von Peter Michael Lingens
ISBN: |
9783205218104 |
Verlag: |
Böhlau Wien |
Umfang: |
575 Seiten |
Format: |
Taschenbuch |
Genre: |
Medien, Kommunikation/Journalistik |
Erscheinungsdatum: |
04.09.2023 |
Preis: |
€ 47,00 |
Kurzbeschreibung des Verlags
Die Familiengeschichte Peter Michael Lingens' ist aufs Engste mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts verzahnt. Sein Buch ist ein Plädoyer gegen den Neoliberalismus, von dem er fürchtet, dass er die EU sprengen und einen neuen Faschismus herbeiführen könnte.
Sein Großvater vergab die wahrscheinlich letzte Gelegenheit Adolf Hitler aufzuhalten. Sein Vater revoltierte gegen die familiäre Industriellendynastie mit der Gründung einer marxistischen Zelle. Seine Mutter war das begehrteste „arische“ Mädchen im Verband sozialistischer Studenten, dessen jüdische Überlebende Geschichte schrieben: Viktor Weißkopf überwachte als Bürgermeister von Los Alamos die Entwicklung der Atombombe, Bruno Kreisky wurde Österreichs bedeutendster Nachkriegskanzler. 1942 bezahlte Ella Lingens den Versuch, Juden zu verstecken, mit Auschwitz.
Im Kurier Hugo Portischs gelang es dem Autor, den Österreichern die Morde der NS-Zeit plastisch zu machen und die Verfolgung Homosexueller aufzuzeigen. Als Chefredakteur des Profil analysierte Lingens 17 Jahre lang Österreichs dramatischste Konflikte. Ebenso im Fokus steht die schmerzliche Auseinandersetzung mit einem ihn belastenden Strafverfahren und – als Nebeneffekt die Bekanntschaft mit hohen KGB-Offizieren und Einblicke in die Machtstrukturen Russlands.
Der Doyen des österreichischen Qualitätsjournalismus zeigt sich in diesem Parcours durch die österreichische Medien- und Zeitgeschichte klarsichtig wie je und überraschend selbstkritisch.
Falter-Rezensionen
Das wahre Leben zwischen den Zeilen
Barbaba Tóth in FALTER 51-52/2023 vom 22.12.2023 (S. 27)
Biografien seien entweder indiskret oder langweilig, sagte der kürzlich verstorbene österreichisch-tschechische Politiker Karel Schwarzenberg, deshalb habe er es lange abgelehnt, selber eine zu schreiben. Schwarzenberg, Jahrgang 1937, war ein enger Freund und Wegbegleiter des Journalisten Peter Michael Lingens, geboren 1939. Dieser hat den Rat Schwarzenbergs beherzigt. Seine Memoiren sind durchaus indiskret, daher selten langweilig - wenn auch mit 575 Seiten nicht gerade kurz geraten.
Aber Lingens kann auch aus einem reichen Familien-und Berufsleben schöpfen. Allein die Lebensgeschichte seiner von ihm verehrten Mutter Ella Lingens würde ein ganzes Buch füllen. Die Widerstandskämpferin, Ärztin und in Yad Vashem als "Gerechte unter den Völkern" Ausgezeichnete, hat es auch selber geschrieben ("Gefangene der Angst: Ein Leben im Zeichen des Widerstandes", 2003), Lingens druckt ein Schlüsselkapitel daraus ab, in dem sie den Alltag als Ärztin im KZ schildert.
Lingens verdankt seiner Mutter viel, das ist ihm auch bewusst. Dank ihr wuchs er gut vernetzt in jenem aufgeklärten, sozialistischen, jüdischen Wiener Milieu auf, das in den 1970er und 1980ern Österreichs Modernisierung antrieb. Zuvor erleben wir das Drama eines begabten Kindes, von der Mutter vergöttert, in progressive Schulen geschickt - eines der beeindruckendsten Kapitel erzählt vom Quäkerheim in Neuwaldegg im Wien der Nachkriegszeit -, das in der Adoleszenz nicht so recht weiß, wohin.
Lingens probierte sich in mehreren Studien und Jobs aus, bis er auch dank der Umsicht seiner Mutter letztlich dort landete, wo er seine Intuition und sein Sprachgeschick am besten entfalten konnte: in den Anfängen des kritischen Journalismus in Österreich. Lingens' Name ist untrennbar verbunden mit dem Nachrichtenmagazin Profil und seinem Gründer Oscar Bronner. Er war langjähriger Profil-Chefredakteur, hatte leitende Funktionen in der Wirtschaftswoche und beim Standard inne.
Indiskret und entsprechend saftig geraten dann seine Abrechnungen mit ehemaligen Kollegen und Kolleginnen, den "Hexen" (Lingens nennt seinen Profil-Co-Chefredakteur Gerd Leitgeb als Wortschöpfer). Vor allem die Literaturkritikerin Sigrid Löffler schont er nicht. Überhaupt, Lingens und seine Liebe für "schöne Frauen", seien es seine eigenen, Flirts oder die Frauen seiner Freunde, denen er über die Seiten hinweg Komplimente macht. Auch das Arbeiten mit der mehrheitlich weiblichen Falter-Redaktion - die er als Kolumnist seit 2017 gut kennt - sei für ihn ein "reines Vergnügen, was ich als unverbesserlicher Macho journalistisch wie optisch genieße".
Relevant und treffend hingegen sind Beobachtungen politischer Persönlichkeiten, denen er dank seines Berufes sehr nahe kam, von Bruno Kreisky über Hannes Androsch und Simon Wiesenthal bis hin zu Jörg Haider und Sebastian Kurz. Das sind die interessantesten der insgesamt 84 Kapitel, die dank Personenverzeichnis auch gezielt aufgesucht werden können. Überraschend oberflächlich bleibt seine Auseinandersetzung mit sich in der Rolle als "abwesender Vater", dabei hat er in den Kapiteln zuvor nachdenklich von seinen eigenen Therapieerfahrungen und von der Nichtbeziehung zu seinem Vater erzählt, der seine Mutter verlassen hatte. Leider lassen sich immer wieder auftauchende inhaltliche Redundanzen spätestens ab der Hälfte der Memoiren nicht mehr ausblenden, dazu ärgerliche Tippfehler und Formulierungshoppalas. Eine Persönlichkeit wie Lingens mit solch Erzähl-und Schreiburgewalt hätte sich sicher ein besseres Redigat verdient.
Über den Autor
Peter Michael Lingens, geb. 1939 in Wien, Journalist und Buchautor, verheiratet, sechs Kinder. Erste journalistische Schritte bei der Arbeiter-Zeitung. Ab 1965 Gerichtssaalberichterstatter bei der Tageszeitung Kurier. 1970 Gründungschefredakteur und später Herausgeber des Nachrichtenmagazins Profil. Ab 1987 freier Journalist. Ab 1990 Geschäftsführer, Herausgeber und Chefredakteur der Wochenpresse/Wirtschaftswoche. 1993 Wechsel in die Chefredaktion der Tageszeitung Der Standard bis zur Anklage in einem Prozess wegen angeblicher Anstiftung zum Amtsmissbrauch. Nach dem Freispruch Professor für Journalistik an der Donauuniversität Krems und Kolumnist bei der Tageszeitung Die Presse danach bei Profil. Neben seiner Kolumnistentätigkeit verlegte Peter Michael Lingens zusammen mit seiner Frau Eva Lingens das von ihm gegründete Jugendmagazin Topic. 2016 Start des Blogs www.lingens.online. Seit 2017 Kolumnist bei der Wiener Wochenzeitung Falter.