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Die neue schwarz-blaue Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz geht auf den Wunsch der Wirtschaftslobby ein und hat die Kammern sowie weitere ausgesuchte InteressenvertreterInnen gebeten, bis 15. Mai 2018 Regelungen zu melden, die eine „unnötige Übererfüllung“ des EU-Mindestschutzniveaus darstellen. Das Ergebnis ist eine Liste mit rund 500 eingegangenen Meldungen. Dieses Dokument gelangte nun offenbar über einen Whistleblower an die Öffentlichkeit, die Überlegungen einzelner Wirtschaftsvertretungen schockieren dabei.
Viele der in dem Dokument aufgeführten Punkte gehen nicht nur weit über das Ziel der Regierungsinitiative hinaus – sie zeigen auch, wie weit die Gedankenspiele einiger Wirtschaftsverbände gehen. Würden alle darin angeführten rechtlichen Regelungen tatsächlich umgesetzt, wären die Folgewirkungen dramatisch: Österreich wäre vermutlich mit einem Schlag das EU-Land mit den niedrigsten Lebensstandards. Denn die Anmerkungen, die in dem Dokument gemacht werden, betreffen viele Lebensbereiche. Die Begründung ist vielfach die gleiche: Die hohen Standards in Österreich verursachen Kosten für Unternehmen – ihr Nutzen für eine hohe Lebensqualität der BürgerInnen spielt kaum eine Rolle.

Die Gedankenspiele der Wirtschaftslobby im Detail

Welche Überlegungen seitens der WirtschaftsvertreterInnen angestellt wurden, zeigen Beispiele aus der Beschäftigungs- und Sozialpolitik sowie dem KonsumentInnenschutz. Es gibt noch viele weitere Beispiele aus zahlreichen Bereichen wie dem Umweltschutz, Bestimmungen aus dem Gesundheits- oder dem Steuerrecht oder dem wirtschaftsrechtlichen Bereich, die in der Liste wiederzufinden sind. An dieser Stelle sei nur eine Auswahl hervorgehoben.

Beschäftigungs- und Sozialpolitik:

  • Jahresurlaub: Laut WKO sieht die EU-Arbeitszeit-Richtlinie nur vier statt fünf Wochen vor. Die im österreichischen Arbeitszeitgesetz vorgesehene fünfte Woche, so merkt die Wirtschaftsorganisation an, bedeute Mehrkosten, denn die Unternehmen seien verpflichtet, die DienstnehmerInnen trotz Abwesenheit zu bezahlen.
  • Überstundenzuschläge: Die EU-Arbeitszeit-Richtlinie sieht laut den WirtschaftsvertreterInnen keine Zuschläge für Überstunden und Mehrarbeit vor. Zudem sei nur eine elfstündige Ruhezeit vorgesehen (was grundsätzlich einen 13-Stunden-Tag möglich macht). Für die Unternehmen bedeute dies eine Einschränkung von Flexibilität und Mehrkosten.
  • Mindestlohnsätze für aus dem Ausland entsandte Beschäftigte: Die Wirtschaftskammer macht darauf aufmerksam, dass gemäß der EU-Entsende-Richtlinie Mindestlohnsätze nicht angewendet werden müssen, wenn die Entsendung ein Monat nicht übersteigt. Das nationale Recht sieht die Mindestlohnsätze hingegen schon ab dem ersten Monat vor. Sollten die nationalen Bestimmungen gestrichen werden, würde das dem Lohndumping Tür und Tor öffnen. Aus Nachbarländern entsandte Beschäftigte würden schlicht behaupten, weniger als ein Monat in Österreich beschäftigt zu sein. Der Schaden für die heimische Wirtschaft und ihre Beschäftigten wäre enorm.
  • Kündigungsschutz für Behinderte: Der höhere Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung wird von der WKO problematisiert: Die nationalen Rechtsvorschriften (Behinderteneinstellungsgesetz, Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz) gehen über die Minimalregelungen auf EU-Ebene hinaus und stellen demnach einen bürokratischen und finanziellen Aufwand dar.
  • Kündigungsschutz für Schwangere: Das nationale Mutterschutzgesetz stellt laut den WirtschaftsvertreterInnen eine unnötige Einschränkung des Kündigungsrechts dar und bedeute eine Erhöhung der Personalkosten.
  • Die WirtschaftsvertreterInnen stellen eine Reihe von Arbeitsschutzbestimmungen infrage. So werden die Nachweise für die Fachkenntnis für bestimmte Arbeiten (beispielsweise bei Tätigkeiten mit elektrischer Spannung oder Taucherarbeiten) genauso hinterfragt, wie Meldepflichten bei bestimmten Bauarbeiten sowie die Meldung von Sicherheitsvertrauenspersonen. Die Sicherheit der Beschäftigten wird dadurch negativ beeinflusst, negative Auswirkungen durch den Ausfall von ArbeiterInnen könnten auch nachteilige Effekte für die Unternehmen haben, was aber offensichtlich von den WirtschaftslobbyistInnen übersehen wird.

KonsumentInnenschutz:

Über 70 der in der Liste angeführten Punkte betreffen den VerbraucherInnenschutz. Welche Effekte eine Umsetzung dieser Aufstellungen haben würde, zeigt ein kurzer Auszug:

  • In Bezug auf VerbraucherInnenverträge hinterfragen WirtschaftsvertreterInnen Regelungen im KonsumentInnenschutzgesetz. So sollen missbräuchliche Klauseln nicht mehr wie bisher nichtig sein, sondern die für VerbraucherInnen „günstigste Auslegung“ gelten. Für KonsumentInnen würde eine derartige Regelung vor allem eines bringen, nämlich Unsicherheit über den Inhalt des Vertrags. Die WirtschaftslobbyistInnen hinterfragen zudem Regelungen, deren Fehlen Verbandsklagemöglichkeiten, beispielsweise vom Verein für KonsumentInneninformation oder von der Arbeiterkammer, erheblich erschweren würden.
  • Mehrere der auf der Liste eingebrachten Punkte betreffen die Möglichkeit, (zusätzliche) Gebühren zu verlangen – beispielsweise für Bargeldabhebungen, für Papierrechnungen oder für bestimmte Zahlungsmittel. Auch hier sehen die UnternehmensvertreterInnen in den nationalen Gesetzen eine Übererfüllung EU-rechtlicher Vorgaben.
  • Bei vorzeitiger Rückzahlung von Kreditverträgen (Hypothekarkredite, VerbraucherInnenkredite u. Ä.) sind derzeit mögliche Pönalen gedeckelt. Die Wirtschaftslobby macht darauf aufmerksam, dass ohne eigene nationale Bestimmungen die Pönalen mangels Deckelung auch höher angesetzt werden könnten.

Weitere Bereiche:

  • Hinsichtlich der Fahrgastrechte kritisiert die Wirtschaftskammer, dass nationale Gesetze strengere Bestimmungen enthalten, als im EU-Recht vorgesehen. Damit dürften Entschädigungen für Fahrgäste bei Verspätungen gemeint sein, die im Besitz von Zeitkarten (Jahreskarten o. Ä.) sind. Ohne die nationale Zusatzregelung gäbe es für diese Gruppe (bis zu 80 Prozent der Fahrgäste, z. B. PendlerInnen) keine Entschädigungen.
  • In Österreich werden Straßenkontrollen hinsichtlich der Sozialvorschriften für Tätigkeiten im Straßenverkehr (beispielsweise LKW-FahrerInnen) wesentlich häufiger durchgeführt, als es das EU-Recht vorsieht (nämlich nur an drei Prozent der Arbeitstage). Aus Sicht der WirtschaftsvertreterInnen zu viel, weil mit Kosten und Verwaltungsaufwand verbunden. Dieses Argument erscheint allerdings sehr kurzfristig, eröffnet es doch die Möglichkeit von Sozialdumping, was wiederum Wettbewerbsnachteile für die heimischen Unternehmen bedeutet.
  • Kurios ist die Forderung, die Grenze des strafbestimmenden Wertbetrages von 50.000 auf 100.000 Euro bei Schmuggel oder Abgabenhehlerei anzuheben. Diese Grenze entscheidet, ob die fragliche Aktivität vor Gericht verhandelt wird oder als Kavaliersdelikt durchgeht.

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Posted by Wilfried Allé Sunday, August 5, 2018 10:22:00 AM
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