AZ-Neu

Die Informationsplattform für ArbeiterInnen, Angestellte, KMUs, EPUs und PensionistInnen

Schotter 

„Man wartet, dass die Zeit reif wird“

von Florjan Lipuš

Übersetzung: Johann Strutz
Verlag: Jung u. Jung
Format: Hardcover
Genre: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Umfang: 144 Seiten
Erscheinungsdatum: 01.03.2019
Preis: € 20,00

 

Rezension aus FALTER 12/2019

„Man wartet, dass die Zeit reif wird“

Mit „Schotter“ ist Florjan Lipuš ein beklemmendes Werk über die Fruchtbarkeit des Vergangengeglaubten gelungen

Das erste Bild gilt dem Verschwinden des wichtigsten Menschen im Leben. Zu diesem kehren die Bücher des Kärntner Slowenen Florjan Lipuš immer wieder zurück. Als er sechs Jahre alt war, wurde seine Mutter 1944 vor seinen Augen abgeführt und später im KZ Ravensbrück ermordet. Ihr Vergehen: Sie hatte eine als Partisanen verkleidete Gruppe von Gestapo-Männern bewirtet.

Diese tiefe Wunde war es, die Lipuš zum Schreiben brachte. Sich in seinen Romanen der Sprache der Täter zu bedienen, kam für ihn nicht infrage. Um der Mutter trotzdem nahe sein zu können, entschied er sich für das Slowenische als Literatursprache. Er ist ihr bis heute treu geblieben. Das gilt auch für „Schotter“, ein Buch, das ohne den Verweis „Roman“ oder „Erzählung“ auskommt und im Original unter dem Titel „Gramoz“ bereits 2017 erschienen ist.

„Schotter“ folgt auf das fast schon zärtliche Alterswerk „Seelenruhig“. Von Zärtlichkeit ist hier indes keine Spur. In atemberaubender Prosa ergründet Lipuš die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines Dorfes, die untrennbar zusammenhängen:

„Man wartet, dass die Zeit reif wird und der Nachbar wieder gegen den Nachbarn Anzeige erstatten wird, der Meister ohne Zögern den Gehilfen melden wird, der Bruder wieder auf den Bruder schießen wird und die Schwester die Schwester verraten wird, der Vater dem Sohn und der Großvater dem Enkel die Waffe in die Hände drücken wird und der Ehemann die Ehefrau persönlich auf den Richtplatz treiben wird.“

Der erste Schauplatz des Buches ist das Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers. „Gedächtnisgeher“ und „Ausflügler“ suchen hier nach den Spuren ihrer hingerichteten Vorfahren.

Sie finden sich am Boden, im Schotter zwischen den Baracken, wo die inhaftierten Frauen viele Stunden Appell stehen mussten. Auch zwei Enkelkinder machen sich auf den Weg, in der Hoffnung, ihre Großmutter werde ihnen erscheinen. Als die Besuchergruppe ins Dorf zurückkehrt, schlägt ihr eine kaum unterdrückte Feindseligkeit entgegen.

Mit „Schotter“ legt Lipuš einen atmosphärisch hochaufgeladenen Text vor, der seine Wirkung auch dem verdankt, was er alles nicht leistet. Es wird hier keine Geschichte erzählt, es sind – abgesehen von den Enkeln, die den Geist ihrer Großmutter aufspüren wollen – keine Figuren identifizierbar und es lässt sich auch nicht mit Gewissheit sagen, in welcher Zeit und an welchem Ort wir uns befinden, von welchem Konzentrationslager die Rede ist.

Wo Lipuš sonst zumeist konkret auf seine Herkunftsgegend Bezug nimmt, könnten wir uns in seinem jüngsten Werk im Grunde überall im deutschsprachigen Raum befinden ‒ überall dort, wo es Dörfer gibt, wo die Kirche noch über einigen Einfluss verfügt, die Leute alte Waffen und Uniformen im Kasten versteckt haben und auf den Tag warten, an dem sie diese wieder hervorholen können.

Altersradikalität ist wohl das falsche Wort für die Haltung, die Florian Lipuš hier an den Tag legt, Altersklarheit trifft es besser. „Das Mördergeschlecht kam nicht aus der Hölle gekrochen“, heißt es einmal, „wurde nicht aus giftigem Ungeziefergewimmel geboren […]. Das Mördergeschlecht waren die gestern noch freundlichen Verwandten, die langjährigen Bekannten und Genossen, die Verliebten, die Wohltäter und Freunde, die Gelehrten und Geschulten, mit den akademischen Titeln, die Männer und Frauen mit Eigenschaften und ohne Eigenschaften, die auffälligen und die unauffälligen Gemeindebürger, die bisher mit nichts Bösem Aufmerksamkeit erregten. Es waren nicht die Wilden, aber sie wurden zu Wilden, als sich ihnen Gelegenheit dazu bot.“

Das galt gestern und das gilt für Lipuš heute wie morgen. Der Kärntner Slowene, der 2018 mit dem Großen Staatspreis für österreichische Literatur ausgezeichnet wurde, legt ein schmales Buch von großer Sprengkraft vor. Man kann es nur langsam lesen, weil einem bei der Lektüre immer wieder angst und bange wird.

Sebastian Fasthuber in FALTER 12/2019 vom 22.03.2019 (S. 18)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, March 20, 2019 1:11:00 PM Categories: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Rate this Content 0 Votes

China First 

Die Welt auf dem Weg ins chinesische Jahrhundert

von Theo Sommer

Verlag: C.H.Beck
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 480 Seiten
Erscheinungsdatum: 25.01.2019
Preis: € 26,80

 

"Wenn heute in China ein Sack Reis umfällt, bebt die ganze Welt."

Theo Sommer

China hat sich in wenigen Jahrzehnten vom Armenhaus im Mao-Look zur Hightech-Nation gewandelt. Vielspurige Autobahnen und Hochgeschwindigkeitszüge verbinden die Zentren. Oft heißt es, die Technologie sei nur importiert, ja geraubt, und die sozialen und ökologischen Probleme seien übermächtig. Doch das ist eine gefährliche Täuschung, wie Theo Sommer eindrucksvoll zeigt. Wer sein luzides Buch voller überraschender Fakten und Zusammenhänge gelesen hat, wird China und den Westen mit anderen Augen sehen.
In immer mehr Zukunftssparten wie erneuerbare Energien oder Elektromobilität übernimmt China die Führung. Das Seidenstraßen-Projekt stellt wichtige Handelswege unter chinesische Kontrolle. Außenpolitisch trumpft China immer mehr auf, in Asien auch militärisch. Der neue starke Mann Xi Jinping hat sich eine Machtfülle gesichert, wie sie nicht einmal Mao hatte. Er perfektioniert den Überwachungsstaat mit digitaler Gesichtserkennung und einem an Orwell gemahnenden "Sozialkreditsystem". Auch hier spielt China eine beängstigende Vorreiterrolle. Das chinesische Jahrhundert hat begonnen. Es kommt jetzt darauf an, es zu verstehen und sich zu behaupten. Theo Sommer, Journalist und Historiker, war 20 Jahre lang Chefredakteur der ZEIT und zusammen mit Marion Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt Herausgeber der Hamburger Wochenzeitung. Asien ist eines seiner großen Lebensthemen. Er reist seit fast fünf Jahrzehnten immer wieder nach China, oft als Begleiter hochrangiger politischer Delegationen, und hat vielfach zur Rolle Chinas in Asien publiziert.

Posted by Wilfried Allé Monday, March 4, 2019 10:14:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
Rate this Content 0 Votes

Seinesgleichen 

Politische Kommentare aus dem FALTER 1998-2018

von Armin Thurnher

EAN: 9783854396284
Verlag: Falter Verlag
Format: Taschenbuch
Umfang: 200 Seiten
Erscheinungsdatum: 13.02.2019
Preis: € 19,90

Armin Thurnher, Herausgeber der Wiener Wochenzeitung FALTER, schreibt seit 1984 die Kolumne „Seinesgleichen geschieht“. Darin beleuchtet er den polit-medialen Komplex und sein Personal kritisch, satirisch und literarisch.
Anlässlich seines 70. Geburtstags hat Armin Thurnher 49 seiner „Seinesgleichen-Geschieht“-Kommentare aus 20 Jahren ausgewählt, die zeigen, wie sehr sich Österreichs Politik verändert und wie sie sich dabei doch gleich bleibt.
Das Buch startet mit politischen Komentaren aus dem Jahr 1998, in dem sich abzeichnete, was man in Österreich für undenkbar gehalten hatte: die Wende, das Ende der rot-schwarzen Nachkriegspolitik. Der Aufstieg Jörg Haiders schien unaufhaltsam. Wolfgang Schüssel von der ÖVP verlor die Nationalratswahl 1999, bildete aber Anfang 2000 mit der Haider-FPÖ die Regierung. Sanktionen von 14 EU-Staaten folgten und erwiesen sich als Schlag ins Wasser. Sie machten die Regierung Schüssel nur populärer. Dennoch kam es 2006 zur Abwahl Schüssels und zum Wiederaufleben von Rot-Schwarz. Bis 2017 die erneute Wende erfolgte. Der junge Kanzler Sebastian Kurz putschte seine Jugendorganisation in der ÖVP entschlossen an die Macht und führt das Land in eine neue Richtung.

Inhaltsverzeichnis plus Leseprobe ->

Posted by Wilfried Allé Sunday, February 17, 2019 7:54:00 PM Categories: Politische Kommentare
Rate this Content 0 Votes

Die Krise verstehen 

Ökonomie: Eine kritische Auseinandersetzung zu ihren Lehren, Theorien und Denkern

von Joseph Gepp (Hg.)

EAN: 9783854395287
Verlag: Falter Verlag
Format: Taschenbuch
Umfang: 216 Seiten
Erscheinungsdatum: 20.01.2015
Preis: € 19,90

Das Buch gibt einen Einblick in die ökonomischen Probleme der Gegenwart – abseits von Sprechblasen des Wirtschaftsjournalismus, jenseits von PR-Phrasen und abseits der Schaumgummisprache der Politik.
Auch wenn immer wieder verkündet wird, die Krise werde zur Zeit überwunden, so stecken wir doch noch immer mittendrin. Denn die Probleme des alles dominierenden Finanzkapitalismus wurden nach dem Crash von 2008 nicht einmal angetippt. Das wirtschaftliche Paradigma ist nach wie vor jenes des Neoliberalismus. Wirtschaftspolitik scheint so etwas wie Voodoo zu sein, ein mystisches Ritual, das Investmentbanker und Spitzenpolitiker hinter verschlossenen Türen zelebrieren.
Das Buch stellt verschiedene ökonomische Denker vor, die unsere Gegenwart noch immer bestimmen: Karl Marx, John Maynard Keynes, Friedrich August Hayek, Tim Jackson, Kurt Rothschild, Josef Steindl u.v.m.
Gegliedert ist der Band in vier Kapiteln, was den Zugang zum Thema erleichtert: Neben den Porträts ökonomischer Meisterhirne in Kapitel 1 prallen in Kapitel 2 („Die Krise“) in einem Streitgespräch drei verschiedene Perspektiven aufeinander. Die Diskutierenden sind Sigrid Stagl (WU Wien), Christian Keuschnigg (IHS Wien) und Stephan Schulmeister (Wifo). Im Kapitel 3 werden jene Leute vorgestellt, die uns in Österreich Wirtschaft erklären, und problematisiert den mit solchen Erklärungen meist verbundenen Kampf um die wirtschaftliche Überlegenheit. Kapitel 4 schließlich enthält neben Rezensionen wichtiger Bücher ein Interview mit Thomas Piketty, dem Autor des Weltbestsellers „Das Kapital im 21. Jahrhundert“.
Ein Glossar mit wichtigen Begriffen schließt das Buch ab.

Inhaltsverzeichnis plus Leseprobe ->

Pressetext

Welche historischen Denker prägen unsere moderne Sicht auf die Ökonomie und ihre Krisen?
Wer erklärt in der österreichischen Öffentlichkeit komplizierte Wirtschaftsangelegenheiten?
Was sind die Ursachen der seit 2008 andauernden Krise? Und was wären mögliche Auswege?

Journalisten der Wiener Wochenzeitung FALTER und Experten der wirtschaftswissenschaftlichen
Abteilung der Wiener Arbeiterkammer befassten sich in diesem Buch mit der Wirtschaftskrise und erklären alles, was man wissen muss, um die Debatten über die Krise zu verstehen.

Klar ist mittlerweile eines: Die Wirtschaft ist heute keine Fachmaterie mehr, die nur einige Banker, Ökonomen und Anleger interessiert. Je länger die Krise andauert, desto mehr wird sie zur Angelegenheit der breiten Masse, die zunehmend begreift, wie stark die Frage möglichen künftigen Wohlstands von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik abhängt.

Die übliche Berichterstattung über die Krise lässt vielfach den Blick auf größere Zusammenhänge vermissen. Jeder kennt zwar die wiederkehrenden Schlagzeilen über neuerliche Geldspritzen der Europäischen Zentralbank, die wieder einmal wirkungslos bleiben. Oder über aktuelle Demonstrationen gegen das von der Troika oktroyierte Sparpaket in Athen oder Madrid.
Aber was ist eigentlich im Großen und Ganzen seit dem Crash der US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 geschehen?

Diesem Bedürfnis nach Orientierung will das vorliegende Buch nachkommen. Es umfasst Porträts einflussreicher historischer Wirtschaftsdenker, deren Weltbilder bis heute fortwirken. Ein Streitgespräch dreier Ökonomen unterschiedlicher Ausrichtung: eines Liberalen, eines Keynesianers und einer Umweltökonomin. Weiters befasst es sich mit der Frage, welche Personen und Institute uns in Österreich Wirtschaft erklären sowie welche Wirtschaftssachbücher der vergangenen Jahre man lesen sollte. Den Abschluss bildet ein Glossar mit wesentlichen Fachbegriffen und Protagonisten.

Posted by Wilfried Allé Thursday, January 31, 2019 11:02:00 PM Categories: Neoliberalismus Wirtschaft/Gesellschaft Wirtschaft/Politik
Rate this Content 0 Votes

Zahlen, bitte! - E-Book 

Was Sie schon immer über Österreich wissen wollten

von Florian Klenk, Konrad Pesendorfer

Jetzt wieder lieferbar!

EAN: 9783854396178
Verlag: Falter Verlag
Format: PDF
Umfang: 120 Seiten
Erscheinungsdatum: 02.07.2018
Preis: € 14,99
 


Bitte beachten: Dies ist ein E-Book im pdf-Format. Tabellen und Grafiken verlieren bei E-Book-Readern deutlich an Qualität.

Wie viele Schulkinder hat Österreich und wie viele von ihnen machen Matura? Wie gesund oder krank sind wir? Wohin verreisen wir am liebsten? Wie viele Zwetschkenbäume hat das Land? Und wird das wirklich gezählt? Alle Antworten auf diese Fragen und welche Auswirkungen diese Fakten auf unser Leben haben, sind in diesem Buch kompakt dargestellt.

Konrad Pesendorfer von Statistik Austria und Florian Klenk vom FALTER versachlichen Themen die uns bewegen, die wir aber in ihrer quantitativen Bedeutung in unserer Gesellschaft nicht immer abzuschätzen vermögen und legen somit objektive Information vor.
In einer Welt, die von überlautstarken Meinungsäußerungen geprägt ist und in der das reißerischste Posting oder der verwegenste Tweet die Gemüter politisch sensibler Menschen in atemberaubender Geschwindigkeit in Aufregung versetzen kann, erlangen nüchtern vorgetragene Fakten und äquidistante Verweise darauf, wie sich bestimmte Phänomene in der Realität quantitativ darstellen, wieder an Attraktivität.

Inhaltsverzeichnis plus Leseprobe ->

Rezension aus FALTER 26/2018

„Was bedeutet eigentlich der EU-Ratsvorsitz für österreichische Statistiker?“

In der Europäischen Union sind 24 Amtssprachen in Verwendung. Aber auch in der Welt der Zahlen kann es zu Verständigungsschwierigkeiten kommen. Deswegen müssen sich auch Europas Statistiker auf gemeinsame Standards und Fragestellungen verständigen. Demnächst unter der Regie Österreichs.

Falter: Herr Pesendorfer, ab 1. Juli dieses Jahres übernimmt Österreich für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz. Was bedeutet das für den Bereich der Statistik?
Konrad Pesendorfer: Mehr als 90 Prozent aller Statistiken, die wir bei Statistik Aus­tria produzieren, werden erstellt, weil das bestimmte Datenanforderungen von der Europäischen Union an die Republik Österreich verlangen. Da gibt es genaue Vorgaben, die auch in einzelnen EU-Verordnungen festgehalten sind, welche Daten zu welchen Themen, Definitionen und Zeitpunkten zu Eurostat nach Luxemburg geliefert werden müssen.

Wie entstehen solche EU-Statistikverordnungen?
Pesendorfer: Zu Beginn macht Eurostat, das als Teil der Europäischen Kommission ja ein Initiativrecht hat, einen Vorschlag, Statistiken zu einem bestimmten Thema zu erstellen, für das es auf europäischer Ebene einen Informationsbedarf gibt. Dann folgen Diskussionen dazu in einzelnen Expertengruppen des Europäischen Statistischen Systems (AESS), die durch einen Beschluss der Generaldirektoren aller EU-Statistik­institutionen im Ausschuss für das Europäische Statistische System abgeschlossen werden. Danach müssen die EU-Verordnungsentwürfe vom Rat und vom Europäischen Parlament beschlossen werden, um Gültigkeit zu erlangen.

Und hier kommt der österreichische EU-Ratsvorsitz ins Spiel?
Pesendorfer: Genau. Es gibt eine eigene Ratsarbeitsgruppe Statistik, in der sich die Mitgliedsstaaten auf die Details der Statistik einigen müssen – und dort darf ich für die Republik Österreich in den kommenden sechs Monaten den Vorsitz führen und Kompromisse erarbeiten, die von einer Mehrheit der Mitgliedsstaaten mitgetragen werden. Danach muss der EU-Ratsvorsitz den Kompromiss mit dem Europäischen Parlament verhandeln, und wenn sich alle einig sind, kann die neue EU-Verordnung verabschiedet werden.

Was ist das Ziel dieses aufwendigen Prozedere?
Pesendorfer: Ziel ist es, europäische Statistiken zu erarbeiten, die auf EU-Ebene vergleichbar sind. Außerdem müssen die Statistiken die hohen Qualitätsstandards einhalten, die die auf EU-Ebene verbindlich festgeschriebenen europäischen statistischen Grundsätze verlangen.

Welche Grundsätze sind das?
Pesendorfer: Das sind in erster Linie die Grundsätze der fachlichen Unabhängigkeit, der Unparteilichkeit und der Objektivität von Statistiken. Aber natürlich müssen Statistiken auch zuverlässig sein, die statistische Geheimhaltung muss beachtet werden, und dann muss auch ein ausgewogenes Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Erstellung von Statistiken beachtet werden.

Welche Verordnungen werden in den kommenden sechs Monaten im Statistikbereich verhandelt?
Pesendorfer: Da ist einerseits eine Rahmenverordnung zu Unternehmensstatistiken, bei der es um die Erfassung von Wirtschaftsstruktur und Konjunkturentwicklung geht, aber auch um Fragen der Globalisierung. Andererseits soll es Verbesserungen bei Migrationsstatistiken geben. Außerdem werden eine Verordnung zum Bruttonationaleinkommen, das ja die Grundlage für die Budgetbeiträge zur EU bildet, sowie das künftige Statistikprogramm für die Jahre 2021 bis 2027 behandelt.


„Zahlen!“ ist eine Serie des Falter. Jede Woche beantwortet der Chef der Statistik Austria, Konrad Pesendorfer, Fragen zu seinen neuesten Daten, die Politiker kennen sollten, ehe sie Entscheidungen treffen

Pesendorfer Konrad in FALTER 26/2018 vom 29.06.2018 (S. 19)

Posted by Wilfried Allé Thursday, January 31, 2019 11:43:00 AM Categories: Fachbücher Wirtschaft/Politik
Rate this Content 0 Votes

BECOMING 

Meine Geschichte

von Michelle Obama

Übersetzung: Harriet Fricke
Übersetzung: Tanja Handels
Übersetzung: Elke Link
Übersetzung: Andrea O'Brien
Übersetzung: Jan Schönherr
Übersetzung: Henriette Zeltner
Verlag: Goldmann
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Biographien, Autobiographien
Umfang: 544 Seiten
Erscheinungsdatum: 13.11.2018
Preis: € 26,80

 

Rezension aus FALTER 1-2/2019

Bei den Obamas im Wohnzimmer

Ja, es ist eine massentaugliche, schnell gelesene Weichspüler-Erzählung eines perfekten Aufstiegs. Und trotzdem lohnt sich die Lektüre: In „Becoming“ erzählt die ehemalige First Lady Michelle Obama ihre Lebensgeschichte.

Diese beginnt in Southside Chicago, wo Michelle in einer schwarzen Mittelklasse-Familie aufwächst. Der Vater arbeitet beim städtischen Wasserwerk, die Mutter ist Hausfrau. Im Stockwerk unter ihnen wohnt die Tante, die sich mit Klavierstunden über Wasser hält. Obama beschreibt, wie sie es durch eine fürsorgliche Mutter, eine strenge Tante, gute Lehrer und staatliche Förderungen schaffte, auf der Eliteuniversität Princeton zu studieren. Und wie sie dort stets die Schwarze unter weißen Studierenden und der Rassismus ihr Begleiter blieb.

Es folgt eine Karriere in einer renommierten Anwaltskanzlei, wo ihr ein gewisser Barack Obama als Mentée zugeteilt wird. Das Buch erzählt den Aufstieg des ersten schwarzen Präsidentenpaares. Es sind die kleinen Details, die es interessant machen, etwa der Schlüssellochblick in das Weiße Haus (wer wusste, dass es dort schräge Flure gibt, die die Präsidentenkinder als Rutschbahn verwenden?). Das politische Motto der Obamas, das sich durch das Buch zieht, „When they go low, we go high“, wäre etwas, was der österreichischen Politik guttun würde.

Nina Horaczek in FALTER 1-2/2019 vom 11.01.2019 (S. 19)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, January 9, 2019 10:01:00 PM Categories: Autobiographien Sachbücher/Politik Wirtschaft/Biographien
Rate this Content 0 Votes

Das austrofaschistische Österreich 1933-1938 

von Emmerich Tálos, Florian Wenninger

Verlag: LIT-Verlag
Genre: Politik, Geschichte
Erscheinungsdatum: 01.07.2017
Preis: € 19,80

 

Rezension aus FALTER 13/2018

Österreichs Eigenbaufaschismus

Löst die Übergabe des Dollfuß-Porträts an das Niederösterreichische Haus der Geschichte lästige Fragen nach dem Austrofaschismus, für den der christlich-soziale Ex-Bundeskanzler stand? Hier liest man, eingebettet in einen großen Bogen von der Weltwirtschaftskrise 1929 über den Bruch des Rechtsstaates 1934 bis zum "Anschluss" 1938, eindeutige Sätze wie: "Mit der Ermordung Dollfuß' durch Nationalsozialisten im Juli 1934 wurde der Austrofaschismus seiner unumstrittenen Führerfigur beraubt. Die realpolitischen Folgen waren allerdings überschaubar."

Erich Klein in FALTER 13/2018 vom 30.03.2018 (S. 9)

 

Rezension aus "wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit"

Der Politikwissenschaftler Emmerich Tálos beschreibt in seinem Buch, unter Mitarbeit des Historikers Florian Wenninger, die Entwicklung und den Aufstieg des Herrschaftssystems des Austrofaschismus zwischen 1933 und 1938 in Österreich. Das knapp 190 Seiten umfassende Werk bietet einen guten Überblick über diese Phase der österreichischen Geschichte, deren historische Einordnung und Bewertung auch heute noch Gegenstand politischer Auseinandersetzungen ist.

Die Konstituierung und Festigung des austrofaschistischen Herrschaftssystems begann mit der Ausschaltung der progressiven Opposition im Februar 1934, allen voran der Sozialdemokratie und der sozialdemokratisch geprägten Gewerkschaften, und setzte sich mit tiefgreifenden Veränderungen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik fort. Der Austrofaschismus schrieb sich als Ziel die Errichtung eines Ständestaates auf die Fahne. Anstelle von Klassenkampf und dem der kapitalistischen Gesellschaft inhärenten Interessensgegensatzes zwischen Kapital und Arbeit, sollte die harmonische Einheit des Berufsstandes treten (vgl. S. 53ff). De facto betrieb das austrofaschistische Regime eine systematische Umgestaltung der Ökonomie zugunsten der Kapitalfraktionen und zulasten der Arbeiterschaft. Die Wirtschaftspolitik des Austrofaschismus wurde von und für die Interessensträger dieses Regimes – katholische Kirche, Industrie, Finanzkapital und auch Teile der Bauernschaft – betrieben. Diese Politik kann auch als „Ausschaltung des Klassenkampfes bei fortbestehenden kapitalistischen Eigentums-, Produktions- und Verteilungsbedingungen“ (S. 159) beschrieben werden.

Während Banken und große Bauernhöfe zu den Gewinnern zählten, waren ArbeiterInnen, insbesondere Frauen, die VerlierInnen im System des Austrofaschismus: Tálos beleuchtet anhand konkreter Statistiken den Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Situation in Österreich und der Anziehung, die das nationalsozialistische Regime auf die Arbeiterschaft in Österreich ausübte. Die Arbeitslosenrate 1931 betrug 15,4 %, 1933 betrug sie 26 %, und im Jahr 1937 noch immer 22 %. Im nationalsozialistischen Deutschland betrug sie 1937 4,6 %. Dies ist mitunter ein Grund, wieso bei Teilen der Arbeiterklasse der Nationalsozialismus an Attraktivität gewann. (vgl. S. 119)

Das schon in den 1920er-Jahren bestehende Problem der hohen Arbeitslosigkeit verschärfte sich. Tálos schreibt: „1935 erhielt nur mehr jeder zweiter Arbeitslose eine Unterstützung(..)“ (S. 121). Das Netz der sozialen Sicherung verschlechterte sich stark. Das Krankengeld der Krankenversicherung wurde gekürzt und die Renten wurden reduziert. Eine, wenn auch geringe, allgemeine Alters- und Invalidenversicherung für Arbeiter erfolgte erst 1939 mit Inkrafttreten der Deutschen Reichsversicherungsordnung (vgl. S. 124). Die Bezugsbedingungen für das Arbeitslosengeld wurden massiv verschärft, was auch erklärt, wieso so viele Menschen überhaupt kein Arbeitslosengeld und damit keinerlei staatliche Unterstützung mehr erhielten. Die Interessensorganisationen der Arbeiterschaft wurden zugunsten der austrofaschistischen Herrschaft umgebaut oder gänzlich zerschlagen, das Streikrecht beseitigt. Diese prekäre soziale Situation der ArbeiterInnen, die 1934 erfolgte Ausschaltung der „klassischen“ ArbeiterInnenparteien, also Sozialdemokratie und kommunistische Partei, und die vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenzahlen im nationalsozialistischen Deutschland, sind einige Erklärungsmuster für die Begeisterung, auch unter der Arbeiterklasse, mit der 1938 Hitler und der „Anschluss“ begrüßt wurden. Jedoch sollte eine Analyse, die nach Gründen für Begeisterung und ideologischer Attraktivität des Nationalsozialismus fragt, den vorhanden Antisemitismus und Ressentiments gegen sogenannte „Arbeitsscheue“ oder auch als „Asoziale“ gebrandmarkte Menschen, nicht außer Acht lassen. Die aktuelle mediale Darstellung von Arbeitslosen oder die Diskussion um die Arbeitspflicht für AsylwerberInnen zeigen historische Parallelen auf.

Die konservative katholische Ideologie bildete die Grundlage für gesellschaftliche Ideale und Geschlechterrollen im Austrofaschismus. Daher propagierte das Regime eine „klar getrennte, natur- und gottgewollte Geschlechterrolle“ (S. 126). In diesem ideologischen Verständnis war der Mann für Politik und Arbeit zuständig, die Frau sollte sich auf klassische Reproduktionstätigkeiten konzentrieren. Frauen wurden massiv am Arbeitsmarkt benachteiligt. Beispielweise galt im öffentlichen Dienst ein Doppelverdienerverbot, welches Frauen in die Sphäre des Privaten drängte. Auch in den Lehrplänen schlug sich das reaktionäre Geschlechterverständnis der austrofaschistischen Ideologie nieder und generell sank der Mädchenanteil im Mittelschulbereich. (vgl. S. 127) Dass eine solche Geschlechterpolitik kein Phänomen der Vergangenheit ist, zeigen aktuelle Tendenzen der Politik bzgl. der Abschaffung kostenloser Kinderbetreuung. (vgl. Rohrhofer 2017)

Tálos gibt im letzten Drittel des Buches einen Überblick über die Stimmungslage der Bevölkerung im Austrofaschismus und zeigt anhand des Antisemitismus die verbreiteten politischen Haltungen auf. (vgl. S. 133ff) Insgesamt, so schließt Tálos nach einer Betrachtung der Verhältnisse zum italienischen Faschismus und zum Nationalsozialismus, lässt sich das Herrschaftssystem zwischen 1933/34 und 1938 als eine spezifisch österreichische Variante des Faschismus kennzeichnen. Die nach wie vor gebräuchliche Bezeichnung „Ständestaat“ übernehme nicht nur die Selbstbezeichnung der Austrofaschisten – so Tálos – sondern sei auch historisch falsch, da die Ständegesellschaft nie realisiert wurde und viel mehr Propaganda und politisches Ideal als gesellschaftliche Realität im Austrofaschismus war.

Im Vergleich zu Tálos früheren Werken ist das Buch leicht verständlich verfasst und richtet sich nicht nur an ein akademisches Publikum. Vor allem für jüngere Leser wie Schülerinnen und Schüler und Studentinnen und Studenten (nicht nur der Sozialen Arbeit), eignet sich dieses Buch als Einstieg in den Themenkomplex. Es bietet einen guten historischen Überblick und eine polit-historische Einschätzung des austrofaschistischen Herrschaftssystems. Gerade für angehende SozialarbeiterInnen ist es wichtig, über die Verfehlungen der eigenen Disziplin Bescheid zu wissen. Das berühmte Diktum vom „Lernen aus der Geschichte“ ist nicht nur eine Phrase, sondern eine Aufforderung zum kritischen Reflektieren der Geschichte der eigenen Profession.

Während zu der Rolle und der Involvierung der Fürsorge im Nationalsozialismus schon einige Studien vorliegen (vgl. SiO 2008) ist für die Zeit des Austrofaschismus bisher noch wenig Forschung vorhanden. Tálos leistet mit seinem Werk möglicherweise eine Vorarbeit für künftige Arbeiten zum Verhältnis der Fürsorge-Institutionen zum Austrofaschismus.

Markus Deutsch / 1710743043@fh-burgenland.at

Posted by Wilfried Allé Thursday, December 20, 2018 11:53:00 PM Categories: Geschichte Politik
Rate this Content 0 Votes

Der Tag, an dem die Oma das Internet kaputt gemacht hat 

von Marc-Uwe Kling

Illustrationen: Astrid Henn
Verlag: Carlsen
Format: Hardcover
Genre: Kinder- und Jugendbücher/Vorlesebücher, Märchen, Sagen, Reime, Lieder
Umfang: 72 Seiten
Erscheinungsdatum: 28.06.2018
Preis: € 12,40

 

Rezension aus FALTER 50/2018

Oma crasht das Netz

Die Oma sollte nur auf ihre Enkelkinder aufpassen – aber dann drückt sie auf den falschen Knopf und macht das Internet auf der ganzen Welt kaputt. Anfangs sind die Kinder sehr verärgert und wissen gar nicht, was sie den ganzen Tag ohne Smartphone, Tablet und Fernsehen anfangen sollen. Aber bald haben sie in der analogen Welt viel Spaß und merken, dass es sogar mehr Freude macht, wenn man nicht dauernd in irgendwelche Kasteln starrt. „Ein wirklich lustiges Lesebuch mit comicartigen Illustrationen“, sagt die Kinderbuchhändlerin. (Ab 8 Jahren)

Nina Horaczek in FALTER 50/2018 vom 14.12.2018 (S. 43)

Posted by Wilfried Allé Thursday, December 13, 2018 1:26:00 AM Categories: Kinder- und Jugendbücher Märchen, Sagen, Reime, Lieder Vorlesebücher
Rate this Content 0 Votes

Plus zwei Grad 

Warum wir uns für die Rettung der Welt erwärmen sollten

von Helga Kromp-Kolb, Herbert Formayer

Verlag: Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria GmbH & Co. KG
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Natur, Technik/Natur, Gesellschaft
Umfang: 208 Seiten
Erscheinungsdatum: 15.09.2018
Preis: € 23,00

 

Rezension aus FALTER 50/2018

Leute, es geht doch! Wir müssen es nur tun

Die Klimaforscher Helga Kromp-Kolb und Herbert Formayer geben einen Klimawandelschnellkurs und verbreiten zugleich Optimismus

Es war einer jener Donald-Trump-Tweets, die Hunderttausende fassungslos auf ihre Displays starren ließen: „Brutal and Extended Cold Blast could shatter ALL RECORDS. Whatever happened to Global Warming?“, hatte der US-Präsident getippselt. Es ist also einmal kalt, und schon sieht Trump die Erderwärmung als widerlegt an. Österreichs Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) wiederum gab jüngst im Standard zu Protokoll: „Inwieweit der Mensch das Klima beeinflussen kann, ist eine offene Frage.“ Es gebe halt immer so „Zackenbewegungen“, über deren Herkunft man nichts Rechtes wisse.

Ob die Herren das selber glauben?

Eine Erklärung dafür, dass viele den menschengemachten Klimawandel negieren, liefern Helga Kromp-Kolb und Herbert Formayer in ihrem Buch „+2 Grad. Warum wir uns für die Rettung der Welt erwärmen sollten“: Klimaleugner wollten einfach staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und den eigenen Lebensstil verhindern. Sie hätten gut erkannt, wie sehr der Klimawandel die neoliberale Wirtschaft bedrohe.

Gesünder essen würde schon helfen

Knapp, eloquent und oft überraschend beantworten die beiden österreichischen Meteorologen sämtliche mit dem Thema verbundenen Fragen: Was heißt die Erwärmung für Österreich, was global? Kann man sie stoppen, indem wir riesige Folien im Weltall auslegen? Werden meine Enkerln noch Ski fahren? Wie müsste eine andere Steuerpolitik aussehen? Was kann ich selber ab sofort tun? Das große Verdienst der Autoren: Sie lassen keinen Zweifel an der Brisanz. Machen wir weiter wie bisher, wird es auf der Erde sehr bald sehr ungemütlich, so die Botschaft. Gleichzeitig vermeiden sie Fatalismus. Die Pariser Klimaziele seien zweifellos noch zu schaffen. Ja, es bedürfe sofortiger und gewaltiger Veränderungen – doch die bedeuteten nicht automatisch, dass alle bloß noch darben müssen. Beim Essen etwa könne man allein damit, dass man sich an die Ernährungsempfehlungen zum Anteil von Fleisch und Milchprodukten hält, schon einen Gutteil der Treibhausgasemissionen sparen.

Einen Fokus legen die Autoren auf die Ungerechtigkeiten, die die Erhitzung mit sich bringt – in Wien-Fünfhaus genauso wie in afrikanischen Wüstengegenden. Ärmere Menschen leben oft in schlecht isolierten Häusern „in dicht verbautem Gebiet ohne nennenswerte Grünflächen“: Sie müssen daher in den heißesten Wohnungen schwitzen. In Asien und Afrika wiederum löst der Klimawandel Kämpfe um Nahrung und Wasser und in der Folge große Migrationsbewegungen aus. Von Überschwemmungen bedroht sind übrigens nicht nur bevölkerungsreiche Flussdeltas, auch London ist es: Es könnte sein, dass es eines Tages komplett evakuiert werden muss. Szenarien, die angeblich unfinanzierbare Klimaschutzmaßnahmen in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.

Österreich als säumiger Schüler

Aber ist Österreich nicht ohnehin Umweltvorreiter? Die Forscher winken ab. Bei den Pro-Kopf-Emissionen liegt Österreich in Europa bloß an 18. Stelle, und laut Wifo fließen hierzulande satte vier Milliarden Euro in die Förderung fossiler Energien: in Diesel-Subventionen, Pendlerpauschalen, Steuerbefreiungen für die Fliegerei. „Österreich war einmal Vorreiter in Umweltfragen, hat diese Rolle aber bei der Luftreinhaltung bereits verloren.“ Man könne die Situation des Landes „vergleichen mit der eines Kindes, das vor seiner Einschulung bereits lesen kann. In den ersten Monaten gehört es zu den Besten in der Klasse. Es versäumt aber den Zeitpunkt, ab dem es mitlernen muss, und erkennt lange nicht, dass ihm inzwischen andere schon voraus sind.“

Gerlinde Pölsler in FALTER 50/2018 vom 14.12.2018 (S. 17)

Posted by Wilfried Allé Thursday, December 13, 2018 1:09:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Natur Technik/Naturwissenschaft
Rate this Content 0 Votes

Die Politische Ökonomie des Populismus 

Wer über Populismus redet, darf nicht länger über Kapitalismus schweigen

von Philip Manow

Verlag: Suhrkamp
Format: Taschenbuch
Genre: Politikwissenschaft/Politik, Wirtschaft
Umfang: 160 Seiten
Erscheinungsdatum: 12.11.2018
Preis: € 16,50

Rezension aus FALTER 48/2018

Der Aufstand der noch nicht Abgehängten

Der Politologe Philip Manow enthüllt in einer überraschenden Studie die ökonomischen Ursachen für den Erfolg der Populisten

Mit kühler Empirie schaltet sich der deutsche Politikwissenschaftler Philip Manow in die Kontroverse über das Wesen des politischen Populismus ein. Philosophinnen wie Chantal Mouffe sind in ihrem demokratietheoretischen Ansatz spekulativ, Jan-Werner Müllers These über den moralischen Alleinvertretungsanspruch der Populisten bleibt vage.

Manow lässt die vertrauten Argumente über den irrationalen Aufstand der Wutbürger gegen die Eliten beiseite und versucht anhand von Statistiken die ökonomischen Ursachen des Wahlverhaltens zu erklären. Explizit wendet sich der Autor gegen die Annahme, wonach der Populismus eine leere Form sei, die mit beliebigen Inhalten gefüllt werden kann, wenn nur der Zornpegel stimmt. Manow interpretiert den Populismus als verständlichen Protest gegen die Globalisierung, und zwar gegen zwei ihrer hauptsächlichen Erscheinungsformen: den internationalen Handel und die Migration, also der grenzüberschreitende Bewegung von Geld und Gütern einerseits und Personen anderseits.

Nichts zu gewinnen

Der Autor entwirft eine politische Geografie Europas, die im Süden den linkspopulistischen Widerstand gegen Austerität und Neoliberalismus, im Norden die Angst vor der Zuwanderung verzeichnet. Die Wähler der Populisten setzten sich nicht aus Modernisierungsverlierern zusammen, sondern aus jenen, die etwas zu verlieren haben. Die Alternative für Deutschland (AfD) ist gerade im prosperierenden Süddeutschland erfolgreich. Manow erklärt diesen vermeintlichen Widerspruch damit, dass in Deutschland der Wohlfahrtsstaat besonders zugänglich sei. Wer hier nach 20 Jahren die Arbeit verliert, steht am Arbeitsamt neben dem Flüchtling, der gerade ins Land gekommen ist und dieselbe staatliche Unterstützungen bekommt. Die Populisten stechen in diese Wunde.

In Süditalien hingegen sind Migranten kein Thema. Hier steht der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt und damit zu sozialer Absicherung ohnehin nur Inländern offen. Die Zuwanderer schuften auf den Feldern wie Sklaven. In Süditalien wird daher nicht die offene Grenze, sondern die Sparpolitik als Bedrohung empfunden. Wenn der Staat Beamte entlässt und Pensionen kürzt, bricht die Nachfrage auf dem heimischen Markt ein. Der Protest der neuen Regierung Italiens gegen die Sparzwänge der EU wird so verständlicher. Manows Kriterien auf Österreich angewandt: Mit dem Ausschluss der Migranten von Sozialleistungen kompensieren die Türkis-Blauen jene Verluste, die sie mit einer wirtschaftsliberalen Agenda selbst produzieren.

Verluste der Europäisierung

Die Analyse endet mit einem düsteren Ausblick auf die nächsten EU-Wahlen. Der Urnengang wird gemeinhin als marginales Ereignis, als Nebeneffekt innenpolitischer Konflikte gewertet. Manow hingegen nimmt Brüssel ernst und wertet die Wahlen als Möglichkeit, gegen die Prinzipien der EU zu protestieren, die von vielen als Bedrohung empfunden werden. Der freie Verkehr von Gütern, Kapital, Dienstleitungen und Personen sei ein Diktat mit teilweise verheerenden Folgen. „Globalisierung findet als Europäisierung eine ihrer intensivsten Ausprägungen“, schreibt Manow.

In der EU spitzt sich das Drama des Populismus zu und strahlt in die Länder zurück. Während die Regierenden das Mantra der Integration predigen, füllen sich die unteren Ränge mit Europaskeptikern. Die Nachfrage nach populistischem Protest bleibt groß. Mit Manows politischer Ökonomie verliert er seinen moralischen Appeal. Wer über Populismus redet, darf nicht länger über Kapitalismus schweigen.

Matthias Dusini in FALTER 48/2018 vom 30.11.2018 (S. 22)

Posted by Wilfried Allé Saturday, December 8, 2018 1:21:00 PM Categories: Politikwissenschaft/Politik Wirtschaft
Rate this Content 1 Votes
Page 28 of 32 << < 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 > >>

Statistics

  • Entries (318)
  • Comments (6)

Categories