von Joseph A. Schumpeter
Einleitung von: |
Heinz D. Kurz |
Verlag: |
UTB |
Format: |
Taschenbuch |
Genre: |
Politikwissenschaft/Politische Theorien, Ideengeschichte |
Umfang: |
650 Seiten |
Erscheinungsdatum: |
08.06.2019 |
Preis: |
€ 37,00 |
Kapitalismus oder Sozialismus?
Joseph A. Schumpeter, der weltweit vielleicht bekannteste österreichische Ökonom des 20. Jahrhunderts, war Universitätsprofessor in Czernowitz, Graz und Harvard, kurzzeitig sogar Bankdirektor und Finanzminister. Sein Durchbruch gelang mit dem 1942 in den USA publizierten Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“, dessen Thema den Nerv der Zeit traf, weil es die große Frage nach der Weiterentwicklung der modernen Zivilisation stellte.
Im Jahr 2020 erscheint nun erstmals die vollständige, auch den wichtigen fünften Teil umfassende, zehnte deutschsprachige Auflage des Klassikers. Diese ist das Verdienst von Heinz D. Kurz, emeritierter Ökonomieprofessor an der Universität Graz und Doyen der ökonomischen Theoriegeschichte.
Das Buch stellt zwei Fragen: Erstens, kann der Kapitalismus weiterleben? Zweitens, kann der Sozialismus funktionieren? Schumpeter, umfassend gebildeter Sozialwissenschaftler, liebte detaillierte Analyse und innovative Gedankenkombinationen, aber auch starke Sprüche. Seine Antworten auf die beiden Fragen fielen ebenso provokant wie nüchtern aus. Zu eins: „Nein, meines Erachtens nicht.“ Zu zwei: „Selbstverständlich kann er es.“
Das ist eine für einen Konservativen überraschende These. Schumpeter singt ein Loblied auf den Kapitalismus, preist dessen Dynamik, Innovation, Wohlstandsschaffung und analysiert Voraussetzungen wie Privateigentum, Vertragsfreiheit und Bankenkreditschöpfung. Dennoch sieht er sein Ende kommen. Mit dem Entstehen von Monopolen und Großunternehmen verliert das Unternehmertum an Bedeutung, dessen Innovationskraft von technokratischen Forschungsabteilungen überbürokratisierter Aktiengesellschaften übernommen wird. Auch Privateigentum und Vertragsrecht schwinden angesichts der Trennung von Eigentum und Kontrolle in großen Unternehmen. Und Intellektuelle wenden sich wegen der krassen Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen ab.
Joseph Schumpeter nimmt das Werk von Karl Marx ernst, diskutiert den in Schumpeters Geburtsjahr 1883 gestorbenen Vorgänger als Propheten, Soziologen, Nationalökonomen und Lehrer und ist voll des Lobes. Doch weder zum Unternehmertum noch zur Funktionsfähigkeit einer alternativen sozialistischen Wirtschaftsordnung hatte Marx viel zu sagen.
Das besorgt dann lieber Schumpeter selbst. Im Sozialismus seien die wichtigen Preissignale setzbar, die wirtschaftliche Effizienz machbar und die für den Kapitalismus so typischen Vergeudungen von produktiver Arbeitskraft vermeidbar. Gerät er in Konflikt mit der Demokratie? Schumpeter belegt diese Gefahr im fünften Teil des Bandes mit dem Irrweg der bolschewistischen Diktatur in der Sowjetunion, die nicht hin zum Sozialismus führt, sondern weg von ihm.
Doch wie der Herausgeber Heinz Kurz in seiner Einführung ausführt, hat er kein Auge für das parallel zu den vielen Auflagen seines Werkes entstehende sozialdemokratische Projekt von Sozialstaat und gemischter Wirtschaft mit Privat- und öffentlichem Eigentum, sozialer Umverteilung, Stabilisierung der Konjunktur und Bereitstellung öffentlicher Güter. In dieser Hinsicht war Schumpeter wohl zu sehr vom eigenen Genie eingenommen, wollte und konnte den Beitrag des liberalen britischen Ökonomen John M. Keynes, nicht entsprechend würdigen.
Dennoch gehört „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ zu den inspirierendsten ökonomischen Werken des 20. Jahrhunderts, Schumpeter zu den größten Ökonomen des kleinen Österreich. Nun endlich vollständig in deutscher Sprache.
Markus Marterbauer in FALTER 39/2020 vom 25.09.2020 (S. 20)