von Katharina Pistor
ISBN: |
9783518587607 |
Verlag: |
Suhrkamp |
Format: |
Hardcover |
Genre: |
Recht |
Umfang: |
440 Seiten |
Erscheinungsdatum: |
16.11.2020 |
Übersetzung: |
Frank Lachmann |
Preis: |
€ 32,90 |
Kurzbeschreibung des Verlags:
Kapital ist das bestimmende Merkmal moderner Volkswirtschaften, doch die meisten Menschen haben keine Ahnung, woher es tatsächlich kommt. Was verwandelt bloßen Reichtum in ein Vermögen, das automatisch mehr Reichtum schafft? Katharina Pistor zeigt in ihrem bahnbrechenden Buch, wie Kapital hinter verschlossenen Türen in Anwaltskanzleien geschaffen wird und warum dies einer der wichtigsten Gründe für die wachsende Ungleichheit in unseren Gesellschaften ist.
Das Recht »codiert« selektiv bestimmte Vermögenswerte und stattet sie mit der Fähigkeit aus, privaten Reichtum zu schützen und zu produzieren. Auf diese Weise kann jedes Objekt, jeder Anspruch oder jede Idee in Kapital umgewandelt werden – und Anwälte sind die Hüter dieses Codes. Sie wählen aus verschiedenen Rechtssystemen und Rechtsinstrumenten diejenigen aus, die den Bedürfnissen ihrer Mandanten am besten dienen. Techniken, die vor Jahrhunderten Landbesitz in Kapital transformierten, dienen heute zur Codierung von Aktien, Anleihen, Ideen und Zukunftserwartungen.
Ein großes, beunruhigendes Porträt der globalen Natur dieses Codes sowie der Menschen, die ihn gestalten, und der Regierungen, die ihn durchsetzen.
Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 15.12.2020:
Rezensent Caspar Dohmen empfiehlt das Buch der Rechtsgelehrten Katharina Pistor auch fachfremden Lesern. Zu lernen ist hier laut Rezensent, wie das Privatrecht im Sinne des Kapitals genutzt wurde und wird. Pistors politökonomische Studie geht laut Dohmen zurück zu den englischen Landlords, den Commons und ihrer Vereinnahmung durch den Adel und seine Anwälte und zeigt bis heute reichende rechtliche Kontinuitäten des Kapitals auf. Wie die Trennung von Kapital und Gesellschaft mit staatlicher Hilfe eingeschränkt werden könnte, beschreibt die Autorin in ihrem Buch auch, erklärt Dohmen.
Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.12.2020:
Es sind die Großkanzleien, erfährt Rezensent Georg Simmerl, die durch raffinierte "Codierung", so der Zentralbegriff der Autorin, Eigentum herstellen, sichern und verschieben. Der beeindruckte Kritiker lernt den Kapitalismus von seiner juristischen Seite kennen - von der rechtlichen Möglichkeit, Land in Kapital zu verwandelt - was zuerst in Großbritannien im 16. Jahrhundert stattfand - bis zur Finanzkrise von 2008, also der Sozialisierung privater Risiken und Schulden in gigantischem Ausmaß. Da seien eben doch alte "Privilegien" am Werke, die für die wachsende Ungleichheit weiterhin sorgten, so erfährt er. Sein Lob gilt der Tatsache, dass diese ausführliche und auch politisch deutliche Darstellung des Systems das System zwar nicht sprengen will, aber immerhin auf gute Weise "für Nicht-Juristen" lesbar ist. Eine sanfte Kritik am Schluss trifft die fehlende Behandlung der Digitalkonzerne. Insgesamt aber empfiehlt er das Buch als "vorbereitende Lektüre" für das Aufräumen nach der nächsten Krise.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2021
Kritik der juristischen Ökonomie :
Mit ihrem Buch "Der Code des Kapitals" sorgt Katharina Pistor für Furore. Die Juristin zeigt darin, wie das Privatrecht den Vermögenden dient. In Hamburg trifft sie auf Widerspruch.
Ein Mann vom Lande steht vor dem Gesetz und möchte hinein. Weil er sich aber am Türsteher nicht vorbeitraut, stirbt er nach vielen Jahren des Wartens vor dem Tor, ohne das Innere des Gesetzes gesehen zu haben. So weit Franz Kafkas berühmte Parabel. Wir aber, die Nachkommen des Mannes vom Lande, können jetzt einen Blick hineinwerfen, zumindest in den Flügel des Gebäudes, den das Privatrecht einnimmt.
Die Rechtswissenschaftlerin Katharina Pistor von der New Yorker Columbia-Universität bietet mit ihrem viel beachteten Buch "Der Code des Kapitals" eine geführte Besichtigung. In deren Verlauf zeigt sich, dass die weitläufigen Säle des Rechts, die sich der Mann vom Lande glanzvoll und fest gefügt vorstellte, in Wahrheit etwas Provisorisches haben: Sie sind mit Leichtbauwänden unterteilt, die ganz nach Bedarf verschoben, verstärkt oder entfernt werden können. Den Wunsch nach solchen permanent wechselnden Rechtsgrundrissen haben die Inhaber des globalen Kapitals, die Manager von Banken, Trusts und Investmentfonds. Die Verschiebearbeiten erledigen in ihrem Auftrag hoch bezahlte Wirtschaftsanwälte in den Großkanzleien von London, New York oder Frankfurt.
Allerdings verwendet Katharina Pistor nicht das Bild vom Recht als Bauwerk, deshalb firmieren die Anwälte bei ihr auch nicht als Meister des Innenausbaus, sondern als "Herren des Codes". Diesen Code liefert ihnen ein breites Spektrum an Gesetzeswerken, das sich vom Vertrags-, Eigentums- und Kreditsicherungsrecht bis zum Trust-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht spannt. Die verschiedenen Module des Codes nutzen die Anwälte in variierenden Kombinationen, um Güter zu Kapital zu machen, indem sie Eigentumsrechte etablieren, Aktien und andere Werte vor Gläubigern und Steuerbehörden abschirmen und durch neue Kapitalformen sogar Vermögen schaffen, etwa durch verbriefte Hypotheken oder geistige Eigentumsrechte. Dabei geht es nicht nur darum, die passenden Paragrafen anzuwenden, sondern die großen Lücken kreativ zu füllen, die das Privatrecht lässt, um anpassungsfähig für die sich ändernden Märkte zu bleiben.
Die Meister des Codes schaffen selbst neues Recht, indem sie Auslegungsspielräume im Interesse ihrer Mandanten interpretieren, bestehende Gesetze durch Analogiebildungen auf ungeregeltes Terrain ausdehnen und - oft zu Recht - darauf bauen, dass ihnen die Gerichte darin folgen. Den größten Entfaltungsraum für solch anwaltliche Schöpferkraft bieten die Rechtssysteme Großbritanniens und des Staates New York, deren Regelwerke die Anwälte dank freier Rechtswahl in den meisten Staaten nutzen können. Dabei können sie sich darauf verlassen, dass die dortigen Gerichte und Behörden dieses Recht durchsetzen werden, auch wenn es nicht der eigenen demokratisch legitimierten Gesetzgebung entstammt.
Als Musterbeispiel für die Kunst anwaltlichen Codierens präsentiert Pistor die surrealen, hundertfach verschachtelten Finanzkonstrukte der Lehman-Brothers-Bank, die noch Dividenden an ihre Aktionäre ausschüttete, als ihr bevorstehender Untergang die Weltwirtschaft schon erbeben ließ. Die dadurch ausgelöste Krise zeigte, dass das Vertrauen der großen Finanzakteure und ihrer Anwälte in den Staat als Helfer in der Not nur allzu berechtigt war. Wer "too big to fail" war, wurde mit öffentlichen Mitteln gerettet und war meistens auch "too big to jail".
Katharina Pistors Kritik der juristischen Ökonomie hat nun ihrerseits einen profilierten Kritiker gefunden: Für Hans-Bernd Schäfer, Experte für die ökonomische Analyse des Rechts an der Hamburger Bucerius Law School, schießt die Autorin mit ihrer These von der kapitalistischen Herrschaft durch Recht anstelle einer Herrschaft des Rechts weit über das Ziel hinaus. Seine Einwände brachte Schäfer in einer Podiumsdiskussion mit Katharina Pistor vor, die vom Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht veranstaltet wurde.
Für Schäfer überzeichnet Pistor den Einfluss der Anwälte. Zugleich belege sie nicht hinreichend, dass sich unabhängige staatliche Gerichte wirklich zu deren Erfüllungsgehilfen machen ließen. Auch Pistors Kritik, dass die Internationalisierung des Rechts einseitig den Reichen zugutekomme, akzeptierte Schäfer nicht. Als Gegenbeispiel verwies er auf ein in Den Haag ergangenes Urteil, das den Shell-Konzern verpflichtet, nigerianische Bauern für die Ölverschmutzung ihres Ackerlandes zu entschädigen. Ohne "Forum Shopping" - also die Wahl eines für die Sache günstigen Gerichts - hätten die Bauern dieses Ergebnis nicht erzielen können. Die entscheidende Differenz zwischen den Kontrahenten bestand aber in der volkswirtschaftlichen Bewertung. Schäfer sieht in der Flexibilität des Privatrechts eine entscheidende Voraussetzung für ökonomische Innovationen, die nicht nur die Taschen Einzelner füllen, sondern den allgemeinen Wohlstand erhöhen. Als Beispiel nannte er die "Erfindung" der juristischen Person, die als rechtliches Konstrukt der Aktiengesellschaft zugrunde liegt und die kontinuierliche Akkumulierung von Kapital ermögicht.
Als weiteren Beleg für die wirtschaftliche Schubkraft privatrechtlicher Codierungen zog Schäfer die Herausbildung des Grundeigentums in England heran, die auch in Pistors Buch eine wichtige Rolle spielt. Es geht dabei um die Frühe Neuzeit, als Aristokraten das zuvor von den Bauern gemeinsam genutzte Gemeindeland gewaltsam privatisierten, mit anwaltlicher Hilfe in rechtlich geschütztes Eigentum umwandelten und durch neu konzipierte Trusts vor Gläubigern schützten. In Pistors Darstellung bilden diese "Einhegungen" der englischen Allmenden eine Urszene: Sie markiert den Aufstieg der Anwälte zu "Herren des Codes" und den Beginn einer Entwicklung, die schließlich in die Ungleichheiten moderner kapitalistischer Gesellschaften mündete. Schäfer dagegen verwies auf die enorme Produktivitätssteigerung, die dieser Prozess bei all seiner Härte in der Landwirtschaft auslöste, womit auch die Grundlagen der späteren Industrialisierung gelegt wurden.
Karl Marx sah in den "Einhegungen" eine erste Stufe in der Herausbildung des Kapitalismus, einen historischen Fortschritt also. Schäfer plädierte für eine funktional motivierte Differenzierung des Rechts entlang moralisch-politischer Normen: Zweck des Privatrechts soll es demnach sein, die ökonomischen Akteure zur Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit anzuhalten und somit die Rahmenbedingungen für ökonomischen Fortschritt zu schaffen, während das Sozialrecht für Solidarität und "Brüderlichkeit" sorgen soll. Beides zu vermischen, hielt Schäfer für kontraproduktiv.
Diese Idee einer rechtsethischen Arbeitsteilung überzeugte allerdings nicht. Zu Recht machte Katharina Pistor geltend, dass das Privatrecht Anwälten in die Hände spielt, um den Reichtum ihrer Mandanten zu mehren, während dem Sozialstaat die undankbare Aufgabe bleibt, die gesellschaftlichen Schäden, die dadurch entstehen, abzufedern. Sie plädierte dafür, die Flexibilität des Privatrechts zurückzuschrauben, um die Steuerungsfähigkeit staatlicher Systeme wieder zu verbessern. Der "Staat als Reparaturbetrieb des Kapitalismus" wurde in der Diskussion an keiner Stelle so benannt, aber um ihn ging es. WOLFGANG KRISCHKE
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