AZ-Neu

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Die Verlockung des Autoritären 

Warum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist

von Anne Applebaum

Übersetzung: Jürgen Neubauer
Verlag: Siedler
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 208 Seiten
Erscheinungsdatum: 12.03.2021
Preis: € 22,70


Kurzbeschreibung des Verlags:
Das neue Buch der Pulitzer-Preisträgerin Die Erschütterung der liberalen Demokratie überall auf der Welt wird gern mit der Schwäche der westlichen Werteordnung erklärt. Die Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum geht dem Phänomen auf andere Weise auf den Grund. Sie fragt: Was macht für viele Menschen die Rückkehr zu autoritären, anti-demokratischen Herrschaftsformen so erstrebenswert? Was genau treibt all die Wähler, Unterstützer und Steigbügelhalter der Anti-Demokraten an? An vielen Beispielen – von Boris Johnson über die spanischen Nationalisten bis zur Corona-Diktatur in Ungarn – und aus persönlicher Erfahrung zeigt sie, welche Bedeutung dabei soziale Medien, Verschwörungstheorien und Nostalgie haben, welche materiellen Interessen ins Spiel kommen und wie nicht zuletzt Elitenbashing und Aufstiegsverheißungen die Energien der vermeintlich Unterprivilegierten befeuern. Ein brillanter Streifzug durch ein Europa, das sich auf erschreckende Weise nach harter Hand und starkem Staat (zurück)sehnt.

Klappentext
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Neubauer. Die Erschütterung der liberalen Demokratie überall auf der Welt wird gern mit der Schwäche der westlichen Werteordnung erklärt. Die Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum geht dem Phänomen auf andere Weise auf den Grund. Sie fragt: Was macht für viele Menschen die Rückkehr zu autoritären, anti-demokratischen Herrschaftsformen so erstrebenswert? Was genau treibt all die Wähler, Unterstützer und Steigbügelhalter der Anti-Demokraten an? An vielen Beispielen - von Boris Johnson über die spanischen Nationalisten bis zur Corona-Diktatur in Ungarn - und aus persönlicher Erfahrung zeigt sie, welche Bedeutung dabei soziale Medien, Verschwörungstheorien und Nostalgie haben, welche materiellen Interessen ins Spiel kommen und wie nicht zuletzt Elitenbashing und Aufstiegsverheißungen die Energien der vermeintlich Unterprivilegierten befeuern.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung
Rezensent Thomas Ribi schätzt den Ansatz aus persönlichen Erfahrungen, historischem Weitblick und theoretischer Analyse, mit dem sich Anne Applebaum in ihrem Buch der Verschiebung des politischen Diskurses nach rechts widmet. Wer hinter Machtmenschen wie Putin, Erdogan, Orban und Kaczynski die Strippen zieht, erkundet die Autorin laut Ribi anhand von ehemaligen Weggefährten, Journalisten, Bloggern, Intellektuellen, Medienleuten. Was diese Menschen bewegt, sich dem Populismus zu verschreiben, macht der Band deutlich, ebenso die "Fluchtpunkte" ihrer Ideen, meint Ribi.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung
Rezensent Günther Nonnenmacher vermisst in Anne Applebaums Analyse des Rechtsrucks in Mitteleuropa, in England und den USA den Blick auf die Wähler. Applebaum konzentriert sich laut Nonnenmacher allzu sehr auf ihr eigenes Milieu, die politische Rolle der Intellektuellen, Politiker, Journalisten und Wissenschaftler, der "clercs", findet er. Deren Weg in den Nationalpatriotismus in Polen oder Ungarn kann ihm die Autorin anhand vorwiegend persönlicher Eindrücke nachvollziehbar machen. Die strukturellen Gründe für das Abrutschen in den Autoritarismus aber findet Nonnenmacher im Buch zu wenig beachtet.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur
Rezensent Marko Martin liest Anne Applebaums Einlassungen zur neuen Lust am Autoritarismus mit Bauchschmerzen. Nicht etwa, weil die Autorin zu wenig auf die Gründe für den Erfolg rechter Populisten eingeht (für Martin der einzige Einwand gegen das Buch), sondern weil sie das Milieu der intellektuellen Spindoctors hinter Trump oder Viktor Orban so genau kennt und ihren Einfluss auf die Politik differenziert und genau herauszuarbeiten weiß. Welche Folgen die von diesem Milieu propagierte Umwertung aller Werte haben könnte, zeigt die Autorin laut Martin in solcher Deutlichkeit, dass einem angst und bange wird.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Rezensentin Julia Encke sieht schwarz mit Anne Applebaums Analyse zur Frage, wie sich antidemokratische Verhältnisse in der Weltpolitik immer weiter ausbreiten konnten. Wie Applebaum am Beispiel von ehemaligen Weggefährten die Radikalisierung in der polnischen Heimat ihres Mannes schildert, findet Encke erschreckend, weil klar wird, dass die betreffenden Akteure keine Verlierer sind, sondern eine grundsätzliche "autoritäre Veranlagung" zu haben scheinen. Die strippenziehende Bildungselite hinter den politischen Akteuren in Polen, Ungarn, Spanien und den USA und ihre Methoden, die Applebaum im Buch identifiziert, machen Encke Angst, auch wenn die Autorin am Ende ihres Buches optimistisch zum Widerstand aufruft.

Posted by Wilfried Allé Sunday, April 11, 2021 11:00:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Die Welt danach 

Leben, Arbeit und Wohlfahrt nach dem Corona-Camp

von Bernd Marin

Verlag: Falter Verlag
Format: Taschenbuch
Genre: Zeitdokument/Corona‐Lockdown
Umfang: 140 Seiten
Erscheinungsdatum: 15.03.2021
Preis: € 12,00



Wie kann Leben, Arbeit und Wohlfahrt nach der akuten Gesund­heits- und Wirt­schafts­krise nach­haltig er­neuert wer­den?
Das Buch bietet verständliche Antworten auf häufig ge­stellte Fra­gen rund um die Corona-Krisen; genaue evi­denz­ba­sierte Be­obach­tungen an Hand von Zahlen und Fak­ten; span­nende Fall­ge­schich­ten und an­re­gende Denk­an­stöße, so­wie ori­gi­nelle Re­flexionen über Eu­ro­pas mög­liche Zu­kunfts­sze­na­rien in­mit­ten großer Un­ge­wisshei­ten und Halb­wissen.
Ein Mix von Interviews, deren sozialwissen­schaft­liche Ana­ly­se und in­ves­ti­ga­ti­ver Re­cher­che er­gibt eine in­for­ma­tive Chro­nik der Ver­schrän­kungen von ob­jek­ti­vem Pech und in­sti­tutio­nellem Ver­sagen – etwa der „ita­lieni­schen Tra­gö­die“ und ihrer ge­samt­euro­päischen Be­deu­tung.
Denn in der Pandemie­politik inter­agiert schick­sals­haft schierer Zu­fall (Glück/Un­glück) einer­seits mit häufig wec­hseln­den, mit­unter kurio­sen büro­kra­tischen Fehl­ein­schätzungen, und Fehl­leistungen, – oder auch kol­lek­tivem Ler­nen, klu­ger Stra­te­gie­wahl und legis­tischer Steue­rung so­wie adminis­tra­tivem Ge­schick und Im­pro­vi­sa­tions­gabe – anderer­seits.

Leserstimmen
  • Ein hervorragendes Interview, sehr stimulierend. Informativ, ironisch und elegant formuliert (Shalini Randeria, Rektorin des IWM Wien und Prof. am IHEID Genf)
  • Ein visionärer Text … (Martin Sprenger, MedUni Graz)
  • Hochinteressante Bereicherung unserer Covid-Dis­kussionen (Erhard Fried­berg, Prof. em. Sciences Po Paris)
  • Ein unglaublich spannender und dichter Text (Johannes Huber, Publizist und Blogger, dieSubstanz.at)
  • Danke für den klugen – und humorvollen! – Bei­trag zu einer in­zwischen un­er­träg­lich ver­bissenen Debatte! (Ruth Beckermann, Filme­macherin, Wien)
  • Hervorragend, transparent und aufrüttelnd (Gábor Littasy, FA für Neuro­logie und Psychiatrie Wien)
  • Großartiger Beitrag, wertvollste Aus­einander­setzung mit Corona (Josef Redl, Finanz­experte Wien)
  • Weise, brillant und zugleich humor­voll (Friedhelm Frischen­schlager, Vize­präsident EBÖ)
  • Faktenreich und inspirierend, eine spannende Lektüre (Stephan Mühl­bacher, Prof. an der Karl Landsteiner Privat­uni­versi­tät)
  • Ein wirklich tolles Interview und Buch. Best value for money (Patrick Kenis, Prof. an der Tilburg Uni­versity)
  • Ein visionärer Text, der schön zeigt, dass wir schon im Früh­jahr viel mehr auf einen offenen Dis­kurs hätten setzen müssen (Martin Sprenger, Head of Post­graduate Public Health Program, MedUni Graz)
  • Tolles Interview: So viele kluge Gedanken, so viele inter­essante Über­legungen – eine Be­reicherung (Robert Trappl, Univ.-Prof., Leiter des Öster­reichischen Forschungs­instituts für Artificial Intelligence, OFAI)
  • Gratuliere zu dieser substanziellen, auf solidem Wissen fußenden, kri­tischen und Aus­blick wagenden Aus­ein­ander­setzung mit dem Thema. Welch wohl­tuender Unter­schied zu den repeti­tiven Platti­tüden, mit denen wir täg­lich zu­ge­müllt werden (Georg Stingl, Prof. emer. an der MedUni Wien, Forschungs­gebiete Dermato-Venero­logie, Immuno­logie und Allergo­logie)
  • Mit großem Vergnügen gelesen, das hat gutgetan (Peter Huemer, Publizist und Historiker)
  • Dieses Buch ist – in der Terminologie Bernd Marins – ein er­freu­licher ,Kollateral­nutzen‘ der Covid-19-Pan­demie! Ge­wohnt poin­tiert ana­ly­siert Marin, wie die Ge­sund­heits­krise Leben, Arbeit und Wirt­schaft ver­ändert. Er er­örtert Er­folge steiler Lern­kurven und evo­lutio­närer ,Sperr­klinken­effekte‘ wie auch Folge­schäden von Halb­wissen, has­tigem Seuchen­manage­ment und ins­ti­tutio­neller Dumm­heit. Fakten­­reich und in­spi­rie­rend für euro­pä­ische Zu­kunfts­vi­si­onen, eine span­nende Lek­türe, bes­­tens zu empfehlen (Stephan Mühl­bacher, Prof. für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie, Karl Landsteiner Privat­uni­versität für Gesund­heits­wesen)
  • Das Ausmaß der freiwilligen Freiheits­ent­sagung auf der einen und des munteren Block­wart­tums auf der anderen Seite sind er­schütternd! (Louise Hecht, Privat­dozentin für Jüdische Kultur­ge­schichte, Uni­versi­tät Salz­burg)
  • Das ist ein ausgezeichneter Befund zur Lage, den da Herr Prof. Marin vor­gelegt hat (Gabriele Matzner-Holzer, Botschafterin a.D., Publi­zistin und Diplomatin an den österr. Botschaften in Moskau, New York, Washington, Berlin, Bratislava, Tunis und London)
  • Prallvoll mit so viel kluger Info, wow, wir sind ganz geflasht …(Korina Brockhaus, Musikerin Berlin)
  • Großartiger Beitrag: Eine so umfassende und wert­volle Aus­einander­setzung mit Corona ist mir bisher noch nicht unter­gekommen (Josef Redl, Finanz­experte und früherer Präsident des Finanz-Marketing Ver­bandes Öster­reich und Mit­denker der Platt­form seniors4success)
  • Hochinteressante Bereicherung unserer Covid-Dis­kussionen. Was war aus­schlag­gebender für den Ver­lauf der Krise: Glück und Pech oder Politik, Seuchen-(Miss-)Manage­ment und büro­kra­tische In­do­lenz? Und: Warum hat Eu­ro­pa Italien im Stich ge­lassen? (Erhard Fried­berg, Prof. em. de Sociologie, Sciences Po und CSO/CNRS, Paris)
  • Ein ideenreiches und hochaktuelles kleines Buch. Das große Inter­view habe ich mit Gewinn und Zu­stim­mung ge­lesen (Claus Offe, Professor em. an der Hertie School of Governance, Berlin und Permanent Fellow am IWM Wien)
  • Der Flut an Informationen zu Covid-19, inbegriffen Fakten und Fakes, steht nicht nur ein Mangel an kri­ti­scher Sich­tung und klä­render Zu­sammen­­fas­sung gegen­über, son­dern oft auch eine zu ge­ringe Er­wei­terung des ge­wohnten Blick­feldes. Darin liegt das be­sondere Ver­dienst dieses Buches: Bernd Marin zeigt, dass Men­schen nicht nur an oder mit Corona ster­ben, son­dern bis zu dop­pelt so viele ohne, aber wegen Corona. Ein in­tellek­tueller Sinnes- und Lese­schmaus zum ver­male­deiten Virus, den gesund­heits­poli­tischen Bändigungs­ver­suchen – und der um­ge­benden Angst­lust, Straf­lust und Mord­lust. (August Ruhs, Prof. an der MedUni Wien, FA f. Psy­chia­trie und Neuro­logie, Psycho­ana­lytiker)
Posted by Wilfried Allé Tuesday, March 23, 2021 4:57:00 PM Categories: Fachbücher Zeitdokument/Corona‐Lockdown
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Stille Stadt 

Wien und die Corona‐Krise

In diesem Zeitdokument hat der Fotograf Christopher Mavric in der Zeit des Corona‐Lockdowns von März bis Mai 2020 Menschen im öffentlichen Raum in Wien fotografisch festgehalten. Die von Peter Payer verfassten Texte, dokumentieren die wichtigsten Eckdaten der Ereignisse und interpretieren sie zeit‐ bzw. stadthistorisch. Sie betten die Fotos chronologisch ein und geben Hintergrundinformationen zu den Auswirkungen des Lockdowns auf das Stadtleben. Damit wird der radikale Wandel des öffentlichen Raumes in Wien dokumentiert.

von Peter Payer, Christopher Mavric

Verlag: Falter Verlag
Format: Taschenbuch
Genre: Zeitdokument/Wien-Corona‐Lockdown
Umfang: 160 Seiten
Erscheinungsdatum: 15.03.2021
Preis: € 29,90


Kurzbeschreibung des Verlags:

Die Ausführungen in diesem Buch verstehen sich als erste Bestandsaufnahme der Stadt Wien im so dramatischen Corona-Jahr 2020. Im Zentrum steht das rückblickende ­Ordnen der in vielerlei Hinsicht komplexen Vorgänge, eingebettet in Reflexionen über kollektive Disziplinierungen und – ganz zentral – den in diesem Jahr so direkt erlebbaren Zusammenhang zwischen Stadtraum und Sozialverhalten.

Stadtforscher Peter Payer und Fotograf Christopher Mavrič, beide leidenschaftliche Stadtflaneure, erkunden Ausbruch und Verlauf der Krise. Aufmerksam halten sie die urbanen Veränderungen in Wort und Bild fest. Ihre vielfältigen und spannungsreichen Eindrücke offenbaren etwas vom Wesen Wiens, aber auch ganz grundlegend von Stadt im Ausnahmezustand – ein Blick auf eine der gewaltigsten Zäsuren der jüngeren Stadtgeschichte.

Posted by Wilfried Allé Tuesday, March 16, 2021 5:45:00 PM Categories: Zeitdokument/Wien-Corona‐Lockdown
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Wien wird Bundesland 

Die Wiener Stadtverfassung 1920 und die Trennung von Niederösterreich

Der umfangreiche Sammelband beleuchtet zahlreiche rechts- und kulturhistorische Aspekte der Herauslösung Wiens aus Niederösterreich sowie die Umsetzung und die weitreichenden Konsequenzen dieses Trennungsprozesses.

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Herausgegeben von: Bernhard Hachleitner
Herausgegeben von: Christian Mertens
Verlag: Residenz
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Geschichte/20. Jahrhundert (bis 1945)
Umfang: 200 Seiten
Erscheinungsdatum: 09.11.2020
Preis: € 29,00


Kurzbeschreibung des Verlags:

In der 1918 entstandenen Republik (Deutsch-) Österreich lebte mehr als die Hälfte der Bevölkerung im Bundesland Niederösterreich, zu dem Wien damals noch gehörte. Dieses Übergewicht und die veränderten politischen Verhältnisse nach den Wahlen 1919 verliehen den Tendenzen einer Verselbständigung Wiens zusätzliche Dynamik. Die Bundesverfassung schuf 1920 den rechtlichen Rahmen dafür, gleichzeitig gab sich Wien eine moderne Stadtverfassung. Nach der Klärung organisatorischer und vermögensrechtlicher Fragen wurde die vollständige Trennung von Wien und Niederösterreich(-Land) mit Jahreswechsel 1921/1922 vollzogen. „Wien wird Bundesland“ umfasst verfassungs- und kulturhistorische Aspekte dieses Trennungsprozesses, dessen Nachwirkungen bis in unsere jüngste Vergangenheit reichen.

Posted by Wilfried Allé Tuesday, March 2, 2021 9:20:00 PM Categories: 20. Jahrhundert (bis 1945) Geschichte Sachbücher
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Digitale Jäger 

Ein Insiderbericht aus dem Recherchenetzwerk Bellingcat

von Eliot Higgins

Von nun an wird die Geschichte nicht nur mehr von den Siegern geschrieben. Auch die Besiegten, die zufälligen Passanten, die Nachbarn - sie haben Handys. Und die Flut an Nachrichten und Neuigkeiten, die aus dem Internet hereinströmt, scheint unermesslich zu sein. Aber es muss auch sorgsam sortiert uns strukturiert werden. Das erfordert zwangsläufig Vernunft und Verantwortung.

Verlag: Quadriga
Übersetzung: Wolfgang Seidel
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 288 Seiten
Erscheinungsdatum: 26.02.2021
Preis: €  18,5 0
Rezension aus FALTER 7/2021

„Uns geht es darum, zur Wahrheit beizutragen“

Für einen digitalen Jäger hat die Corona-Pandemie auch Vorteile. Das Interview mit dem Falter findet automatisch auf Zoom statt. Eliot Higgins braucht sich nicht mit Sicherheitsvorkehrungen abzuplagen. Außerdem hat er seine Reisetätigkeit fürs Erste eingestellt – in England herrscht Lockdown. Weniger Auftritte im Ausland heißt auch: mehr Zeit mit seiner Familie in Leicester. Doch sorgenfrei ist Higgins deshalb nicht. Erst vor kurzem ist er aus Sorge um die Sicherheit seines Clans umgezogen. Da seine Adresse automatisch im britischen Wahlregister veröffentlicht wird, wenn er als Wähler regis­triert ist, hat er gerade für seinen Job sein demokratisches Recht geopfert, die eigene Regierung mitzubestimmen.

Falter: Herr Higgins, im Video „Ich rufe meinen Mörder an“ sitzt neben dem russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny einer Ihrer Mitarbeiter. Christo Grosev hat Nawalny geholfen, das Giftkomplott des FSB aufzuklären. Ist er jetzt auch in Lebensgefahr?

Eliot Higgins: Christo wohnt in Wien. Gerade schrieb er mir, dass ein Typ damit droht, seine volle Adresse zu veröffentlichen. Wir überlegen, ob wir die österreichische Polizei einschalten. Wir versuchen, uns immer so gut zu schützen, wie wir können. Ich habe schon bisher in Hotelzimmern nie die Mini­bar angefasst.

Seit der Recherche von Nawalny und Bellingcat zu seiner Vergiftung durch das Nervengift Nowitschok weiß man, dass auch Unterhosen nicht vor dem russischen Geheimdienst FSB sicher sind.

Higgins: Meine Unterhose muss jetzt auch in den Safe. Im Ernst, wenn mir ein nettes Hotelmanagement zur Begrüßung eine Torte ins Zimmer stellt, rühre ich die nie an. Statt in Restaurants zu essen, kaufe ich meistens traurige Sandwiches im Supermarkt.

Wieso machen Sie diesen lebensgefährlichen Job?

Higgins: Ich bin zwischen dem Ende des Kalten Krieges und der Invasion im Irak 2003 aufgewachsen. Ich verbrachte viel Zeit online. Während des Arabischen Frühlings fiel mir auf, dass sehr oft etwas gepostet wird, das weder verifiziert noch in Zusammenhang mit anderen Informationen gebracht wird. Also begann ich mir Satellitenbilder anzuschauen und sie mit den Videos zu vergleichen, die zum Beispiel auf den Liveblog des Guardian hochgeladen wurden. So begann ich zum Beispiel, den Frontverlauf in Libyen zu verstehen. Es war wie Sudokulösen oder Puzzlelegen.

Also waren Sie nicht unbedingt von journalistischem Interesse getrieben?

Higgins: Es ging mir nicht um Journalismus, ich wollte nur verbreiten, was ich an interessanten Fakten fand. Es störte mich, dass die Leute, die sich Internetquellen ansahen, oft Verschwörungstheorien anhingen. Die haben eine Schwarz-Weiß-Sicht auf die Dinge. Die Irak-Invasion 2003 hat den Nahen Osten traumatisiert, viele Leute sehen bis heute alles nur durch dieses Prisma. Denen geht es nur um eine Konfrontation zwischen Ost und West und nicht um die Zivilisten, die dabei sterben. Die Mission von Bellingcat ist deshalb: Identifizieren, Bestätigen, Amplifizieren. Unsere Recherchen können dann in Artikeln oder vor Gerichten verwendet werden. Uns geht es darum, zur Wahrheit beizutragen.

Das klingt ein wenig wie Wikileaks.

Higgins: Bellingcat ist ein wohltätiger Verein, der in den Niederlanden registriert ist. Ich bin nicht der König von Bellingcat, das Board kann mich jederzeit feuern. Es geht also nicht wie bei Wikileaks um eine Person. Außerdem machen wir keine Leaks. Wir verifizieren Material, das in offenen Quellen allen zugänglich ist. Wir veröffentlichen nur, was gegengecheckt ist.

Julian Assange hat zumeist etwas veröffentlicht, was den USA geschadet hat. Sie dagegen scheinen Ihre Aufdeckungen oft gegen Putin zu richten. Ist Bellingcat eine Art Anti-Wikileaks?

Higgins: Wir haben auch die Waffenverkäufe der Briten und Amerikaner an Saudi-Arabien veröffentlicht. Mit diesen Waffen wurden im Jemen Zivilisten bombardiert. Wir sind keine leidenschaftlichen Anwälte einer Seite. Ich bin auch nicht antirussisch. Ich habe vielleicht etwas gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, weil er seinen Leuten Schreckliches antut. Ich finde, die Russen verdienen eine freie und demokratische Gesellschaft.

Wieso bekommen gerade die russischen Recherchen so viel Aufmerksamkeit?

Higgins: Vielleicht weil es oft so lächerlich ist, was der russische Geheimdienst FSB tut, dass es fast nicht zu glauben ist. Wir drehen jetzt eine Dokumentation über das Unterhosenkomplott gegen Nawalny. Dann können die Leute nachvollziehen, wie wir arbeiten. Wir bekamen die Passdaten von den Attentätern nicht vom britischen Geheimdienst MI5 oder von der CIA. Die kann man im Darknet erstehen, dort kann man sie für ein paar Rubel kaufen.

Dann sind Sie also kein CIA-Agent?

Higgins: Ich wurde schon beschuldigt, ein Agent jedes einzelnen Geheimdienstes der Welt zu sein – auch des russischen FSB. Nein, Bellingcat wird nicht von der CIA bezahlt. Begonnen haben wir mit Crowdfunding mit einem Budget von 60.000 Pfund. Seitdem verdoppelt sich das Funding jedes Jahr. Im Moment sind wir bei zwei Millionen und 20 Angestellten.

Man kann Ihre Methode – Open Source Intelligence – schon selbst lernen. Sie geben selbst Workshops?

Higgins: Genau. Wir wollen, dass Leute lernen, sich die offenen Quellen zunutze zu machen, um Verschwörungstheorien entgegenzuwirken.

Sind Regierungen Ihrer Arbeit gegenüber hellhörig geworden?

Higgins: Wir haben im EU-Parlament gesprochen. Dort sagten viele Leute zu uns, dass wir uns gegen Falschinformation aus Russland wehren müssten. Ich sagte: Nein, es geht nicht nur um Russland, was uns wirklich gefährlich werden kann, ist QAnon­. Es beunruhigt mich, wie sehr die kontrafaktischen Gemeinschaften sich in den Diskurs des Mainstreams eingeschlichen haben. Ein paar Wochen später stürmten die Trump-Anhänger das Kapitol in Washington. Das hat etwas verändert. Es ist jetzt allen klar, was passiert, wenn wir nicht gegen Fake News angehen. Russische Desinformation ist nur ein kleiner Teil dessen, wogegen wir ankämpfen müssen.

Und wie?

Higgins: Hier in Britannien habe ich gesehen, wie leicht Verschwörungstheorien über chemische Waffen in Syrien geglaubt wurden – auch vom ehemaligen Labour-Chef Jeremy Corbyn übrigens. Und in Amerika denken, habe ich gerade gelesen, 50 Prozent der Republikaner, dass die Antifa-Bewegung die gewalttätigen Ausschreitungen im Kapitol angeführt hat. Die Antifa? Ich habe Stunden mit diesen Videos aus dem Kapitol zugebracht. Es ist sonnenklar, dass das nicht die Antifa war. Das waren die Proud Boys.

Diese weißen, neofaschistischen Nationalisten kann man für ihre Gewalttaten einsperren, man kann sie auch auf Twitter sperren. Ist das aus Ihrer Sicht ausreichend?

Higgins: Nur weil Twitter und Facebook in Amerika zu Hause sind, konnte man Trump und diese Leute überhaupt sperren. Wenn Facebook eine chinesische Firma wäre, hätte man diese Konten gelöscht? Wäre Trump von einem russischen Twitter geblockt worden? Die sozialen Medien müssen natürlich auch im Westen große Schritte machen, um verantwortungsvoller mit ihrer Macht umzugehen. Wenn wir das alles nicht jetzt sofort angehen, gehen wir in unseren Problemen unter.

Tessa Szyszkowitz in FALTER 7/2021 vom 19.02.2021 (S. 24)

Posted by Wilfried Allé Monday, February 22, 2021 11:34:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Die neue (Ab)normalität 

Unser verrücktes Leben in der pandemischen Gesellschaft

von Robert Misik

Verlag: Picus Verlag
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Sonstiges
Umfang: 160 Seiten
Erscheinungsdatum: 24.02.2021
Preis: €  16,00

Kurzbeschreibung des Verlags:

Soziale Nähe, Berührungen, Angreifen, der Kuss, andere in den Arm nehmen: Diese Kette des Lebens ist zu einer Kette des Todes geworden. In Zeiten der Ansteckung sind wir infiziert, bevor wir uns einen Virus fangen. Kontroll- und Autonomieverlust, Angst, Gereiztheit prägen die – buchstäbliche – pandemische Gesellschaft. Die Corona-Pandemie ist ein Stresstest für Gemeinschaften und Demokratie. Regeln greifen tief in unsere Freiheit ein. Werden sie als nicht nachvollziehbar und gerecht angesehen, führt das zu Aufständen. Robert Misik beschreibt wie ein Flaneur und »Geschichtsschreiber der Gegenwart«, was all das mit uns macht. Können wir wirklich auf stärkeren Zusammenhalt, »ein Neues Wir«, auf die »Krise als Chance« hoffen? Die Post-Corona-Ära wird von einem neuen wirtschaftspolitischen Paradigma geprägt sein, aber auch von Lebensappetit und Erlebnishunger. 

Posted by Wilfried Allé Wednesday, February 17, 2021 7:22:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Sonstiges
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Das Geld gehört uns allen! 

Statt Paypal, »Libra«, AliPay: Alternativen zur digitalen Überwachung und Kontrolle

von Johannes Priesemann, Alfred Eibl

Kurztext: Wem steht in unserer Rechtsordnung der Nutzen des Netzwerkgutes Geld zu? Wie antworten wir auf die Überwachung und Datenausbeutung durch IT-Giganten und Staaten? Der AttacBasisText zeigt Alternativen zu digitalen Geldformen – von PayPal über »Libra« und WeChat bis AliPay –, für eine sichere und allgemein zugängliche neue Geld­ordnung.

Verlag: VSA
Format: Buch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 128 Seiten
Erscheinungsdatum: 01.11.2020
Preis: € 9,30

Kurzbeschreibung des Verlags:

Geld ist ein öffentliches Gut. Seinen Nutzen eignen sich gegenwärtig zum allergrößten Teil jedoch private Akteure an. Neben die bekannten Banken treten mehr und mehr Fintechs und die großen digitalen Plattformunternehmen wie Google, Facebook, Apple, WeChat oder Alipay aus China. Das Facebook-Projekt Libra steht prototypisch für die neue Form eines Weltgeldes.

Die Informationstechnologie bringt dabei eine vollkommen neue Verteilung von Wissen und Macht über Daten menschlichen Verhaltens mit sich. Wenn Private sich den Netzwerknutzen des Geldes und – über die Kontrolle der Geldbewegungen – zugleich die Daten über das Verhalten der Nutzer*innen aneignen, wird das Risiko zur brennenden Gefahr für Würde und Freiheit.

Die Zentralbanken als Hüterinnen des öffentlichen Gutes haben es bisher nicht geschafft, auf diese Entwicklungen überzeugende Antworten zu finden. Die Alternativen sind jedoch klar: Die gesetzlichen Zahlungsmittel müssen der Anker allen Geldes bleiben. Politik und Zentralbanken haben die Verpflichtung, den dezentralen Zugang zu analogen (Bargeld, Filialbanken) Zahlungsmitteln und Dienstleistungen zu bewahren. Zugleich sind sie aufgerufen, digitale Angebote unter öffentlicher Kontrolle zu schaffen.

Das ist technisch gut möglich. Zentralbankgeld kann als elektronisches Zahlungsmittel zirkulieren und von Banken auf konkursfesten Girokonten wie bisher verwaltet werden. Der exklusive Zugriff von Banken auf digitales Zentralbankgeld ist hingegen überholt und delegitimiert. Dabei sollte jedem Menschen klar sein, dass es in der Welt der Informationstechnologie keinen absolut geschützten privaten Raum mehr geben wird. Jeder Einzelne ist zu verantwortlichem Verhalten angehalten.

Die Autoren:
Johannes Priesemann ist Jurist,
Alfred Eibl ist Finanz­experte bei Attac.

Posted by Wilfried Allé Tuesday, December 8, 2020 3:03:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Neulich in Amerika 

von Eliot Weinberger

Übersetzung: Beatrice Faßbender
Übersetzung: Eike Schönfeld
Herausgegeben von: Beatrice Faßbender
Übersetzung: Peter Torberg
Verlag: Berenberg Verlag GmbH
Format: Taschenbuch
Genre: Belletristik/Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews
Umfang: 272 Seiten
Erscheinungsdatum: 14.07.2020
Preis: € 16,50
Klappentext

Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender, Eike Schönfeld und Peter Torberg. Eliot Weinberger ist nicht nur einer der originellsten Essayisten, er ist auch einer der schärfsten politischen Kommentatoren der USA. In seinen Texten über die Machenschaften unter den Regierungen Bush und Trump lässt er die Fakten sprechen: Er trägt Nachrichtendetails und Aussagen von Politikern zusammen und führt uns damit den Wahnsinn, der in den USA zum Alltag geworden ist, noch einmal vor Augen. Seien es der Irakkrieg - das Stück "Was ich hörte vom Irak" wurde international berühmt -, so fromme wie homophobe Republikaner, Konzentrationslager für geflüchtete Kinder, Rassismus oder schlicht die Überlegenheit amerikanischer Weine gegenüber französischen (Donald Trump: "Die sehen einfach gut aus, ok?"). Weinbergers Essays sind eine Chronik des galoppierenden Irrsinns.
 

Rezension von Katharina Teutsch

Katharina Teutsch nennt Eliot Weinberger einen der letzten Selbstdenker der amerikanischen Linken. Weinbergers Essays über politische Kultur in den USA von Bush bis Trump (Obama ausgenommen) lässt Teutsch erst schmunzeln, macht sie sehr bald aber sprachlos angesichts der mit rhetorischen Stilmitteln eingeleiteten und mit Biss geschilderten Einzelheiten aus der Ära Bush und der Ära Trump. Erschütternd für Teutsch, noch einmal mit dem prallen Desaster von Trumps Amtszeit konfrontiert zu werden, aber ein Klassiker, schon jetzt, meint sie.

Posted by Wilfried Allé Sunday, November 29, 2020 8:20:00 PM Categories: Belletristik/Essays Feuilleton Interviews Literaturkritik
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Wege aus der Angst 

Über die Kunst, die Unvorhersehbarkeit des Lebens anzunehmen

von Gerald Hüther

Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Angewandte Psychologie
Umfang: 128 Seiten
Erscheinungsdatum: 07.09.2020
Preis: € 21,00

Rezension aus FALTER 44/2020

Mehr Mut gegenüber den politischen Angstmachern

Nicht nur Viren, sondern auch Angst verbreitet sich über Ansteckung. Im Moment ist Angst eminent politisch, denn die Corona-Krise wird über sie gemanagt, nicht nur von autoritären Politikern.

In der Menschheitsgeschichte trat Angst meist lokal auf: bei Einzelnen, in Gemeinschaften, Nationen oder Erdteilen. Dann kam Covid-19. „Was die gesamte Menschheit in Angst versetzt hat, war aber genau genommen nicht dieses kleine Virus, sondern die sich noch rascher als jeder Krankheitserreger über die Medien global ausbreitende Vorstellung von seiner Gefährlichkeit“, schreibt der renommierte Hirnforscher und Bestsellerautor Gerald Hüther in seinem Buch „Wege aus der Angst. Über die Kunst, die Unvorhersehbarkeit des Lebens anzunehmen“.

Sein Beitrag zur Debatte, die für eine demokratische Gesellschaft beängstigend feindselig abläuft, zeichnet sich dadurch aus, dass er dabei auf einer allgemeinen Ebene bleibt. Sprich: Außer im fünf Seiten kurzen Vorwort kommt das Wort Corona nicht vor.

Auch das, was am Krisenmanagement richtig und falsch gelaufen ist, wird von Hüther nicht rekapituliert und bewertet. Damit lässt er Raum, sich selbst Gedanken zu machen. Denn das höchste Gut, betont Hüther, sei die Fähigkeit zu hinterfragen und zu freien Entscheidungen.

Angst macht unfrei. Und sie loswerden zu wollen, macht keinen Sinn, denn ohne Angst kann man nicht leben. Aber Angst ist keine unmittelbare Reaktion, sondern hat etwas mit Nachdenken zu tun. „Was uns Angst macht“, sagt Hüther, „ist nicht das Erleben einer Bedrohung, sondern die Vorstellung, ihr hilflos ausgeliefert zu sein.“ Sie erzeugt drei Reaktionsweisen: Erstarrung, Flucht und Angriff.

Zu Letzterer gehört für Hüther die weit verbreitete Vorstellung, man könne alles, was einen bedroht, unter Kontrolle bringen. Aber was, wenn die Kontrollversuche die Situation verschlimmern? Und was, wenn die Angst manipuliert wird von Mächtigen? Was, wenn die Angst zu Flucht in Ablenkungen führt? In Erstarrung?

Dann kann sie besonders gut benutzt werden von den, wie Hüter betont, „Profiteuren der Angst“, die zwischen den Verängstigten Misstrauen und Zwietracht säen. Wie erhöht man die Widerstandsfähigkeit gegenüber den Methoden der Angstmacher? Durch die Stärkung von Vertrauen – in sich selbst, in andere und in „das Leben“. Da Zukunft sich weder vorhersagen noch verlässlich planen lässt, empfiehlt Hüther auch eine Portion Demut.

Wie können wir lernen, besser mit unserer Angst umzugehen, um uns so gut wie möglich „aus der Gefangenschaft unserer eigenen Vorstellungen und Überzeugungen davon, wie sich Angst besiegen lässt“, zu befreien? Dazu müsse man die richtigen Fragen stellen, meint Hüther, und zwar nicht nur nach den Motiven der Angstmacher und Warner, sondern auch nach den eigenen.

Im Vorwort fragt Hüther: Warum ­fürchtet die Menschheit sich nicht in gleicher Weise wie vor Covid-19 vor jenen ­Dingen, die ihr Überleben ebenfalls und noch viel massiver bedrohen, nämlich vor der ­Zerstörung des Planeten durch uns selbst?

In einem Interview auf Radio Ö1 beantwortete Hüther diese Frage kürzlich dezidierter als in seinem schmalen Buch, das auch nach der Krise aktuell bleiben wird: „Corona ist möglicherweise das Ersatzschlachtfeld, was wir jetzt tapfer bekämpfen und wo wir uns einsetzen, weil es nicht mehr auszuhalten ist, dass wir auf allen anderen Problemfeldern nicht mehr weiterkommen.“

Kirstin Breitenfellner in FALTER 44/2020 vom 30.10.2020 (S. 19)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, November 25, 2020 12:52:00 PM Categories: Sachbücher/Angewandte Psychologie
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Zeitbewusstheit 

Geologisches Denken und wie es helfen könnte, die Welt zu retten

von Marcia Bjornerud

Übersetzung: Dirk Höfer
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: Hardcover
Genre: Geschichte/Kulturgeschichte
Umfang: 245 Seiten
Erscheinungsdatum: 02.09.2020
Preis: € 28,80

Rezension aus FALTER 48/2020

Geologisches Denken kann das Klima retten

Manchmal ist es hilfreich, einen Schritt zurückzutreten, um Abstand und damit Überblick zu gewinnen. Zum Beispiel, um das Leben auf der Erde zu verstehen und damit uns selbst.

Marcia Bjornerud ist Professorin für Geowissenschaften und Umweltstudien an der Lawrence University in Appleton, Wisconsin, und kümmert sich um die 4,5 Milliarden Jahre umfassende Geschichte des Planeten bis zum Holozän, in dem der Mensch erscheint. Das klingt nach weit entfernten Zeiträumen, hat aber fundamental mit unseren heutigen Herausforderungen zu tun, meint Bjornerud. In ihrem Buch „Zeitbewusstheit. Geologisches Denken und wie es helfen könnte, die Welt zu retten“ erklärt sie, welches Problem unsere Gesellschaft mit der Zeit hat.

„In einer Kultur, die die Zeit als einen Feind behandelt und alles dafür tut, ihr Verstreichen zu leugnen, wird unsere naturgegebene Abscheu vor dem Tod noch verstärkt“, heißt es da. Weil wir keine Lust auf „Geschichten ohne menschliche Protagonisten“ haben, bleiben wir „zeitliche Analphabeten“. Um dem abzuhelfen, führt uns Bjornerud durch die bisherige Geschichte der Erde, in der Elemente, Isotope und Steine, Kontinente, Sedimente und Vulkane die Hauptrolle spielen, und schafft damit ein erhellendes Korrektiv.

Obwohl verständlich dargestellt, erfordert ihr „Grundkurs Geologie“ viel Geduld. Aber es lohnt sich, denn mit dieser Reise in die Tiefenzeit macht Bjornerud verständlich, wie fundamental unsere Existenz in der Erdgeschichte verwurzelt ist und wie gefährdet das Klima und damit das Leben schon immer war.

Das Anthropozän – das Zeitalter, in dem der Mensch selbst den Planeten an den Rand des Kollaps brachte – bedeutet für sie nicht das „Ende der Natur“, sondern „das Ende der Illusion, dass wir außerhalb der Natur stehen“. Dazu bedarf es eines „polytemporalen“ Denkens, das begreift, dass die Vergangenheit nicht vorbei ist und ihr Verständnis uns helfen kann, die Zukunft zu bewältigen. Ein Buch der Stunde im wörtlichen Sinn.

Kirstin Breitenfellner in FALTER 48/2020 vom 27.11.2020 (S. 32)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, November 25, 2020 11:17:00 AM Categories: Geschichte/Kulturgeschichte
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