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Die Informationsplattform für ArbeiterInnen, Angestellte, KMUs, EPUs und PensionistInnen

Die bisher nicht erzählte Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Arbeit

von Christine Schörkhuber, Harald Welzer, Robert Misik

Verlag: Picus Verlag
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 240 Seiten
Erscheinungsdatum: 02.05.2018
Preis: € 24,00

 

 


Rezension aus FALTER 31/2018

Ich arbeite, du arbeitest, wir arbeiten – aber wofür?

Die Regierung will flexiblere Arbeitszeiten. Der Sammelband Arbeit ist unsichtbar erzählt von Arbeit als Sinnstifterin und Machtinstrument

Wer es noch nicht ins Museum Arbeitswelt in Steyr zur Ausstellung „Arbeit ist unsichtbar“ geschafft hat und es auch bis zum 23. September nicht schaffen wird, dem kann geholfen werden. Es gibt jetzt nämlich einen lesenswerten Sammelband zur Ausstellung. Er versammelt Teile der Ausstellung zum Nachlesen, literarische und journalistische Texte zum Thema Arbeit, Fotos, Reportagen, Interviews und ergibt in Summe einen umfassenden „Reader“, also einen Leseband, zum großen Thema Arbeit. „Wem gehört die Zeit?“, fragen die Autoren etwa im Kapitel „Arbeitszeit“ und erzählen eine kleine Geschichte der Vertaktung des Arbeitslebens, die jetzt von der türkis-blauen Regierung gerade weitergetrieben wird in Richtung Zwölfstundentag und 60-Stunden-Arbeitswoche. Für die einen ist das Befreiung und Flexibilisierung, für die anderen Auspressen und Unterdrückung.

Autonomie und Zwang sind die beiden Pole, zwischen denen das Thema Arbeitszeit seit Beginn der industriellen Lohnarbeit verhandelt wurde. „Gut Ding braucht Weile“ wird ersetzt durch „Zeit ist Geld“. Noch 1879 gibt es in der Monarchie keine gesetzlich geregelte Arbeitszeit, aber auch keine staatliche Kranken- und Unfallversicherung. Die „Dressierung“ der Arbeiterinnen und Arbeiter, das Arbeiten zur gleichen Zeit an einem Ort, gibt auch die Möglichkeit, sich abzusprechen, gemeinsam für mehr Rechte zu kämpfen.

Wie so oft in der Moderne herrscht Ambivalenz. Ja, die Industrialisierung führt zu Arbeits- und Zeitdruck, und ja, gleichzeitig entsteht dadurch die moderne Arbeiterbewegung, es wird protestiert und gestreikt. Für die aktuelle politische Debatte heißt das natürlich auch: Beim Thema Arbeitszeiten geht es nicht nur um die individuellen neuen, vielleicht für manche opportunen Spielräume, es geht auch um eine weitere Entsolidarisierung der Arbeitenden. Wer Homeoffice macht, seine Kollegen nur vom Grüßen kennt, entsolidarisiert sich unweigerlich.

„Startupstory“ nennt der Autor Andreas Baumgartner seinen Kurzbeitrag für den Sammelband, in dem er von seinen zweieinhalb Jahren bei einem Start-up-Unternehmen erzählt. Zuerst läuft alles toll, er arbeitet immer mehr, mit mehr Verantwortung, 60 Stunden in der Woche, trotzdem noch auf Werkvertrag. Dann geht alles sehr schnell und er steht wieder auf der Straße. „Scheitern ohne Netz und mit viel Aufwand“ sei das gewesen.

Viele solche spannenden Blitzlichter auf die herrschende Arbeitswelt finden sich im Sammelband. Robert Misik beschreibt etwa eine „Anti-Machismo“-Initiative auf Shell-Ölplattformen, die dazu führte, dass Arbeitsunfälle um 84 Prozent zurückgingen, weil die Männer lernten, über ihre Emotionen zu sprechen und Ängste zuzulassen.

Die Politologen und Soziologen Ullrich Brand und Markus Wissen gehen der Frage „Wie viele Sklaven halten Sie?“ nach. „Imperiale Lebensweisen“ seien der Alltag in den Zentren des globalen Kapitalismus eigentlich, auch wenn es uns nicht immer bewusst ist. Bei allem, was wir konsumieren, greifen wir auf die billigen Arbeitskräfte und Ressourcen von „anderswo“ zurück, von der polnischen Haushalthilfe über den libanesischen Uber-Fahrer bis zur Sweat-Shop-Näherin in Bangladesch, die die Zara-Tunika bestickt.

Was würden Sie tun, wenn sie 1000 Euro Grundeinkommen bekämen, fragten die Autoren Passanten in St. Pölten. „Ich würde dann mehr Geld kriegen für dieselbe Arbeit, weil ein großer Anteil der Arbeit, die ich sowieso mache, Kinder, Familie, Vereine, abgegolten wäre. Fände ich sehr erfreulich.“

Barbaba Tóth in FALTER 31/2018 vom 03.08.2018 (S. 17)

Posted by Wilfried Allé Monday, August 6, 2018 11:28:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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