_208212739.html