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Über die Kunst, die Unvorhersehbarkeit des Lebens anzunehmen

von Gerald Hüther

Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Angewandte Psychologie
Umfang: 128 Seiten
Erscheinungsdatum: 07.09.2020
Preis: € 21,00

Rezension aus FALTER 44/2020

Mehr Mut gegenüber den politischen Angstmachern

Nicht nur Viren, sondern auch Angst verbreitet sich über Ansteckung. Im Moment ist Angst eminent politisch, denn die Corona-Krise wird über sie gemanagt, nicht nur von autoritären Politikern.

In der Menschheitsgeschichte trat Angst meist lokal auf: bei Einzelnen, in Gemeinschaften, Nationen oder Erdteilen. Dann kam Covid-19. „Was die gesamte Menschheit in Angst versetzt hat, war aber genau genommen nicht dieses kleine Virus, sondern die sich noch rascher als jeder Krankheitserreger über die Medien global ausbreitende Vorstellung von seiner Gefährlichkeit“, schreibt der renommierte Hirnforscher und Bestsellerautor Gerald Hüther in seinem Buch „Wege aus der Angst. Über die Kunst, die Unvorhersehbarkeit des Lebens anzunehmen“.

Sein Beitrag zur Debatte, die für eine demokratische Gesellschaft beängstigend feindselig abläuft, zeichnet sich dadurch aus, dass er dabei auf einer allgemeinen Ebene bleibt. Sprich: Außer im fünf Seiten kurzen Vorwort kommt das Wort Corona nicht vor.

Auch das, was am Krisenmanagement richtig und falsch gelaufen ist, wird von Hüther nicht rekapituliert und bewertet. Damit lässt er Raum, sich selbst Gedanken zu machen. Denn das höchste Gut, betont Hüther, sei die Fähigkeit zu hinterfragen und zu freien Entscheidungen.

Angst macht unfrei. Und sie loswerden zu wollen, macht keinen Sinn, denn ohne Angst kann man nicht leben. Aber Angst ist keine unmittelbare Reaktion, sondern hat etwas mit Nachdenken zu tun. „Was uns Angst macht“, sagt Hüther, „ist nicht das Erleben einer Bedrohung, sondern die Vorstellung, ihr hilflos ausgeliefert zu sein.“ Sie erzeugt drei Reaktionsweisen: Erstarrung, Flucht und Angriff.

Zu Letzterer gehört für Hüther die weit verbreitete Vorstellung, man könne alles, was einen bedroht, unter Kontrolle bringen. Aber was, wenn die Kontrollversuche die Situation verschlimmern? Und was, wenn die Angst manipuliert wird von Mächtigen? Was, wenn die Angst zu Flucht in Ablenkungen führt? In Erstarrung?

Dann kann sie besonders gut benutzt werden von den, wie Hüter betont, „Profiteuren der Angst“, die zwischen den Verängstigten Misstrauen und Zwietracht säen. Wie erhöht man die Widerstandsfähigkeit gegenüber den Methoden der Angstmacher? Durch die Stärkung von Vertrauen – in sich selbst, in andere und in „das Leben“. Da Zukunft sich weder vorhersagen noch verlässlich planen lässt, empfiehlt Hüther auch eine Portion Demut.

Wie können wir lernen, besser mit unserer Angst umzugehen, um uns so gut wie möglich „aus der Gefangenschaft unserer eigenen Vorstellungen und Überzeugungen davon, wie sich Angst besiegen lässt“, zu befreien? Dazu müsse man die richtigen Fragen stellen, meint Hüther, und zwar nicht nur nach den Motiven der Angstmacher und Warner, sondern auch nach den eigenen.

Im Vorwort fragt Hüther: Warum ­fürchtet die Menschheit sich nicht in gleicher Weise wie vor Covid-19 vor jenen ­Dingen, die ihr Überleben ebenfalls und noch viel massiver bedrohen, nämlich vor der ­Zerstörung des Planeten durch uns selbst?

In einem Interview auf Radio Ö1 beantwortete Hüther diese Frage kürzlich dezidierter als in seinem schmalen Buch, das auch nach der Krise aktuell bleiben wird: „Corona ist möglicherweise das Ersatzschlachtfeld, was wir jetzt tapfer bekämpfen und wo wir uns einsetzen, weil es nicht mehr auszuhalten ist, dass wir auf allen anderen Problemfeldern nicht mehr weiterkommen.“

Kirstin Breitenfellner in FALTER 44/2020 vom 30.10.2020 (S. 19)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, November 25, 2020 12:52:00 PM Categories: Sachbücher/Angewandte Psychologie
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