Als Viktor Orbán 2010 die Wahl in Ungarn gewann, sprach er von einer „Revolution an der Wahlurne“. Seitdem hat der Rechtspopulist die Institutionen in Ungarn auf seine Machtbedürfnisse maßgeschneidert und will nun auch die EU umkrempeln.
In der Wählergunst ist der Ungar nach wie vor unumstritten – trotz Korruptionsskandalen rund um die Regierungspartei Fidesz. Was macht Orbán so erfolgreich ? Seine populistische Rhetorik ist ein Schlüssel seines Erfolges, meint Autor Stephan Ozsváth.
Er zeigt auf, wie meisterhaft der ungarische Ministerpräsident mit Ängsten spielt und daraus politisches Kapital schlägt. Er bedient sich dabei nationaler Mythen und Rollenbilder. Orbán setzt auf Symbole wie den Mythenvogel Turul, er okkupiert den Aufstand von 1956 und inszeniert sich als Anführer einer Nation von Freiheitskämpfern, die sich gegen ausländische Mächte zur Wehr setzt: Der David-Goliath-Mythos im magyarischen Gewand. In seinem Rhetorik-Baukasten hat Orbán Globalisierungskritik, Anti-Establishment-Parolen und sogar antisemitische Verschwörungstheorien.
Während der Flüchtlingskrise stellte sich Orbán als Verteidiger des Christentums dar - und Ungarn als Bollwerk gegen den Ansturm der Muselmanen. Eine Rhetorik, die sein Publikum in das Jahr 1526 versetzt, als die Türken die Ungarn bei Mohács überrannten. Diese populistischen Assoziationsfelder machen Angst und sie kommen an. Nicht nur in Ungarn, sondern zunehmend auch im Rest Europas. Fast unwidersprochen kann sich Viktor Orbán als Verteidiger Mitteleuropas gegen eine „Völkerwanderung“ inszenieren – ein Anti-Merkel.
Aus dem liberalen Revoluzzer von einst ist ein Politiker geworden, der einen illiberalen Staat errichtet. Im Herzen der EU ist er der Spaltpilz, der die Union von innen angreift. Kämpfernatur Orbán wettert heute gegen die Macht der „Brüsseler Bürokraten". Er sieht sich als Vorkämpfer einer anti-liberalen Gegenbewegung, die mehr Nation und weniger Europa will.
Als Populist braucht Orbán Sündenböcke. Er trat eine perfide Kampagne los, die Flüchtlinge pauschal mit Terroristen gleich setzte, er hält die ungarische Gesellschaft in einem ständigen Erregungszustand, einem künstlichen Krieg mit Worten und Symbolen: Ein Heerführer ohne Soldaten. Seine Waffe sind Trugbilder, Halbwahrheiten, Lügen.
All das dient letztlich nur einem Ziel: Dem eigenen Machterhalt. Der Kollateralschaden ist enorm. Die ungarische Gesellschaft ist tief gespalten, Hass statt Zusammenhalt ist die Devise, Hunderttausende kehren ihrer Heimat den Rücken. Doch Orbán wird zum Vorbild für Europas Populisten, sein illiberaler Staat ist die Blaupause.
Vorwort: |
Paul Lendvai |
Preis: |
€ 16,50 |
Verlag: |
danube books Verlag |
Format: |
Hardcover |
Genre: |
Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Sonstiges |
Umfang: |
200 Seiten |
Erscheinungsdatum: |
26.10.2017 |
Rezension aus FALTER 6/2018
Der kann ja gar kein Ungarisch!
Der Journalist Stephan Ozsváth erklärt, warum Viktor Orbán ausgerechnet in Ungarn reüssiert
Der kann ja gar kein Ungarisch“: Wenn die Ausländer Ungarn nach allem Erklären immer noch nicht verstanden haben, handelt es sich um einen Fall von mangelnder Bereitschaft, sich auf die komplizierte Psyche dieser verkannten Nation einzulassen. Manchmal funktioniert das Argument nicht, wie im Falle des früheren Wiener ARD-Korrespondenten Stephan Ozsváth, Sohn eines ungarischen Vaters. Er kann Ungarisch. Gegen ihn hilft nur der unverblümt ideologische Angriff auf den „Verräter“. Ausländische Kritik „an Ungarn“ beruht entweder auf schierer Unkenntnis, oder sie kommt in Wirklichkeit von innen, so die Propaganda: Die illoyale Opposition bedient sich ihrer Kontakte zum Ausland.
Ozsváth, der selbst schon Opfer eines nationalen Shitstorms war, beschreibt nachvollziehbar, wie das funktioniert. Der „Werkzeugkasten des Populisten“, so Ozsváths erstes Kapitel, umfasst eher grobe Instrumente: viel Angst, eine Portion Starker-Mann-Getue, Pomp, etwas Ideologie, aber von Letzterem nicht zu viel.
Die Macht Viktor Orbáns, der Ungarn seit siebeneinhalb Jahren ungefährdet regiert, beruht wesentlich auf dessen Bereitschaft, die Minderwertigkeitskomplexe, die Mythisierung der Geschichte, ein diffuses Bedrohungsgefühl, gerechtfertigte Abstiegs- und irrationale Entgrenzungsängste sowie Fremdelei gegenüber der großen, weiten Welt zusammenzusetzen.
Mit der so gewonnenen Popularität zieht man auch die Elite der Nation in seinen Bann, die vielleicht nicht so leicht zu elektrisieren ist, die sich aber von Orbáns Macht gern ein Stück ausleiht. Wer nicht mitmachen will, kann ja gehen. Viktor Orbán, der „Puszta-Populist“, wie Ozsváth seinen negativen Helden im Buch nicht weniger als 16 Mal nennt, war in seinen Zwanzigern nach Ozsváths Befund ein Linksliberaler; im Buch finden sich dafür schöne Belege. Gerade die Konversion macht sein Charisma aus: Hier regiert einer, der auch die andere Seite gut kennt.
Mit Orbáns Psychologie hält Ozsváth sich nicht weiter auf, wie es überhaupt zu den Stärken seines Buches gehört, dass es nichts überhöht, nichts mystifiziert. Etwas mehr hätte man allerdings gern über das nationale Nervengeflecht erfahren, das Orbán so erfolgreich nutzt. Sind die vielzitierten nationalen Traumata alle wirklich so spezifisch ungarisch? Ist das Selbstbild als Glacis Europas nicht auch in allen benachbarten Nationen verbreitet?
„Viktor Orbán – ein europäischer Störfall?“, fragt schüchtern der Untertitel. Dabei legt Ozsváth überzeugend dar, dass sein „Puszta-Populist“ sich von den Konstruktionsfehlern der Union prächtig nährt. Für einen Regierungschef in der Pose des Volkstribuns und des Rächers der Enterbten ist die Gemeinschaft wie gemacht. Funktionieren kann die Projektion nur in Staaten von mittlerer Größe, deren es in der Union allerdings eine Menge gibt: Sie müssen nur groß genug sein, im Baltikum oder in Luxemburg hätte ein Orbán keine Chance.
In Deutschland oder Frankreich dagegen würden die Wähler ihre Anführer nicht aus der Verantwortung für Europa entlassen.
Im Vorwort zu Ozsváths Buch lobt der alte Ungarn-Kenner Paul Lendvai, dass der Autor „keine abstrakten oder romantischen Zukunftsszenarien skizziert“. Schlussfolgerungen darf der Leser selbst ziehen. Dass Orbán etwa für Österreichs Kanzler Sebastian Kurz ein schönes Role-Model abgibt, muss man ja nicht unbedingt aussprechen.
Norbert Mappes-Niediek in FALTER 6/2018 vom 09.02.2018 (S. 21)