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Radikalisierter Konservatismus 

Eine Analyse

von Natascha Strobl

Verlag: Suhrkamp
ISBN: 9783518127827
Umfang: 192 Seiten
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Erscheinungsdatum: 12.09.2021
Format Taschenbuch
Preis: € 16,50
Reihe: edition suhrkamp

 

Kurzbeschreibung des Verlags

Von der Krise der Sozialdemokratie ist allerorten die Rede. Doch auch viele tra­di­tions­reiche Mitte-rechts-Par­teien be­fin­den sich im Nieder­gang oder zu­min­dest in einer Zwick­mühle: Sollen sie sich für pro­gres­sive ur­bane Mi­li­eus öffnen? Oder lieber ihr kon­ser­va­tives Pro­fil schär­fen? Während Angela Merkel für das eine Modell steht, re­prä­sen­tieren Poli­ti­ker wie Do­nald Trump oder Sebas­tian Kurz das andere. Sie sind Ver­tre­ter eines radi­ka­li­sier­ten Kon­ser­vatis­mus. Nata­scha Strobl ana­ly­siert ihre rhe­to­ri­schen und poli­ti­schen Stra­tegien. Sie zeigt, wie sie Res­sen­ti­ments be­die­nen, um ihre An­hän­ger­schaft zu mo­bi­li­sieren, oder eigene Nar­ra­tive er­schaf­fen, um »Mes­sage Con­trol« aus­zu­üben und Kri­tik als Fake News ab­zu­tun. Statt in­halt­licher Aus­ein­ander­setzung suchen sie die Kon­fron­ta­tion. In ihren ei­genen Par­teien re­du­zieren sie die Demo­kratie, setzen auf kleine Be­rater­zir­kel und Per­so­na­li­sierung. Da­bei grei­fen sie, so Strobl, immer wie­der auch auf die Metho­den rechts­radi­ka­ler Be­we­gun­gen und Or­gani­sationen zu­rück.

FALTER-Rezension

Der neue alte paranoide Stil

Natascha Strobl seziert den radikalisierten Konser­vativis­mus, der vom Rechts­ex­tremis­mus nur schwer zu unter­scheiden ist

Rechter Konser­vativis­mus und Rechts­extre­mis­mus sind vieler­orts un­unter­scheid­bar ge­worden. Das be­trifft natür­lich nicht alle Kon­ser­va­tiven, aber in vie­len kon­ser­va­tiven Par­teien machen sich extrem rechte Flü­gel breit. In man­chen Län­dern wer­den die tradi­tio­nel­len kon­ser­va­tiven Par­teien von den Radi­kalen regel­recht ge­kapert und über­nom­men, man denke nur an die ameri­ka­ni­schen Repu­bli­kaner oder die Öster­reichische Volks­par­tei unter ihrem Chef Sebas­tian Kurz seit 2017.

Anderswo wiederum entstehen Parteien des "radi­kali­sier­ten Kon­ser­va­tis­mus", oft als "Popu­lis­ten" apo­stro­phiert, die den klas­sischen Kon­ser­va­ti­vis­mus er­setzen und ver­drän­gen. Diese Welt "radi­kali­sierten Kon­ser­vatis­mus" unter­zieht die Wiener Poli­tik­wissen­schaft­lerin Nata­scha Strobl in ihrem schmalen Suhr­kamp-Bänd­chen einer kom­pak­ten und weit­gehend ein­leuch­tenden Ana­lyse.

"Die staatstragenden Parteien einer ge­dach­ten Mitte hat­ten im­mer das Ziel, die Ge­sell­schaft mit der in ihr gül­tigen Ord­nung zu be­wahren. Es war eine im Wort­sinn kon­ser­va­tive Hal­tung. Da­rum geht es im radi­kali­sier­ten Kon­ser­va­tis­mus nicht mehr. Viel­mehr wer­den Löcher in die aktu­elle Ge­sell­schaft ge­ris­sen oder be­ste­hende Dif­feren­zen ver­größert. Polari­sierung ist für den radi­kali­sierten Kon­ser­va­tismus der (...) Normal­zu­stand."

Ein wenig ist das eine Reaktion auf ein Problem, das der Kon­ser­va­tivis­mus im­mer schon, aber in den ver­gan­genen Jahr­zehnten zu­nehmend hatte: Er findet nichts mehr Be­wahrens­wertes. Irgend­wie ist das lo­gisch, da er im­mer schon eine Reak­tion auf die Mo­der­ne war. Nach 150 Jah­ren Mo­der­ne ist das Eden des Kon­ser­va­ti­vis­mus end­gül­tig perdu. Er ist nicht nur wü­tend auf das, was ist, son­dern auch auf das, was ges­tern schon war.

So fordern diese neuen Konservativen nicht die Ver­tei­di­gung des Be­ste­hen­den, son­dern be­kla­gen einen all­ge­meinen Ver­fall, sie geben sich volks­tüm­lich und kämpfen ge­gen die "libe­ra­len Eli­ten", die seit dem gegen­kul­tu­rel­len Auf­bruch der 1960er-Jahre ent­stan­den sind.

Aber nicht jeder, der die ökonomischen Rezepte des Neo­libera­lis­mus ver­kündet, ist des­wegen schon da­für, dass man den jun­gen Leu­ten mehr Ma­nie­ren ein­trich­tern muss. Nicht je­der, der da­für plä­diert, den Sozial­staat ab­zu­räumen, um Härte ins Leben der ver­weich­lich­ten Wohl­fahrts­staat-Be­wohner und -Be­wohner­innen zu bringen, meint auch, dass "wir" die Mos­lems "hin­ter das Mit­tel­meer" zu­rück­werfen müs­sen. Aber er­staun­lich viele ver­schrei­ben sich diesem ge­samten "Paket".

Für Nerds und Politikprofis fallen Strobls minu­ti­öse Rück­schauen auf die ver­schie­denen Polit-Akti­onen von Sebas­tian Kurz und Donald Trump etwas zu breit aus -jeden­falls dann, wenn man das schon alles kennt.

Wer wenig Zeitung liest, erhält dafür eine gute Zu­sam­men­fas­sung. Etwas kurz ge­raten die Hin­weise auf die his­to­ri­sche Her­kunft dieses Kon­ser­va­ti­vis­mus, etwa der Stahl­helm-Rechten der "kon­ser­va­ti­ven Re­vo­lution" und (proto-)fa­schis­tischer Be­we­gungen von vor 100 Jahren.

Gänzlich ignoriert und womöglich unter­schätzt wird der Bei­trag des ameri­ka­ni­schen "Neo-Kon­ser­vati­vis­mus", der seit den 1960er-Jahren den US-Kon­ser­vati­vis­mus radi­kali­sierte. Das, was Richard Hof­stet­ter schon vor Jahr­zehnten den "para­noi­den Stil" nannte.

Natascha Strobl dekliniert den Politik­stil dieses Kon­ser­vati­vis­mus auf ihre Art durch. Die Po­lari­sierung und Er­regungs­be­wirt­schaf­tung, die er braucht. Die Auf­ganse­lei gan­zer Ge­sell­schaf­ten. Dieses Sprechen im Namen einer ver­meint­lich schwei­gen­den Mehr­heit, der "regu­lar guys", der "nor­ma­len Leute". Der Führer­kult und die In­sze­nie­rung des An­führers als Star. Die Ein­tei­lung in Fleißige und Faule, die öko­no­mi­sche Benach­tei­li­gung gerne als Cha­rak­ter­schwäche inter­pre­tiert. Die Rhe­torik der Härte.

Ihr Fazit: "Im radikalisierten Kon­ser­va­tis­mus ver­schmel­zen die Feind­bilder der tradi­tio­nel­len ex­tremen Rech­ten mit jenen des Neo­libera­lis­mus."

Robert Misik in Falter 39/2021 vom 01.10.2021 (S. 15)

Posted by Wilfried Allé Monday, May 23, 2022 7:39:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Wenn das in die Hose geht, sind wir hin 

Chats, Macht und Korruption. Eine Spurensuche

von Florian Scheuba

ISBN: 9783552073166
Erscheinungsdatum: 11.04.2022
Umfang: 160 Seiten
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Format: Taschenbuch
Verlag: Zsolnay, Paul
Preis: € 18,50

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

„Noch komischer als in der österreichischen Polit-Realität von Bussi-Chats und Liebesschwüren wird es nur, wenn Florian Scheuba sich einmischt. Lesen, lachen, lernen!“ Bastian Obermayer, Frederik Obermaier (Süddeutsche Zeitung)
Hunderttausende Chat-Nachrichten auf einem Mobiltelefon aus dem nächsten Umfeld des mittlerweile zurückgetretenen österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz erschütterten im Herbst 2021 die Republik. Sie lösten ein politisches Erdbeben aus, das noch stärker nachwirkt als das berüchtigte „Ibiza“-Video. Gekaufte Medien, perfide Intrigen, schamloser Postenschacher und Korruption verschiedener Ausprägung treten darin zutage. Es ist ein Lügengebäude, das seinen zuvor stets auf Message Control bedachten Erbauern nun um die Ohren fliegt.
Der investigative Kabarettist Florian Scheuba hat sich auf eine so spannende wie satirische Spurensuche begeben. Was er dabei fand, ist ein von Nebelgranaten verdunkeltes Trümmerfeld, das so manche Überraschung aus dem Innenleben der türkisen Parteifamilie bereithält.
 

FALTER-Rezension:

Anekdoten zum U-Ausschuss

Es sei für die Arbeit eines Kabarettisten nicht zwingend notwendig, dass man auch beim Lesen laut lache, aber ein Qualitätskriterium sei es allemal: Das schreibt der Schriftsteller Daniel Kehlmann ins Vorwort von Florian Scheubas neuem Buch. Scheuba liefert mehr als das. Seine Sammlung an Betrachtungen über die meist türkise und noch ein bisschen bläuliche Welt und ihre Gepflogenheiten (man will ja nicht Machenschaften sagen) liefert den anekdotischen Bass für den derzeit laufenden U-Ausschuss, salopp ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss genannt. Scheuba trifft auf Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz, dient als "unbotmäßiger österreichischer Innenpolitikbeobachter", seziert, erzählt die ungeheuerlichsten Geschichten, entführt in die Märchenwelt, und alles stellt sich als wahr heraus. Zur Ehrenrettung der Sozialdemokratie kommt der Dosko irgendwann auch noch vor. Schönste Analogie: als Scheuba das Zeitschinden der ÖVP im vorherigen U-Ausschuss (mit ähnlichem Thema) mit der Fußballschande von Gijón von 1982 vergleicht. Einziger Unterschied: Damals gewannen alle Beteiligten.

Eva Konzett in Falter 20/2022 vom 20.05.2022 (S. 23)


Die größte Freude, die man TATSÄCHLICHEN GAUNERN machen kann, ist zu sagen, dass eh alle Gauner sind

Die Intellektuellen, die Künstler, sie haben einen Vorteil: Sie sind keiner Partei Rechenschaft schuldig, über sie wachen keine Institutionen oder Lobbyistenverbände. Das macht ihre Aussagen mächtig. Wie mächtig, das haben zwei offene Briefe bewiesen, die vergangene Woche deutsche Feuilletons veröffentlicht haben. Ihr Adressat: der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD). Ihr Ziel: Waffenlieferungen an die Ukraine zu verhindern beziehungsweise anzutreiben. Das Ergebnis: eine breite, kontrovers geführte, manchmal untergriffige, mitunter faktenwidrige, aber notwendige Debatte des "Wie stehst du zu diesem Krieg?".

Zu den Mitunterzeichnern des zweiten offenen Briefes zählen der deutsch-österreichische Schriftsteller Daniel Kehlmann und der österreichische Kabarettist und Publizist Florian Scheuba.

Die beiden hat der Falter zum Gespräch geladen. Über die Pflicht des Künstlers und Humor als Sicherheitsnetz. Zu viert trifft man sich über Zoom. Kurze technische Probleme. Schwarze Kacheln. Dann endlich erscheinen Scheubas Umrisse: "Grüß' Sie!", tönt es einem entgegen. "Ich freue mich auch", erwidert Kehlmann.

Falter: Herr Kehlmann, in Deutschland richten sich Intellektuelle über offene Briefe ihre Haltung zum Ukraine-Krieg, besonders zu deutschen Waffenlieferungen, aus. Sie haben den Brief unterzeichnet, der sich für Waffenlieferungen ausspricht. Warum?

Daniel Kehlmann: Der offene Brief, den Alice Schwarzer in der Zeitung Emma initiiert hat und der die Ukraine zur Kapitulation auffordert, hat viele meiner osteuropäischen Freunde wirklich entsetzt und getroffen. Dann ist der Journalist Deniz Yücel auf mich zugekommen und hat gefragt, ob ich nicht den Antwortbrief unterzeichnen möchte. Meine erste Reaktion war: "Um Gottes willen, ein zweiter offener Brief, das hat doch etwas Albernes." Ich glaube, den meisten, die da unterschrieben haben, ist nicht entgangen, dass das etwas unfreiwillig Komisches hat: "The Battle of Open Letters." Aber ich habe nun einmal das Entsetzen vieler Menschen aus Osteuropa über den ersten Brief gesehen und gedacht, dass es in diesem Fall wohl wirklich wichtig ist zu zeigen, dass es auch die andere Meinung gibt, nämlich die, dass wir der Ukraine auf jede Weise helfen müssen. Natürlich ohne selbst Kriegspartei zu werden.

Österreich als neutraler Staat darf keine Waffen liefern. Ist deshalb die Diskussion hier leiser, Herr Scheuba?

Florian Scheuba: Ich glaube, die Diskussion wird noch bei uns ankommen. Seit vergangener Woche ist auch eine neue Qualität der Verblödung aufgetaucht, in Form des Interviews, das Peter Weibel (österreichischer Konzeptkünstler, Anm.) im Standard gegeben hat. Weibel ist einer der Initiatoren des Emma-Briefes. Er hat erklärt, dass die Menschen aus der Ukraine auch vor der Korruption flüchten würden. Fragt sich, warum sie damit gewartet haben, bis sie von Putin überfallen wurden. Dann hat er noch gesagt, Russland habe das Recht, sich bedroht zu fühlen. Diese völlige Faktenbefreitheit kann man nicht hinnehmen. Da muss man aufstehen und sagen: Freunde, jetzt wird's lächerlich! Und so habe ich den Brief auch unterschrieben. Den zweiten natürlich.

Was können diese Briefe bewirken?

Scheuba: Der Sinn der Übung ist, dass die Leute darüber zu reden beginnen. Vielleicht bin ich Peter Weibel später dafür dankbar, dass er auch breitere Bevölkerungsschichten wie mich mit in die Diskussion hineingezogen hat, weil es offensichtlich notwendig war, ein paar primitiv-selbstverständliche Sachen zu formulieren. Bei einer Opfer-Täter-Umkehr mitzumachen ist einfach so was von daneben!

Kehlmann: Die Sache wird noch ein wenig absurder dadurch, dass ja in dem Moment, als die offenen Briefe geschrieben wurden, eigentlich alles schon entschieden war. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Waffenlieferungen an die Ukraine wenige Tage zuvor beschlossen. Es ging also eigentlich nur noch um die Meinung in der Öffentlichkeit. Wobei: Öffentlichkeit klingt gleich so großspurig. Mir ging es wirklich darum, den Polen und Ukrainern, die ich kenne, zu zeigen, dass es den anderen Standpunkt auch gibt.

Der deutsche Historiker und Osteuropaexperte Karl Schlögel kritisiert, Westeuropa habe die Ukraine nie auf der "Mental Map" gehabt. Erst das Schlachtfeld habe uns die Ukraine ins Bewusstsein gerufen. Haben wir wirklich den Krieg gebraucht, um zu verstehen, dass es da ein sehr großes Land an der EU-Außengrenze gibt, das nicht Russland heißt?

Kehlmann: Die Deutschen blenden Osteuropa gerne aus. Besonders ältere Intellektuelle haben oft das Bild von Deutschland auf der einen Seite, gleich daneben Russland, und über den chaotischen Flickenteppich von Osteuropa hinweg kommuniziert man miteinander. Die vitale Präsenz von Osteuropa fehlt in ihrem Weltbild. Das ist in Österreich zum Glück anders, in Österreich war aus historischen Gründen die Ukraine auch immer viel präsenter. Aber ich will mich da gar nicht ausnehmen. Mein Großvater wurde in Sawallja in der Westukraine geboren, ein jüdischer Deutschösterreicher, wie das damals hieß, noch zu Zeiten der Monarchie. Und trotzdem lese ich Karl Schlögels Buch über die Ukraine erst jetzt. Ich hätte es lesen können, als es herauskam, vor inzwischen auch schon ein paar Jahren. Habe ich leider nicht gemacht.

Auf beiden Briefen finden sich Namen von Personen, die sich durchaus vernünftig in diese Debatte eingebracht haben. Beide Positionen sind sehr klar und wirken unverrückbar. Ist das nicht auch Ausdruck einer großen Ratlosigkeit?

Kehlmann: So unverrückbar ist es gar nicht. Man muss nicht aus allem tiefste Spaltungen konstruieren. Die Schriftstellerin Juli Zeh, die den ersten Brief unterschrieben hat, hat mir gestern gesagt, wie gut formuliert, abgewogen und wichtig sie den zweiten fand und wie wichtig sie findet, dass alle Standpunkte zur Diskussion kommen. Und vielleicht haben einige den ersten Brief auch nur unterschrieben, weil sie die militärischen Entwicklungen nicht so genau mitverfolgt haben. Die Idee, dass die Ukraine nur verlieren könne und deswegen besser gleich kapitulieren sollte, hätte ich unter Umständen am zweiten Kriegstag auch für richtig gehalten. Aber jetzt, nach all diesen militärischen Erfolgen der Ukraine, sieht es doch etwas anders aus.

Scheuba: Die Diskussion mit Peter Weibel kann man vielleicht Nina Proll oder Roland Düringer überlassen. Aber für alle, die sich mit lauteren Motiven an dieser Debatte beteiligen, könnte man es ja auch so zuspitzen, dass es letztlich um zwei positive Begriffe geht und um die Frage, wie man sie gegeneinander abwägt und welchem man in welcher Situation den Vorrang gibt. Der eine ist der Begriff Pazifismus und der andere ist der Begriff Antifaschismus.

Kehlmann: Man kommt dann unvermeidlich doch wieder zu dem Philosophen Isaiah Berlin zurück und seiner Ansicht, dass die Demokratie sich dadurch auszeichne, dass in ihr die Werte kollidierten. Dieses Aufeinanderprallen kann man nicht sauber aus der Welt schaffen, sondern immer nur in Form von Kompromissen wegarbeiten, mit denen dann natürlich alle Beteiligten unzufrieden sind. Und das ist das Problem unserer Diskussionen, wie sie besonders in den sozialen Medien heute stattfinden: Niemand duldet unordentliche Kompromisse, überall herrschen radikale Reinheitsfantasien. Da scheint dann nur eine Meinung akzeptabel, und wer davon abweicht, den schreit man an. Ich erinnere mich, wie ich als Kind im österreichischen Fernsehen den "Club 2" gesehen habe. All diese kettenrauchenden Menschen, die miteinander diskutierten. Auch wenn viele sicher Blödsinn geredet haben, die unendliche Diskussion selbst hatte etwas Herrliches.

Scheuba: Die haben auch noch Alkohol trinken dürfen dort. Das hat das Niveau der Diskussion durchaus gesteigert.

Kehlmann: Sehr.

Inwiefern muss denn der Künstler, die Intellektuelle Position beziehen?

Scheuba: Ein Künstler muss grundsätzlich überhaupt nichts zu irgendetwas sagen, er hat keine prinzipielle Verpflichtung. Ich finde es dennoch legitim, eine Künstlerin wie Anna Netrebko zu fragen, wie sie die ganze Sache jetzt sieht. Es ist legitim, das zu fragen, weil sie vorher aktiv Propaganda für Wladimir Putin und die Abspaltung des Donbass gemacht hat. Es ist ebenso legitim, Herrn Waleri Gergijew (russischer Stardirigent, Anm.) rauszuhauen, weil er Teil des kriminellen Systems Putin ist. Das hat eine andere Qualität.

Kehlmann: Als Romanautor sollte ich eigentlich versuchen, nicht zu viele Meinungen zu haben. Nehmen wir "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" von Marcel Proust: Da spielt der Dreyfus-Prozess eine entscheidende Rolle. Proust hielt den Prozess, in dem ein jüdischer Offizier 1894 ohne ausreichende Beweise der Spionage angeklagt wurde, für eine antisemitische Katastrophe. Aber wenn man nur das Buch liest, würde man nicht draufkommen, welche Haltung Proust hat. Ich sehe das als eine Stärke, weil Proust so zeigen kann, wie dieser Konflikt in alle Verästelungen der Gesellschaft hineinwirkte. Oder denken Sie an Kafka, der auf faszinierende Weise unfähig war, eine abstrakte politische Meinung zu haben. Es liegt eine literarische Stärke in dieser Abstinenz von Meinungen. Das sage ich als jemand, der gerade einen offenen Brief unterschrieben hat (lacht). Das erste Mal zur Politik habe ich mich damals zur Zeit der Kurz-Strache-Regierung geäußert. Für mich war das eine Bedrohung der Demokratie. Dass Putins Feldzug nun ebenfalls eine Bedrohung der Demokratie ist, muss man nicht weiter erklären. Aber unterhalb solcher Bedrohungen ist es für einen Romanautor wohl doch besser, sich zurückzuhalten. Und zwar besser für die künstlerische Arbeit, für den unbeteiligten Blick, den sie braucht.

Bleiben wir bei Österreich. Herr Kehlmann, Sie schreiben im Vorwort zum neuen Buch von Florian Scheuba (siehe Seite 17), dass "Länder, in denen es mit rechten Dingen zugeht, zwar eine hohe Lebensqualität haben, aber ein schwaches Kabarett". Jetzt haben wir in Österreich ein sehr tolles Kabarett, was sagt das über das Land aus?

Kehlmann: Na genau das! Kabarettisten stellt man ja gern die Frage, ob sie überhaupt noch Kabarett machen können, wenn die Wirklichkeit ohnehin schon so absurd ist. Meiner Meinung nach ist das eine dumme Frage, ein reines Klischee. Natürlich kann man besseres Kabarett machen, wenn die Wirklichkeit aberwitzig ist, als wenn man Satire über die Straßenplanung in Oslo macht, die ich mir jetzt sehr vernünftig vorstelle. Natürlich war in Amerika politische Comedy in der Trump-Zeit besser als in der Obama-Zeit. Dort, wo Absurdität, Korruption, Gemeinheit und Dummheit herrschen, sind Kabarettisten am meisten gefragt.

Scheuba: Es gibt einen Unterschied zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Komik. Die Politiker wollen ja nicht Satire machen. Die sitzen nicht da und überlegen sich besonders Lustiges, damit das Volk etwas zum Lachen hat, auch wenn es manchmal so wirken könnte. Sie meinen das ernst.

Warum lassen sich die Österreicherinnen und Österreicher das eigentlich gefallen?

Scheuba: Ich erkenne einen gewissen Spin à la "Das machen eh alle so","Es sind ja alle Gauner". Das ist grundfalsch. Die größte Freude, die man tatsächlichen Gaunern machen kann, ist zu sagen, dass eh alle Gauner sind. Diese Verallgemeinerung greift leider in Österreich. Aber es ist nicht aussichtslos, wenn selbst Heinz-Christian Strache in der Lage ist zu differenzieren. Das wissen wir seit dem Ibiza-Video, wo er am Anfang sagt, dass die Novomatic alle zahle. Und später sagt er: Sie zahlt alle drei. Er meint damit die Sozialdemokraten, die Volkspartei und die Freiheitlichen. Wenn also sogar Strache in der Lage ist, bei politischer Verantwortung zu differenzieren, kann man es auch der österreichischen Bevölkerung zumuten und erst recht unseren Politikern.

Als die Justiz das Handy von Strache konfiszierte, meinte dessen Parteikollege Andreas Mölzer, das Gerät würde Stoff für die kommenden zehn Jahre liefern. Dann kam das Handy von Thomas Schmid. Haben Sie angesichts von 340.000 sichergestellten Chatnachrichten jemals gedacht: Florian, jetzt hast du ausgesorgt?

Scheuba: Letztlich hängt alles zusammen. Es hätte ohne Ibiza weder ein Schmid-noch ein Strache-Handy gegeben. Die aktuelle Diskussion um die Inseratenkorruption durch Wirtschaftsbund, durch Vereine, die Parteizeitungen herausgeben, etc. liegt auch im Ibiza-Video angelegt, wo Strache erklärt, dass verdeckte Spenden an die Parteien über die Vereine am besten funktionieren. Deshalb hat eine Korruptionsstaatsanwaltschaft angefangen, sich das genauer anzuschauen, und langsam kommen die Ergebnisse daher. Sie sind derart einschneidend, dass ich nur hoffen kann, dass sie tatsächlich etwas bewirken. Momentan schaut es danach aus, als würde ein System, das über viele, viele Jahre völlig unbeachtet gelaufen ist, zumindest einmal einen Rechtfertigungsdruck bekommen. Das sehe ich als eine sehr positive Entwicklung.

Kehlmann: Und vergessen wir nicht, der Mann, der das Ibiza-Video gemacht und all das ins Rollen gebracht hat, sitzt aufgrund eines -ich würde sagen -lächerlichen Beweises im Gefängnis. Für mich ist das einer der größten Justizskandale der Zweiten Republik, und ich kann nicht verstehen, wie die Öffentlichkeit einfach achselzuckend darüber hinweggeht.

Sie sprechen den Prozess gegen Julian Hessenthaler an, der wegen des Handels mit 1,25 Kilo Kokain (nicht rechtskräftig) verurteilt worden ist. Das Urteil beruht vor allem auf sich widersprechenden Aussagen zweier suchtkranker Zeugen. Einer bekam vor der Aussage massive Geldzahlungen vom Novomatic-Lobbyisten Gert Schmidt. Das Gericht sah ausgerechnet in der Widersprüchlichkeit der Aussagen den Beweis, dass die beiden sich nicht abgesprochen hätten und deshalb die Wahrheit sagen.

Kehlmann: Genau. Ich habe die Urteilsbegründung gelesen, es ist überhaupt nicht zu fassen. Es ist ein echtes Schandurteil.

Herr Scheuba, Sie widmen dem Hessenthaler-Prozess ein Kapitel in Ihrem Buch und zitieren aus Unternehmensdokumenten, die Ihnen zugespielt wurden. Da steckt viel Recherchearbeit dahinter. Wie viel Präzision braucht es für eine richtig gute Pointe?

Scheuba: Zuallererst muss mich eine Geschichte interessieren, ich muss das Gefühl haben, dass das mehr Leute wissen sollten. Da finden sich laufend zu wenig beachtete Sachen. Das ist ein Phänomen der an sich kleinen Medienszene in Österreich, aber auch ein ganz generelles Problem. Es passiert so wahnsinnig viel, dass auch gutwillige und idealistische Journalisten nicht mehr damit nachkommen, alles abzudecken. Zwangsläufig gehen Sachen dabei unter. Die reizen mich dann oft besonders. Ein Beispiel: Momentan ist unsere Gasabhängigkeit von Russland ein Riesenthema. Wie ist es denn dazu gekommen? Wer hat das damals in der OMV verantwortet, welche Rolle hat der umtriebige Investor Sigi Wolf gespielt, welche Rolle der ehemalige OMV-Chef Rainer Seele?

Haben Sie schon eine Antwort?

Scheuba: Im Fall von Seele ist die Putin-Unterwerfung so weit gegangen, dass er sogar Putins Lieblingsfußballklub eine 25-Millionen-Euro-Spende für "Nachwuchsförderung" geschenkt hat. Von unserem Geld natürlich.

Sie beschreiben die Zustände mit Neologismen wie "Damokles-Handy", "Meinungsdesigner" und "Kanzler-Culture". Reicht denn der Duden nicht aus, um Österreich beizukommen?

Scheuba: Der Journalist Paul Lendvai hat in einer Rede kürzlich das Wort "Zudeckungsjournalismus" verwendet, das ich entworfen haben dürfte. Wenn es gelingt, solche Vorgänge in einen Begriff zu gießen, freue ich mich schon sehr. Natürlich habe ich da auch meinen Spaß daran. Ich habe Lust an einer Pointe, das ist ja auch meine Aufgabe. Wenn das auf fruchtbaren Boden fällt und Leuten gefällt, umso besser. Sätze wie "Vergiss nicht, du hackelst für die ÖVP, du bist die Hure für die Reichen"(Thomas Schmid an einen Kabinettsmitarbeiter im Finanzministerium, 2018, Anm.) hätte ich mich aber selbst in einer satirischen Überhöhung nie zu schreiben getraut. Das ist definitiv zu platt als Pointe. Und dann liefert der Chat-Partner noch die fantastische Antwort "Danke, dass wir das so offen besprechen können"!

Kehlmann: Deine Stärke, Florian, ist, dass du nie wütend wirst. Die Haltung und die Stimme in deinem Podcast beispielsweise ist immer eine von heiterem Amüsement. Dadurch entsteht eine künstlerisch produktive Reibung zwischen einem Inhalt, der Zorn erzeugt, und einem Vortrag, der überhaupt nicht zornig ist. Und ich denke mir schon, dass es schwer ist, da nicht zornig zu werden.

Warum werden Sie nicht zornig, Herr Scheuba?

Scheuba: Vielleicht, weil Humor für mich so wie Musik ein Grundlebenselement ist. Den Humor zu verlieren wäre für mich, wie das Gehör zu verlieren. Bei Themen, die mich ärgern, ist der Humor einfach Schutz und Waffe gleichermaßen. Humor ist auch eine Form von Notwehr. Wenn ich diese Notwehrwaffe nicht mehr hätte, würde ich mich sehr geschwächt fühlen.

Herr Kehlmann, Sie haben den früheren österreichischen Kanzler Sebastian Kurz einmal das "größte politische Talent unserer Zeit" genannt.

Kehlmann: Sie müssen den zweiten Teil des Satzes aber auch zitieren, da meinte ich: "Schade, dass so jemand keine Prinzipien hat." Aber auch das mit dem Talent muss ich auf dem gegenwärtigen Wissensstand etwas modifizieren. Ich hätte mir diesen ganzen Blödsinn mit dem Beinschab-Österreich-Tool nicht träumen lassen. Ich verstehe noch nicht einmal, warum sie das ganze Theater gemacht haben. Die Idee, über gefälschte Umfragen in der Gratiszeitung Österreich an die Kanzlerschaft zu kommen, ist doch völlig absurd. Das wäre so, als wenn ich die Furche für eine gute Rezension bestechen wollte, um so an einen Literaturnobelpreis zu kommen. Es wäre illegal, aber vor allem so untauglich! Nein, wenn man sich ansieht, wie Sebastian Kurz sich bewegt hat, wie er aufgetreten ist, wie er immer wieder unter Druck nicht zusammengebrochen ist, wie gut er kommuniziert hat, dann muss man doch anerkennen, dass da ein echtes politisches Talent war. Kurz hat mich fasziniert, ja. Aber seine Leere und völlige Skrupellosigkeit haben es eben dann doch völlig ruiniert. So ein Talent war er dann eben doch nicht. Da wissen wir jetzt mehr.

Taugt er zur literarischen Figur?

Kehlmann: Für eine Hauptfigur ist er zu glatt. Menschliche Wahrhaftigkeit ist bei ihm nie sichtbar geworden. Sehen Sie sich im Vergleich dazu jemanden wie den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen an. Auch das ist ein politischer Profi, aber man empfindet immer ein echtes menschliches Gegenüber. Und das macht Habeck dann letztlich auch zum größeren politischen Talent. Ich höre immer wieder Leute sagen: "Ich wähle nicht die Grünen, aber Habeck ist wirklich ehrlich, dem glaube ich." Können Sie sich diesen Satz über Kurz vorstellen? Wahrhaftigkeit gehört eben doch dazu, irgendeine Form von Tiefe. Dass sie bei Kurz so sehr gefehlt hat, macht ihn zu einer tauglichen literarischen Nebenfigur, aber als Hauptfigur disqualifiziert es ihn.

In Deutschland und in Österreich regieren die Grünen mit. In Deutschland seit langem wieder, in Österreich das erste Mal. Wo machen sie es besser?

Scheuba: Ich kann es nur für Österreich beantworten: Das Positive, das die Grünen in Österreich vollbracht haben, war das Zurückdrängen des Systems Pilnacek. Das ist für die österreichische Justiz eine enorme Befreiung. Ohne diesen Schritt wären wohl all die Geschichten, über die wir heute reden, wegadministriert worden wie damals die Eurofighter-Causa. Dass Alma Zadić im Justizministerium zumindest das ermöglicht hat - und es war ein schwieriger Kampf -, ist für mich der zentrale Punkt. Natürlich wäre mehr drin gewesen und ist auch noch mehr drin für die Unabhängigkeit der Justiz. Diese Leistung rechtfertigt für mich aber bis zu einem gewissen Grad die Arbeit der Grünen in der Regierung, die ja doch am Anfang sehr defensiv angelegt war.

Herr Scheuba, Herr Kehlmann, zum Schluss noch zurück zur Ukraine. Kannten Sie Wolodymyr Selenskyj vor dem Februar 2022?

Scheuba: Ich habe 2018 über ihn recherchiert. Damals hatten wir als "Staatskünstler" die Programmidee: Was würde passieren, wenn wir in die Politik gingen? Und da habe ich mich mit Selenskyj beschäftigt, der ja erst einen Präsidenten gespielt hat, bevor er selbst Präsident der Ukraine wurde. Mit den "Staatskünstlern" haben wir es dann nicht weiter verfolgt, weil der Ibiza-Skandal öffentlich wurde. Ich finde es interessant, dass Selenskyjs Erfahrung in der Showbranche bei manchen Kommentatoren jetzt so eine große Rolle spielt. Mir scheint das nicht relevant für die aktuelle Situation in der Ukraine zu sein. Diese Fixierung auf "den Comedian" empfinde ich eher als einen Putin-Propaganda-Spin. Im Sinne von: Dieser Mann kann keine seriöse Politik machen, er ist ein Gaukler. In der Lesart Moskaus ein "faschistischer Nazi-Antisemiten-Gaukler".

Kehlmann: Mir war Selenskyj sehr präsent, weil ich ja in den USA gelebt habe. Erinnern Sie sich an den berühmten Erpressungsanruf Donald Trumps bei Selenskyj am 25. Juli 2019? Der hat letztlich zum ersten Impeachment geführt. Mir ist damals aufgefallen, wie klug und schlitzohrig im guten Sinne Selenskyj Trump da vorgeführt hat. Er hatte ja nie im Sinn, eine unbegründete Untersuchung gegen Hunter Biden, den Sohn von Joe Biden, einzuleiten, obwohl Trump ihn zu erpressen versucht und zugesagte Waffenlieferungen eingefroren hat - wären übrigens die Javelin-Raketen, um die es damals ging, wirklich nicht geliefert worden, hätten die Russen jetzt Kiew eingenommen. Jedenfalls hat Selenskyj in der ganzen Sache sympathisch, geschickt und klug agiert, und seither hatte ich ihn auf dem Schirm. Im Gegensatz zu Sebastian Kurz wäre Wolodymyr Selenskyj natürlich eine große Romanfigur. Ein Comedian, der eine eher alberne, sehr breite, ein bisschen vulgäre Comedy-Show hat, dann halb zum Scherz zur Wahl antritt, schließlich Präsident wird. Und dann im Krieg zu einem großen Präsidenten - also zu jemandem, der dem historischen Moment, auf den er nicht vorbereitet war, plötzlich gewachsen ist. In einem Roman von mir würde er alles überleben und danach wieder schlechte Comedy machen. Aber es wäre nur ein guter Roman, wenn man es erfindet. Jetzt hat die Wirklichkeit uns Autoren diesen Stoff weggenommen. Der Krieg geht weiter. Die Geschehnisse werden sich in die Geschichte einschreiben. Die ukrainische Stadt Mariupol wird in der Topografie der verbrecherisch vernichteten Städte neben Coventry und Guernica stehen, jenen von der NS-Luftwaffe zerstörten Städten, deren Namen sprichwörtlich wurden.

in Falter 19/2022 vom 13.05.2022 (S. 14)


Peter Kern, geb. 1954 in Rodalben/Pfalz, Studium der Philosophie, Politik, Theologie in Frankfurt am Main, Redaktionssekretär beim Sozialistischen Büro, politischer Sekretär beim Vorstand der IG Metall, jetzt Leiter einer Schreibwerkstatt.

Posted by Wilfried Allé Thursday, May 19, 2022 10:16:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Wien für Entdecker 

Schotti to go

von Michael Schottenberg

Verlag: Amalthea Signum
ISBN: 9783990502211
Umfang: 224 Seiten
Genre: Reisen/Reiseberichte, Reiseerzählungen/Europa
Erscheinungsdatum: 21.04.2022
Format Hardcover
Preis: € 25,00
Reihe: Schotti to go

 

Kurzbeschreibung des Verlags

WIEN IST ANDERS
»Wien ist Orient und Okzident, Gemütlichkeit und Perfidie, eine Melange aus himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, eine Personalunion zwischen Ratte und sinkendem Schiff.« Reisephilosoph Michael Schottenberg hat eine besondere Beziehung zu der Stadt, in deren schummrig beleuchteten Nachkriegsgassen er einst das Licht der Welt erblickte. Mit liebevoller Zuneigung und doch kritischem Blick trifft er hier neben Wiener Grant und Heurigenglück auf alteingesessene Originale, versteckte Friedhöfe und Märkte sowie bewegende Orte der Erinnerung …
»Wien für Entdecker« ist die Liebeserklärung eines Weltenbummlers an seine Heimatstadt: ein Kaleidoskop von menschlichen Begegnungen, persönlichen Momentaufnahmen und überraschenden Entdeckungen.

Posted by Wilfried Allé Monday, May 16, 2022 9:07:00 AM Categories: Reisen/Reiseführer/Europa
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Putins Netz 

Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste

von Catherine Belton

Verlag: HarperCollins
ISBN: 9783749903283
Umfang: 704 Seiten
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Erscheinungsdatum: 07.02.20221
Format Hardcover
Ausgabe: 5. Auflage
Übersetzung: Elisabeth Schmalen, Johanna Wais
Preis: € 26,80

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

Als Ende der 1980er-Jahre die Sowjetunion zusammen­brach, ahnte nie­mand, dass ein ehe­ma­liger KGB-Agent sich über Jahr­zehnte als russi­scher Prä­si­dent be­haup­ten würde. Doch ein Allein­herr­scher ist Wladimir Putin nicht. Seine Macht stützt sich auf ein Netz­werk ehe­ma­li­ger sowje­ti­scher KGB-Agen­ten, dessen Ein­fluss weit über Russ­land hinaus­reicht.
Catherine Belton, ehemalige Moskau-Korres­pon­den­tin der Finan­cial Times, hat mit zahl­rei­chen ehe­ma­li­gen Kreml-In­si­dern ge­spro­chen. Etwas, das bisher ein­ma­lig sein dürfte. Es sind Män­ner, deren Macht Putin zu groß wurde und die nun selbst vom Kreml »ge­jagt« wer­den.
Belton beleuchtet ein mafiöses Geflecht aus Kon­trol­le, Kor­rup­tion und Macht­be­sessen­heit, und das ge­fällt nicht allen Pro­ta­go­nis­ten. Vier Oli­gar­chen haben sie des­wegen wegen Ver­leumdung ver­klagt.
Ihr Buch liest sich in all seiner Kom­plexi­tät so span­nend wie ein Agenten­thriller, doch vor allem ent­hüllt es, wie das Sys­tem Putin uns alle mehr be­trifft, als uns lieb ist.
 

FALTER-Rezension
Putins Machtbasis: Geheimdienst, Kleptokratie

Die ehemalige Moskau-Korres­pondentin der Financial Times, Catherine Belton, re­kons­truiert den Auf­stieg Wladimir Putins

Wladimir Putin hat nicht wenige Sympa­thi­santen unter west­euro­päi­schen Lin­ken, trotz sei­ner Unter­stützung rechts­ex­tre­mer Par­teien. Sie sehen in ihm eine Bar­ri­ere ge­gen die gren­zen­lose Ex­pan­sion der Nato und der USA. Eine Ana­ly­se sei­nes Auf­stiegs unter der Schirm­herr­schaft des KGB vom un­be­deu­ten­den Agen­ten in Dresden über das Kabi­nett des Peters­bur­ger Re­form-Bür­ger­meis­ters bis zum Nach­fol­ger Boris Jelzins wirft ein neues Licht auf ihn.

Putin hat die chaotische neo­li­bera­le Trans­for­ma­tion der russi­schen Wirt­schaft ge­stoppt, die so­zia­le Gegen­sätze und eine ge­setz­lose Oli­gar­chie er­zeugt hatte. Er hat dieses Sys­tem aber nur um­ge­lei­tet, die Oli­gar­chen in sei­nen Dienst ge­zwun­gen und seine ei­ge­nen Leute be­rei­chert. Und er unter­wan­dert die libe­ralen Demo­kra­tien des Westens.

In ihrem sorgfältig recherchierten Buch zeigt die ehe­ma­li­ge Mos­kau-Korres­pon­den­tin der Finan­cial Times, Catherine Belton, wie das alte KGB-Netz­werk durch Putin seine Macht­po­si­tion zu­rück­er­obert hat. Frü­her als andere hatte der Geheim­dienst den Zu­sammen­bruch der Sowjet­union kom­men sehen und Mil­liar­den aus dem Land ge­schafft sow­ie ein Netz­werk für die Zeit da­nach auf­ge­baut.

Detailliert zeichnet Belton nach, wie dieses Netz­werk die Macht zu­rück­ero­bert und sei­nen Ein­fluss auf Fi­nanz-und Macht­zen­tren in Lon­don, New York und auch Wien aus­ge­baut hat. Die Vor­gangs­weise war skru­pel­los: un­lieb­same Wirt­schafts­ak­teure wur­den aus dem Weg ge­räumt, Unter­nehmen ent­eig­net und wie­der unter die großen Staats­kon­zerne ge­zwun­gen. Namen aus der Peters­burger Unter­welt, derer sich der KGB schon zu Sowjet­zeiten be­dient hatte, tau­chen in den ak­tuel­len Fällen von Geld­wäsche, Kor­rup­tion und Mor­dan­schlä­gen ge­gen Kri­ti­ker im Exil wie­der auf. Auch Wien bildet eine Kon­stante im kor­rum­pie­ren­den Ein­fluss auf west­liche Demo­kra­tien. Man denke nur an die Rol­le eini­ger Ban­ken und Mit­tels­män­ner bei du­bio­sen Geld­trans­fers bis hin zu den russi­schen Ver­sorgungs­posten für ehe­ma­lige öster­rei­chi­sche Spitzen­po­li­ti­ker diver­ser Par­teien.

Ursprünglich, schreibt Belton, habe sie nur die Über­nahme der Wirt­schaft durch Putins frü­here KGB-Kol­legen doku­men­tieren wollen. Ihre Recher­chen hät­ten aber einen noch be­un­ruhi­gen­deren Hinter­grund auf­ge­deckt: "Die Über­nahme der Wirt­schaft - und der Jus­tiz und des po­li­ti­schen Sys­tems - durch die KGB-Kräfte führte zu ei­nem Re­gime, in dem die Dollar-Mil­li­arden, die Putins Kum­pa­nen zur Ver­fü­gung ste­hen, ak­tiv da­für ge­nützt wer­den, die Insti­tu­tio­nen und Demo­kra­tien des Wes­tens zu unter­gra­ben."Die alte KGB-Tak­tik, libe­rale Ge­sell­schaf­ten durch Des­in­for­ma­tion, Kor­rup­tion von Poli­ti­kern und Unter­stüt­zung radi­kaler Or­ga­ni­sa­tionen zu de­sta­bi­li­sieren, er­lebe unter Putin eine Neu­auf­lage. Was per­fekt zu sei­ner geo­po­li­ti­schen Stra­te­gie passt, die alten Ein­fluss­sphä­ren mit Ge­walt wieder­her­zu­stellen. Die eng­lische Aus­gabe des Buchs er­schien 2020 und wurde als eine der am bes­ten doku­men­tier­ten Ana­ly­sen des Sys­tems Putin ge­prie­sen.

hre Stärke ist zugleich ihre Schwäche: Belton hat für ihre Re­cher­che auch ehe­mals engste Ver­trau­te Putins inter­viewt. Sie haben pro­fun­des In­sider­wis­sen und sich zu Putin-Kri­ti­kern ge­wan­delt, ten­die­ren aber da­zu, ihre eigene Rolle zu be­schönigen. Selbst wenn man Beltons These einer per­fekt ge­plan­ten Zu­rück­er­obe­rung Russ­lands durch eine neue Klepto­kra­tie nicht teilt, bietet das Buch einen auf­schluss­rei­chen Ein­blick in die Macht­struk­turen unter Putin.

Franz Kössler in Falter 8/2022 vom 25.02.2022 (S. 22)
 

Putin wirklich verstehen

Ein Hooligan" sei er gewesen, erzählte Wladimir Putin in einem Inter­view vor mehr als 20 Jahren, auf seine Jugend­tage an­ge­spro­chen. Auf die un­gläu­bige Frage des Inter­viewers, ob er damit nicht ein wenig flun­kere, er­wi­derte Putin: "Wollen Sie mich be­lei­digen? Ich war ein echter Schläger."

Putin selbst ist immer wieder auf diese Geschichten zu­rück­ge­kom­men, hat die Straße "meine Uni­ver­si­tät" ge­nannt. Unter den vier Grund­sätzen, die er aus sei­ner Gangster­zeit mit­ge­nom­men habe, ist auch "Schluss Num­mer drei: Ich habe ge­lernt, dass man - egal ob ich im Recht war oder nicht -stark sein müsse. Ich musste in der Lage sein, da­gegen­zu­halten Schluss Nummer vier: Es gibt kei­nen Rück­zug, du musst bis zum Ende kämpfen. Letzt­end­lich war es das auch, das ich später im KGB ge­lernt habe, aber im Grunde wurde mir das schon viel früher bei­ge­bracht - in die­sen Kämp­fen als Junge."

Vielleicht gibt uns diese Geschichte einen Ein­blick in das Den­ken von Wladimir Putin, wie er "tickt". Viel­leicht aber auch nur, wie er ge­sehen wer­den will. Putin er­zählt Ge­schich­ten nicht ohne Ab­sicht, seit Be­ginn sei­nes Auf­stiegs bas­teln er, seine Entou­rage und seine Spin­dok­to­ren an seinem öffent­lichen Image.

Was aber sind seine ideo­lo­gi­schen An­schauungen? Wen schart er im inne­ren Macht­appa­rat um sich? Wer ist also dieser Putin? Was treibt ihn an?

Spulen wir zurück. Es ist der 31. Dezem­ber 1999. Der letzte Tag des Jahr­tausends. Boris Jelzin, der erste Prä­si­dent der Rus­si­schen Föde­ra­tion, tritt über­raschend zu­rück. Nie­mand hatte damit ge­rech­net. Aber Jelzin - und seine Entou­rage, be­kannt als "die Fami­lie" - ver­fol­gen einen Plan. Jelzin über­gibt die Prä­si­dent­schaft ver­fas­sungs­gemäß an den Minis­ter­prä­si­denten, an Wladimir Putin, der zu diesem Zeit­punkt noch keine fünf Monate als Minis­ter­prä­si­dent amtiert. Putin ist tat­säch­lich ein "Mann ohne Ge­sicht". Ein un­be­schrie­benes Blatt. Sie glau­ben, ihn kon­trol­lie­ren zu kön­nen.

Jelzins Umfragewerte liegen im Keller. Er war in den 80er-Jahren der Un­ge­stümste der Re­former in der KPdSU, war Mos­kauer Par­tei­chef, gilt als der Demo­krat unter den Spitzen­kom­mu­nis­ten. Als die alte Garde ge­gen Michail Gor­bat­schow und seine Öffnungs­poli­tik putscht, ist es Jelzin, der den Um­sturz zum Schei­tern bringt. Die Sowjet­union löst sich auf, auch an der Peri­pherie Russ­lands be­gin­nen Ab­spal­tungen. Es sind die Jahre des chao­ti­schen Zer­falls an den Rän­dern, aber auch im Inne­ren. Die Wirt­schafts­leis­tung fällt, einige wer­den schnell reich.

Putin, zuvor als KGB-Mann in Dresden, landet als stell­ver­tre­ten­der Bür­ger­meis­ter in Sankt Peters­burg, sei­ner Heimat­stadt, wo er am Stadt­rand, in Tra­ban­ten­städten, in einer Arme-Leute-Ge­gend auf­ge­wachsen ist. Der Bür­ger­meis­ter, Putins Chef, ist da­mals Ana­toli Sobt­schak, ein ehe­ma­li­ger Rechts­pro­fes­sor, der An­führer der Demo­kra­ten, der be­rühm­tes­te rus­sische pro-west­liche Re­former.

Er ist eine strahlende Figur, doch kein be­son­ders guter Or­ga­ni­sator, aber auch ein Trick­ser, der sich als Li­be­raler gibt und hinten­rum mit den al­ten Macht­ha­bern pak­tiert. Da­für hat er Putin, sei­nen Stell­ver­tre­ter, zu­stän­dig für alles, wo­für Sobt­schak kein be­son­deres Ta­lent hat. Putin ist Sobt­schaks "Fixer", der, der die Dinge er­ledigt.

Putin tut sich mit der Mafia zusammen, die da­mals den Großen Hafen in Sankt Peters­burg in der Hand hat. Putin ist mit sei­nen KGB-Leu­ten ver­bun­den, nutzt sein Netz­werk, zu­gleich schließt er Bünd­nis­se mit dem or­gani­sier­ten Ver­bre­chen. Es wird ein Muster.

Als Sobtschak später abgewählt wird, wech­selt Putin nach Mos­kau in den Kreml, auf einen Or­gani­sations­posten im Prä­si­den­ten­stab. Dort steigt er schnell auf. "Er war folg­sam wie ein Hünd­chen", be­rich­tet Ser gei Pugat­schow, da­mals im Kreml eine große Num­mer, in ei­nem Ge­spräch mit der Au­to­rin Catherine Belton.

Putin rückt zum stellvertretenden Stabs­chef auf, da­nach zum Chef des In­lands­ge­heim­dienstes FSB, des Nach­folgers des KGB. Als er Ministerpräsident wird, übernimmt sein Kumpan Nikolai Patruschew seinen Posten. Mit Putin holen sich die alten KGB-Seilschaften die Macht. Aber noch gilt Putin als Demo­krat und Libe­ra­ler. Immer­hin kommt er aus Sobt­schaks Stall. Und Sobt­schak war der Poster­boy der Demo­kra­ten.

Jelzin macht Putin zu seinem Nach­folger, um den Demo­kra­ten die Macht zu ret­ten. Denn ohne wag­hal­si­ges Ma­nö­ver hät­ten, so die Be­fürch­tung, Leute wie KP-Chef Sjuga­now, der Mos­kauer Bür­ger­meis­ter Lusch­kow oder der alte KP-Hau­degen Prima­kow die bes­ten Chan­cen auf einen Sieg bei der Prä­si­dent­schafts­wahl ge­habt. Die Jelzin-Leute hatten Angst, dass dann das Rad zu­rück­ge­dreht würde. Es ist ein Trep­pen­witz der Ge­schich­te: Putin wur­de in­stal­liert, um die Li­be­ralen zu ret­ten.

Was Putin und seine KGB-Truppe auszeichnet, ist mehrer­lei: List, die Fähig­keit, lang­fris­tige Pläne zu ver­fol­gen, und aus­rei­chen­de Bru­ta­li­tät.

Putin legt in einer Fernsehansprache und einem großen Essay - bekannt unter dem Titel "Millen­nium Bot­schaft" - zum Zeit­punkt sei­ner Amts­über­nahme 1999 seine Sicht dar. Russ­land ist als Macht ab­ge­stie­gen, spielt nicht ein­mal mehr eine zweit­sondern eine dritt­ran­gi­ge Rol­le, die Ord­nung im Staat ist zer­fallen.

"Es wird nicht so bald geschehen - falls es über­haupt jemals ge­schieht -, dass Russl­and eine zweite Aus­gabe von bei­spiels­weise den USA oder Groß­bri­tan­nien wird, deren libe­ra­le Werte tiefe his­to­ri­sche Tra­di­tionen haben", schreibt er. "Für Rus­sen ist ein star­ker Staat keine Ab­nor­ma­li­tät, die man los­wer­den will. Im Gegen­teil, sie sehen ihn als Quelle und Ga­rant der Ord­nung an und als Ini­tia­tor und haupt­säch­liche Trieb­kraft für je­den Wan­del."

Bereits 1993 hatte Putin keinen Hehl aus seinen Auffassungen gemacht. Da­mals hat­te das Neue Deutsch­­land, die ehe­ma­lige Tages­zei­tung der DDR-Staats­par­tei SED, über eine öffent­liche De­batte Fol­gen­des zu be­rich­ten gewusst:

"Wladimir Putin hat vor deutschen Wirt­schafts­ver­tretern deut­lich ge­macht, dass eine Mili­tär­dik­tatur nach chile­nischem Vor­bild die für Russ­land wün­schens­werte Lö­sung der ge­gen­wär­ti­gen po­li­ti­schen Pro­ble­me wäre. Er, Putin, bil­lige an­ge­sichts des schwie­ri­gen pri­vat­wirt­schaft­lichen Weges even­tuelle Vor­be­rei­tun­gen Jelzins und des Mili­tärs zur Her­bei­füh­rung einer Dik­ta­tur nach Pinochet-Vor­bild aus­drück­lich."

Es ist ein Kreis von Hardlinern aus den Sicher­heits­diensten, allen voran aus Putins KGB-Seil­schaf­ten, der nach dem Amts­an­tritt Putins zur Jahr­tausend­wende vor 22 Jahren die Ge­schicke im Kreml be­stimmt und die Macht suk­zes­sive kon­so­li­diert. Und am Aus­gangs­punkt von all­dem steht Krieg. Mit dem Krieg ge­gen Tschet­sche­nien, der ab­trün­ni­gen Pro­vinz im Nord­kau­ka­sus, be­gann Putins Macht­spiel.

Bombenanschläge in mehreren Wohnhaus­anlagen in Moskau am Be­ginn sei­nes Auf­stiegs im Herbst 1999 wurden tschet­sche­nischen Ter­ro­risten an­ge­lastet, und es ist nie völ­lig auf­ge­klärt wor­den, ob diese An­schlä­ge nicht vom KGB ins­zeniert wor­den waren, um eine Inter­ven­tion in Tschet­schenien zu recht­fertigen. Jeden­falls er­laubte der Tschet­schenien­krieg Putin, sich als coura­gier­ten und ent­schlos­senen Kriegs­herrn mit volks­tüm­li­cher Sprache zu prä­sen­tieren. "Wir werden sie in ihren Scheiß­häusern aus­räu­chern", er­klärte er.

Tschetschenien wird, wie das einmal eine Journalistin for­mu­lierte, zu einem "Schlacht­haus, das 24 Stunden am Tag in Betrieb ist".

Die "Oligarchen", also jene Freibeuter, die die Jahre der chaoti­schen Pri­va­ti­sierung ge­nützt hat­ten, ent­mach­tet Putin, be­son­ders jene, die unter Ver­dacht stehen, sie könnten in die Poli­tik oder auch nur in die öffent­liche Mei­nung ein­grei­fen wollen -sie gehen ins Exil oder landen im Straf­lager.

Die anderen dürfen ihr Vermögen behalten, wenn sie sein Primat akzeptieren.

Die neuen "Oligarchen" sind eigentlich keine mehr, sondern KGB-Funk­tio­näre, die an die Spitze von Staats­be­trieben plat­ziert wer­den und dort Putins kor­ruptes Sys­tem ab­sichern. Sie üben nur den Job des Oli­gar­chen aus, was nicht heißt, dass sie nicht Mil­li­ar­den auf die eige­nen Kon­ten ver­schie­ben dür­fen.

Die pluralistische, offene Gesellschaft? Sie wird in einem schlei­chen­den Putsch ab­ge­würgt. Dissi­denten und Mit­wisser wer­den ver­gif­tet, Oppo­si­tio­nelle auf of­fener Straße er­schos­sen, wie Boris Nemzow oder die legen­däre Journa­listin Anna Polit­kows­kaja, die 2006 in ihrem Trep­pen­haus ab­ge­knallt wird.

Wer im "System Putin" heute wirklich die Macht hat, weiß nie­mand so genau. Sicher ist nur: Da ist Niko­lai Patru­schew, der Chef des Natio­nalen Sicher­heits­rates, ein KGB-Mann, der seit bald 30 Jahren an Putins Seite agiert; da ist Sergei Nary­schkin, der Chef des Aus­lands­geheim­diens­tes, der aber vor dem Ein­marsch in die Ukraine bei einer ins­ze­nier­ten öffent­lichen Sitzung des Natio­nalen Sicher­heits­rates vor lau­fen­den TV-Kame­ras selbst von Putin lächer­lich ge­macht wurde; da ist Sergei Shoigu, der Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter; da ist Igor Set­schin, der schon in Sankt Peters­burg als Putins Sekre­tär ar­bei­tete, mit ihm dann in Jelzins Präsi­dial­kabi­nett über­sie­delte und nun das Öl­kon­glo­merat Ros­neft lei­tet, das nach der Bünde­lung von eins­ti­gen Oli­gar­chen-Fir­men zu ei­nem staat­lichen Mega-Kon­zern wurde.

Da ist Gazprom-Chef Alexei Miller, auch er aus Jelzins Sankt Peters­burger Seil­schaft - als Chef des Hoch­see­hafens war er ge­wisser­maßen Ver­bindungs­mann zur or­gani­sier­ten Kri­mi­na­li­tät. Da ist Putins Sprecher Dimitrij Peskow, längst mehr als ein Presse­sekre­tär -seit 22 Jahren steht er schon dem Auto­kraten zur Seite.

Die meisten aus dieser Seilschaft stammen aus dem Sankt Peters­burger Klüngel und aus den Sicher­heits­appa­ra­ten. Sie se­hen sich als "Out­sider" am Kreml-Par­kett, sind Pro­vinz­ler, die Mos­kau "über­nehmen". Sie sind leise, ent­schlos­sene Macher, die "die Poli­ti­ker" ver­achten.

Die Führungsfiguren aus KGB-und Sicherheits­appa­raten, die mit Putin ge­mein­sam an die Macht kamen, sind all­gemein als die "Siloviki" be­kannt, was so viel heißt wie "die Harten", die "harten Männer".

Allesamt sind sie radikale Konservative mit Schlag­seite Rich­tung Fa­schis­mus, die Russ­land als anti­west­liche Macht sehen, das Land als ideo­lo­gi­schen Ge­gen­spie­ler der libe­ralen, plura­len Geistes­welt des Westens. Patru­schew ver­tritt die anti­west­lichen Ideen noch be­geis­terter und durch­ge­knallter, als das Putin tut. "Vater und Mutter wer­den im Westen in Eltern Nummer eins und Eltern Nummer zwei um­be­nannt", fan­ta­siert Patru­schew schon einmal, "Kinder dürfen sich ihr Ge­schlecht aus­suchen und in man­chen Ge­gen­den ist man schon so weit, dass die Ehe mit Tieren legali­siert wird."

Wie genau die Machtfäden in diesem Netz laufen, weiß nie­mand so recht. Gelegent­lich ist von einem "One-Boy-Net­work" im Kreml die Rede, also einem Beziehungs­ge­flecht, in dem Putin das allei­nige Zen­trum ist, mit Fä­den zu den an­deren, aber ohne be­last­bare Fäden zwi­schen den an­deren.

Dass Putin von jemandem aus dieser Macht­clique ge­stürzt wird, ist un­wahr­schein­lich. Noch un­wahr­schein­licher scheint ein Volks­auf­stand. Nicht ein­mal ein logi­scher Nach­fol­ger ist in Sicht -und das, ob­wohl Putin im Herbst 70 Jahre alt wird und zumin­dest äußer­lich ra­pi­de altert. Jeden­falls sieht er sicht­lich un­ge­sund aus.

"In Russlands Geschichte während des 20. Jahr­hunderts hat­ten wir die unter­schied­lichsten Peri­oden", hatte Boris Jelzin Mitte der 90er-Jahre in einem hell­sich­tigen Moment er­klärt. "Monarchis­mus, Totalitari­smus, Peres­troika, und, schließ­lich, den demo­kra­ti­schen Ent­wick­lungs­weg. Jede dieser Etap­pen", be­merkte Jelzin, "hatte ihre eigene Ideo­logie. [] Aber jetzt haben wir keine."

Vom ersten Tag der Herrschaft an konso­li­diert die Putin-Trup­pe nicht nur den Griff über das Land, sie ent­wickelt auch eine neue "Staats­ideo­lo­gie". Was Putin in sei­ner Millen­niums-Bot­schaft schon an­legte, wird im­mer mehr radi­kali­siert. Vier Kom­po­nen­ten hat diese Ideo­lo­gie: ers­tens die Idee von der "sou­veränen Demo­kra­tie", also einer ge­lenk­ten Schein­demo­kra­tie, in der ein star­ker Ein­ziger an der Spitze steht - der An­führer, Prä­si­dent, Zar.

Das zweite Element ist Patriotismus ver­bunden mit Volks­tüm­lich­keit. Das "Narod", ver­stan­den als "ein­faches Volk", mit sei­nem ge­sun­den Patrio­tis­mus.

Drittens: Territorium, das Reich, das Imperium des russi­schen Viel­völker­staates. 2005 be­zeich­net Putin den Zu­sammen­bruch der Sowjet­union als "die größte geo­po­li­ti­sche Katas­trophe" des 20. Jahr­hunderts. Min­des­tens Belarus, Geor­gien und vor allem die Ukraine werden als his­to­ri­scher Teil einer "Russkyj Mir", der "russi­schen Welt", ver­standen.

Das vierte Element dieser neuen imperialen Staatsidee ist ein Kon­ser­va­ti­vis­mus, der die Wer­te und die Spiri­tua­li­tät des "Narod" hoch­hält und eng mit der christ­lich­ortho­doxen Kir­che ver­bunden ist.

Und über all dem liegt, gewissermaßen als Guss, ein Gefühl der aggres­si­ven Ge­kränkt­heit. Putin, for­mu­liert der Slawist Riccardo Nicolosi, be­schreibt Russ­land als ein Volk der "Er­nied­rig­ten und Be­lei­dig­ten", er model­liere in seiner Rhe­torik Russ­land "als ein zu­tiefst ge­kränk­tes Land, das vom Westen wieder­holt be­leidigt und be­tro­gen worden sei".

2014, nach der Annexion der Krim, sagt Putin: "Wir wurden ein ums andere Mal be­trogen. Aber alles hat seine Grenzen."

Bei der Ausformulierung dieser Staatsphilosophie greift Putin auf reak­tio­näre Den­ker wie Iwan Iljin zu­rück, der in den 20er-Jahren von Lenin ins Exil ge­trie­ben und zu einem Bewun­derer Musso­linis und Hitlers wurde. "Putins Philo­soph eines russi­schen Fa­schis­mus", nennt ihn der His­to­ri­ker Timothy Snyder. Der Fa­schis­mus habe "ein ret­ten­des Über­maß an patrio­ti­scher Will­kür", attes­tiert Iljin -und er meint das po­si­tiv.

Je kleiner der Kreis einer verschworenen Truppe ist, deren Ideo­logie von der Vor­stel­lung ge­tra­gen ist, dass Russ­land vom Westen über­rumpelt, ge­fähr­det und im Inneren von Intri­ganten und Separa­ti­sten be­droht ist, umso größer kann auch die Paranoia sein, in die sich ein immer kleiner werden­des Küchen­kabi­nett selbst hinein­schraubt.

Dass Putin seit Jahren nur von Jasagern umgeben ist, neben seiner höf­lichen Seite auch eine sehr jäh­zor­nige Ader hat und die Speichel­leckerei ge­nießt, ist all­ge­mein be­kannt. "Irgend­wann stieg ihm das zu Kopf", meint Sergei Pugat­schow. Leute hiel­ten Toasts auf Putin mit Wen­dungen wie "du bist ein Geschenk Gottes", wundert sich Pugat­schow, "und er genoss das richtig­gehend".

Über Jahre hinweg gelingt es Putin und seiner Truppe, viele zu täu­schen und zu ver­wir­ren, da sie eine Art "post­moder­ne Dik­ta­tur" ent­wickeln. Sie ent­fachen einen Nebel, trom­meln eine Staats­ideo­logie, ver­sehen sie aber regel­mäßig mit einem Augen­zwinkern.

Eine Schlüsselrolle nimmt darin Wladislaw Surkow ein, ein ver­krach­ter Künstler und Theater­mann, aber auch ein genia­ler Krea­tiver, der als "Er­fin­der der russi­schen PR" und als "graue Emi­nenz" des Kremls be­zeich­net wurde. Sur­kow hört Punk­musik und Rap, schreibt Song­texte und model­liert das Image von Putin. Über lange Jahre ist er Vize­chef der Kreml-Ver­waltung und so etwas wie der oberste Spin­dok­tor, der ganz be­geis­tert ist von der Idee, man könne mit Spin­nen­netzen von Nar­ra­tiven die Öffent­lich­keit völlig mani­pu­lieren. "Ver­wir­ren ist das Ziel, Täu­schung ist Wahr­heit", schreibt er.

Er etabliert eine Wirklichkeit, in der sich niemand mehr aus­kennt, ist ein "Mario­net­ten­spieler", der das Land "aus der De­ka­denz Rich­tung Wahn­sinn treibt", so der bri­ti­sche TV-Jour­na­list Peter Pome­rant­sev, einer der besten Kenner dieses Sys­tems der Meinungs­mani­pu­lation: "Dies ist die Ge­sell­schaft, in der wir leben (eine Dikta­tur), aber wir be­trach­ten sie als eine Art Spiel."

Oppositionelle werden vergiftet und erschossen, der Anführer zu­gleich als "guter Dik­ta­tor" ins­ze­niert, die Des­po­tie senkt sich herab, und zu­gleich herrscht in der Kunst­welt ab­so­lute Frei­heit -solange nie­mandem auf die Zehen ge­tre­ten wird. Die Dik­ta­tur ist real, tut aber so, als wäre sie eine Show, eine Soap-Opera.

Über die Staatsmedien laufen nur mehr Fake News, bis ein­fach die to­tale Lüge herrscht, was zwar jeder weiß, aber nur zur Folge hat, dass jeder zynisch wird. Nichts ist ernst, am Ende aber doch töd­lich. Man redet den Men­schen ein, die Ukrainer er­morden sich ge­gen­seitig, und man inter­veniert, um ihnen Frie­den zu brin­gen. Zwei­fel säen, die Reali­tät als Simu­lakrum be­haup­ten, in der ja alles wahr sein kann, Lüge und Wahr­heit ein­fach nur gleich­wertige "Nar­rative".

Knapp vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe schlug die Nach­richt ein, Surkow, dieser wahr­schein­lich dämoni­schste Spin­doktor der Welt, sei von Putin unter Haus­arrest ge­stellt worden.

Putin spricht in einer Gossensprache, aber auch, um sich als "Normaler" zu positio­nieren, als harter Hund, als "einer von euch". Den Oli­gar­chen Oleg Deri­pas­ka nennt er schon ein­mal eine "Kaker­lake", er klopft Macho­sprüche, macht Ver­ge­walti­gungs-Witz­chen, Georgiens seiner­zeitigem Präsi­den­ten Michail Saakas­chwili droht er, er werde ihn "an den Eiern auf­hän­gen", und kri­ti­schen Jugend­lichen möge man "mit dem Knüp­pel eins über­ziehen", empfiehlt er.

Es ist stets spekulativ zu fragen, inwiefern die Struktur der Macht -also das "System", das eine Macht­clique eta­bliert -und die Per­sön­lich­keit, also indi­vi­duelle Charakter­züge des An­führers, auf­ein­ander ein­wir­ken. Offen­sicht­lich ist aber, wie per­fekt sie sich im Falle Putins er­gänzen. Putin ist routi­niert darin, eine freund­liche Miene auf­zu­setzen und zu­gleich Feinde zu ver­folgen. "Er ist ein klei­ner, rach­süch­ti­ger Mann", wie eine russi­sche Journa­lis­tin über ihn sagte.

Nur ganz selten blitzt das bei öffentlichen Auf­trit­ten auf, etwa bei Journalis­ten­fragen. Aber wenn, dann spürt man mit einem Mal den "un­ver­hoh­le­nen Hass" in Putin. Masha Gessen sagt: "Seine Freunde kannten ihn als jeman­den, der seinen Geg­nern fast die Augen aus­kratzte, wenn er wütend wurde."

Zahllose Episoden zeigen, mit welchem Vergnügen Putin "jeman­den vor Pub­li­kum demü­tigt", ohne die Stimme zu heben, wo­bei er eine kalte Ruhe aus­strahlt.

Ein Vertrauter aus jungen Tagen, dem Putin schon früh ent­hüllte, für den KGB zu ar­bei­ten, fragte sich immer wieder, was genau sein Be­kannter denn mache, was exakt seine Fähig­kei­ten seien. Irgend­wann merkte er, dass er nichts über Putin wusste. "Was kön­nen Sie?", fragte er Putin eines Tages. Der ant­wor­tete: "Ich bin ein Ex­perte für zwischen­mensch­liche Be­ziehungen."

Robert Misik in Falter 16/2022 vom 22.04.2022 (S. 11)

Posted by Wilfried Allé Sunday, May 1, 2022 11:31:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Welt in Bewegung 

Warum das 21. Jahrhundert so gefährlich geworden ist

Raimund Löw

Verlag: Falter Verlag
EAN: 9783854397069
Umfang: 224 Seiten
Genre: Outdoor, Radeln, Rasten&Genießen
Erscheinungsdatum: 21.04.2022
Format Taschenbuch
Preis: € 22,90

 

Der bekannte Journalist, Historiker und Buchautor Raimund Löw bietet eine journalistische Reise durch die Umwälzungen der internationalen Politik, die in die Zeitenwende des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 münden. Er beschreibt Russlands Phantomschmerz nach dem Zerfall der Sowjetunion, die Widerstandsfähigkeit Europas gegen Finanzkrisen und den Nationalismus der Rechten. Er analysiert die Pendelschläge Amerikas zwischen 9/11, Donald Trump und Joe Biden. 

Löw hat als Asien-Korrespondent des ORF Chinas unheimlichen Aufstieg mitverfolgt. Als einem der wenigen europäischen Journalisten gelang es ihm auch, live aus der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang zu berichten.

Pressetext

Welt in Bewegung - warum das 21. Jahrhundert so gefährlich geworden ist

Der vielfach ausgezeichnete Journalist, Historiker und Autor Raimund Löw hat ein neues Buch geschrieben.

 In „Welt in Bewegung“ erzählt Raimund Löw von der krisenhaften Entwicklung der Weltpolitik, die zur bisher gefährlichsten Situation des 21. Jahrhunderts geführt hat. Im Zentrum stehen Themen, so aktuell wie kaum andere: Russlands Konfrontationen mit dem Westen seit den demokratischen Revolutionen von 1989, Putins Angriffskrieg auf die Ukraine im Jahr 2022, die Turbulenzen der USA - von Barack Obama, über Donald Trump bis hin zu Joe Bidens Weg zum Präsidenten der USA und von der Resilienz Europas gegen zentrifugale Kräfte, der dieser Titel besondere Bedeutung beimisst.

Das Buch umfasst auf 224 Seiten exklusive Reportagen von Raimund Löw aus zahlreichen Regionen der Welt, die er laufend für die Wiener Wochenzeitung FALTER verfasst und nun überarbeitet hat. Der Autor war 1989 in Moskau Zeuge der Umwälzungen in der Sowjetunion und hat den Totalitarismus Nordkoreas erlebt. Er konnte im Presseraum des Weißen Hauses in Washington, D. C., am Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel und auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking beobachten, wie die Welt auf ein sich veränderndes 21. Jahrhunderts zutreibt. Mit „Welt in Bewegung“ schafft es Raimund Löw, den Blick auf das große Ganze treffsicher zu vermitteln. Es werden Zusammenhänge hergestellt und hinterfragt, die nachdenklich stimmen.

“Die liberale Demokratie erweist sich selbst in den reichsten und ältesten Demokratien nicht so unumstößlich wie angenommen. Fakt ist, die Welt ist immer in Bewegung, zuweilen langsamer, zuweilen schneller”, formuliert Georg Hoffmann-Ostenhof in seinem Vorwort.

Barbara Coudenhove-Kalergi findet die richtigen Worte zur Neuerscheinung: „Raimund Löw ist der führende außenpolitische Analytiker in Österreich. Seine Beobachtungen sind ein Schlüssel zum besseren Verständnis der ersten 20 Jahre unseres von ihm so genannten ,gefährlichen‘ 21. Jahrhunderts.“

Der Autor steht für Interviews, Lesungen und Diskussionsveranstaltungen bei vorheriger Kontaktaufnahme und Abstimmung mit dem Falter Verlag zur Verfügung.

Pressekontakt:
Julia Gerber
gerber@falter.at
T: +43 1 53660 977


Einladung zur Präsentation

Der Falter Verlag und das Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog laden zur Präsentation des neuen Buchs Welt in Bewegung

Donnerstag 28. April 2022, 19 Uhr
Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog

Armbrustergasse 15
1190 Wien

Tessa Szyszkowitz im Gespräch mit Raimund Löw, Barbara Wolschek und Georg Hoffmann-Ostenhof
E I N T R I T T F R E I
Anmeldung unter www.kreisky-forum.org

Ich freue mich auf Ihr Kommen!

Christa Thurnher
Falter Verlag
christa.thurnher@falter.at

Posted by Wilfried Allé Friday, April 22, 2022 8:50:00 PM Categories: Fachbücher Politikwissenschaft/Politik
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Vienna Biking 

Radeln, Rasten & Genießen. 5 Routen - vom Zentrum zu neuen Vierteln der Stadt. Geschichte, Kultur, Architektur, Natur, Essen und Trinken

Irene Hanappi

Verlag: Falter Verlag
EAN: 9783854396925
Umfang: 136 Seiten
Genre: Outdoor, Radeln, Rasten&Genießen
Erscheinungsdatum: 11.05.2021
Format Buch (Kartoniert, Paperback)
Preis: € 14,90
Reihe: City-Walks

 

Jetzt neu mit GPS-Daten!

Fünf Touren verführen dazu, sich aufs Rad zu schwingen und nach dem Hop-on-Hop-off-Prinzip anzuhalten, um Sehenswertes zu betrachten, die Natur zu genießen oder sich zu stärken.
Die Routen schlagen einen Bogen vom Herzen zur Außenhaut der Stadt. Ausgehend vom historischen Wien mit seinen barocken Gesamtkunstwerken Schönbrunn, Karlskirche und Belvedere werden Arbeiterbezirke und Villenviertel der Bourgeoisie durchquert, hin zu neuen visionären Stadtteilen und früheren experimentellen Bauten. Entlang der Donau geht es vorbei an Wiens Skyline, in den Dschungel der Stadt, die Lobau. Es ist ein Crossover in jeder Hinsicht, ein Querschnitt durch das alte und das neue Wien.
Mit „Vienna Biking“ lässt sich die Stadt vom Sattel aus erkunden.

Posted by Wilfried Allé Monday, April 18, 2022 9:10:00 PM Categories: Outdoor Radeln Rasten&Genießen
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Botanische Spaziergänge 

11 Routen durch die Welt der Wiener Pflanzen und ihre Geschichte

von Cristina-Estera Klein, Birgit Lahner, Silvia Ungersböck

Verlag: Falter Verlag
EAN: 9783854397052
Umfang: 224 Seiten
Genre: Outdoor, Naturführer
Erscheinungsdatum: 23.03.2022
Format Gebundene Ausgabe
Preis: € 29,90
Reihe: Kultur für Genießer

 

Beschreibung

Anhand von 11 Spaziergängen und Wanderungen in und an den Grenzen von Wien werden verschiedene botanische Kapitel in der Stadtgeschichte aufgeschlagen.
Die beschriebenen Wege laden ein, den städtischen Raum neu zu betrachten und zu erfahren. Die Verknüpfung konkreter Orte mit geschichtlichem botanischem Wissen bietet sich an, um in der Zeit zurückzugehen. Ein mächtiger, mehrere hundert Jahre alter Baum im Stadtzentrum spielt dabei ebenso eine Rolle wie das Angebot essbaren Grüns historischer Märkte oder das genügsame, aber hartnäckige Pflänzchen zwischen den Pflastersteinen. Beim Blick in die Vergangenheit finden sich auch aktuelle Bezüge zu den brennenden Themen Naturschutz und Klimawandel.
Mit dem Buch wird dem vermehrten Bewusstsein und Interesse am Thema Naturraum in der Stadt Rechnung getragen.

Die Spaziergänge:
  • Wein in der Stadtlandschaft
    Vom Franz-Josefs-Kai über das Blutgassenviertel in die Ballgasse
  • Stadtwildnis
    Vom Minoritenplatz bis nach Heiligenstadt
  • Historische Märkte und ihr pflanzliches Angebot
    Vom Donaukanal zum Neuen Markt quer durch die Innere Stadt
  • Städtisches Grün
    Vom Palais Coburg über die Ringstraße zum Planquadrat Park
  • Barocker Garten und Pflanzensammlungen
    Belvederegarten und Botanischer Garten der Universität Wien
  • Naturdenkmäler
    Eine Rundwanderung durch Hietzing
  • Bürgerliche Gartenlust
    Von Gersthof durch das Cottageviertel zum Wertheimsteinpark
  • Sozialer Grünraum und Streuobstwiese
    Von Neuwaldegg über den Heuberg zum Kongresspark
  • Wald und Landschaftsgarten
    Über den Dehnepark und die Steinhofgründe zum Schwarzenbergpark
  • Auwald, Heißlände und Ackerrand
    Durch die Lobau
  • Bachsaum, Wiese und Trockenwald
    Von Rodaun entlang der Liesing ins Gütenbachtal und zur Himmelswiese
Posted by Wilfried Allé Monday, April 11, 2022 11:01:00 AM Categories: Kultur für Genießer Naturführer Outdoor
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Pandemia 

Einblicke und Aussichten

von Rudi Anschober

Verlag: Zsolnay, Paul
ISBN: 9783552072886
Umfang: 272 Seiten
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Erscheinungsdatum: 11.04.2022
Format Hardcover
Preis: € 24,70
ebook / epub: € 17,99

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

Die erste Innenansicht eines europäischen Gesundheitsministers in der Pandemie: Rudi Anschober schildert die Herausforderungen des Ausnahmezustandes unter Corona.
Der Ausbruch der Corona-Pandemie steht für den Beginn einer neuen Zeitrechnung. Weltweit erkranken und sterben Millionen Menschen, ein Ende ist trotz Impfungen nicht abzusehen. Jetzt berichtet erstmals ein verantwortlicher Politiker aus dem Maschinenraum der Macht. Begeisterte Zustimmung von der einen, leidenschaftliche Kritik von der anderen Seite – als frisch angelobter grüner Gesundheitsminister Österreichs stand Rudi Anschober vor einer der größten Krisen des 21. Jahrhunderts.
Nun, einige Monate nach seinem aus Gesundheitsgründen erfolgten Rücktritt, schildert Anschober am Beispiel von fünf Personen – einer Intensivmedizinerin, einer Forschungskoordinatorin, einer Long-CovidPatientin, einer alleinerziehenden Buchhändlerin und eines Ministers –, die beispiellosen Herausforderungen durch die Pandemie. Die Innenansicht eines Ausnahmezustandes.

FALTER-Rezension

Der Moment, in dem einem die Kraft ausgeht

Rudi Anschober verlangte schon als grüner Gesundheitsminister immer zu viel von sich, und als Autor ergeht es ihm ähnlich. "Pandemia" heißt sein neues Buch, das im Untertitel "Einblicke und Aussichten" verspricht. Der Titel klingt nach einem fiktiven Roman, der Untertitel eher nach einem persönlichen Bericht der letzten drei Jahre im Ausnahmezustand. Anschobers Werk ist dann genau beides zugleich und nichts davon wirklich. Das ist schade, denn beide Ansätze - der literarische wie der autobiografisch-persönliche -für sich hätten gereicht, um ein packendes Buch zu schreiben. So ist es ein zwar streckenweise spannendes, am Ende aber unentschlossenes Pandemie-Zeugnis geworden.

Anschober schildert in "Pandemia" Schlüsseltage zwischen dem 10. März 2020 und dem 1. Jänner 2022 aus der Sicht verschiedener Protagonisten. Manche sind echt, wurden aber anonymisiert, wie Andrea und Miriam, zwei an Long Covid Erkrankte. Andere sind fiktive, aber nahe an der Realität gebaute Figuren, wie die Wissenschaftlerin Astrid Norton oder die Oberärztin Kathrin Hinz. Sie bleiben besonders abstrakt, viel lieber hätte man stattdessen gelesen, was die tatsächlichen Berater und Wissenschaftler in Anschobers Umfeld zum jeweiligen Zeitpunkt geraten haben. Dazu kommen Anschobers persönliche Aufzeichnungen unter dem Titel "Aus dem Maschinenraum".

Nicht nur für politisch Interessierte sind sie die aufschlussreichsten und spannendsten Abschnitte, auch wenn Anschober selbst im Rückblick milde bleibt. Aber immerhin erfahren wir, wie früh Ex-Kanzler Sebastian Kurz beginnt, Anschober auszubremsen. "Kommt öffentliche Kritik, habe ich den Eindruck, dass sich Kurz wegduckt. Anstatt sich gegen die Welle der Kritik zu stellen oder von der Welle erfasst zu werden, surft er auf ihr. Das macht die Zusammenarbeit - höflich formuliert -schwierig", notiert Anschober am 5. Jänner 2021.

Kurz habe sein Verhalten schon ab Sommer 2020 an der Stimmung im Volk und nicht an der Vernunft ausgerichtet, erkennt Anschober im Rückblick. "Ich habe einen Politiker kennengelernt, der auf ein kleines Team eingeschworener Mitarbeiter setzte, einen Politiker, der ungewöhnlich oft, vielfach wöchentlich, die Stimmung der Bevölkerung ausleuchten ließ -von einem eigenen Umfrageinstitut; der laufend damit beschäftigt war, seine Macht zu vermessen; und der darauf aufbauend seine politischen Positionen adaptierte und weiterentwickelte, manchmal ungewöhnlich rasch. Und dabei immer wieder zuallererst an sich und seine eigene Karriere dachte."

Besonders eindringlich sind die Passagen, in denen Anschober offen darüber schreibt, wie ihm die Kraft ausgeht. Seine Ansprüche sind zu hoch, er wollte alle Informationskanäle selber bedienen, Twitter, Instagram, Facebook, SMS, E-Mails. "Damit bin ich weitgehend allein in der Spitzenpolitik, alle Berater raten mir davon ab, dieser Politikstil sei nicht durchzuhalten", schreibt er. Die Bedrohungen und die Sicherheitsmaßnahmen zwängen in ein Leben in Dienstwägen und Dauer-Personenschutz, er leidet darunter, den in Pandemiezeiten ohnehin schon eingeschränkten Kontakt zur "normalen" Außenwelt fast völlig zu verlieren. "Als ich eines Abends in der Dunkelheit durch einen Kordon von Demonstranten zu meinem Dienstwagen muss, gelingt es mir nur knapp, vor der brüllenden Menge die Wagentür zu schließen. So eine Schande, du bist auf der Flucht vor den Menschen!", hält er im November 2020 fest. Bis zu seinem Rücktritt waren es da noch quälend lange fünf Monate.

Barbaba Tóth in Falter 14/2022 vom 08.04.2022 (S. 26)

Posted by Wilfried Allé Saturday, April 9, 2022 8:42:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Der Oligarch 

von Wolfgang Kemp

Verlag: zu Klampen Verlag
EAN: 9783866745346
Reihe: zu Klampen Essays
Umfang: 176 Seiten
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Erscheinungsdatum: 01.10.2016
Format Hardcover
Herausgegeben von Anne Hamilton
Preis: € 18,50


FALTER-Rezension

Physiologie einer Sozialfigur

Als vor knapp 200 Jahren die Städte zu modernen Metropolen wurden und die industrielle Revolution die unterschiedlichsten neuen Berufe entstehen ließ, blühte das literarische Genre der "Physiologien" auf, kleine, literarisch geschriebene Bändchen, die die neu entstehenden "Sozialcharaktere" beschrieben. Eine Art "sozialer Fremdenführer". Der deutsche Kunsthistoriker Wolfgang Kemp nahm sich diese Gattung zum Vorbild, als er 2016 einen brillant geschriebenen Essay mit dem Titel "Der Oligarch" veröffentlichte.

Plutokrat, Tycoon, Mogul, Magnat -es gäbe viele Begriffe für den "klassisch russischen und ukrainischen Oligarchen der postsowjetischen Ära". Kemp definiert ihn als "kleine Gruppe der großen Gewinner der Transformationsperiode der neunziger Jahre in Russland und der Ukraine", die anzeigen, "was an Klassengesellschaft heute noch möglich ist", die "soziale Ungleichheit in Person".

"Oligoi" heißt "die wenigen". Die Oligarchie steht bei Platon, Aristoteles und Polybios für eine Entartung der Aristokratie. Die Aristokratie ist -theoretisch -die Herrschaft der Besten. Sie handeln zum Wohle aller. In der Oligarchie hingegen haben ein paar wenige die Macht, die keinen Gemeinschaftssinn kennen, sondern die nur ihr eigenes Fortkommen interessiert. Sie wechseln ihre politischen Loyalitäten nach Geschäftsinteresse und umgekehrt. Das Wort "Oligarch" taucht Ende der 1990er-Jahre im Russischen wie Ukrainischen als Beschreibung der neuen Superreichen auf.

Was Rom für Goethe war, ist dem Oligarchen London. Kemp nimmt den Leser mit auf die "Kleptokratie-Tour" durch "Londongrad", er lebt "Shore, Offshore und Save Haven". Er verdient sein Geld in seiner Heimat, in Rohstoffbranchen wie Öl, Gas oder in Banken, Medien. Er wäscht es in Zypern und verteilt es an Offshore-Adressen. Sicher fühlt er sich in Israel. Der Oligarch selbst würde sich wohl am liebsten als "Philanthrop" sehen, am Ende zeichnet ihn aber eher etwas anderes aus, wie Kemp es scharfsinnig formuliert: "der Wille zur Yacht".

Barbara Tóth in Falter 12/2022 vom 25.03.2022 (S. 24)

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 24.11.2016

Was einen Oligarchen ausmacht, das erfährt Hanno Rauterberg aus Wolfgang Kemps Essay: maßlose Gier natürlich, Skrupellosigkeit ebenso, eine Vorliebe für prunkvoll verschnörkelten Kitsch und nicht zuletzt eine Jacht. Im "lakonischen Plauderton" und mit "gesteigerter Freude an absurden Zahlen und surreal anmutenden Begebenheiten" legt der als Kunsthistoriker bekannte Kemp seine Beobachtungen dar und öffnet damit dem Rezensenten ein ums andere Mal die Augen - nicht zuletzt in der Einschätzung Donald Trumps (dem es für einen richtigen Oligarchen an einer Jacht mangelt).

Posted by Wilfried Allé Monday, March 28, 2022 10:52:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Inside Fridays for Future 

Die faszinierende Geschichte der Klimabewegung in Österreich

von Benedikt Narodoslawsky
Benedikt Narodoslawsky recherchiert und schreibt seit mehreren Jahren regelmäßig zum Thema Klima. Dieses Wissen und seine Erfahrung hat es ihm ermöglicht, als einer der wenigen, direkten Kontakt zu den Initiator*innen von Fridays for Future zu knüpfen und in ihre Arbeit exklusive Einblicke zu bekommen.
Inklusive praktischer Tipps.

Verlag: Falter Verlag
EAN: 9783854396666
Reihe: Fachbücher
Umfang: 240 Seiten
Genre: Umwelt Ökologie
Erscheinungsdatum: 09.03.2020
Format Gebundene Ausgabe
Preis: € 24,90


FALTER-Rezension

Die Revolution

Vor einem Jahr wurden Fridays for Future zum politischen Faktor in Österreich. Die unglaubliche Geschichte einer Jugendbewegung.

Dezember 2018. Österreichs heißestes Jahr der Messgeschichte geht zu Ende. Die klimaschädlichen Gase sind auf ein Rekordhoch gestiegen. Österreichs Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) leugnet in einem Interview den menschengemachten Klimawandel. Österreichs Umweltpartei – die Grünen – ist politisch am Boden.

Seit drei Jahrzehnten liegt das Land im klimapolitischen Koma, trotz immer besserer Technologie werden hierzulande so viele Tonnen an Treibhausgasen wie 1990 in die Luft geblasen. Dabei werden die wissenschaftlichen Vorhersagen immer dramatischer: Die Klimakrise gilt als eine der größten Bedrohungen der Erde, sie wird zur Überflutung bevölkerungsreicher Küsten führen, Dürre- und Hungerwellen auslösen, Pflanzen- und Tierarten auslöschen, hunderttausende Hitzetote fordern und Millionen Menschen zu Flüchtlingen machen. Doch Staatenlenker aus aller Welt setzen im polnischen Katowice gerade die nächste UN-Klimakonferenz in den Sand.

Es scheint in diesem Dezember 2018 alles so zu sein wie immer. Bis auf eine Kleinigkeit. Während der Klimakonferenz in Katowice tritt ein Mädchen ans Rednerpult, das schon einiges hinter sich hat: von Klassenkameraden ausgegrenzt, gemobbt und geschlagen, Depression, Essstörungen. Greta Thunberg, 15 Jahre alt, Asperger-Syndrom, hat den aktuellen Stand der Wissenschaft zur Klimakrise studiert und unerträgliche Angst vor dem Weltuntergang bekommen. Die Schwedin ist unscheinbar, aber hinter dem Mikrofon in Katowice entfaltet sie eine Urgewalt, die bald Europa erschüttern wird.

„Wir sind nicht hergekommen, um die Regierungschefs der Welt zu bitten, dass sie sich kümmern. Sie haben uns in der Vergangenheit ignoriert und werden uns wieder ignorieren“, sagt sie. „Ihnen gehen die Entschuldigungen aus, und uns geht die Zeit aus. Wir sind hergekommen, um Sie wissen zu lassen, dass der Wandel kommt, ob ihnen das gefällt oder nicht.“ Ein Mädchen liest den Mächtigen die Leviten. Das Video ihrer Rede verbreitet sich viral.

Ein Jahr später. Dezember 2019. In wenigen Tagen endet Österreichs innenpolitisch heißestes Jahr der jüngsten Geschichte. Die FPÖ liegt politisch am Boden, die Partei hat sich mit dem Ibiza-Skandal aus der Regierung gesprengt und Neuwahlen ausgelöst. Die Grünen sind aus dieser Wahl so stark wie nie zuvor hervorgegangen, sie verhandeln gerade mit der ÖVP das Klimakapitel für ein neues Koalitionsprogramm.

Eine Woche nach dem Jahreswechsel gelobt Bundespräsident Alexander Van der Bellen die türkis-grüne Bundesregierung an – zum ersten Mal in der Geschichte des Landes sitzen die Ökos an den Schalthebeln der Macht. Bis 2040 soll Österreich klimaneutral werden. Gelingt das, wird Österreich in Sachen Klimaschutz vom Sorgenkind zum Musterschüler in Europa.

Es scheint, als hätte eine unsichtbare Macht die Republik an den Beinen gepackt, durchgerüttelt und auf den Kopf gestellt. Was ist da passiert?

Blicken wir noch einmal zurück, in den Dezember 2018. Nicht nur Thunberg ist ins Tagungszentrum von Katowice zur UN-Klimakonferenz gekommen, auch drei österreichische Studierende sind angereist, um dort etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen. Sie treffen dort Thunberg, die mit ihrem Schild „Skolstrejk för klimatet“ auf dem Gang sitzt. Nur wenige Tage nachdem die Schwedin ihre Rede bei der Klimakonferenz gehalten hat, gehen die drei Studierenden mit selbstgebastelten Schildern in Wien auf die Straße. Sie haben sich Thunbergs Schulstreik fürs Klima angeschlossen, obwohl sie selbst längst nicht mehr zur Schule gehen.

Die neu gegründete Bewegung Fridays for Future Vienna ist in einem Wiener Café eher spontan entstanden und besteht zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen aus einer Facebook- und einer Instagram-Seite. Die erste Fridays-Demo in Österreich am 21. Dezember 2018 auf dem Wiener Heldenplatz dauert sechs Stunden, aber zu keinem Zeitpunkt werden gleichzeitig mehr als 50 Demonstranten zu sehen sein. Das sieht nicht so aus, als ob hier gerade Geschichte geschrieben würde, sondern eher wie zwei Maturaklassen, die sich dazu entschlossen haben, heute ein bisschen Lärm zu schlagen.

Genau daraus entwickelt sich binnen weniger Wochen eine Massenbewegung, die Österreichs politische und mediale Landschaft verändern wird. Von Wien schwappt die Protestwelle in die Landeshauptstädte, zunächst nach Innsbruck, dann Linz, dann Salzburg und Graz. Bis auf eine große Veranstaltung in der Steiermark bleiben die Demonstrationen bis Anfang März 2019 allesamt nahezu unter der Wahrnehmungsschwelle. Obwohl Greta Thunberg und Fridays for Future immer berühmter werden, kommen zu den Demos in Österreich nur einige Menschen. Wenn es sehr gut läuft, über 100.


Und dann macht es bumm. 15. März 2019, der erste globale Klimastreik. Rund 1,6 Millionen Menschen demonstrieren an diesem Tag auf der Welt für mehr Klimaschutz. Allein in Wien sind es – je nach Zählung – zwischen 10.500 und 30.000. Es ist die größte Klimakundgebung, die die Repu­blik bis dahin gesehen hat.

Der 15. März 2019 ist der D-Day der jungen Bewegung, er macht sie über Nacht zum innenpolitischen Faktor. Die Klimaschützer bekommen Audienzen beim Bundespräsidenten, beim Bildungsminister und bei der Umweltministerin. Mit dem Gewicht kommen die ersten Unstimmigkeiten innerhalb der einzelnen Fridays-Ortsgruppen in Österreich. Sie beginnen, sich zu vernetzen und gemeinsam das Land zu verändern. Und sie tun das gleich mehrfach.

Da ist zum Beispiel die Wissenschaftscommunity. Jahrzehntelang sprachen die Forscher zurückhaltend und leise über die zunehmend alarmierenderen Erkenntnisse zur Klimakrise. Im Jahr der Fridays verlassen sie ihren Elfenbeinturm. Als Politiker der jungen Klimabewegung die Kompetenz in Klimafragen absprechen, reicht es den Wissenschaftlern. Sie beschließen anlässlich des ersten globalen Streiks Mitte März, gemeinsam ein starkes Zeichen zu setzen und der jungen Klimabewegung den Rücken zu stärken. Sie gründen – angelehnt an den Namen der Klimabewegung – die Scientists for Future und erklären öffentlich, dass die Jugendlichen mit ihrer Kritik an der Politik recht haben. Mehr als 26.800 Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum schließen sich Scientists for Future an.

Die Dynamik entwickelt eine derartige Wucht, dass manche von ihnen in Österreich sogar Wahlwerbung für die Grünen machen. Der Klimaforscher Gottfried Kirchengast, der als einziger Wissenschaftler im Nationalen Klimaschutzkomitee sitzt, macht hingegen genau das Gegenteil von Wahlwerbung. Er kanzelt ÖVP-Chef Sebastian Kurz öffentlich ab. Kurz sei „nicht staatsmännisch“, das Klimaschutzprogramm der ÖVP eine „ziemlich dreiste Irreführung der Bevölkerung“. Das sind völlig neue Töne aus den Universitäten. Das zivilgesellschaftliche Engagement der Wissenschaftler habe „durch Fridays for Future eine enorme Blüte erlebt“, sagt Kirchengast rückblickend, „das war eine Formung in der Community“.

Die Dynamik entwickelt eine derartige Wucht, dass manche von ihnen in Österreich sogar Wahlwerbung für die Grünen machen. Der Klimaforscher Gottfried Kirchengast, der als einziger Wissenschaftler im Nationalen Klimaschutzkomitee sitzt, macht hingegen genau das Gegenteil von Wahlwerbung. Er kanzelt ÖVP-Chef Sebastian Kurz öffentlich ab. Kurz sei „nicht staatsmännisch“, das Klimaschutzprogramm der ÖVP eine „ziemlich dreiste Irreführung der Bevölkerung“. Das sind völlig neue Töne aus den Universitäten. Das zivilgesellschaftliche Engagement der Wissenschaftler habe „durch Fridays for Future eine enorme Blüte erlebt“, sagt Kirchengast rückblickend, „das war eine Formung in der Community“.

Im Jahr 2017: 5202 Artikel.

Im Jahr 2017: 5202 Artikel.

Im Jahr 2019: 14.323 Artikel.

„Es sind irre Zugriffszahlen, die sich da entwickelt haben“, sagt Standard-Redakteurin Nora Laufer, die regelmäßig über Klimathemen berichtet, „das können wir genau nachverfolgen. Ich schreibe die gleichen Klimageschichten wie vor zwei Jahren, aber auf einmal lesen das um ein Vielfaches mehr Leute.“

International schließen sich 250 Medien zur Klimajournalismus-Initiative „Covering Climate Now“ zusammen. Auch hierzulande setzt es Schwerpunkt um Schwerpunkt. Der ORF erschafft etwa den „Klima-Tag“ und sendet zehn Stunden Programm zum Klimawandel, die Kronen Zeitung startet die Kampagne „Klimakrise“ und ändert ihre Sprache. „Die Formulierung ,Klimawandel‘ wird man in der Krone in der Regel jetzt nicht mehr finden“, sagt Krone-Chefredakteur Klaus Herrmann, „wir sehen das als Klimakrise oder Klimaschock.“ Österreichs bekannteste Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb bekommt eine eigene Krone-Kolumne – und das ist ihre Idee. „Es war uns irgendwie klar, dass wir an die Menschen herankommen müssen, an die wir sonst nie herankommen“, sagt die Klimaforscherin, „denn die kommen nicht zu unseren Vorträgen.“

Zwei Tage vor der Nationalratswahl 2019 geht die bislang größte Machtdemonstration der Klimabewegung über die Bühne. Je nach Zählung bringen die Fridays mit ihren Allianzpartnern beim Earth Strike zwischen 70.000 und 150.000 Menschen in Österreich auf die Straße. Am 28. September 2019 – also einen Tag vor der Wahl – füllen die Bilder der Massenkundgebung die Titelseiten quer durch die Zeitungslandschaft.

Die Nationalratswahl einen Tag später wird zur Klimawahl. Die Wahlbefragung zeigt: Über kein Thema haben die Menschen mehr gesprochen als über Umwelt- und Klimaschutz. „Es wäre ja nicht so gewesen, dass dieser Wahlkampf nicht ein Thema gehabt hätte: Ibiza, die Parteifinanzen, die Spesendebatte um Strache – das war durchaus ein starkes Konkurrenzthema“, sagt der Politikexperte Christoph Hofinger vom Sora-Institut, „aber Umwelt- und Klimaschutz sind im Verlauf des Sommers über die anderen Themen hinausgewachsen.“

Noch am Wahlabend des 29. September stellt ein ORF-Journalist dem grünen Spitzenkandidaten Werner Kogler folgende Frage: „War das eigentlich Ihr Sieg, oder ist das auch ein bisschen der von Greta Thunberg?“ Kogler, der drei Monate später als erster grüner Vizekanzler der Republik angelobt wird, antwortet: „Es war jedenfalls ein ,Sunday for Future‘.“

Benedikt Narodoslawsky in Falter 11/2020 vom 2020-03-13 (S. 22)

Posted by Wilfried Allé Friday, March 25, 2022 11:48:00 PM Categories: Biologie Fachbücher Klimawandel Ökologie
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